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Abschaffung des Privatlebens

Flüchtlinge in Deutschland: Leben in Lagern

Weltweit werden Flüchtlinge zwangsweise in Lagern untergebracht – oft jahrelang. In Deutschland werden die Flüchtlinge nach einem definierten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Dort müssen sie bis zum Abschluss des Asylverfahrens (und teilweise darüber hinaus) in Asylbewerberunterkünften leben. Wie viele dieser Lager über die Bundesrepublik verteilt existieren, ist schwer zu ermitteln, denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweist auf die Zuständigkeit der Länder, die aber keine Zahlen liefern können oder wollen. In vielen Lagern, die oft von den nächsten Ortschaften kilometerweit entfernt liegen, stehen den Flüchtlingen durchschnittlich 4,5 qm Wohnraum zur Verfügung! Von der Videoüberwachung, den dauernden Kontrollen, dem Bargeldentzug, der Ausstellung von Duldungen oft für nur wenige Tage, den ständigen Befragungen und der eingeschränkten Gesundheitsversorgung wissen viele Flüchtlinge ein trauriges Lied zu singen. Was schönfärberisch Gemeinschaftsunterkunft, Erstaufnahmeeinrichtung oder Ausreisezentrum genannt wird, bezeichnen Betroffene und Flüchtlingsorganisationen als Zwangsunterkünfte oder Abschiebelager. Eine Vorreiterrolle in der Einrichtung dieser Zwangsunterkünfte spielt Niedersachsen, worüber der nachfolgende Beitrag berichtet.

Sigmar Walbrecht

In Niedersachsen gibt es drei vom Land betriebene Lager mit jeweils rund 550 Plätzen: Die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde (ZAAB) in Braunschweig und die ZAAB in Oldenburg, die wiederum eine Außenstelle in Bramsche-Hesepe bei Osnabrück unterhält. Diese Lager erfüllen mehrere Funktionen. Sie sind Erstaufnahmeeinrichtungen, in die AsylantragstellerInnen zu Beginn für sechs Wochen bis drei Monate eingewiesen werden, und sie fungieren als so genannte Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sie anschließend leben müssen. Weiterhin befinden sich auf dem Gelände der Lager in Braunschweig und Oldenburg so genannte Ausreiseeinrichtungen, in die „ausreisepflichtige Ausländer“, die nicht mit den Behörden kooperieren oder denen vorgeworfen wird, ihre Identität zu verschleiern, eingewiesen werden. In der Außenstelle Bramsche-Hesepe schließlich werden Asylsuchende untergebracht, denen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prognostiziert wird, dass ihr Asylantrag aussichtslos sei. Die Landesregierung will diese drei Lager auslasten und gleichzeitig immer weniger Flüchtlinge auf die Kommunen verteilen. 

Wie das Innenministerium in einem Brief an den Flüchtlingsrat Niedersachsen im Januar erklärte, habe die Landesregierung eine besondere Verantwortung, „durch eigene Anstrengungen die Kommunen so weit wie möglich von der Pflicht zur Unterbringung von Asylbewerbern zu entlasten. […] (Die) Durchsetzung der Pflicht abgelehnter Asylbewerber, das Land zu verlassen, spricht für die Nutzung landeseigener Einrichtungen.“ In den Lagern sollen die Menschen zur „freiwilligen Ausreise“ genötigt werden. „So können Personen durch die Mitarbeiter der Einrichtungen sehr viel wirkungsvoller als bei einer dezentralen Unterbringung zum freiwilligen Verlassen des Landes veranlasst werden“, schreibt das Innenministerium. Hingegen führe „das Leben in einer Gemeinde erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts“. Niedersachsen spielt in der Einrichtung von Lagern für Asylsuchende eine Vorreiterrolle. Bereits die SPD-Landesregierung unter Ministerpräsident Schröder hat im April 1998 ein als „Projekt X“ bezeichnetes „Modellprojekt für die Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit“ begonnen, das als Grundlage für alle weiteren Lagerpläne betrachtet werden kann und schließlich auch bundesweit als so genannte „Ausreiseeinrichtung“ in das Aufenthaltsgesetz Eingang gefunden hat und in vielen Bundesländern nachgeahmt wird. 

Das Leben in den Lagern ist für die BewohnerInnen äußerst zermürbend und belastend. Mehrfach haben sie öffentlich gegen ihre Unterbringungssituation mit Demonstrationen und verschiedenen Aktionen protestiert. Etliche Asylsuchende in den Lagern Bramsche-Hesepe und Oldenburg haben im Jahr 2006 einen Streik begonnen, bei dem sie die Verrichtung so genannter Arbeitsgelegenheiten (ähnlich den Ein-Euro-Jobs) verweigerten und das Kantinenessen boykottierten. In der Öffentlichkeit sind die Proteste der LagerbewohnerInnen sehr gut wahrgenommen worden, auch haben Abgeordnete der Landtagsfraktionen der Grünen und der FDP sich vor Ort ein Bild von der Situation gemacht. Ein besonderer Erfolg war sicher, dass der Stadtrat Oldenburg in einer einstimmig verabschiedeten Resolution die Landesregierung aufforderte, die Kritik der Flüchtlinge ernsthaft und intensiv zu prüfen, Lösungsvorschläge zu entwickeln und eine dezentrale Unterbringung zu prüfen. Letztlich hat dies die Landesregierung jedoch nicht bewegt, Veränderungen vorzunehmen. Daher hat das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen, dem verschiedene in der Flüchtlingssozialarbeit tätige Organisationen angehören, in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege und der Stiftung Leben und Umwelt am 18. Januar in Oldenburg eine Anhörung organisiert, auf der vor allem die Flüchtlinge zu Wort kommen sollten, um ihre Situation der Öffentlichkeit zu schildern und VertreterInnen der niedersächsischen Parteien damit zu konfrontieren. 

Viele der Flüchtlinge waren aus Angst vor Repressionen durch die Behörden jedoch nicht bereit, öffentlich auf der Veranstaltung zu sprechen. Dass die Befürchtungen berechtigt waren, wurde am Tag der Veranstaltung eindrücklich durch die Lagerleitung der ZAAB Oldenburg vorgeführt: Sie verhängte für den Tag ein vollkommenes Besuchsverbot. BewohnerInnen des Lagers hatten zuvor zu einem Besuch ihrer Unterkunft im Anschluss an die Anhörung eingeladen. Trotzdem waren einige BewohnerInnen der drei Lager bereit, öffentlich über ihre Situation zu reden, andere ließen ihre schriftlichen Berichte auf der Anhörung verlesen, u.a. hatte eine große Gruppe von BewohnerInnen des Lagers Oldenburg einen gemeinsamen detaillierten Bericht verfasst. So beschreiben sie die „Abschaffung des Privatlebens“, indem bis zu sieben Personen, die z.T. verschiedene Sprachen sprechen, in einem Zimmer untergebracht sind. Die Zimmer können jederzeit von MitarbeiterInnen der Behörde oder des Sicherheitsdienstes betreten werden. Sie schildern das einförmige Essen und die alltäglichen Respektlosigkeiten, die sie zu ertragen haben. Sie beschreiben die unzureichende medizinische Versorgung, bei der alle Krankheiten mit Paracetamol behandelt werden. Sie berichten von der Isolation durch das Lagerleben und von der alltäglichen, zermürbenden Unsicherheit über ihre Zukunft. Die „Behörden sind nicht dafür da, um den Flüchtlingen zu helfen, sondern um sie zu zerstören und abzuschieben“, heißt es bitter in dem Bericht. 

Eine Bewohnerin aus dem Lager Bramsche-Hesepe schilderte, wie sie das Leben im Lager gesundheitlich belastet: „Wir wohnen zusammen in einem Zimmer. Mir geht es psychisch nicht gut. Die Situation macht mich kaputt. Ich habe immer nur Probleme und Stress. Die Kinder haben Probleme mit Husten. Das kommt von dem alten Teppich, der im Zimmer liegt. Die Luft ist dadurch schlecht. Der Teppich schimmelt. Vom Lager bekommen wir aber keinen anderen. Sie sagen, das sei zu teuer.“ Die materielle Situation beschreibt sie folgendermaßen: „Wir haben nur Gutscheine, jeden Monat einen Kleidungsgutschein für 15 Euro. Was kann man davon kaufen? Die Kleidung ist alt. Die Socken haben Löcher. Mit dem wenigen Taschengeld müssen die Lebensmittel bezahlt werden. In die Kantine gehen wir nicht. Das Essen ist nicht gut für die Gesundheit und die Kinder.“ Frau M., die in der ZAAB Braunschweig auf die Entscheidung über ihren Asylantrag wartet, machte auf der Anhörung die Perspektivlosigkeit deutlich: „Jeder Tag ist wie der vorherige. Dieses vegetierende Leben macht die Leute krank, nicht physisch sondern seelisch krank. Dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung, man hat kein eigenes Leben, ich weiß nicht, was mir die Zukunft bringt, ich weiß nicht, ob ich eigentlich eine Zukunft habe, ich habe fast alles verloren und würde gerne noch mal anfangen, aber dort verliere ich manchmal die Hoffnung.“ 

Die Lager in Niedersachsen, mit ihrer strukturellen Entrechtung und Isolation, fügen sich damit in ein System ein, das die ganze EU und deren Außengrenzen umfasst und letztlich auch noch die Transitländer der MigrantInnen, ja sogar selbst die Krisenregionen, aus denen die Menschen fliehen, einschließt. Ziel ist es, die möglichst vollständige Kontrolle über Migrations- und Fluchtbewegungen zu bekommen. Wer es bis an die Grenzen der EU schafft, soll spätestens hier abgefangen werden. So gibt es Lager in Marokko und Libyen oder an der osteuropäischen Grenze in der Ukraine. Die EU unterstützt die Anrainerstaaten finanziell und logistisch beim Abfangen von Flüchtlingen. Dort sitzen sie dann oftmals fest und sind besonderen Verfolgungen ausgesetzt. Nichtsdestotrotz schaffen es immer noch etliche Menschen in die EU, wo sie aber in den Randstaaten abgefangen und in Lagern eingepfercht werden. Oftmals wird ihnen hier ein Asylverfahren verwehrt und sie ohne jegliche Prüfung von Fluchtgründen abgeschoben. Hierzu haben die Länder, wie z.B. Italien und Spanien, Rückübernahmeabkommen mit Anrainerstaaten geschlossen. Wer aus diesen Ländern kommt, wird bis zur Abschiebung in Lager gesperrt. 

Besonders negativ ist jüngst Griechenland aufgefallen. Wie Pro Asyl bei einer Recherche vor Ort festgestellt hat, werden ausnahmslos alle Ankommenden in Lagern auf den östlichen Inseln und an der Grenze zur Türkei inhaftiert und in der Regel ohne die Schutzbedürftigkeit zu überprüfen deportiert. Die EU erklärt ihre umliegenden Länder kurzerhand zu „sicheren Drittstaaten“, unabhängig davon, ob sie die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben. So haben Flüchtlinge, die über Land oder Wasser kommen, kaum eine Chance auf ein Asylverfahren. Zusätzlich verschärft die EU ihre Grenzkontrollen und die Flüchtlingsabwehr. Die Grenzschutzagentur FRONTEX überwacht seit 2004 die Fluchtwege und unterstützt die Grenzschutzbehörden der einzelnen EULänder finanziell und technologisch. Erst am 13. Februar hat EU-Justizkommissar Frattini ein neues Paket zum Ausbau der EU-Außengrenzen und zur strengeren Überprüfung von Einreisenden, ohne Rücksicht auf Datenschutz, vorgestellt. Die wenigen Flüchtlinge, die es trotzdem noch nach Deutschland schaffen, erwartet ein Leben in Lagern.

Sigmar Walbrecht ist Mitarbeiter in der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates Niedersachsen.