Medellín, die in mittlerer Andenhöhe gelegene Hauptstadt des Departements Antioquia, ist die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Noch in den 70er Jahren war sie außerhalb Kolumbiens nur wenigen „Insidern“ als „heißer Tip“ bekannt – vor allem wegen ihres angenehmen Klimas und der Freundlichkeit und Weltoffenheit ihrer BewohnerInnen, den Paisas. Daß Medellín seit einigen Jahren sehr bekannt geworden ist, hat andere Gründe: Der vormals gute Ruf der „Stadt des ewigen Frühlings“ hat sich in knapp zwei Jahrzehnten auf dramatische Weise in einen Verruf verwandelt. Medellín gilt heute als die Metropole der Gewalt und der Drogenmafia. Dieses Bild Medellíns ist zweifellos sehr einseitig und verstellt den Blick für das „andere Gesicht“ der Stadt, für die Vielfalt der sozialen Prozesse und die menschlichen Qualitäten Ihrer BewohnerInnen.

Richtig ist jedoch, daß die Gewalt in Medellín zum Alltag der Menschen gehört und ihr Leben derart prägt, wie es sonst vielleicht nur noch in Städten der Fall ist, die sich „offiziell“ im Krieg befinden, wie derzeit etwa Sarajevo. Wie kam es zu solch einer dramatischen Entwicklung in dieser Stadt, die einmal zu den blühendsten Zentren des Landes gehörte.

Eine maßgebliche Rolle bei dem Wandel spielte zweifellos die Kokainmafia, die aus Medellín ein Drogenzentrum machte. Aus wirtschaftlichen Gründen und politischer Notwendigkeit (um ein politisches Klima zu schaffen, das ihnen den notwendigen Freiraum gibt) gingen die Drogenhändler sehr bald eine enge Verbindung mit den traditionellen Eliten ein, d.h. mit Industriellen, Großgrundbesitzern, Politikern und Militärs. Diese machten sich ihrerseits die „Infrastruktur“ des Drogenhandels für ihre eigenen Ziele, ob persönlicher, wirtschaftlicher oder politischer Art, zunutze. Todesschwadronen und Sicarios (bezahlte Killer), die im übrigen keine Erfindung der Mafia waren, sondern als Phänomen schon zu Zeiten der Violencia in den fünfziger Jahren existiert hatten, wurden zu einem integralen Bestandteil der staatlichen und parastaatlichen Repression gegen Opposition und Volksbewegung.

Erst als die Drogenmafia Anfang der achtziger Jahre neben der wirtschaftlichen auch politische Macht anstrebte, kam es zu Widersprüchen innerhalb der Elite und zur Konfrontation zwischen Teilen des Staatsapparates und des Medellín-Kartells. Auch führende Politiker, Richter und Polizisten gehörten nun zu den Opfern der Drogenbarone. Anstatt jedoch nach politischen und sozialen Lösungen des Problems zu suchen, reagierte die Regierung ausschließlich militärisch. Wegen der Gewaltbereitschaft der Jugendbanden und der Sicarios wurden die Jugendlichen aus den Armenvierteln insgesamt zum Sündenbock gemacht und als Kollaborateure der Drogenmafia und der Guerilla beschuldigt und verfolgt.

Die Repressionswelee erreichte im Jahr 1990 einen Höhepunkt, als 3000 Jugendliche in der Stadt ermordet wurden und die gesamte Bevölkerung der Comunas täglich durch das Militär mit Hausdurchsuchungen, Kontrollen, Verhaftungen, Ausgangssperren und dem Verbot kultureller Aktivitäten terrorisiert wurde. Als Reaktion auf die Überfälle der Banden und die Gewalt der Polizei entstanden in den Barrios sogenannte Volksmilizen (Milicias Populares), bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen der Jugendlichen.

In den letzten Jahren ist die Gewalt in Medellín etwas zurückgegangen, auch die Milicias verhandeln seit einiger Zeit mit der Regierung über einen Waffenstillstand. Doch die relative Ruhe ist trügerisch, wie das furchtbare Bombenattentat Anfang Juni auf ein überwiegend von Schwarzen besuchtes Fest im Parque Berrio nachdrücklich ins Gedächtnis rief.

Mag auch die Gewalt in Medellín ein probates Mittel zur Durchsetzung von Vorteilen aller Art sein, so geht sie doch von einer Minderheit aus. Die Mehrzahl der Menschen findet sie zum Kotzen und sucht nach anderen Wegen des Über- und Zusammenlebens.

Wir versuchen mit dieser ila, ein differenziertes Bild der Metropole Medellín zu zeichnen. Ebenso wie in der Lebensrealität der Paisas nimmt die Auseinandersetzung mit der Gewalt und ihren Folgen einen breiten Raum ein, aber sie ist beileibe nicht das einzige Thema. Auf den folgenden Seiten werden die vielseitigen Facetten einer nach wie vor faszinierenden Stadt deutlich, in der sich die Kultur des Lebens alltäglich der Kultur des Todes entgegenstellt.

Besonders bedanken möchten wir uns bei Jairo Bedoya, Omar Urán und den anderen KollegInnen vom alternativen Bildungs- und Sozialforschungszentrum IPC (Instituto Popular de Capacitación) in Medellín, die uns zahlreiche Beiträge und Hintergrundmaterialien zur Verfügung gestellt haben.

P.S. Diese Ausgabe ist in Zusammenarbeit mit der Redaktion des Kolumbien-Rundbriefes entstanden. Sie geht als Nr. 37 auch seinen AbonnentInnen zu. Die ila geht mit dieser Nummer erst einmal in die wohlverdiente und drinfgend nötige Sommerpause. Mitte September melden wir uns dann wieder.