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Die erste Bürgermeisterin von San Salvador

Parlaments- und Kommunalwahlen in El Salvador

Was haben die Wahlen in Weißrussland und in El Salvador gemeinsam? In beiden Fällen war von vornherein klar, wie das Urteil der internationalen WahlbeobachterInnen lauten würde: Wahlfälschung in Weißrussland, faire Wahlen in El Salvador. Was gibt es sonst noch zu berichten von den Wahlen in El Salvador?

Eduard Fritsch

In der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag nach dem Wahlsonntag, dem 12. März 2005, war die Schlacht um das Hotel Radisson geschlagen, der Kampf um das BürgermeisterInnenamt in der Landeshauptstadt San Salvador beendet. Am Donnerstag um 1:00 Uhr morgens erklärte das Oberste Wahlgericht (TSE) Dr. Violeta Menjívar, ehemalige Guerilla-Ärztin und FMLN-Abgeordnete, mit 59 Stimmen zur Siegerin über Rodrigo Samayo, Banker und Kandidat der rechtsextremen ARENA-Partei, die seit 17 Jahren die Regierung des Landes stellt. Das Luxushotel, in dem die Auszählung stattfand, hätte nicht symbolträchtiger sein können. Während der November-Offensive der FMLN im Jahre 1989 wurde dieses Hotel, das damals noch zur Sheraton-Kette gehörte, schon einmal von der FMLN eingenommen – zum nicht geringen Schrecken der dort logierenden US-Militärberater. Jetzt, in diesen Iden des März, wurde vor und im Hotel um Sieg oder Niederlage von Violeta gekämpft. Draußen legten sich FMLN-AktivistInnen mit der Bereitschaftspolizei an; drinnen wurde von jenen, die die Partei in den diversen Wahlgremien vertreten, erfolgreich vereitelt, dass ARENA entscheidende Stimmblöcke aus den Kommunalwahlen für San Salvador einfach für ungültig erklärte. Jetzt regiert die FMLN nicht nur zum vierten Mal in Folge die Landeshauptstadt, sondern stellt auch deren erste Bürgermeisterin in der Geschichte des Landes.

Hinter diesen dramatischen Ereignissen verblassten die weiteren Wahlergebnisse ein wenig. Inzwischen sind sie definitiv: ARENA hat sieben Abgeordnetensitze dazu gewonnen und ist mit 34 von 84 Sitzen nach sechs Jahren wieder die stärkste Partei in der Asamblea Legislativa, wie das Parlament in El Salvador heißt. Die FMLN konnte den Verlust von sechs Abgeordneten in der letzten Legislaturperiode ausgleichen und einen Sitz dazu gewinnen. Mit 32 Abgeordneten hat sie die Sperrminorität für einfache Abstimmungen wieder erreicht, wird aber auch in Zukunft nur über Verhandlungen mit anderen Fraktionen die zum Beispiel für Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit zusammenbringen bzw. eventuelle Vetos des Staatspräsidenten brechen können. Die anderen drei zugelassenen Parteien, Christdemokratie, PCN, die alte Partei des Militärs, und die Zentrumspartei CD (Cambio Democrático), haben mit zusammen 18 Abgeordneten weniger denn je zu vermelden. Obwohl sich zur CD, die einen links-christdemokratischen Hintergrund hat, FMLN-DissidentInnen aus drei Ausschluss- und Austrittswellen, welche die FMLN zwischen 1994 und heute erlebt hat, gesellten, konnte sie sich auch im fünften Anlauf (unter verschiedenen Namen) mit nur noch zwei Abgeordneten nicht auf einem soliden und zukunftsträchtigen Platz in der Mitte etablieren – weil es keine Mitte gibt, wo Arm und Reich immer schroffer aufeinanderprallen und überdies zwölf Jahre lang Krieg gegeneinander geführt haben. Also nichts Neues aus dem salvadorianischen Parlament.

Und wie gingen die Kommunalwahlen, bei denen es um die Verwaltungen in 262 Municipios (administrative Gebilde, die größer sind als eine Gemeinde und kleiner als ein Landkreis hierzulande) ging, aus? Da wäre zunächst darauf zu verweisen, dass diese Wahlen nicht wirklich demokratisch sind, denn bei ihnen entscheidet die einfache Mehrheit. Die Partei mit den meisten Stimmen stellt den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin und den gesamten Gemeinderat. Eine parlamentarische Opposition gibt es auf Munizipalebene nicht. Das ist inzwischen für DemokratInnen aller Couleur so selbstverständlich, dass weder die ARENA-nahen noch die FMLN-nahen noch die neutralen WahlbeobachterInnen, welche eingangs als vorprogrammiert beschrieben worden sind, in ihren Schlussbetrachtungen darauf hingewiesen haben. Aber wie dem auch sei: ARENA hat netto 36 Municipios dazu gewonnen und die FMLN netto 14 verloren. Netto bedeutet, dass die FMLN zwar in 14 Municipios ARENA bzw. die PCN besiegt hat, aber aus 28 Rathäusern rausgeflogen ist. Hier hat sie die Gemeindeverwaltungen ganz überwiegend an ARENA verloren – mit zwei Ausnahmen: den vormaligen FMLN-Bürgermeistern von Santa Ana, der zweitgrößten Stadt des Landes, und Nejapa, einem Municipio in der Área Metropolitana (Groß-San Salvador), die auf anderen Tickets wieder gewählt wurden. Während ehemalige Guerilla-Hochburgen im Departement Chalatenango mit zum Teil sowjetisch anmutenden Wahlergebnissen (96 Prozent in San Antonio Los Ranchos) gehalten wurden, sieht es an den geographischen Enden des Landes düster aus. In den westlichen Departements Santa Ana, Ahuachapán und Sonsonate hält die FMLN gerade noch fünf von 41 Municipios, im Osten, in den Departements San Miguel, Morazán und La Unión noch sieben von 64. Im Norden von Morazán hat die Ex-Guerilla Perquín, Arambala und Jocoaitique verloren, drei ihrer Hochburgen zu Kriegszeiten.

Zwei Millionen der 3,8 Millionen Wahlberechtigten in El Salvador haben an diesen Wahlen teilgenommen. Das entspricht ca. 54 Prozent und ist die höchste bei Parlaments- und Kommunalwahlen je erreichte Beteiligung. Gegenüber dem absoluten Rekordjahr 2004, als der Präsident mit einer Beteiligung von 2,6 Millionen, entsprechend 70 Prozent, gewählt wurde, ist allerdings ein Rückgang zu verzeichnen. Damals verdoppelte die FMLN gegenüber den fünf vorangegangenen Wahlen, an denen sie seit 1994 teilgenommen hat, ihr Stimmenpotential auf fast eine Million. Bei den gerade abgeschlossenen Wahlen hat sie immer noch 200 000 Stimmen mehr als bei den letzten Parlaments- und Kommunalwahlen im Jahre 2003, als die Wahlbeteiligung bei 34 Prozent lag, aber gleichzeitig 250 000 Stimmen weniger als bei den Präsidentschaftswahlen. Ohne eine genauere Analyse lässt sich daher nicht sagen, ob der Stimmenzuwachs der FMLN gegenüber 2003 dem Trend zu einer höheren Wahlbeteiligung geschuldet ist, oder ob es heuer einen Schafik-Effekt gab.

Die kritische Liste der FMLN-nahen WahlbeobachterInnen zählt Manipulationen, Intransparenz bei der Kampagnenfinanzierung und den Missbrauch der Regierung zu ARENA-Wahlzwecken auf, sowie gemeinhin als technische Mängel geltende Unregelmäßigkeiten während der Wahlen. Dass Stimmen gekauft und Leute aus Guatemala und Honduras angekarrt wurden, um für ARENA zu stimmen, haben diese BeobachterInnen aus zweiter Hand gehört. Lapidar stellen sie dagegen fest, dass die Wahlen nicht geheim waren. Dabei ist gerade diese Tatsache ein Merkmal aller Wahlen, die seit 1982 in El Salvador stattgefunden haben, und überdies eine Tatsache, die zum Zwecke der Wahlanfechtung leicht mit Photos und Videoaufnahmen dokumentiert werden könnte.

Alles in allem: Die letzten Wahlen haben nicht viel verändert an der parteipolitischen Landschaft El Salvadors. Der Südwind der Veränderungen in Lateinamerika scheint hier noch nicht blasen zu wollen. Die vollmundigen Verlautbarungen von Parteisprecher und Pokerface Sigfrido Reyes von der FMLN dürfen deshalb als Routine gewertet werden. Er sprach von einem „Sieg rundum“ und erläuterte die Verluste bei den Kommunalwahlen so: „Vielleicht war die Gemeindeverwaltung nicht erfolgreich oder sie wurde von der Bevölkerung nicht verstanden, aber ich schließe auch nicht aus, dass diese Wahlentscheidungen von betrügerischen Elementen vergiftet worden sind.“ Altbekannte Argumentationsfiguren: Wahlfälschung und die Dummheit des Volkes, auch wenn im Fall von Gemeindewahlen schwer verständlich ist, warum die Leute zu dumm sein sollen, um zwischen einer guten und einer schlechten Verwaltung unterscheiden zu können.