ila

Wie in Madrid und New York

Die Shopping-Malls vermarkten den Traum vom mondänen Lifestyle

„En Galerías lo tenemos todo“ verspricht das Einkaufzentrum Galerías Escalón: „Wir haben alles“. Und Multiplaza hat zumindest „einen Platz für alles“. Rund zwanzig Einkaufzentren gibt es allein in San Salvador. Das Konzept ist glänzend, im wahrsten Sinne des Wortes, verspiegelte Böden, weiträumige Ladenlokale, Markenklamotten, Coffeeshops und Pubs produzieren ein unirdisches Flughafen-Duty-Free-Shop-Gefühl. Dazu Supermärkte, Kino, Theater, klotzige Architektur. Die Besucherzahlen mögen dem Konzept recht geben. Mehr als 1,5 Millionen monatlich rechnet der Wirtschaftsteil der Tageszeitung El Diario de Hoy 2006 allein für die drei neuen Centros Comerciales am Westrand der Hauptstadt. Das erfolgreichste der Einkaufszentren ist mit allein 1,2 Millionen Besuchern monatlich weiterhin das zentral gelegene Metrocentro, dessen „10. Etappe“ erst kürzlich eröffnet wurde. Metrocentro, die Mutter aller Konsumtempel, wurde 1971 eröffnet und gab während des Bürgerkrieges Berichterstattern jeder politischen Ausrichtung Gelegenheit zu tiefsinnigen Anmerkungen über den krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich in El Salvador.

Angela Reyes

Das Geschäft mit den Einkausszentren betreiben einige wenige große Unternehmen – nicht nur in San Salvador. Einer der Marktführer ist die Grupo El Roble der Unternehmerfamilie Poma. Ihr gehören die „Marken“ Multiplaza und El Paseo, Metrocentro und Unicentro sowie Einkaufszentren in fast allen größeren Städten El Salvadors, in Honduras, Costa Rica, Panama und Nicaragua. Die Unternehmensgruppe ist außerdem in der Stadtentwicklung, im Autohandel und im internationalen Hotelbusiness (Real Intercontinental) tätig. 

Mit dem Einkaufszentrum Hipermall Las Cascadas ist die guatemaltekische Grupo Paíz im Rennen, ebenfalls vertreten mit dem Supermarkt Hiperpaíz. Auch die Grupo Paíz ist regional tätig und wird von Oppositionsgruppen zu den 28 Oligarchen-Familien gezählt, die Mittelamerika besitzen. La Gran Via gehört durch Inversiones SIMCO zum Imperium der Familie Simán, der auch die Galerías am Paseo Escalón gehören. Der Name Simán ist in El Salvador traditionell mit Kaufhäusern verbunden, die Firma ist seit den 1920ern in dieser Branche tätig. Andere Geschäftsbereiche kamen hinzu, so kontrolliert Simán u.a. die Banco Salvadoreño.

Plaza Mundo ist eine Investition der Unternehmensgruppe AGRISAL, die ebenfalls im Auto- und Immobiliengeschäft sowie im Agrarbereich tätig ist und die Hotels Holiday Inn und Radisson in San Salvador betreibt. Vorsitzender von AGRISAL ist Roberto Murray Meza, bekannt als Unternehmensführer der Großbrauerei La Constancia und kurzzeitig Vorsitzender des Parteivorstandes von ARENA. La Constancia ist inzwischen im Besitz der SABMiller plc, der zweitgrößten Brauerei der Welt, entstanden durch die Fusion zwischen der südafrikanischen SAB und der US-amerikanischen Miller Brewing Company, die zuvor eine Holding von La Constancia mit anderen salvadorianischen und honduranischen Brauereien geschluckt hatte. Es wird Zeit, die „Familienbeziehungen“ in Mittelamerika neu zu überdenken.

Grupo El Roble, Simán und Paíz kuscheln sich an der westlichen Peripherie San Salvadors recht symptomatisch mit drei modernen Einkaufszentren zusammen: Las Cascadas, La Gran Vía und Multiplaza, von der die Website der Grupo El Roble erklärt, für „das anspruchsvollere Marktsegment“ zugeschnitten zu sein. Eben dieses Marktsegment verdrängte hier die Finca El Espino, ein weiträumiges Natur- und Wasserschutzgebiet aus Cafetales, das nach 1991 systematisch zerstört wurde.1 Dort befindet es sich auch in direkter Nachbarschaft zur konservativen Privat-Universität Matías Delgado und in annehmbarer Nähe der US-Botschaft.

Über den Rest der Hauptstadt verteilen sich die anderen Einkaufszentren: Plaza Merliot (1994) in der westlichen Vorstadt Ciudad Merliot, ein Wohngebiet des unteren Mittelstands; Plaza San Benito; Galerías am Paseo General de la Escalón, ein Viertel der Oberschicht und des gehobenen Mittelstands; Metrocentro, zentral am Boulevard Los Héroes gelegen; Unicentro Metrópolis im Stadtteil Zacamil, ein älteres Baujahr im dicht besiedelten Municipio Mejicanos, mit viel Fast-Food der klassischen Marken und konservativen leeren Ladenlokalen. Am Boulevard del Ejército, an der Zufahrt zum Arbeitervorort Soyapango im Osten San Salvadors ist in wenigen Jahren ein ganzer Einkaufskomplex aus dem Boden gestampft worden, der sich zu beiden Seiten dieser Hauptverkehrsstraße ausbreitet: linker Hand der kasernenartige Bau des Supermarkts Hiperpaíz mit korrespondierendem Fastfood-Angebot, auf der anderen Seite Plaza Mundo. Mitten in Soyapango befindet sich schon seit 1986 das älteste der Unicentros. Auch in den abgelegeneren Vororten sind Einkaufszentren entstanden: Unicentro Altavista in Ilopango, Pericentro Apopa, Periplaza Apopa u.a. Nicht mehr ganz in diesen Rahmen passen die vielen älteren und kleineren Centros Comerciales, die wohl ihre besten Zeiten hinter sich oder eine treue Stammkundschaft haben, wie San Luis in der Nähe der Universidad Nacional de El Salvador.

Laut einem Bericht der Wirtschaftsbeilage der Tageszeitung La Prensa Gráfica gehören 77 Prozent der Mall-BesucherInnen in der Hauptstadt zur Unterschicht und unteren Mittelschicht, 19 Prozent zum Mittelstand und vier Prozent zur Oberschicht. 37 Prozent seien Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren, 26 Prozent zwischen 26 und 35, 19 Prozent zwischen 36 und 45 und 18 Prozent über 46 Jahre.2 Dies scheint ein eher repräsentativer Durchschnitt der salvadorianischen Gesellschaft zu sein. Wichtig für die BesucherInnen der Einkaufszentren sind außer Läden und Fast Food auch die Unterhaltungsangebote. Keine Mall ohne Kino, Internetcafés und kulturelle Events. 

Die Anziehungskraft der Einkaufszentren scheint klar. Sie vermitteln das Gefühl, Teil eines funktionierenden Systems zu sein, in dem Konsum kein Problem darstellt und das gleichzeitig alle Probleme löst. Die Möglichkeit, an dieser glänzenden Vielfalt teilhaben zu können, wertet das Selbstgefühl auf. Die vom Institut Cidai in der Jesuitenuniversität UCA herausgegebene Zeitschrift Proceso sieht es so: „Die Centros Comerciales stellen auch einen Treffpunkt mit jenen unbekannten anderen dar, die hinter den gleichen Marken her sind und den gleichen Konsumgewohnheiten huldigen. In diesem Sinne werden nicht nur Waren und Marken gehandelt, sondern auch Stereotypen über den Lebensstil, die diese mit Persönlichkeiten aus der Welt des Sports, der Musik und des Films assoziieren.“ (Proceso 20-4-05). Und Stereotypen natürlich auch über die Welt da oben im Norden, die einzige, die wirklich zählt, auch wenn am Ende alles gleich aussieht, wie in Madrid, wie in New York oder wie in Berlin.

Aber nicht nur die Sicherheit, sich geborgen in einer Traumwelt zu befinden, macht die Centros Comerciales so attraktiv, sondern ebenso die rein physische Sicherheit, die die Kontrolle der Anlagen vor allem durch private Sicherheitsdienste gewährleistet. Die Betreiber der Einkaufszentren lassen es sich etwas kosten, den BesucherInnen einen stressfreien Aufenthalt zu bieten. Ein wichtiger Faktor, vor allem nachdem das historische Zentrum San Salvadors einen so schlechten Ruf bekommen hat und der Medienrummel um die unaufhaltsame Gewalt auf den Straßen der Hauptstadt so ausgeufert ist.
Wirtschaftswissenschaftler kritisieren die Centros Comerciales für ein zu kurzsichtiges Geschäftskonzept, das allein auf den durch die Remesas (Überweisungen der in den USA lebenden Landsleute an ihre Familien) ausgelösten Aufschwung im Kosumverhalten ausgerichtet sei. Wenn die Statistik stimmt, nach der nur vier Prozent der Kunden aus der Oberschicht stammen und es zumindest unwahrscheinlich ist, dass die Mittelschicht zwanzig Einkaufszentren allein finanzieren kann, scheint es logisch, dass die Centros Comerciales einen guten Teil der Remesas schlucken, die die Mehrzahl der salvadorianischen Familien von ihren Angehörigen aus den USA erhalten. Rund 30 Dollar geben die BesucherInnen durchschnittlich im Einkaufszentrum aus. La Prensa Gráfica zitiert den Wirtschaftswissenschaftler William Pleitez vom UNDP mit der Ansicht, dass 2006 

85 Prozent der ins Land gelangten Remesas sofort in den Konsum übergingen, ein großer Teil davon in den Centros Comerciales. Deren Strategie es ist, sich durch ein möglichst breites Serviceangebot als unverzichtbare Infrastruktur zu konsolidieren: Banken, Ärzte, Kinos, Internet, Büros von Behörden wie dem Sozialversicherungsinstitut. In den Galerías gibt es sogar eine Kapelle, in der täglich Gottesdienste abgehalten werden und eine Beichtmöglichkeit besteht. Ob in den Centros Comerciales – wie immer wieder behauptet – auch die Geldwäsche eine Rolle spielt, lässt sich nur schwer belegen. Immerhin ist es durchaus wahrscheinlich, dass unter den vielen hippen Geschäften ohne sichtbare Kundschaft solche sind, die illegale Gelder gleich welcher Herkunft in das Finanzsystem schleusen.

Während die Einkaufszentren also im Wesentlichen mit Ideologie handeln, erfüllen die traditionellen Märkte im ganzen „volkstümlichen“ Stadtgebiet von San Salvador immer noch die wichtigste Funktion bei der Deckung des Grundbedarfs der Leute. Diese dienen auch als Bezugsquelle für die unzähligen kleinen Läden in allen Stadtteilen, die die Nachbarschaft mit allen Grundlebensmitteln versorgen. Im südlichen Teil der Innenstadt befindet sich der Mercado Central, der bei einem Brand 1998 zum Teil zerstört wurde und sich seitdem im Wiederaufbau befindet. Weitere Märkte gibt es in allen Municipios Groß San Salvadors, im Stadtzentrum San Salvadors und den Stadtteilen wie San Miguelito, San Jacinto, Montserrat, Modelo etc; des Weiteren den Mercado Tineti und den Mercado Ex-Cuartel in der Innenstadt, der hauptsächlich auf Kunsthandwerk spezialisiert ist. Eine Sonderstellung hat La Tiendona im Osten der Innenstadt, ein Großmarkt, der Läden, Supermärkte, etc. versorgt und damit auch ein Tummelplatz ist für die Coyotes, die Zwischenhändler, die mit der Festlegung der Preise spekulieren.

Um der wachsenden Konkurrenz durch Supermärkte und Straßenhändler etwas entgegenzusetzen, versucht die Gerencia de Mercados der Stadtverwaltung San Salvadors seit Jahren, das Image der Märkte etwa durch gemeinsame Logos und Werbung sowie umfassende Infrastrukturmaßnahmen zu verbessern. So wurden in den Märkten im Stadtbereich San Salvadors Kindergärten und Gemeindekliniken eröffnet, die sanitären Anlagen verbessert und ein hoffnungsvoller Kampf gegen die Abfallflut begonnen. Da die Märkte traditionell nicht nur preiswerte Einkaufsmöglichkeiten, sondern auch Orte der Begegnung sind, geben diese Projekte Anlass zu der Hoffnung, die Märkte mögen ihre KundInnen nicht so bald verlieren. Ehrgeizigere Pläne, wie das historische Zentrum zu einem attraktiven und sicheren „alternativen“ Centro Comercial aufzupeppen (vgl. Beitrag von Sonia Baires und Carla Sánchez in dieser ila) oder La Tiendona an die Peripherie auszulagern und das Gelände als Standort für eine moderne Markthalle mit Ständen, Cafés und Restaurants zu nutzen, sind bisher am chronischen Geldmangel der Stadtverwaltung gescheitert.

  • 1. Buchtipp: Néstor Martínez, Anatomía de un crimen ambiental, San Salvador, Editorial Molino del Viento, 2003
  • 2. La Prensa Gráfica, El Economista, 27.11.2006