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Mexikos Linke unter der Lupe

Buchbesprechung
Gerold Schmidt

Der in Nürnberg lebende Politikwissenschaftler und Publizist Albert Sterr hat ein neues Buch zu Mexiko veröffentlicht. Seit Herbst 2008 im Buchhandel erhältlich, ist „Mexikos Linke – ein Überblick. Soziale Bewegungen, Guerillagruppen und die 'Andere Kampagne' der Zapatisten“. Einerseits leistet das Buch eine umfassende Momentaufnahme der verschiedenen linken Manifestationen auf parlamentarischer, außerparlamentarischer und bewaffneter Ebene. Andererseits bietet es eine mit zahlreichen Rückgriffen in die jüngere mexikanische Geschichte angereicherte politische Analyse Mexikos, der Mensch nicht immer im Detail zustimmen muss, die aber äußert hilfreich für das Verständnis des Landes ist.

In der Einleitung versucht Sterr zu klären, was denn heute noch links sei. Bei dieser Anstrengung ist er nicht der Einzige und auch sein Versuch ist letztendlich eine Annäherung. Hier sei nur angemerkt, dass Sterr breit zitiert und somit den LeserInnen Optionen für die eigene Entscheidung gibt. Zudem weist er darauf hin, dass der den verschiedenen Akteuren und ihren politischen Positionen eingeräumte Platz nicht notwendigerweise ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung entspricht. Das erweist sich jedoch als Vorteil, denn detailliertere Informationen beispielsweise über die mexikanische Guerilla abseits der ZapatistInnen und vielleicht noch eingeschränkt des Revolutionären Volksheeres (EPR) sind anderswo kaum zu finden. 
Das Buch ist in zwei Teilen konzipiert. Im ersten, kleineren Teil schließt Sterr praktisch an sein 2002 zusammen mit Dieter Boris veröffentlichtes Buch „FOXtrott in Mexiko. Demokratisierung oder Neopopulismus?“ an. Unter der Überschrift „Steckengebliebener Modellwechsel“ zeichnet der Autor die Jahre des Machtwechsels von der sieben Dekaden regierenden PRI zur konservativen PAN in 2000 bis zu den ersten Monaten der aktuellen konservativen Regierung unter Präsident Felipe Calderón nach. Hier gilt das Hauptaugenmerk nicht der Linken, der Schwerpunkt liegt vielmehr auf der Darstellung der gesamtpolitischen Konstellation in Mexiko. 

Der zweite Teil mit dem Titel „Anti-Neoliberaler Widerstand und politische Alternativen“ geht dann in seinem ersten Abschnitt ausführlich auf massenwirksame Parteien, Organisationen und Bewegungen ein. Von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) über verschiedene vor allem städtische Organisationsbündnisse, Gewerkschaften bis hin zur Volkserhebung der APPO im Bundesstaat Oaxaca und die über ihre geographischen Grenzen hinaus wirkenden Protestbewegungen in Atenco (Bundestaat Mexiko) und La Parota (Guerrero) gelingt es Sterr, so gut wie alle relevanten Akteure im linkszentrischen bis linken Spektrum zu erfassen, die nicht zur Guerilla gehören. Dabei stechen die Fülle von Fakten und die Detailkenntnisse hervor. Schwächen und Stärken werden jeweils genau untersucht, viele AutorInnen zur Unterstützung der eigenen Argumentation oder einer Bewertung aus verschiedenen Perspektiven herangezogen. Ein weiteres Plus ist die Zeitnähe: Ins Buch sind teilweise noch Ereignisse aus dem Juni 2008 aufgenommen. Dafür kann der manchmal etwas allzu trockene und umständliche Stil nachgesehen werden.

Den ZapatistInnen und ihrer „Anderen Kampagne“ widmet der Autor den zweiten Abschnitt. An dieser Stelle bringt er wesentlich stärker als in anderen Buchteilen seine eigene Wertung mit ein. Dabei spart er nicht mit Kritik an der „Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung“ (EZLN) und Subcomandante Marcos. So wirft er ihnen auf nationaler Ebene Selbstmarginalisierung und ein Schwarz-Weiß-Bild vor allem in Bezug auf die PRD und deren Figur Andrés Manuel López Obrador vor. Die „Andere Kampagne“ sieht Sterr, gemessen an den eigenen Zielsetzungen, als zumindest derzeit weitgehend gescheitert und „versandet“ an. Zum Subcomandante kommentiert er: „Ohne Not hat er den Zapatismus zurück in eine sektiererische Sackgasse manövriert, in der die EZLN ohne großes Echo und abgekoppelt von den großen sozialen Bewegungen mit anderen kleinen Gruppen oder Einzelpersonen darüber streitet, wie man sein muss, damit die Ablehnung des Kapitalismus auch wirklich ernst genug gemeint ist.“ Das ist harter Tobak für SympathisantInnen der ZapatistInnen, doch trifft der Autor sicherlich wunde und bedenkenswerte Punkte. Wenig beleuchtet werden leider die konkreten Selbstverwaltungsstrukturen der ZapatistInnen in ihrem Kerngebiet Chiapas, obwohl ihnen Sterr durchaus Vorbildcharakter zugesteht: „Keine andere linke oder linksradikale Bewegung Mexikos verfügt über einen derart reichen Schatz von real gelebter Gegenmacht.“

Der dritte Abschnitt behandelt revolutionäre Aufstands- und Guerillabewegungen, wobei der Autor zwischen traditionellen Marxisten-Leninisten, bewegungsnahen und aufstandsorientierten Kräften und pro-zapatistischen Gruppierungen unterscheidet. Wie bereits erwähnt, hat Sterr in diesem Abschnitt Informationen zusammengetragen, die selbst in Mexiko nicht einfach zugänglich sind. Sein Verdienst ist es in diesem Zusammenhang, dass vielfach aus Dokumenten der verschiedenen Guerilla-Organisationen selbst zitiert wird und Spekulationen weitgehend vermieden werden.

Sterr stellt in der Einleitung seines Buches fest, dass es derzeit keine Klammer oder ein politisches Instrument zur Bündelung der linken Kräfte in Mexiko gibt, andererseits aber die soziale Konfliktivität seit Jahrzehnten nicht mehr so ausgeprägt war. Dem gegenüber stehe eine Regierung, die „zum Dialog weder fähig noch willens“ sei. Das ist eine Mischung, deren Explosivität im kommenden Jahr angesichts einer sich auch in Mexiko abzeichnenden Rezession noch zunehmen wird. Wie auch die Entwicklung im Einzelnen aussehen wird, Sterrs Buch ist eine gute Grundlage, sie besser zu verstehen. Einen umfassenderen und aktuelleren Gesamtüberblick über die mexikanische Linke als der von ihm angebotene dürfte es derzeit nicht geben. 

Albert Sterr, Mexikos Linke – Ein Überblick, Neuer ISP-Verlag, Köln/Karlsruhe 2008, 216 Seiten, 22,- Euro