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Erstens spreche ich ein veraltetes Deutsch und zweitens bin ich kein Schriftsteller

Die Bücher des Ernesto Kroch
Gert Eisenbürger

Die Literatur des antifaschistischen Exils gehört zum Interessantesten, was in diesem Jahrhundert in deutscher Sprache geschrieben wurde. Neben den bekannten AutorInnen, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren und im Exil ihre z. T. bedeutendsten Werke verfaßten, hat die Erfahrung von Flucht und Exil auch viele Menschen zum Schreiben bewogen, denen dies vorher nie in den Sinn gekommen wäre.

Auch Ernesto Kroch gehört zu den antifaschistischen Flüchtlingen, die zu schreiben begonnen haben. Seine schriftstellerische Laufbahn ist aber sicherlich außergewöhnlich, denn sie begann erst, als er als 65jähriger 1982 sein Exilland Uruguay verlassen und in die BRD ins zweite Exil gehen mußte. Er hatte seit 1932 – nur durch seine Zeit im Gefängnis und KZ unterbrochen – als Maschinenschlosser in der Metallindustrie gearbeitet. Ihm ging es zunächst weniger darum, seine Erfahrungen schriftstellerisch zu verarbeiten, als mit seinem Schreiben hier politisch zu wirken. Als meine Hauptaufgabe in der Bundesrepublik habe ich immer die Aufklärung über Uruguay und im weiteren Rahmen über Lateinamerika angesehen. Und das ist ja auch der Grund gewesen, weshalb ich erst einmal das „Südamerikanische Domino“ geschrieben habe, diese Kurzerzählungen, die in verschiedenen Ländern Südamerikas spielen, weil ich dachte, da kommt man an einen größeren Kreis von Leuten ran, die nicht unbedingt politisch interessiert sind, aber denen man doch die soziale Situation Lateinamerikas nahebringen will.

In den Erzählungen verlieren Begriffe wie Diktatur, Wirtschaftskrise oder Exil ihre Abstraktheit, weil sie in ihrer Bedeutung für konkrete Personen beschrieben werden: die Verkäuferin, die in der quälenden Zeit des Wartens auf Kunden, die nicht kommen, verzweifelt darüber nachdenkt, daß die drohende Entlassung die ganze Lebensperspektive in Frage stellt; die exilierte Chilenin in der BRD, der der Entzug ihrer Aufenthaltsgenehmigung angedroht wird, weil sie mit ihren beiden Kindern in einer zu kleinen Wohnung lebt, und die über die Selbstgerechtigkeit und Kälte der deutschen Bürokraten und Nachbarn zu verzweifeln droht, bis ihr ein Brief aus den Kerkern Chiles neuen Lebensmut gibt; der Journalist, der eine Reportage über einen Arbeitslosen schreibt, der seine Niere verkaufen will, und vom Chefredakteur zurückgepfiffen wird; der jüdische Flüchtling aus Deutschland, der in Uruguay als Eisverkäufer arbeitet und keinen Weg findet, ein Visum für seine Eltern zu besorgen, denen in Nazideutschland die Ermordung droht. Das „Südamerikanische Domino“ kann man selber lesen oder an die verschenken, denen man etwas über die Lebensrealität „der Welt, von der wir leben“ mitteilen will.

1990 erschienen unter dem Titel „Exil in der Heimat – Heim ins Exil“ die Lebenserinnerungen Ernesto Krochs. In diesem Buch erzählt er seine Geschichte: die Kindheit und Jugend im aufgeklärt jüdischen Elternhaus in Breslau, die prägende Sozialisation im Jugendbund „Kameraden“, die Lehre in einer Lokomotivfabrik, die ihn mit einer ganz neuen Welt konfrontierte, die Politisierung in der Endphase der Weimarer Republik, die geheimen Widerstandstreffen, die trotz der großen Gefahr nicht frei von Lebenslust waren, die Produktion einer Untergrundzeitung, dann die Verhaftung, Gefängnis und KZ, der Aufenthalt in Jugoslawien, das Einleben in Uruguay, die politischen Aktivitäten im „Barrio Sur“, die damit zusammenhängende permanente Abwesenheit von der Familie, die schließlich zur (vorübergehenden) Scheidung führt, das Leben unter der Diktatur, die zweite große Liebe, die Erfahrungen im bundesdeutschen Exil, die Rückkehr, der Kampf gegen die Amnestie für die Mörder in Uniform, die Krebserkrankung und der Mut zum Weiterleben. Durch die Lektüre der Lebenserinnerungen Krochs wurde mir klar, welchen Schatz an Erfahrungen uns die Menschen mitzuteilen haben, die als Flüchtlinge zwischen zwei Kontinenten gependelt sind, und dies hat mit zur Konzeption der Reihe „Lebenswege“ in der ila beigetragen.

„Uruguay – zwischen Diktatur und Demokratie“ ist der Titel des jüngsten Buches von Ernesto Kroch. Es ist eine engagiert geschriebene und gut lesbare Einführung in die Geschichte und politische Entwicklung Uruguays, die allen Leuten, die Uruguay besuchen wollen, als Pflichtlektüre empfohlen werden sollte. Zwei Dinge haben mir an dem Buch besonders gefallen, erstens, daß es mit vielen exotischen Klischees aufräumt, und zweitensseine politische Redlichkeit und Offenheit. So wird etwa deutlich, daß der KP-Aktivist Kroch der Politik und Strategie der Tupamaros kritisch gegenüber steht, sich aber dennoch in der Beschreibung ihrer Aktionen und ihrer Politik um eine faire Darstellung und Auseinandersetzung bemüht und auf jegliche Polemik verzichtet. Sein Anliegen ist die Einheit der Linken, und er verabscheut Ausgrenzungen und ideologische Grabenkämpfe.

Seine ersten literarischen Texte schrieb Ernesto Kroch in deutsch, seiner ersten Sprache. Nach seiner Rückkehr nach Uruguay begann er auch in spanisch, seiner zweiten Sprache zu schreiben. 1988 veröffentlichte er die „Crónicas del Barrio Sur“, die inzwischen in Uruguay bereits in der dritten Auflage erschienen sind. Er selbst bezeichnet die „Crónicas“ als „halb Essay, halb Erzählung“ über das Leben in diesem Stadtteil.

Ich habe die Bücher Ernesto Krochs mit sehr viel Spaß und Interesse gelesen. Mir hat auch sein – wie er sagt – „veraltetes Deutsch“ gefallen, in dem er spektakuläre Dinge ganz unspektakulär beschreibt und den Leser bzw. die Leserin herausfordert, sich auf das Geschriebene einzulassen und – so paradox es klingen mag – genau hinzuhören.