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Von Agrokraftstoffen, Energiebilanzen und notwendigen Debatten

Einige Grundlagen für eine seriöse Debatte

Was sind Agrokraftstoffe? Welche Formen der biologischen Kraftstofferzeugung gibt es? Welche Faktoren müssen bei der Erstellung von Energiebilanzen (Input versus Output) berücksichtigt werden? Der folgende Beitrag geht auf diese Fragen ein, weist aber auch darauf hin, dass eine angemessene Diskussion über Agrokraftstoffe darüber hinaus analysieren muss, welche Interessen und politischen Positionen die ApologetInnen des Agro-Hypes und ihre GegnerInnen vertreten.

Andreas Hetzer

Als Rohstoffbasis für Agrokraftstoffe dient eine breite Palette von Ölpflanzen, Getreiden, speziellen Energiepflanzen, Wald- und Resthölzern sowie Holz aus Schnellwuchsplantagen (z.B. Pappeln, Weiden). In Deutschland, dem Land mit dem höchsten Verbrauch an Agrodiesel, wird speziell Raps (Ölgehalt ca. 40 Prozent) als Energiepflanze verwendet, weil er kostengünstig anbau- und verwertbar ist und die deutsche Landwirtschaft auf eine lange Erfahrung seiner Kultivierung zurückgreifen kann. Außerdem ist er den klimatischen Bedingungen optimal angepasst. In Lateinamerika finden wir ein relativ breites Spektrum an Energiepflanzen, die ebenfalls schon seit geraumer Zeit in den jeweiligen Ländern angebaut werden. So hat beispielsweise in Kuba der Anbau von Zuckerrohr eine lange Tradition mit zahlreichen Höhen und Tiefen. Mit der Option der energetischen Nutzung und der Produktion von Ethanol erlebt seine Kultivierung nun eine noch vor wenigen Jahren ungeahnte Konjunktur – wir bei der ila hatten allerdings diese Entwicklung bereits jenseits des medienmäßigen Mainstreams benannt, indem wir die Agroethanolproduktion aus Zuckerrohr als Investitionsfeld für internationale Konzerne prognostizierten (vgl. den Beitrag von Ingo Melchers in der ila 266). 

Zuckerrohr ist energetisch betrachtet am günstigsten, da die Pflanze wenig mineralischen Dünger erfordert und im Konversionsprozess die Bagasse (Pressrückstand bei der Zuckergewinnung) verstromt werden kann. Schätzungsweise gehen rund drei Fünftel der weltweiten Ethanolproduktion auf das Konto zuckerhaltiger Rohstoffe. In Brasilien greift man bereits seit der Ölkrise in den 1970er Jahren auf Agrokraftstoffe zurück, die überwiegend aus Zuckerrohr und nun auch zunehmend aus Soja gewonnen werden. Argentinien und Bolivien wollen ebenso ihre Sojaplantagen nutzen und erweitern, um in den vielversprechenden Markt für Agrodiesel einzusteigen, der von der Nachfrage der hochentwickelten und energieintensiven Industrieländer angetrieben wird. Kolumbien setzt auf neue großflächige Plantagen von Ölpalmen, eine der Pflanzen, die gerechnet auf die Anbaufläche den höchsten Energieoutput liefert. Daneben sind Mais, Weizen und Roggen Alternativen zu den bisher genannten Energiepflanzen. Mais bildet die Grundlage für die weltweit größte Ethanolproduktion der USA, die 2006 Brasilien überflügelte und nicht zuletzt für die steigenden Weltmarktpreise für Mais verantwortlich ist.

Agrokraftstoffe haben größtenteils ähnliche Eigenschaften (z.B. Energiedichte) wie konventionelle Kraftstoffe und können mit geringen technischen Umbauten in hochentwickelten Verbrennungsmotoren bei gleichbleibender Leistung verwendet werden. Sie lassen sich durch eine Reihe verschiedener Herstellungsmethoden gewinnen. Die gängigsten sind Agrodiesel bzw. reines Pflanzenöl und Ethanol bzw. ETBE für Ottomotoren. ETBE (Ethyl-Tertiär-Butyl-Ether) verbessert die Oktanzahl und besteht aus agrogenem Ethanol in Kombination mit aus Erdöl hergestellten Isobuten. Es ersetzt das fossile Antiklopfmittel Methyl-t-Butyl-Ether (MTBE) und kann Ottokraftstoffen bis zu 15 Prozent beigemischt werden. Während der Agrodiesel aus ölhaltigen Pflanzen (z.B. Raps, Sonnenblumen, Ölpalme, Soja) gewonnen wird, wird der Industriealkohol Ethanol über Vergärung von energiereichen Pflanzen (z.B. Zuckerrohr, Weizen, Mais) hergestellt. Reine oder bivalente, mit Erdgas betriebene Fahrzeuge, können alternativ ohne weitere technische Anpassung mit Agromethan aus Agrogas betrieben werden. Agrogas entsteht beim biologischen Abbau organischer Substanzen unter Ausschluss von Sauerstoff. Es ist ein Gemisch aus ungefähr 45-70 Prozent Methan, 30-55 Prozent Kohlendioxid sowie Anteilen von Stickstoff und Spurengasen wie Schwefelwasserstoff. Die Aufbereitungsverfahren für Biogas mit vergleichbarer Erdgasqualität sind allerdings noch in der Erprobungsphase und technisch wie wirtschaftlich noch nicht ausgereift.

Das Lobbying für Agrokraftstoffe in der Politik wird vordergründig mit dem geringeren Schadstoffausstoß und Energiebedarf begründet. Der Kraftstoff vom Acker sei klimafreundlich und trage erheblich zur Reduktion von Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bei. Allerdings wird zwischen Experten und Wissenschaftlern heftig über die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit der Agroenergieträger gestritten. Die Bilanzen reichen von ökonomisch unrentabel und ökologisch nicht nachhaltig bis zu Hoffnungen auf eine „grüne“ Goldgrube und ein Aufhalten des Klimawandels. Fakt ist, dass Kraftstoff aus landwirtschaftlichen Produkten in den meisten Ländern der Welt nach wie vor deutlich teurer ist als solcher aus Erdöl – und nur konkurrenzfähig, weil beispielsweise durch Steuerbefreiungen staatlich subventioniert – und dass die Produktion der Agrokraftstoffe den CO2-Ausstoß nicht per se verringert. Bei den populärwissenschaftlich anmutenden Debatten wird häufig unterschlagen, dass in der landwirtschaftlichen Produktion (z.B. zur Herstellung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln) eine Menge fossiler Energieträger aufgewendet werden muss. Der Energieaufwand zur Veredelung und Weiterverarbeitung der biologischen Rohstoffe – besonders die Destillation ist energieintensiv – muss ebenfalls in die Ökobilanz einbezogen werden. 

Der OECD-Direktor für Handel und Landwirtschaft Tangermann behauptet, dass „unterm Strich in Europa oft rund 80 Prozent der gewonnenen Agroenergie vorher in Form fossiler Energie investiert werden“. Damit würden lediglich 20 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden als bei herkömmlichen Kraftstoffen, so dass die Verwendung von Agrosprit in einem enormen Maße intensiviert werden müsste, um einen spürbaren Klimawandel zu erreichen. Die Konkurrenz zwischen landwirtschaftlichen Nutzflächen für Nahrungsmittel und Energiepflanzen wäre nicht zu vermeiden, auch wenn die Länder des Südens aufgrund der geringeren Industrialisierung der Landwirtschaft weniger energieintensiv produzieren würden. Vollends negativ wird die Bilanz schließlich, wenn mit der Erschließung landwirtschaftlicher Nutzflächen eine Reduktion der Waldbestände einhergeht. Aufgrund der Erfahrungen beim Ausweiten der Anbauflächen für Soja in Lateinamerika ist die Befürchtung nicht ganz unberechtigt, dass auch dieses Mal weltklimatisch wichtige Regenwaldflächen den neuen Energiepflanzen weichen müssen. 

Eine erhebliche Varianz bei der Bewertung des Energie-Inputs/Outputs resultiert aus unterschiedlichen Ansätzen zur ökonomischen und ökologischen Bewertung der Kuppelprodukte (chemische Beiprodukte während der Herstellung von Agrokraftstoff) und unterschiedlichen Verfahren in der landwirtschaftlichen Produktion und in der Konversion. Beispielsweise ist bei der Ethanolherstellung aus Zuckerrüben und Weizen ein hoher Anteil an Prozessenergie aus fossilen Energieträgern notwendig. Die Treibhausgasesmissionen können dann sogar höher sein als bei Benzin oder Diesel, wenn der Energiebedarf der Ethanolanlage mit Braunkohle gedeckt wird. Dagegen schlägt die Methanerzeugung aus Biogas wesentlich günstiger zu Buche. Erst durch eine ganzheitliche Prozessketten- bzw. Lebenszyklusanalyse kann eine wirklich aussagekräftige Energiebilanz erstellt werden, die einen Vergleich zwischen Verfahren und Pflanzen zulässt. Eine Alternative sind die Agroenergieträger nur dann, wenn sie ökologisch nachhaltig, wirtschaftlich rentabel und in großen Mengen kultivierbar sind, ohne die Nahrungsmittelbereitstellung negativ zu beeinträchtigen. Aus diesem Grund setzt man große Hoffnungen auf die sogenannte zweite Generation von Agrokraftstoffen, die statt Energiepflanzen landwirtschaftliche Abfallprodukte (Stroh, Pflanzenreste, Sägemehl) als Basis verwenden. Eine Gefährdung der Nahrungsmittelgrundlage durch Flächenkonkurrenz wäre damit ausgeschlossen. 

Derzeit wird an sogenannten BtL(Biomass-to-Liquid)-Kraftstoffen geforscht, die zur Sorte synthetischer Kraftstoffe gehören und speziell an moderne Motorenkonzepte angepasst werden. Mittels eines komplizierten Verfahrens (Vergasung, Fischer-Tropsch-Synthese, Destillation/Rektifikation) wird Ethanol aus den zellulosehaltigen Rohstoffen gewonnen. Die Ethanolausbeute ist dabei deutlich geringer als bei Zuckerrüben oder -rohr. Es gibt noch beträchtliche technische Schwierigkeiten und die Konversionskosten sind bisher wirtschaftlich nicht tragbar. Es werden schätzungsweise noch mindestens zehn bis fünfzehn Jahre vergehen, bis diese Verfahren effizient genug sind. Doch auch mit diesen Verfahren wäre nur ein geringer Teil des momentanen Erdölbedarfs der Industrieländer zu decken. Laut einer Pressemitteilung der Europäischen Bauernkonföderation (CPE) vom 23. Februar 2007 könnten auf den gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen Europas lediglich 30 Prozent des EU-Kraftstoffverbrauchs jährlich erwirtschaftet werden. Ein extensiver Energieimport wird auch weiterhin nötig sein. Die Energieabhängigkeit würde sich lediglich auf andere Länder verlagern. 

Um jedoch nicht allein bei den Positionen über energetische Bilanzierung stecken zu bleiben, die je nach politischem Standpunkt verschiedene Faktoren in ihre Berechnungen einbeziehen oder einfach ignorieren, bedarf es einer Erweiterung des Blickfeldes. Neben der ökologischen und ökonomischen Rechnung müssen die sozialen und politischen GewinnerInnen und VerliererInnen einer Forcierung der Kultivierung von Agrokraftstoffen benannt werden. Es geht darum, die politischen Interessen und den wirtschaftlichen Nutzen derer, die sich für oder gegen eine landwirtschaftliche Kraftstofferzeugung einsetzen, offenzulegen. Denn wer von der Beimischung von biologischem Kraftstoff redet, darf von der energieintensiven kapitalistischen Produktions- und Konsumkultur nicht schweigen. Dies beinhaltet auch eine grundlegende Debatte darüber, welche Prioritäten bei der Bodennutzung und welche Agrar-, Handels- und Energiepolitik für sinnvoll und zweckmäßig erachtet werden. Die folgenden Artikel im Schwerpunkt werden dafür einige Anregungen liefern.