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Wir sind spontaner, aber trotzdem Menschen

Interview mit der Kolumbianerin Leyla Morales Castillo, kurz vor ihrem 15. Geburtstag

„Wir Latinas haben manchmal eine andere Hautfarbe und sind spontaner, aber auch wir sind Menschen“, so die im ersten Moment erstaunliche Aussage der Kolumbianerin Leyla Morales Castillo. Ihr energisches Plädoyer für das Recht auf Gleichheit trotz Unterschiedlichkeit ist eigentlich eine Bilanz, die die 15-jährige Kolumbianerin aus ihrem Leben in Deutschland zieht. Zwei Jahre hat sie hier gelebt, kurz nach ihrem 15. Geburtstag reiste sie Ende August in ihr Heimatland zurück. Der Grund: unser Schulsystem, das Kinder mit Migrationshintergrund oft nicht integriert, sondern aussondert. Leyla, künstlerisch begabt und aus einer Akademikerfamilie stammend, wäre nach der Integrationsklasse nur der Weg in die Hauptschule geblieben. Sie ging nach Kolumbien zurück, um sich die Perspektiven eines Uni-Studiums nicht zu verbauen. Im ila-Gespräch erzählt sie, wie der 15. Geburtstag eines Mädchens in Kolumbien gefeiert wird, wie junge Latinos/as sich dort und in Deutschland vergnügen und woran man Emos erkennt.

Bettina Reis

Leyla, am 13. August wirst du 15, das ist in drei Tagen. Für eine junge Lateinamerikanerin ist das ein ganz besonderer Tag. Warum?

Nun, man sagt, dass in diesem Alter ein Mädchen zur Frau wird. Deshalb macht man ein besonderes Fest und deine Eltern behandeln dich nicht mehr wie ein kleines Mädchen, sondern eben wie jemand, die schon groß ist.

Wie wird der 15. Geburtstag in Kolumbien gefeiert?

Das ist ein großes Fest, es werden viele Leute eingeladen, die Familie, FreundInnen, Bekannte. Gewöhnlich sind die Gäste sehr gut angezogen, die Männer mit Krawatte, alles sehr förmlich. Das Fest ist abends, manchmal auch mit einer serenata, einem Ständchen, es kommt eine Musikgruppe und spielt für dich rancheras (Schlager). Und dann kommt der Moment, in dem du mit deinem Vater einen Walzer tanzen musst, danach tanzt du mit den Onkeln, Verwandten und Freunden.

Das Fest ist immer mit Musik, und es wird getanzt?

Klar, es wird alles Mögliche getanzt, Salsa, Merengue, Reggaeton, das kommt auf die Leute an. Die Leute, die nicht so betucht sind, sind meist traditioneller, sie tanzen nach traditioneller Musik, wie z.B. Chucuchuco und so was, und meist bleibt die Serenaten-Gruppe da und spielt auf. Die reicheren Leute, die im Norden von Bogotá, mieten ein Lokal und heuern einen DJ an, der ihnen Musik nach ihrem Geschmack auflegt. Das Fest zum 15. Geburtstag muss ein ganz besonderes Fest für alle werden. Für das Mädchen, das 15 wird, eben ein unvergessliches Ereignis. 

Gibt es ein besonderes Essen?

Was der 15-Jährigen schmeckt, oder ein Buffet...

Was wird geschenkt?

Geld, Schmuck, Kleider, Kosmetik, oft schenken die Eltern ein Auto, einen Computer oder eine Reise. Das mit der Reise ist ziemlich verbreitet. Das machen auch die Ärmeren, sie sparen und schenken dem Geburtstagskind eine Reise, das ist etwas sehr Besonderes für die Mädchen.

Du feierst deinen Geburtstag in Deutschland. Wirst du kolumbianisch feiern?

Es sind Deutsche und Latinos/as eingeladen, bunt gemischt. Es wird ein deutsch-kolumbianisches Fest werden.

Ist für dich dein 15. Geburtstag auch ein ganz besonderer Tag? Wie fühlst du dich?

Klar, für mich ist das auch ein sehr besonderer Tag. Ich fühle mich ein bisschen komisch, weil das gleichzeitig ein Abschiedsfest für mich ist, ich werde wieder in Kolumbien leben.

Warum gehst du weg? Gefällt es dir hier nicht?

Doch, hier ist es schön, es gibt hier ganz spezielle, sehr schöne Sachen. Aber wie die Schule organisiert ist, ist hier nicht gut, und ich habe mich dazu entschieden, den Schulabschluss in Kolumbien zu machen.

Was gefällt dir hier nicht an der Schule?

Warum stellst du mir diese Frage? – Nun, für mich ist das aufgegliederte Schulsystem abträglich. Ich denke, dass wir alle das gleiche Recht haben, aufs Gymnasium zu gehen und uns dort gut auf die Uni vorzubereiten.

Das könntest du hier nicht machen?

Nein, hier würden sie mich auf die Hauptschule schicken. Meine Familie sagt, dass ich mich später ganz schön anstrengen müsste, um auf die Uni zu gehen. Aber die Kindheit ist das Wichtigste für das Leben, meine ich. Wenn es dir gut geht, wenn du jung bist, wird das auch so sein, wenn du älter bist. 

Denkst du, dass es dir in Kolumbien besser geht?

Natürlich wird da viel anders sein, ich muss mich ja auch von meiner Familie trennen. Aber das Bildungssystem ist in Kolumbien besser. Diese Art hier, das Bildungssystem in drei Phasen aufzugliedern, ist sehr dumm, weil wir alle das gleiche Recht auf gleiche Bildungschancen haben.

Und in Kolumbien ist das nicht wie hier?

In Kolumbien haben alle das Recht auf Bildung. Etwas anderes ist, dass manche nicht lernen wollen. Aber alle können das Recht auf Bildung wahrnehmen.

Kommt es nicht darauf an, ob man arm oder reich ist?

In Kolumbien gibt es unterschiedliche Oberschulen (colegios), private und öffentliche. Die Privatschulen sind für Leute, die Geld haben oder eben normal leben, und die öffentlichen für diejenigen, die keine Mittel haben. In einigen Schulen muss man nichts bezahlen, damit die Jugendlichen die Schule absolvieren und später an die Uni gehen können. Obwohl sie gerade das Gesetz ändern und die öffentlichen Unis privatisieren wollen.

In welche Schule wirst du jetzt in Kolumbien gehen?

Das ist ein neues privates Gymnasium, es ist erst ein Jahr alt, der Direktor ist Deutscher und unterrichtet Deutsch.

Also gehst du auf eine deutsche Schule in Kolumbien, und verlässt dafür die deutsche Schule in Deutschland?

Es ist nicht wirklich eine deutsche Schule, aber man kann einiges auf Deutsch machen.

Eine andere Frage: Wenn du dich vergnügen willst, was machst du in Kolumbien, oder auch hier in Deutschland? Zum Beispiel an den Wochenenden...

In Deutschland bin ich oft mit Freunden und Freundinnen aus Lateinamerika weggegangen, um was zu trinken und zu tanzen. Manchmal bin ich auch nach Erkelenz gefahren und habe eine deutsche Freundin besucht. Wir sind dann auch ausgegangen, zu einem Konzert, einer Musikgruppe.

Welche Musik und welche Tänze gefallen euch, wenn ihr ausgeht? 

Meistens viel Latino-Musik, Salsa, Merengue, Bachata, Reggaeton, HipHop etc.

Und wenn du dich in Kolumbien vergnügen willst? Du warst ja erst letzten Sommer da...

Da gab es oft Konzerte, Rock, Emo, Hardcore, Neo usw.

Was ist Emo?

Das ist ein Stil, der ungefähr in den 80ern entstanden ist, ich weiß nicht genau, ob das in den USA war.

Ähnlich wie Rock?

Eine Mischung aus Rock, aber auch anders, ich kann's nicht erklären. Ich muss aber drauf hinweisen, dass ich nicht Emo bin.

Wie sind die Emos, wenn es nicht nur ein Musikstil ist?

In Bezug auf die Kleidung, rosa und viel schwarz, violett, Pünktchen, Kästchen, Sternchen, Converse oder Vans (Markenturnschuhe), sie schminken sich die Augen sehr dunkel, sehr schön! Meistens mit ein bisschen Rosa an den Augen, aber nicht immer. Sie färben sich die Haare.

Ich habe gelesen, dass die Emos in der Tendenz depressiv sind, dass manche Selbstmordversuche machen...

Manchmal glauben sie, dass sie ein Problem haben, und aus Angst wissen sie nicht, wie sie es lösen können. Deshalb werden sie ein bisschen traurig, aber nicht so, dass sie zum Selbstmord neigen. Manchmal schneiden sie sich, aber ich weiß nicht warum.

Sie schneiden sich wie?

Sie schneiden sich mit einem Messer in den Arm, aber das sind keine Selbstmordversuche. Sie haben immer Freunde, das hilft ihnen und sie kommen schnell von der Depression los.

Soweit ich verstehe, fühlen sich die Emos sehr als Emos, sie haben eine starke Gruppenidentität. Stimmt das?

Nun, die Emos sind daran gewöhnt, in Emo-Gruppen herumzulaufen, aber es sind auch andere dabei.

Wie erkennen sich die Emos untereinander?

An der Frisur, an der Strähne, die fast das Gesicht bedeckt. Sie sind immer geschminkt, und das Haar am Hinterkopf steht hoch. 

Gibt es Emos in Deutschland?

Ja, viele, es ist gerade modern, Emo zu sein.

Und in Kolumbien?

Klar, da ist es auch Mode. Aber es gibt nicht nur Emos.

Welche anderen Gruppen von Jugendlichen gibt es in Kolumbien?

Alles – Rapper, Punks, Metaleros, Hardcore, Neos, Skinheads, Neonazis, viele Mischungen. 
Wie hier auch, alles Mögliche.

Bei den Festen in Kolumbien trinken die Jugendlichen viel Alkohol?

Manchmal ja, billigen Alkohol, aber nicht so viel wie hier.

Was trinkt man dort?

Billigen Schnaps oder Wein aus dem Tetrapack.

Und hier?

Soweit ich weiß, gibt es Kneipen, in denen man eine bestimmte Summe Geld bezahlt und in ein oder zwei Stunden soviel Alkohol trinken kann, wie man will. Das finde ich nicht gut, hier trinkt man sehr viel.

In Kolumbien rauchen die Jugendlichen auch viel Marihuana und nehmen Drogen?

Weiß ich nicht, weil ich nichts nehme und meine Freunde auch nie rauchen gesehen habe.

Was findest du sonst noch wichtig, was die ila-LeserInnen von den Jugendlichen in Kolumbien und den jungen Latinas in Deutschland wissen sollten?

Für die Leute hier in Deutschland: Dass wir alle gleich sind. Obwohl wir Latinos und Latinas manchmal eine andere Hautfarbe und eine spontanere Art haben zu leben, sind wir Menschen.

Fühlst du dich als Person hier nicht akzeptiert?

Manchmal nicht. Obwohl ich einige, aber sehr wenige, Deutsche kennen gelernt habe, die nett zu mir waren. Ich glaube, die Leute hier sind ein wenig verschlossen.

Und was willst du, dass die ila-LeserInnen von den Jugendlichen in Kolumbien wissen sollen?

Ich will sagen, dass nicht alle Jugendlichen in Kolumbien drogenabhängig sind und ihre Zeit damit verbringen, Drogen zu nehmen, sondern dass wir ganz einfach Leute sind, die in die Schule gehen, ganz normal was trinken, auf Feste gehen und uns vergnügen. Also, willkommen in Kolumbien!

Das Gespräch mit Leyla Morales Castillo führte Bettina Reis am 10. August in Bonn. Es wurde auf Spanisch geführt.