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Schindlers Witwe

Die in Argentinien lebende Emilie Schindler über Steven Spielbergs Darstellung ihres Ex-Mannes

Obwohl er erst Anfang März in die bundesdeutschen Kinos kommt, ist er bereits in aller Munde, „Schindlers Liste“, der neue Film von Steven Spielberg über die Rettung mehrerer hundert Juden durch den Unternehmer Oskar Schindler während der NS-Diktatur. Die Medien bringen ausführliche Beiträge über den Film und die Geschichte und Person des Helden Oskar Schindler. Wenig gesprochen – sowohl im Film als auch in den entsprechenden Kommentaren und Artikeln – wird über den Anteil von Schindlers Frau Emilie an der Rettungsaktion. Dabei hätte man sie fragen können, sie lebt in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Gaby Weber hat sie dort besucht und das folgende Portrait verfaßt.

Gaby Weber

Der neue Streifen von Steven Spielberg handelt nicht von Extraterrestrischen oder Dinosauriern sondern von menschlichen Monstern. Der Film „Schindlers Liste“ ist die Geschichte von Oskar Schindler, eines Abenteurers aus dem Sudetenland, der Anfang der vierziger Jahre in Krakau eine Email-Fabrik unterhielt. Seine Arbeiter, die überwiegend aus Auschwitz kamen, erklärte er bis zum Kriegsende zu „unabkömmlichen Fachkräften“ und rettete sie damit vor der Gaskammer.

Ursprünglich wollte Spielberg vor den Toren von Auschwitz drehen, aber der Jüdische Weltkongreß hatte protestiert. Er befürchtete, daß der Holocaust als Hollywood-Schnulze inszeniert würde. Weder Spielberg, selbst jüdischen Glaubens, noch sein Koproduzent Branko Lustig, der zwei Jahre seiner Kindheit in Auschwitz verbracht hatte, konnten die Bedenken ausräumen.
Das Drehbuch basiert auf dem Roman des Australiers Thomas Keneally. Er hatte 1982 in den USA den Roman „Schindler‘s List“ veröffentlicht. Seine Recherchen gehen auf die Berichte von Überlebenden zurück, den sogenannten „Schindlerjuden“, und von Oskar Schindlers Freunden. Seine Witwe Emilie, die seit 1949 in Argentinien lebt, wurde weder von dem australischen Schriftsteller noch von Spielbergs Drehbuchautor gehört. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Darstellung an der Legende gekratzt hätte.
Der Kauf einer Email-Fabrik vor den Toren Krakaus versprach saftige Gewinne. An Haushaltwaren wie Töpfen und Pfannen war stets Bedarf, und Schindlers deutsche Freunde hatten billige Arbeitskräfte aus dem nahegelegenen Konzentrationslager versprochen. Und es waren keine leeren Worte: Amon Göth, Lagerkommandant von Auschwitz, kommandierte 700 männliche Juden aus dem Krakauer Ghetto und 300 Jüdinnen aus dem KZ in die Fabrik ab. Schindler stellte mehr Personal ein, als er wirklich brauchte. Er ließ ihnen Baracken bauen, damit sie nach Feierabend nicht ins KZ zurückmußten.
Unklar ist, durch welches Erlebnis aus dem Kriegsgewinnler und Nazi-Helfer plötzlich ein Beschützer der Juden wurde. Eine Version besagt, daß er mitansah, wie ein jüdisches Kind erschossen wurde. Das mag sein, die Witwe erinnerte sich daran nicht.
„Er hat mit der Judenrettung auch sich gerettet. Er hat gewußt, auf einen Schlag zwei Dinge zu verbinden. Die haben sich gegenseitig gerettet, wissen Sie? Er hat sich auch gerettet. Sonst hätte er zur Front gemußt, wäre an die Front gekommen, müßte Kriegsdienst leisten.“
Aber vielleicht ist es kein Widerspruch, daß ein ganz normaler Mitläufer sich selbst und andere vor schlimmem Unrecht bewahren kann, und daß man kein Held sein muß, um Widerstand zu leisten. Auf jeden Fall ist die Frage nicht als Happyend auf der Leinwand zu beantworten.
Emilie besorgte auf dem schwarzen Markt Nahrungsmittel und Medikamente. Inzwischen wurden nicht mehr Töpfe und Pfannen produziert, sondern Munition für Panzerabwehr. Dadurch wurde das Personal „unabkömmlicher“.
Im Herbst 1944 waren die Russen bedrohlich nahe, und Schindler beschloß, die Fabrik samt Inventar westwärts ins mährische Brünnlitz zu verlegen. Zum Inventar gehörten auch die Juden, die er namentlich auf der berühmten Liste zum Umzugsgut erklärte.
„Dort gab´s keinen Schwarzhandel, da gab´s überhaupt nichts mehr in Brünnlitz. Da gab´s nur noch Bezugsscheine. Zum Essen und zum Kaufen war nichts. Da hat niemand nichts bekommen, nicht die Arischen, nicht die Jüdischen. Niemand hat was gekriegt. Da war nur zum Glück neben uns eine riesengroße Mühle, die haben Getreide zugewiesen bekommen, und das ist dann verschickt worden nach allen Himmelsrichtungen. Das war eine Mühle von Daubeck. Ich hab nur kennengelernt die Dame, die Frau von Daubeck, alter tschechischer Adel, das waren die Besitzer von dieser Mühle. Dazu hatten die einen deutschen Treuhänder, weil alle tschechischen Besitzer waren doch mit Treuhändern versorgt. Der liebe gute Treuhänder hat überhaupt nicht gewußt, was eine Mühle ist. Dumm wie die Nacht, der war aus Hamburg, da gibts wohl keine Mühlen in Hamburg, oder er hat keine gesehen, er hat nix verstanden. Und mein Mann ist erst gegangen zu dem, versucht, ob er könnte etwas im Schwarzen kaufen. Der hat gesagt, wir haben für die Deutschen kein Essen, weniger für die Juden. Da war aus die Kunst! Da bin ich nicht gegangen zu dem, was will ich schon mit dem Idioten anfangen, ich bin gegangen zum Betriebsleiter, zum Tschechen, das waren alles Tschechen dort, und ich hab ihm die Wahrheit gesagt, um was es sich handelt. Und der hat mir gesagt, wenn ich kann, werde ich Ihnen helfen. Und er hat mir gegeben Mehl, Haferflocken, Brotmehl, und was er konnte, nur fürs Geld, keine Brillanten. Das stimmt nicht, das waren keine Brillanten. Niemand hat ihm Brillanten gegeben.“
Die Rote Armee rückte täglich näher. Schindler fürchtete, daß sie ihn als Nazi-Kollaborateur an die Wand stellen würde. Am Morgen des 9. Mai flüchtete das Ehepaar in einem Sportwagen gen Westen. Aber statt bei den Amerikanern landeten sie mitten in der russischen Front. Doch die Soldaten wußten nicht, was sie mit ihm anfangen sollten. Bevor die Tschechen aufklären konnten, wer da ins Netz gegangen war, hatte Emilie ihren Oskar aus der Verhörstube herausgeredet.
„Ich hab gehört, man sucht ihn. Ich hab schon gewußt, was es geschlagen hat. Der Schindler ist wegen Spionage zum Tode verurteilt worden von die Tschechen. Wissen Sie?  Und deshalb haben die ihn gesucht. Und jetzt haben die in Zwittau für den Schindler ein Denkmal gesetzt, weil er die Juden gerettet hat. Was sagen Sie dazu? Einerseits haben sie ihn zum Tode verurteilt, andererseits setzen sie ihm ein Denkmal. Na, ist alles verrückt?“
Die Schindlers wanderten 1949 nach Argentinien aus, doch das Leben in der Neuen Welt war nicht nach dem Stil eines Oskar Schindler. Er versuchte sich in der Nutriazucht und in der Landwirtschaft. Für einen guten Start fehlte Kapital. Was ihm blieb, war harte Arbeit, zu viel Arbeit, zu wenig Affären, zu wenig französischer Kognak, zu wenig englische Zigaretten. 1957 packte er die Koffer und kehrte nach Deutschland zurück, wo Lastenausgleich und dankbare Spender winkten. Seine Frau sah ihn nie wieder.
„Der Schindler hat alles Geld verpraßt mit jungen Mädchen in Luxushotels. Der war weg, der ist dahin gefahren, um das Geld zu cobrieren von der Ding, was der deutsche Staat gezahlt hat für die Verluste der Fabrik. Er hat 2% von dem ganzen Betrag bekommen, er hat einmal bekommen 100 000 Mark, das sind 50 000 Dollar gewesen. Mit 50 000 Dollar kann ein Mensch schon ganz schön was anfangen, er hat alles verpraßt. Außerdem hat er vom deutschen Staat gekriegt, dann hat er von Israel gekriegt, dann hat er von Amerika bekommen, er ist herumgegangen und hat das Geld verputzt. Von überall hat er gekriegt und mir hat er... Wie er ist nach Amerika, da hat man gefragt, wo ich bin. Ay, ich hab es so gut, ich hab ein Feld, Leute die arbeiten, Tiere, mir geht es ausgezeichnet. Ich hab überhaupt nichts. Nichts. Nicht Leute, nicht Tiere, gar nichts. Nicht einmal zum essen. Ich mußte nur arbeiten hier. Da konnt ich nicht die Sprachen lernen wie man lernen soll. Ich hab nur vom Hören die Sprache erlernt. Ich hab alles gearbeitet. Lieber Himmel! Und wissen Sie, was ich gegessen hab? Mandarinen und Brot zum Mittag. Der Herr Schindler ist weg und hat mir 200 Pesos gelassen. Was waren 200 Pesos 57? Was haben Sie gemacht mit 200 Pesos? Das war alles. Und er hat sogar noch meine Uhr genommen, weil die eine Golduhr war, und hat sie verpraßt.“
Emilie mußte die kleine Farm verkaufen, weil sie die Hypothek nicht tilgen konnte. Und sie wäre fast auf der Straße gelandet, wenn nicht das deutschsprachige „Argentinische Tageblatt“ seine Leser um Hilfe gebeten hätte. Es meldete sich die jüdische Loge B’nai B’rith, die ihr in einem Vorort von Buenos Aires, in San Vicente, ein kleines Häuschen baute, in dem sie mit ihren siebzehn Katzen bis zu ihrem Lebensende wohnen darf. Vom Weltruhm ihres Mannes hat die heute 86jährige wenig abbekommen. Zwar hatte ihr im September der israelische Botschafter einen Orden um den Hals gehängt, aber für die notwendigen Tabletten fehlt ihr hinten und vorne das Geld. Zum Abschluß der Dreharbeiten hatte Spielberg sie nach Jerusalem eingeladen, um sich mit Überlebenden und Darstellern zu treffen. Israel hatte 1974 „dem unvergeßlichen Lebensretter“, wie auf dem Grabstein steht, ein Ehrengrab errichtet. Doch der „cementerio“, wie es auf spanisch heißt, ist alles andere als ein malerischer Friedhof:
„Jessesmaria! Ich danke schön. Recht ist ihm geschehen, ganz recht. Das ist der Abhang, man nennt das Cementerio, aber das ist ein Abhang, da ist hier und dort, und das Gras ist so groß, und das Gras ist ganz vertrocknet. Ei, ist das häßlich! Und dort ist der Schindler. Mein Hund hat eine bessere Beerdigungsstelle“!
Das Wiedersehen vor dem Grab sollte eigentlich eine dramatische Szene für den Epilog werden, aber Emilie war alles andere als filmreif:
„Ein Schmarren hab ich geweint, ich bin krank geworden, ich hab angefangen zu erbrechen ohne Unterlaß. Ich weiß nicht, was los war mit mir. Ich hab Mareo... und Erbrechen und nicht gewußt, was mit mir passiert. Ich war ganz heraus. Mein Magen hat versagt. Vollständig!“
Es ist ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, alles wieder hochgekommen. Wird sie sich den Streifen in einem Lichtspielhaus in Buenos Aires anschauen?
„Ich weiß noch nicht. Es geht immer nach dem: wenn sie mir Geld schicken. Wenn sie kein Geld schicken, gehe ich nicht. Mit meinem Geld werd ich nicht gehen. Ich hab andere Sorgen.“