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Was wir uns alles vorstellen konnten

Die Solidaritätsbewegung mit El Salvador in der alten BRD

Im Jahr 1980 hatte der größte Teil der linksalternativen Szene in der BRD mit Kirche wenig am Hut. Doch als am 24. März 1980 Oscar Arnulfo Romero, der sozial engagierte Erzbischof von San Salvador, während einer Messe von rechten Todesschwadronen erschossen wurde, waren nicht nur engagierte ChristInnen entsetzt. Dass die im Interesse einer kleinen Großgrundbesitzer-Oligarchie agierenden Mörderbanden selbst einen prominenten Kirchenmann einfach so töteten, lenkte den Blick schlagartig auf den sozialen Konflikt in El Salvador.

Gert Eisenbürger

Überall begannen sich nun Menschen für El Salvador zu engagieren. Viele, weil sie moralisch empört über die sozialen Ungerechtigkeiten und schweren Menschenrechtsverletzungen waren, andere, weil sie dort eine breite Massenbewegung und eine starke bewaffnete Linke entdeckten, die in der Lage schienen, eine revolutionäre sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft herbeizuführen. Ende 1980 gab es in fast allen größeren Städten der BRD Solidaritätsgruppen zu El Salvador. Ihr Schwerpunkt war die lokale Arbeit:  Informationsveranstaltungen mit Gästen aus El Salvador, Flugblattaktionen in Fußgängerzonen und Uni-Mensen, Informationsstände, Konzerte mit salvadorianischen Musikgruppen (über ein solches kam der Verfasser dieses Beitrags im November 1980 zur ila). Natürlich wurde dabei auch immer Geld für den salvadorianischen Widerstand gesammelt. 

Gleichzeitig organisierten zahlreiche Spektren zielgruppenorientierte Aktivitäten: GewerkschafterInnen unterstützten mit der Kampagne „Ein Stundenlohn für El Salvador“ salvadorianische KollegInnen, ChristInnen veranstalteten Gottesdienste oder politische Nachtgebete und spendeten für salvadorianische Basisgemeinden, Feministinnen lenkten den Blick auf die Situation der salvadorianischen Frauen und sammelten für die Frauenorganisationen der Widerstandsgruppen, Menschenrechtsgruppen informierten über den Staatsterrorismus und organisierten „urgent actions“ für bedrohte MenschenrechtlerInnen. 

Daneben gab es Aktionen wie „Besuche“ von CDU-Büros (die CDU unterstützte El Salvadors christdemokratischen Präsidenten Napoleón Duarte, unter dessen Regierungszeit 1980-82 und 1984-89 das Militär die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verübte), lautstarke Störmanöver bei Parteitagen von CDU und FDP, Bühnenbesetzungen in Stadttheatern, Straßentheater vor Filialen der inzwischen fusionierten Kaffeekonzerne Tchibo und Eduscho, Blockadeversuche beim Entladen salvadorianischen Kaffees im Hamburger Hafen, sowie Mahnwachen oder gewaltfreie Besetzungen von salvadorianischen Konsulaten bzw. der Botschaft in Bonn.

Die damals noch junge und zu der Zeit noch linksradikale „tageszeitung“, kurz taz, rief am 3. November 1980 zur Spendenaktion „Waffen für El Salvador“ auf. Damit begann eine breite Debatte in der zu großen Teilen pazifistischen linksalternativen Szene über die Legitimität von bewaffnetem Widerstand. Die Ergebnisse der Spendenaktion übertrafen alle Erwartungen. Bereits nach wenigen Wochen war die erste Million zusammengekommen, bis 1992 wurden 4,7 Millionen DM auf das Spendenkonto „Waffen für El Salvador“ eingezahlt.

Am 31. Januar 1981 demonstrierten über 20 000 Leute aus der gesamten BRD und West-Berlin in Frankfurt/M. gegen das Regime in El Salvador und für die Unterstützung des Widerstandes. Am 13. März 1982 gab es eine zweite Großdemonstration in Frankfurt, zu der wieder über 20 000 Leute kamen. Während diese beiden Demos von der Solidaritätsbewegung organisiert waren, in der linksunabhängige und autonome Gruppen den Ton angaben, wurde die große Mittelamerika-Demonstration am 3. November 1984 in Bonn von der Friedensbewegung ausgerichtet, in der SPD- und DKP-nahe Organisationen dominierten. Mit diesem Bündnis konnten noch einmal 25 000 Leute mobilisiert werden, eine Zahl, die die schon bröckelnde Mittelamerikasolidarität zu diesem Zeitpunkt alleine kaum noch erreicht hätte. Der Nachteil war, dass die ParteifunktionärInnen, durchaus mit dem Wohlwollen der nicaraguanischen Botschaft und der FMLN-Vertreter, den SPD-Vorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, als Hauptredner durchgesetzt hatten. Dessen Auftritt empfanden viele Solimenschen als Provokation, nicht nur wegen der langen Tradition der SPD im Kampf gegen alles Revolutionäre, sondern auch wegen der persönlichen Rolle Willy Brandts bei der Konterrevolution in Portugal 1975/76 und der späteren Zerschlagung der Agrarreform. So trat die merkwürdige Situation ein, dass der Großteil der DemonstrantInnen den Hauptredner ihrer Demo lautstark beschimpfte und Teile des autonomen Spektrums die Bühne stürmen wollten, woran sie von linksradikalen OrdnerInnen gehindert wurden. Letztere wussten, dass in der Tiefgarage unter dem Bonner Hofgarten mehr als tausend Mitglieder polizeilicher Sondereinsatzkommandos nur darauf warteten, einzugreifen und die Demo gewaltsam aufzulösen.

Das wichtigste überregionale Ereignis der Mittelamerika-Solidaritätsbewegung war neben den drei Großdemonstrationen der „Kongress gegen die US-Intervention in Zentralamerika“, zu dem vom 18.-21. März 1982 mehr als 1500 Leute nach Münster kamen. Koordiniert wurde die Solidaritätsbewegung von der „Informationsstelle El Salvador“, die 1980 in München gegründet wurde, später nach Wuppertal und dann nach Bonn übersiedelte (ins Oscar-Romero-Haus, wo auch die ila ihr Büro hat). Die Solidaritätskomitees kommunizierten über monatliche Rundbriefe und regelmäßige Bundestreffen. Dort wurden auch die kontroversen inhaltlichen Debatten geführt. Immer wiederkehrendes Thema war das Verhältnis von Kritik und Solidarität. Zwar herrschte weitgehender Konsens, dass Solidarität auch bedeutete, dass man die, mit denen man solidarisch war – in diesem Fall die FMLN – auch kritisieren dürfe, doch wann solche Kritik angemessen und legitim war, blieb umstritten. Ein beliebtes (Totschlag-)Argument war, die Solibewegten, die relativ sicher in der reichen BRD lebten, hätten gut reden und kritisieren, schließlich seien es die salvadorianischen Compas, die Tag für Tag den Kopf hinhielten und getötet würden. 

Heftig debattiert wurde etwa, als 1983 ein Fraktionskampf in der FPL, der größten Organisation innerhalb der FMLN, bewaffnet ausgetragen wurde. Manche verabschiedeten sich danach aus der Soliarbeit, die meisten, weil sie solche Methoden als inakzeptabel empfanden, andere weil sie der Meinung waren, mit dem Ergebnis dieses Machtkampfes habe die FPL bzw. FMLN ihre revolutionäre Option aufgegeben. Schwierigkeiten hatten viele Solibewegte auch damit, dass die FMLN keine einheitliche Bewegung war, sondern eine Koordination fünf verschiedener Gruppen, deren jeweilige Deutschland- und EuropavertreterInnen meist bemüht waren, Gelder und Ressourcen vor allem für ihre Organisation einzutreiben. So gab es keine Spendenkampagne für die Medienarbeit der FMLN, sondern eine für „Radio Venceremos“ und eine andere für „Radio Farabundo Martí“, die von unterschiedlichen Organisationen betrieben wurden.

Neben den Bundestreffen gab es auch regelmäßige Treffen auf europäischer Ebene, wo die Aktivitäten abgestimmt und internationale Kampagnen diskutiert wurden. Die bundesdeutschen Gruppen unterhielten naturgemäß die engsten Kontakte zu den Solidaritätskoordinationen in den anderen deutschsprachigen Ländern, vor allem zum Zentralamerika-Sekretariat in Zürich, dessen VertreterInnen meistens auch zu den Bundestreffen kamen. Viele Komitees arbeiteten auch mit Gruppen im Spanischen Staat, besonders im Baskenland und in Katalonien, oder in Italien zusammen. Vergleichsweise wenig Kooperation gab es dagegen mit französischen und britischen Solidaritätsorganisationen, deren Anbindung an linke Parteien den auf Autonomie bedachten bundesdeutschen Gruppen suspekt war. Kaum Verbindungen gab es auch in die DDR. Mit dem parteioffiziellen „Solidaritätskomitee der DDR“ wollten nur die wenigen DKP-nahen Gruppen etwas zu tun haben und dass es dort eine kleine unabhängige Salvadorsolidarität unter dem Dach kirchlicher Strukturen gab, wusste man nur vom Hörensagen. Kontaktaufnahmen waren auch nicht ganz einfach, zumal viele westdeutsche Linksradikale den DDR-Behörden durch deren Spitzel im Westen bekannt waren und bei versuchten Einreisen in die DDR häufig Probleme hatten.

Der Höhepunkt der El Salvador-Solidarität waren sicher die Jahre 1980 bis 1982. Ab 1983 setzte der Erosionsprozess ein, zunächst langsam, dann in der zweiten Hälfte der Achtziger immer schneller. Die Wahlniederlage der FSLN in Nicaragua im Jahr 1990 markierte das Ende der Mittelamerika-Solidarität als breite Bewegung. Zwar gibt es bis heute Gruppen, die zu El Salvador arbeiten, wie die Kaffeekampagne El Salvador, die Flüchtlingshilfe Mittelamerika, das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit, die Christliche Initiative Romero, die Ökumenische Initiative Mittelamerika, das INKOTA-Netzwerk u.a. Auffällig ist, dass unter den verbliebenen Zusammenhängen mehrheitlich christliche Organisationen sind, obwohl in El Salvadors Katholischer Kirche – Ratzinger sei Dank – vom Geist Oscar Romeros nur noch wenig übrig ist. Die (sehr kleine) Lutherische Kirche fühlt sich dagegen weiterhin einer befreienden Theologie verpflichtet. Erfreulicherweise gelang es in den letzten Jahren, ganz neue Gruppen in die Arbeit zu El Salvador einzubinden, etwa Kirchengemeinden oder Schulen, die Partnerschaften mit Gemeinden und Schulen in El Salvador unterhalten. Über damit verbundene Besuche und Gegenbesuche entstehen auch persönliche Verbindungen über den Atlantik – etwas, was es in der Solidaritätsbewegung der Achtziger kaum gegeben hatte.

Und nun hat die FMLN die Wahlen gewonnen. Viele, die sich vor mehr als 25 Jahren für El Salvador engagiert haben, werden sich erfreut, vielleicht auch etwas überrascht die Augen gerieben haben. Was, die FMLN gibt es immer noch? Einige, die in der Bewegung der Achtziger eine wichtige Rolle gespielt hatten, erleben diesen späten Triumph leider nicht mehr, weil sie inzwischen verstorben sind. Etwa die Journalistin Ursula Junk, die Anfang der achtziger Jahre die ersten kritischen Berichte zu El Salvador im Radio und Fernsehen unterbrachte und den Aufbau des ersten Büros der salvadorianischen Widerstandsgruppen in der BRD unterstützte; Klaus-Dieter Tangermann, seinerzeit Mittelamerikaredakteur der taz, der maßgeblich für die Waffenkampagne verantwortlich war und eine kaum zu unterschätzende Rolle bei den Mobilisierungen der Solibewegung Anfang der achtziger Jahre spielte; der Sozialwissenschaftler Ernesto Richter, der als Deutsch-Salvadorianer an vielen Prozessen sehr viel enger dran war als die deutschen AktivistInnen und dadurch auch vieles kritischer sah als wir; oder Jürg Weiss, der Koordinator der Schweizer Mittelamerikasolidarität, der am 22. August 1988 in El Salvador von Elitesoldaten erschossen wurde, als er mit einer Patrouille der Guerilla unterwegs war.