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Kolumbien – ein demokratischer Rechtsstaat?

Entgegnung der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien auf zehn Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung über den Wandel des Konflikts in Kolumbien

Im November 2008 veröffentlichte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) einen Länderbericht zu Kolumbien. Der Text des Landesbeauftragten Carsten Wieland trägt den Titel: „Zehn Thesen über den Wandel des Konflikts in Kolumbien“. Darin werden nach Ansicht der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien Aussagen von politischer Tragweite gemacht, die sich auf die Gültigkeit und Anwendung des internationalen Rechts in Kolumbien auswirken. Die Thesen, so die ask, gehen in mehreren Punkten von historisch falschen Voraussetzungen aus. Obwohl in der Einleitung vermerkt werde, dass man „Termini auf einer akademischen Ebene“ verwende, um zu vermeiden, mit diesen Begriffen in die politische polarisierte Diskussion hineinzugeraten, seien die KAS-Thesen eine politische Stellungnahme zur Unterstützung der Politik der „demokratischen Sicherheit“ der Uribe-Regierung. Diese Gründe bewegten die schweizer Organisation zu einer Replik.

Bruno Rütsche

Das Fazit voraus: Die Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung1 untermauern theoretisch und konzeptionell die Politik der „demokratischen Sicherheit“ des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Vélez als einen angemessenen und demokratisch legitimierten Weg zur Stärkung des Rechtsstaates. Der Konflikt in Kolumbien wird als ein Konflikt zwischen einem rechtsstaatlichen, demokratischen und legitimen Staat und Verbrecherbanden, Kriminellen, Drogenhändlern oder Terroristen definiert. Demnach steht ein legitimer Staat in Konfrontation mit dem organisierten Verbrechen und dem Terror. Damit wird das humanitäre Völkerrecht ausgehebelt und dem kolumbianischen Konflikt eine politisch-soziale Motivation abgesprochen. Daraus resultiert als politische Konsequenz für die Europäische Union und die Staatengemeinschaft: Stützung, Zusammenarbeit und Stärkung der Regierung in ihrem Kampf gegen Verbrechen und Terror. Explizit wird der Konflikt Kolumbiens auf die gleiche Stufe gestellt wie die Auseinandersetzungen Brasiliens oder Mexikos mit dem organisierten Verbrechen. 

Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask teilt diese Sicht in keiner Weise. Aus diesem Grund nimmt sie zu einigen Thesen ausführlicher Stellung. 

Erste These der Konrad-Adenauer-Stiftung
In der ersten und zentralen These wird abgeleitet, dass sich die Qualität des Konfliktes in Kolumbien verändert habe. Dabei wird von einer Endphase des klassischen Konfliktes mit drei Akteuren ausgegangen: 1. Ein schwacher Staat, 2. Guerilla-Gruppen und 3. Paramilitärs. Dabei wird gesagt, dass Guerilla und Paramilitärs ihre Legitimität von der Existenz des jeweils anderen ableiteten. 
Die politisch-militärische Erosion durch den Tod von drei Schlüsselfiguren der FARC-Führung und die Befreiung von Ingrid Betancourt im Jahr 2008 einerseits und die Demobilisierung der paramilitärischen Verbände AUC im Rahmen des Gesetzes „Gerechtigkeit und Frieden“ andrerseits, habe den Konflikt verändert. Jetzt stünden sich nicht mehr drei, sondern zwei Akteure gegenüber: 1. Ein Staat mit einem gewachsenen Vertrauen auf allen Ebenen und 2. Eine Vielzahl von Gruppen, die sich als Verbrecher, Kriminelle, Drogenhändler oder Terroristen bezeichnen lassen. Keine dieser illegalen Gruppen besitze noch eine wahrhaftige politische Plattform.

Weiter wird in der These von einem „insgesamt erfolgreichen Friedensprozess“ mit den Paramilitärs gesprochen, wobei bei einem Konflikt solcher Größenordnung „kolaterale Defizite selbstverständlich“ seien. Das Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“, welches den rechtlichen Rahmen der Demobilisierung der Paramilitärs bildet, wird als ein guter, pragmatischer Mittelweg zwischen Amnestie und Straflosigkeit und einem „juristischen Maximalismus“ bezeichnet. Es sei „kein Gesetz der Straffreiheit“, wie es „viele Kritiker glauben machen wollen“.

Zum Schluss der These wird als eine neue Komponente des Konflikts „die massive Beteiligung der Zivilgesellschaft“ erwähnt. Dabei kommt auch die Polarisierung der kolumbianischen Gesellschaft zur Sprache und wird als ein „eigenständiges Merkmal des klassischen Konflikts, wie die Stigmatisierung von Andersdenkenden“, bezeichnet.

Entgegnung der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien 1. Es wird von einer historisch falschen Grundannahme ausgegangen: Ausgangspunkt der ersten KAS-These ist die Annahme eines Konfliktes mit drei Akteuren. Diese weit verbreitete und meist unhinterfragt übernommene Annahme ist historisch falsch. Bereits zu Beginn der 1960er Jahre und noch vor der Existenz der Guerillabewegungen wurde von den USA im Namen der Doktrin der Nationalen Sicherheit der Aufbau von paramilitärischen Verbänden zur Aufstandsbekämpfung empfohlen. In Kolumbien wurde die Schaffung von paramilitärischen Verbänden im Jahr 1965 per Dekret beschlossen und im Jahr 1968 durch das Gesetz 48 in die permanente Gesetzgebung aufgenommen. Diese Gesetze waren bis 1989 gültig und wurden erst dann auf massiven Druck nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen aufgehoben. Das heißt, dass der Staat die paramilitärischen Verbände geschaffen, ihnen eine rechtliche Grundlage gegeben, sie ausgebildet, mit Waffen ausgestattet, mit ihnen zusammen gearbeitet, ihre Verbrechen toleriert und ihnen Straffreiheit garantiert hat. Diese unbequeme, aber durch umfangreiches Beweismaterial belegte historische Wahrheit beinhaltet Folgendes: 

a) Der Staat ist für die Schaffung und die Erstarkung der paramilitärischen Verbände politisch verantwortlich; 
b) Die paramilitärischen Verbände sind keine „spontanen Selbstverteidigungsorganisationen“ gegen die Guerilla. Die Aktionen der Paramilitärs waren auch nie direkt gegen die Guerilla gerichtet, sondern immer gegen deren vermeintliche „soziale Basis“, d.h. die bäuerliche, indigene, afrokolumbianische Bevölkerung, die sozialen Basisorganisationen und deren Führungsleute und die politische Opposition, wie z.B. die Linkspartei Union Patriotica; 
c) Wir hatten (oder haben) es im kolumbianischen Konflikt also nicht mit drei Akteuren zu tun, sondern mit zwei Kontrahenten: Einem Staat, der verbrecherische Organisationen schuf, mit ihnen zusammen arbeitet(e) und ihre Verbrechen verdeckte, und aufständischen Organisationen.2 
Es ist diese zentrale Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates (Politik, Militär, Justiz, etc.) in Bezug auf den Paramilitarismus, die durch die These von drei Akteuren und der Darstellung des Paramilitarismus als unabhängigen dritten Akteur verschleiert und in Abrede gestellt wird. Der Staat wird als Opfer zwischen Guerilla und Paramilitärs präsentiert. 

2. Der „schwache Staat“: Kolumbien hat einen starken, äußerst gut funktionierenden Staat im repressiven Bereich (Armee, Polizei, Geheimdienste), aber einen sehr schwachen Staat in bestimmten Justiz-Bereichen, und einen fast inexistenten Staat im Bereich der sozialen Wohlfahrt. Die Schwäche des kolumbianischen Staates ist funktional, sie ist gewollt und nicht einfach ein Produkt der Unterentwicklung. So ist z.B. die Straflosigkeit zur gewaltsamen Erhaltung und Durchsetzung der Privilegien einer kleinen Schicht absolut funktional. Die Aufklärungsrate von Menschenrechtsverletzungen liegt im einstelligen Prozentbereich! 

3. „Legitimer Staat gegen organisiertes Verbrechen und Terrorismus“: Die Darstellung eines vertrauenswürdigen, legitimen Staates (mit einigen Schwächen, die zu überwinden er sich anschickt), der dem organisierten Verbrechen (Drogenhändler, Verbrechersyndikate, etc.) und dem Terrorismus (FARC, ELN) gegenüber steht, bedeutet die Übernahme der zentralen These der Politik der „demokratischen Sicherheit“ der Uribe-Regierung, die den internen bewaffneten Konflikt abstreitet und stattdessen von einer „terroristischen Bedrohung“ spricht. 

Dies hat gravierende Folgen für die Anwendung von internationalem Recht. Vor diesem Hintergrund werden die Prinzipien des Humanitären Völkerrechts obsolet. Die Leugnung des internen bewaffneten Konflikts hat zur Folge, dass die staatlichen Sicherheitskräfte nicht mehr als Konfliktpartei gelten. Die Bemühungen der Zivilgesellschaft, nicht in den Konflikt involviert zu werden und ihre Neutralität im bewaffneten Konflikt einzufordern, werden hinfällig. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und internationale Menschenrechtsorganisationen haben sich gegen diese Leugnung des internen bewaffneten Konfliktes gestellt und auf die Folgen für die Anwendung des Humanitären Völkerrechtes aufmerksam gemacht.

4. Die „neue Rolle der Zivilgesellschaft“: Tatsächlich ist ein Erstarken der Zivilgesellschaft in Kolumbien zu beobachten. Wir denken hier an die indigenen, afrokolumbianischen, gewerkschaftlichen, bäuerlichen und studentischen Bewegungen, an Frauen- und Friedensbewegungen, Menschenrechts- und Opferbewegungen und die unzähligen Initiativen der Zivilgesellschaft, aktiven, gewaltlosen Widerstand gegen den Krieg zu leisten. Dabei berufen sie sich auf das Humanitäre Völkerrecht, insbesondere ihr Recht, als Zivilbevölkerung nicht in den Konflikt involviert zu werden. Obwohl in den Thesen der KAS eingeräumt wird, dass für die Führungspersonen der zivilgesellschaftlichen Organisationen Gefahr besteht, wird in keiner Weise auf die Rolle und Verantwortung der Regierung für diese Gefährdung aufmerksam gemacht. Höchste Regierungsfunktionäre bis hin zum Präsidenten selber haben wiederholt zivilgesellschaftliche Proteste diffamiert, der Unterwanderung durch die Guerilla und terroristischer Motive bezichtigt. Dass die Regierung die in den KAS-Thesen angesprochene Polarisierung mit ihrer Haltung – „Wer nicht für mich ist, ist ein Verbündeter des Terrorismus“ – selber wesentlich vorantreibt, bleibt unerwähnt. 

Zweite und dritte These In der zweiten KAS-These wird gesagt, dass man – relativiert – von einem Postkonflikt sprechen könne. In der dritten KAS-These wird argumentiert, dass der militärische Erfolg über die Guerilla und die Demobilisierung der Paramilitärs dem Land politischen Raum für die Diskussion anderer, wichtiger Themen gebe, wie die soziale Kluft, die Bekämpfung der Armut, das Gesundheitssystem und das Vertrauen der Investoren. Die Diskussion über soziale Themen sei Zeichen eines Postkonflikt-Diskurses. Zum Schluss wird eingeräumt: „Das Kolumbien von heute ist immer noch keine ideale Demokratie, aber ein Land, in dem sich alle Positionen in einem legalen politischen Rahmen artikulieren können.“

Entgegnung Der vermeintliche Postkonflikt: Auch wenn in der zweiten KAS-These gesagt wird, dass von einem Postkonflikt nur in Bezug auf den klassischen Konflikt gesprochen werden könne, wird in der dritten KAS-These die Diskussion über soziale Themen als Zeichen einer Postkonflikt-Situation gewertet. 
Da aber der bewaffnete Konflikt weiter besteht, kann nicht von einem Postkonflikt die Rede sein. Die Paramilitärs haben seit ihrer Erklärung des „Waffenstillstands“ im Dezember 2002 und ihrer Demobilisierung über 4000 Zivilpersonen ermordet. Aus den angeblich „demobilisierten“ paramilitärischen Verbänden sind neue bewaffnete Strukturen entstanden, die heute rund 10 200 Bewaffnete in 102 verschiedenen Gruppen vereinen, die in 246 der 1120 Kreisbezirken des Landes präsent sind. Rund die Hälfte der Bewaffneten stammen von den früheren paramilitärischen Verbänden. 

Auch kann nicht von einem Postkonflikt gesprochen werden, solange sich der Staat weigert, seine Rolle als Konfliktakteur zu reflektieren. Dabei ist die Übernahme der Verantwortung des Staates für Verbrechen, die in seinem Namen oder mit seiner Unterstützung, Zustimmung oder Tolerierung verübt wurden, von zentraler friedensrelevanter Bedeutung. Das Eingeständnis und die Aufdeckung der staatlichen Verantwortung für staatsterroristische Verbrechen ist ein unabdingbares Element für die Glaubwürdigkeit eines Friedens- und Versöhnungsprozesses. Ohne den klaren politischen Willen und konkrete Schritte zur Aufdeckung der staatlichen Verantwortung für diesen schmutzigen Krieg ist eine Aufarbeitung des Konfliktes nicht möglich. Ohne klare, unmissverständliche Zeichen der Bereitschaft des Staates zur Offenlegung der Wahrheit und seiner Rolle fehlt die grundlegend notwendige Glaubwürdigkeit. Gerade Deutschland sollte sich der Notwendigkeit der Aufdeckung der Rolle des Staates bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Menschenrechte aus seiner Geschichte besonders bewusst sein. Und schließlich ist die Guerilla – insbesondere die FARC – trotz empfindlicher militärischer und politischer Rückschläge weiterhin ein ernst zu nehmender Gegner. Keiner der Konfliktakteure – Armee, Paramilitärs und Guerilla – hat also aufgehört zu existieren.

Vierte These In dieser These wird die erste KAS-These nochmals bekräftigt, dass ein stärkerer (legitimer) Staat diversen gewalttätigen und illegalen Gruppen gegenüber stehe. Man könne somit von einer „Normalisierung“ des kolumbianischen Konflikts sprechen. Der kolumbianische Konflikt sei damit nicht mehr einzigartig, sondern vergleichbar mit den Konflikten in Mexiko, Brasilien oder Guatemala. 

Entgegnung In dieser KAS-These wird ein weiteres Mal betont, dass es in Kolumbien letztlich um einen Konflikt zwischen dem Staat und illegalen Verbrecherorganisationen gehe. Indem Kolumbien auf die gleiche Ebene mit Mexiko und Brasilien gestellt wird, wird unterstrichen, dass es sich nicht um ein Land mit einem internen bewaffneten Konflikt handelt. Die Streitkräfte sind demnach kein Kriegsakteur mehr und das Humanitäre Völkerrecht ist nicht anwendbar. 

Diese Analyse des kolumbianischen Gewaltszenarios ist völlig ahistorisch. In Kolumbien ist letztlich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts eine bewaffnete Gegengewalt entstanden, da jegliche politische Wege für eine Änderung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verschlossen waren. Zudem hat das kolumbianische Polit- und Wirtschaftsestablishment selber nie vor der Anwendung von Gewalt zurückgeschreckt, wenn es um die Verteidigung seiner Privilegien ging. Das Nebeneinander von demokratischen Strukturen (auf dem Papier) und De-facto-Gewaltmechanismen hat in Kolumbien Tradition. Beispiel dafür ist die physische Liquidierung der Partei Unión Patriótica, ein eigentlicher politischer Genozid. Welche Demokratie erträgt die Ermordung von rund 4000 Mitgliedern einer einzigen oppositionellen Partei? Ein anderes Beispiel ist die regelmäßige Kriminalisierung arbeitsrechtlicher Proteste. Sie zeigt die gleiche, undemokratische Haltung und die fehlende Bereitschaft der Regierung, soziale Konflikte mittels des Dialogs zu lösen. 

Fünfte These Hier heißt es: „Der Post-Konflikt-Prozess hat eine Eigendynamik entwickelt.“ Drei Elemente werden angeführt: 1. Die Verlautbarung der Regierung, das Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ gelte auch als rechtlicher Rahmen für Guerilleros, die die Waffen abgeben wollen, 2. Die Justizverfahren gegen Politiker, die in den Paramilitarismus involviert sind, und 3. Die Auslieferung der Führungsleute der Paramilitärs an die USA. 

Entgegnung Tatsächlich hat sich durch die Inhaftierung der paramilitärischen Chefs und die gerichtlichen Anhörungen eine Eigendynamik entwickelt. Diese Dynamik wurde aber wesentlich von den Klagen von Opfern des Paramilitarismus, den Nachforschungen zivilgesellschaftlicher Organisationen, den Anklagen von Menschenrechtsorganisationen und den juristischen Ermittlungen des Obersten Gerichtshofes ausgelöst. Die Auslieferung von 14 paramilitärischen Chefs an die USA ist als Befreiungsschlag von Präsident Uribe gegen die allmählichen Enthüllungen über die Zusammenarbeit zwischen Staat und Paramilitärs zu verstehen. Die Auslieferung ist in keiner Weise die Manifestation eines politischen Willens, den Paramilitarismus aufzulösen und in seinen Strukturen zu treffen, sondern vielmehr der Versuch, unliebsame Zeugen und Mitwisser über die Verflechtung Staat-Politik-Wirtschaft-Drogenhandel- Paramilitarismus loszuwerden. Die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und die Garantie der Nicht-Wiederholung der Verbrechen wurden damit einmal mehr gravierend verletzt.

Beinahe zynisch ist es, die Justizverfahren gegen Politiker, die in den Paramilitarismus involviert sind, anzuführen und mit keinem Wort zu erwähnen, dass Präsident Uribe selber keine Anstrengungen gescheut hat, die angeschuldigten Politiker zu verteidigen – und wenn dies nicht mehr ging, die ermittelnden Richter zu bedrohen, zu verleumden und bespitzeln zu lassen. Selbst vor geheimen Komplotts mit Kriminellen ist die Regierung nicht zurück geschreckt, um die Gerichtsverfahren möglichst zu blockieren. Auch hier ist es allein der Zivilgesellschaft und einzelnen oppositionellen PolitikerInnen zu verdanken, dass die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitarismus thematisiert wurden.

Sechste These In der sechsten These macht die KAS einen Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Amtszeit von Uribe aus. Aus der Position der Stärke zeige er jetzt mehr „soft power“ und mehr Kreativität bei der Suche einer politischen Lösung des Konflikts.

Entgegnung Wir können leider keinerlei Kreativität bei der Suche nach einer politischen Lösung des bewaffneten Konfliktes feststellen. Im Gegenteil, auch die anfangs Februar 2009 erfolgte, von der Zivilgesellschaft vermittelte unilaterale Freilassung von sechs Geiseln durch die FARC ist von Regierungsseite nur behindert worden. Die Regierung Uribe hat eindrücklich gezeigt, dass sie an der humanitären Frage kein Interesse hat. Ein weiteres Element, das die unveränderte Haltung der Regierung belegt, nur auf die militärische Karte zu setzen, ist die Aufkündigung der Vermittlungstätigkeit von Spanien, Frankreich und der Schweiz nach der Geiselbefreiung im Juli 2008. Damit hat Präsident Uribe jegliche internationale Unterstützung bei der Suche nach einem humanitären Abkommen und Friedensverhandlungen abgebrochen.

Siebte These In dieser These wird auf einen Wandel des Bildes von Kolumbien im Ausland aufgrund der Erfolge der Politik der „demokratischen Sicherheit“ verwiesen. Es wird betont, dass in Kolumbien der Staat die Guerilla nicht mit terroristischen Mitteln bekämpfte, wie dies in Peru unter Fujimori in seinem Kampf gegen Sendero Luminoso der Fall gewesen sei. Es wird eingeräumt, dass es zu Menschenrechtsverletzungen komme, diese jedoch keine Strategie darstellten und administrativ und juristisch verfolgt würden. Dazu wird das Beispiel von 27 zum Teil hochrangigen Offizieren angeführt, die im Oktober 2008 aufgrund der Aufdeckung von außergerichtlichen Hinrichtungen aus dem Dienst entlassen wurden. 

Entgegnung In der Tat hat sich das Bild Kolumbiens im Ausland gewandelt. Dies vor allem deshalb, weil die wichtigsten Überlandstraßen wieder sicherer geworden und die Entführungen zurück gegangen sind. Durch die starke Militarisierung und die Armee- und Polizeipräsenz an strategisch wichtigen Orten und in den meisten Dörfern ist auch das Vertrauen der Investoren klar gewachsen. Trotzdem ist die Menschenrechtslage in Kolumbien dramatisch und MenschenrechtsverteidigerInnen, GewerkschafterInnen und soziale Führungspersonen sind in hohem Grad gefährdet. Sie sind Verleumdung, Verfolgung, Todesdrohungen und Attentaten ausgesetzt. Seit der Amtsübernahme von Präsident Uribe im August 2002 bis Ende 2007 wurden 13 634 Menschen außerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen getötet. Die Zahl der Verschwundenen wird von der „Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen“ auf rund 15 000 Menschen geschätzt. Amnesty International spricht in einem Bericht vom Oktober 2008 von möglicherweise 30 000 Verschwundenen. Seit 2002 wurden weit über eine Million Menschen Opfer von Vertreibung. Auch die außergerichtlichen Hinrichtungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte haben erschreckend zugenommen und sind keineswegs vereinzelte Übergriffe, sondern systematische Praxis. Es gibt keinen staatlichen Willen, die strukturelle und systematische Straflosigkeit anzugehen. Wer die relative Sicherheit der Städte verlässt, hört auf dem Land die lapidare Aussage: „Wir haben weder Demokratie noch Sicherheit.“

Achte bis zehnte These In diesen Thesen wird das Verhältnis Kolumbiens zu den Nachbarländern thematisiert. Dabei wird Kolumbien als Opfer von Venezuela und Ecuador dargestellt, da diese beiden Staaten der Guerilla Unterschlupf und Unterstützung bieten würden. Der Autor geht gar so weit, Venezuela mit dem Iran zu vergleichen, welches einen „substaatlichen Akteur nutzt, um eine demokratisch gewählte Regierung zu konfrontieren“. 

Entgegnung Hier werden Fakten ins pure Gegenteil verdreht. Ecuador wurde durch die USA und deren Militärbasis in Manta, von der aus die Pestizidbesprühungen im Rahmen des Drogenkrieges in Kolumbien geleitet werden und auch der kolumbianische Luftraum überwacht wird, wider Willen in diesen Konflikt hineingezogen. Zudem sind rund 250 000 kolumbianische Flüchtlinge aufgrund des Krieges und der Besprühungen nach Ecuador geflohen. Sprühflugzeuge haben den Abstand zur Grenze wiederholt nicht eingehalten und auch ecuadorianisches Gebiet besprüht, wobei Menschen, Tiere und die Umwelt zu Schaden kamen. Ecuador hat dagegen international geklagt. Der Angriff auf den FARC-Kommandanten Raúl Reyes war eine klare, ungerechtfertigte Verletzung der Souveränität Ecuadors. 

Im Fall Venezuelas wird mit keinem Wort die Infiltration durch kolumbianische Paramilitärs zur Destabilisierung der politischen Situation in Venezuela erwähnt. Auch illegale Operationen der kolumbianischen Geheimdienste auf venezolanischem Hoheitsgebiet kommen nicht zur Sprache. Venezuela beherbergt ebenfalls eine bedeutende Anzahl von kolumbianischen Flüchtlingen und vor allem eine sehr große Zahl kolumbianischer SaisonarbeiterInnen und MigrantInnen.

Eine Unterscheidung zwischen „demokratischen Regierungen“ (darunter Kolumbien, Brasilien, Chile, Mexiko) und „populistischen Regimes“ (wie Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua) zu machen, die „nicht davor zurückschrecken, nichtstaatliche Gewaltakteure als verlängerten Arm ihrer eigenen Interessen zu benutzen oder offen mit solchen Gruppen zu sympathisieren“, darf ruhig als ideologisch verbrämte und nicht objektive Sichtweise bezeichnet werden. Die Wortwahl – da demokratische Regierungen, dort populistische Regimes – offenbart dies mit aller – und völlig unwissenschaftlicher – Deutlichkeit.