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Kolumbien verstehen!

Werner Hörtners Buch über Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen Landes
Markus Jobi

Das Bild Kolumbiens ist geprägt von Berichten über Gewalt, Drogenhandel und den andauernden Kriegszustand. Der interne bewaffnete Konflikt dauert nun schon 50 Jahre an, und für Außenstehende ist es sehr schwierig, die Ursachen der Auseinandersetzungen zu verstehen. Die Menschenrechtssituation ist katastrophal und jedes soziale Engagement lebensgefährlich. Die Verwicklung der Konfliktparteien in den Drogenhandel sowie das neoliberale Wirtschaftsmodell verstärken den Druck auf die Bevölkerung. Trotz aller Widrigkeiten verfügen die sozialen Bewegungen jedoch über eine breite Basis in der Gesellschaft, unzählige Formen des Widerstandes gegen die kompromisslose Ausbeutung der Ressourcen und den Dauerkrieg sind entstanden. Der Journalist Werner Hörtner unternimmt in seinem Buch „Kolumbien verstehen“ den Versuch, die komplexen Verhältnisse im Kolumbien von heute verständlich zu machen. Dabei folgt er auf der Suche nach den Ursachen der Krise dem Lauf der Geschichte: von den Anfängen der spanischen Kolonisierung, der Unabhängigkeit durch Simón Bolívar über die Machtkämpfe im 19. Jahrhundert und der Violencia bis zum derzeitigen Dauerkrieg und der Paramilitarisierung des Staates unter Uribe Veléz. Er befasst sich nicht nur eingehend mit dem Verlauf des Konfliktes, sondern auch mit den Entwicklungen, welche die verschiedenen Akteure durchlaufen haben.

Um das hohe Gewaltpotential in dem Andenstaat zu erklären, arbeitet Hörtner die Gründe für die permanente Gewalt in der Geschichte Kolumbiens heraus. Ihm zufolge bildet die Entstehung der Latifundien „das prägende Strukturelement der kolumbianischen Geschichte der letzten Jahrhunderte.“ Die daraus folgende Bereicherung der Agraroligarchie legt den Grundstein für die bis heute aktuellen sozialen Spannungen des Landes. Außerdem entstand im 19. Jahrhundert eine Tradition des Bürgerkrieges, die bis heute nachwirkt. Hörtner sieht in dieser Phase den Ursprung dafür, dass Gewaltanwendung immer stärker zum Mittel der Umsetzung politischer Ziele geworden ist. Diese Gewalt wurde im Laufe der Zeit zu einem „allgemeinen Verhaltensmuster“, sowohl auf politischer und wirtschaftlicher als auch auf persönlicher und krimineller Ebene.

Den aktuellen internen Krieg beschreibt er als eine Geschichte des Scheiterns aller beteiligten Akteure. Sowohl Guerilla als auch Staat und Paramilitärs haben sich diskreditiert und verstricken sich immer stärker in illegale Geschäfte. Daher ist ein weiterer Schwerpunkt des Buches die Darstellung des „anderen Kolumbien“ mit seinen Friedensinitiativen und -perspektiven, denn „obwohl die Friedensbewegung in der kolumbianischen Zivilgesellschaft stark verankert ist, scheint sie weder in der nationalen noch in der internationalen Wahrnehmung präsent zu sein.“ Hier erläutert Hörtner das Scheitern der Verhandlungsrunden zwischen den Konfliktparteien und die Bemühungen der Bevölkerung, den Dauerkrieg zu beenden. Die Landfrage sorgte in Kolumbien stets für gewaltsame Konflikte, und im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik nimmt der Druck auf die Landbevölkerung zu. Der Autor beschreibt den Widerstand der indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften und beklagt in diesem Zusammenhang die Diskrepanz zwischen ihren in der Verfassung deklarierten Rechten und der tatsächlichen Situation auf dem Land. Gut nachvollziehbar werden die Entstehung und die Entwicklung der Organisationsformen der verschiedenen Gruppierungen dargelegt. In der letzten Dekade ist es im Zuge der wirtschaftlichen Erschließung in ehemals vernachlässigten Regionen verstärkt zu Landvertreibungen gekommen; Paramilitärs ermorden systematisch KritikerInnen der Vertreibungen.

Im letzten Kapitel setzt sich der Autor mit der Präsidentschaft Uribes und der Paramilitarisierung des Staates auseinander. Er beschreibt Struktur und Methodik des Vorgehens der Paramilitärs und deckt präzise deren Verstrickungen in den internationalen Drogenhandel auf. Mit der angeblichen Demobilisierung und Uribes Politik der „Demokratischen Sicherheit“ kann sich der Paramilitarismus weiter entwickeln und in die aktuelle Wirtschafts- und Sozialpolitik einwirken. Auch die Straflosigkeit für Paramilitärs und ihre Einbindung in die wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen stellt die Gesellschaft vor große Probleme. Mit klaren Worten verdeutlicht der Autor hier die Zusammenhänge von paramilitärischer Gewalt und neoliberaler Wirtschaftspolitik. Dabei werden auch die Beziehungen des Präsidenten zu Paramilitärs und Drogenhandel umfassend dargestellt.

Bei verschiedenen Aufenthalten in Kolumbien im Laufe der letzten 20 Jahre hatte der Autor die Gelegenheit, mit diversen VertreterInnen der Konfliktparteien und betroffenen Bevölkerungsgruppen zu sprechen. Auszüge aus diesen Gesprächen sowie andere kurze Einschübe, welche die Zusammenhänge verdeutlichen, sind in die Kapitel eingefügt. Durch das chronologische Vorgehen gelingt es Werner Hörtner, die komplizierten Zusammenhänge und die Verstrickungen zwischen den Akteuren zu entwirren, und macht besonders deutlich, wie groß der Wunsch der Bevölkerung nach einem Ende der Gewalt ist. Dabei richtet sich das Buch sowohl an EinsteigerInnen als auch an KolumbienkennerInnen. Hörtner leistet mit seinem Buch einen Beitrag zum besseren Verständnis Kolumbiens, und obwohl seine Analyse stets sachlich und nüchtern formuliert ist, bleiben am Ende der Lektüre kaum mehr Fragen zu den Verursachern der Gewalt offen. Insgesamt ein äußerst lesenswertes Buch für all diejenigen, die sich einen umfassenden Überblick über dieses Land verschaffen möchten.

Werner Hörtner, Kolumbien verstehen – Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen Landes. Rotpunktverlag, Zürich 2007, 320 Seiten, 19,80 Euro