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Nicaragua als Blitzableiter?

BMZ streicht Budgethilfe

Sanktionen gegen Nicaragua scheinen zum Standardrepertoire „westlicher“ Regierungen im Umgang mit dem zentralamerikanischen Land zu gehören, jedenfalls wenn Sandinisten dort regieren. 1984 fror die damalige Bundesregierung ganz im Zeichen der Blockade des sandinistischen Projekts kurz vor den Präsidentschaftswahlen 40 Mio. DM bereits zugesagte Entwicklungshilfe ein. Ende 2007 wiederum strich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) dem seit Januar 2007 wieder von Daniel Ortega regierten Land die Budgethilfe in Höhe von sieben Millionen Euro.

Michael Faber

Die Streichung der Hilfe in 2007, von der neben Nicaragua kein anderes Land betroffen ist, erfolgte im Kontext einer grundsätzlichen Diskussion über das Instrument der Budgethilfe. Hierunter versteht man die unmittelbare Haushaltsunterstützung von Partnerländern ohne nähere Zweckbindung der Mittel. Das Instrument soll insbesondere die Handlungsfähigkeit der Partnerländer bei Armutsbekämpfung und der Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse stärken. 

Die Streichung der bereits zugesagten Mittel an Nicaragua begründet das BMZ vor diesem Hintergrund wie folgt:
1) Fehlende Gewaltenteilung: sehr geringe Unabhängigkeit und massive politische Manipulation v.a. des Justizapparats –  teilweise auch des Parlaments –  durch die Exekutive. 
2) Wachsende Defizite im Menschenrechtsbereich, namentlich Verabschiedung eines Gesetzes, das Schwangerschaftsabbrüche selbst bei lebensgefährlichen gesundheitlichen Bedrohungen der Frau durch ihre Schwangerschaft untersagt und unter hohe Strafen stellt.
3) Wenig politischer Wille zu einer verstärkten Bekämpfung der Korruption und geringe Zielgenauigkeit des zentralen Programms zur Armutsbekämpfung.
4) Nach wie vor erhebliche Defizite in der Haushaltstransparenz, nun verstärkt durch große venezolanische Hilfen, die nicht in den Haushalt eingestellt werden.

Die Begründung überzeugt letztlich nicht. Zwar ist dem BMZ in der Kritik an der unsäglichen Abtreibungsregelung zuzustimmen. Diese kam auch mit Stimmen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) als Wahlkampfkniefall vor der katholischen Kirche im Land zustande. Auch ist die Kritik an der mangelnden Gewaltenteilung nicht von der Hand zu weisen. Als Ergebnis des Pakts zwischen Daniel Ortega und dem ehemaligen liberalen Präsidenten Arnoldo Aleman (PLC) sind maßgebliche staatliche Institutionen, darunter die höchsten Gerichte, mit FSLN- und PLC-ParteigängerInnen besetzt. Ergebnis ist eine im wahrsten Sinne des Wortes „parteiische Rechtsprechung“, wie zuletzt am Beispiel der Auseinandersetzungen um die Einführung der sandinistisch dominierten Bürgerkomitees (CPCs) deutlich wurde. 

Kritik an diesen Zuständen ist nicht nur zulässig, sondern auch angebracht. Auch die ungebundene Budgethilfe muss nicht aus Gründen falscher Zurückhaltung mit Sprach- und Kritiklosigkeit im bilateralen Umgang verbunden sein. Die Streichung bestehender Förderlinien darf aber nur ultima ratio nach einem vergeblichen Dialog sein. Anderenfalls hat die sofortige Streichung bereits zugesagter Mittel Strafcharakter und dokumentiert Überheblichkeit anstatt Partnerschaft in den Nord-Süd-Beziehungen. Abschottungstendenzen sind dann die kontraproduktiven Folgen.
Im Falle Nicaraguas hat das BMZ erkennbar nicht versucht die bestehende Budgethilfe als Ansatzpunkt für einen Diskussionsprozess auf Augenhöhe zu nutzen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Vielmehr trifft die Mittelstreichung die sandinistische Regierung in ihrem ersten Amtsjahr. Die liberale Vorgängerregierung, in deren Regierungszeit das erbarmungslose Abtreibungsverbot eingeführt wurde, erhielt hingegen noch Budgethilfe in Millionenhöhe. Für sanktionserfahrene SandinistInnen wird sich die Maßnahme als Rückfall in die Konfrontationshaltung der achtziger Jahre darstellen und das Gegenteil von Dialogbereitschaft zur Folge haben. Ein Gesprächsfaden für die Überwindung der furchtbaren Abtreibungsregelung dürfte damit durch die kontraproduktive BMZ-Aktion zunächst verloren sein. 
Einer Bereitschaft zum Dialog von nicaraguanischer Seite ist auch die weitere Begründung für die Mittelstreichung mehr als abträglich. Während die Regierung Ortega zahlreiche Ansätze für Kritik bietet, muss doch konstatiert werden, dass auf dem Gebiet der Armutsbekämpfung spürbare Fortschritte erzielt wurden. 

Die Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die Etablierung zahlreicher Programme zur nachhaltigen Armutsbekämpfung wie dem Null-Hunger-Programm mögen optimierungsfähig sein – im Gegensatz zur Verarmungspolitik der liberalen Vorgängerregierungen nach IWF- und Weltbankdiktat stellen sie aber eine spürbare Verbesserung dar und lassen einen Prioritätenwechsel durch die neue Regierung erkennen. Diese Verbesserungen auszublenden bzw. die Armutsbekämpfung wegen fehlender Zielgenauigkeit mit Mittelstreichungen abzustrafen, konterkariert die Anstrengungen der nicaraguanischen Regierung auf diesem Gebiet und leistet der Armutsbekämpfung einen Bärendienst. 

Ähnlich verhält es sich mit dem Kritikpunkt fehlender Haushaltstransparenz im Hinblick auf venezolanische Unterstützung. Insbesondere wegen der von liberaler Seite durchgesetzten Privatisierung des Energiesektors an den spanischen Konzern Union Fenosa ist die Versorgungssituation verheerend. Weil in den Sektor nicht investiert wurde, gibt es erhebliche Engpässe bei der Stromversorgung und häufige Abschaltungen. Diese Lage mildert Venezuela im Rahmen der ALBA-Kooperation durch Lieferung günstigen Öls und Hilfe beim Generatorenbau. Diese sinnvolle Unterstützung nun unter dem Deckmantel „mangelnder Haushaltstransparenz“ als Grund für die Streichung von BMZ-Mitteln heranzuziehen ist fadenscheinig. Zwar ist die Ausweisung der Unterstützung im nicaraguanischen Haushalt sicherlich bewusst unterblieben. Schließlich wäre bei einer haushaltsrechtlichen Verankerung das mehrheitlich gegen die Regierung Ortega ausgerichtete Parlament federführend gewesen. Ortega umgeht diese Abhängigkeit vom Parlament in Sachen Unterstützung durch Venezuela dadurch, dass die Hilfe vornehmlich direkt an die (i.d.R. sandinistisch regierten) Kommunen geht und dort dezentral verwaltet wird. Diese Konstellation mag man aus Transparenz- und Gewaltenteilungsaspekten kritisieren. Freilich würde dies konsequenterweise auch erfordern, die Stadt London zu kritisieren. Deren linksgerichteter Bürgermeister Livingston erhält für den ÖPNV ebenfalls günstiges Öl aus Venezuela (vgl. dazu auch das Interview zu den venezolanischen Öllieferungen an salvadorianische Gemeinden in dieser ila). 

Als Begründung für eine Hilfsmittelstreichung ist der formale Aspekt fehlender haushaltsrechtlicher Verankerung der venezolanischen Hilfe jedenfalls ein schwaches Argument. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf die positiven Ergebnisse der Unterstützung für die Menschen in Nicaragua. Es liegt nahe, dass die Kritik nur vorgeschoben ist und vielmehr ein politischer Hintergrund besteht. Die Kooperation Nicaraguas mit dem bolivarianischen Venezuela ist dem BMZ offenkundig ein Dorn im Auge und wird mit „Liebesentzug“ beantwortet. Ein Vorgehen, das den instrumentellen Charakter von Entwicklungshilfe auch zur Sicherung eigener Einflusssphären durch das BMZ belegt. Eine interessante Parallele zur sonst vom Westen kritisierten Ölpolitik Chavez' in der Region – aber nicht nur dort, wie das Beispiel London zeigt.

Die Begründung des BMZ für die Mittelstreichung überzeugt daher in keiner Hinsicht. Sie wirkt sich bei den zu Recht kritisierten Punkten kontraproduktiv aus und ist in weiteren Punkten fadenscheinig und vorgeschoben. In Wahrheit dürfte dem BMZ vielmehr Nicaragua als geeigneter Prügelknabe gedient haben, um einer Kritik am eigenen Haus präventiv den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die ungebundene Budgethilfe stand schließlich bereits seit längerem hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in der politischen Diskussion. Der zuständige Bundestagsausschuss hatte einen Prüfbericht des Bundesrechnungshofes angefordert, der im März 2008 veröffentlicht wurde. Im BMZ erwartete man anscheinend einen Berichtstenor, der dem Haus die Subventionierung undemokratischer Regime mittels Budgethilfe vorwirft. Durch die Streichung der Mittel zu Gunsten des „Vorzeigebösewichts“ Nicaragua wenige Wochen vor der Berichtsveröffentlichung munitionierte sich das BMZ für die anstehende Debatte. Ein kritischer Bericht hätte mit Verweis auf die Streichung der Mittel für Nicaragua abgetan werden und ein vermeintlich differenzierter Einsatz der Budgethilfe dokumentiert werden können. „Ärgerlich“ nur, dass der Bericht des Rechnungshofes das Instrument der Budgethilfe im Saldo positiv bewertete. Der große Sturm blieb also aus und Nicaragua wurde als Beweismittel für eigene Glaubwürdigkeit gar nicht gebraucht.

Es bleibt als Bilanz der Aktion: Das BMZ hat die Budgethilfe zum Strafinstrument für „falsche Freunde“ umfunktioniert, Dialogbereitschaft in Nicaragua zerstört und das Land zum Blitzableiter für Kritik am eigenen Haus gemacht – kein Ruhmesblatt für das BMZ!