ila

Plakate erzählen Geschichten

Ein wunderschönes Buch über Nicaragua und die Solidaritätsbewegung
Gert Eisenbürger

Ende der siebziger Jahre war ich in meinem Heimatort in der Katholischen Jugend aktiv. Wie es damals bei sich als „alternativ“ verstehenden Jugendlichen sehr beliebt war, hatten wir uns in einem leerstehenden Raum der Pfarrei eine kleine Teestube eingerichtet, in der wir die Treffen unseres Dritte-Welt-Arbeitskreises abhielten, eine kleine Bibliothek mit Büchern zur Nord-Süd-Problematik eingerichtet hatten und Tee aus henkellosen Terracottaschalen tranken. An einer Wand hing neben der Anti-Atom-Sonne und Bildern aus Bolivien, wo wir mit dem Erlös von Verkaufsständen und Altkleidersammlungen Projekte kirchlicher Organisationen unterstützten, auch ein Plakat, das einen Feuer speienden Vulkan zeigte und auf dem in dicken weißen Lettern „Endet das Schweigen – 44 Jahre Diktatur in Nicaragua“ zu lesen war, darunter klein die Adresse eines „Informationsbüro Nicaragua“ in Wuppertal und ein Spendenkonto.

Obwohl Nicaragua geographisch und mental von unserer Lebensrealität sehr weit entfernt war (Wuppertal übrigens auch), hatte dieses Plakat den Weg in unser „Teeräumchen“ in der rheinland-pfälzischen Provinz gefunden und uns schon 1978 für den Kampf der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) gegen die Somoza-Diktatur interessiert. Dieses Bild begegnete mir nun wieder, beim Durchblättern des Buches „Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch – Die politischen Plakate des befreiten Nicaragua 1979-1990 und der internationalen Solidaritätsbewegung“. Das Plakat mit dem Vulkan war beileibe nicht das einzige in dem Band, das bei mir Erinnerungen auslöste. Obwohl ich selbst nie in Nicaragua war, erkannte ich nicht nur viele der Plakate der Solidaritätsbewegung im hinteren Teil des Buches wieder, sondern auch einen Teil der Plakate aus Nicaragua, die mehr als drei Viertel des 380 Seiten umfassenden Werkes ausmachen.

Kaum ein anderer politischer Prozess in der jüngeren Geschichte hat sich so stark über Plakate artikuliert wie die sandinistische Revolution in Nicaragua. Die ersten Motive entstanden bereits in der Endphase der Diktatur. Mit dem relativ einfachen und preisgünstigen Siebdruckverfahren fertigten der FSLN nahestehende KünstlerInnen ausdrucksstarke Plakate an, die die Losungen der Befreiungsbewegung einer überwiegend analphabetischen Bevölkerung nahe brachten. Nach dem Sieg der SandinistInnen erlebte die Plakatkunst einen wahren Boom. Für die revolutionäre Regierung wurden sie zu einem zentralen Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung für Kampagnen und Projekte. Der zeitweilige Vizepräsident Sergio Ramírez betont in einem der Aufsätze des Buches den künstlerischen Charakter vieler dieser Plakate: „Das Plakat erhielt eine doppelte Bedeutung: einen gesellschaftlichen Wert als attraktives Kommunikationsmittel und einen künstlerischen Wert, denn zum ersten Mal nutzten die Maler das Zeichenpapier zu diesem Zweck, und die Werbezeichner selbst fanden darin ein schöpferisches Ausdrucksmittel, um sich von kommerziellen Fesseln zu befreien.“

Genauso wie mit der eigenen Bevölkerung kommunizierte die nicaraguanische Revolution auch mit der internationalen Solidaritätsbewegung über ihre Plakate. Das war keine geplante Geschichte, sondern PolittouristInnen und in Nicaragua arbeitende InternationalistInnen brachten die schönen bunten Blätter in ihre Herkunftsländer, wo sie zu Blickfängern bei Veranstaltungen, Infoständen oder Ausstellungen wurden. Gerade weil viele grafisch gelungen waren, natürlich auch manche romantischen Projektionen, mitunter gar reaktionären Mythen über die Einheit von „Volk“ und (sandinistischer) Partei bedienten, wurden sie weltweit zu Werbeträgern der sandinistischen Revolution.

Und die Solidaritätsbewegung produzierte natürlich unaufhörlich ihre eigenen Plakate. Da die Bewegung sehr dezentral organisiert war, gab es auch kaum „zentrale“ Plakate, sondern jedes lokale Komitee produzierte für seine Veranstaltungen eigene Werbeträger. Natürlich wurde hemmungslos kopiert, das Motiv, das heute das Cover einer Broschüre zierte, fand sich morgen auf einem Veranstaltungsplakat in Münster und übermorgen auf einem Demotransparent in Hamburg. Aber es wurde auch immer Neues produziert, fast jedes Komitee hatte in seinem Kreis oder Umfeld jemanden mit grafischen Fähigkeiten, der/die originelle Plakate entwarf.

So wird die Geschichte der sandinistischen Revolution und der sie unterstützenden Solidaritätsbewegung anhand ihrer Plakate erzählt. Viele Darstellungen lösen nostalgische Gefühle aus, erinnern an die ungeheure Kraft und die Begeisterung der damaligen Bewegung, andere amüsieren aufgrund ihrer kitschigen Beschaulichkeit, die so gar nichts Revolutionäres hat, wieder andere verstören ob ihrer Plattheit und einfachen Weltbilder.

Dazu enthält das Buch eine Reihe sehr lesenswerter Beiträge zur Entwicklung der sandinistischen Revolution und der bundesdeutschen Nicaragua-Solidaritätsbewegung. Wer die Entwicklung Nicaraguas in den letzten Jahren verfolgt hat, wird nicht überrascht sein, dass das Gros der nicaraguanischen Autoren, die allesamt aus der FSLN kommen, die heutige Partei Daniel Ortegas und Inés Murillos längst verlassen hat und sich heute in der Sandinistischen Erneuerungsbewegung, kritischen NRO oder unabhängigen Basisorganisationen wiederfindet.

Diejenigen, die sich einmal mit Nicaragua beschäftigt haben, als BrigadistIn ein bisschen Alltag in diesem Land der Dritten Welt mitbekommen haben, in einem Komitee oder einer Städtepartnerschaftsgruppe aktiv waren oder noch sind, wird dieses Buch naturgemäß ansprechen. Aber auch jenen, die erst in den letzten Jahren über attac, kritische Ökogruppen oder studentische Zusammenhänge zur Linken gekommen sind, bietet es interessante Einblicke in die Stärke, aber auch Beschränktheiten der politischen Szene der achtziger Jahre.

Otker Bujard/ Ulrich Wirper (Hg.): Die Revolution ist ein Buch und ein freier Mensch, Papy-Rossa Verlag, Köln 2007, 382 Seiten (A4), geb., 36,- Euro