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Wir müssen eine andere Welt erfinden

Abschied von Augusto Boal (1931-2009), Begründer des Theaters der Unterdrückten

„Augusto Boal war für das Theater das, was Paulo Freire für die Bildung war: beide haben gelernt, während sie unterrichtet haben, haben zugehört, während sie geredet haben“, schrieb Eduardo Galeano über Augusto Boal. Der brasilianische Theatermacher ist am 2. Mai 2009 in Rio de Janeiro im Alter von 78 Jahren an Leukämie gestorben. Er starb am gleichen Tag, an dem sein Freund Paulo Freire zwölf Jahre zuvor aus dem Leben geschieden war.

Till Baumann

Augusto Boal war der Begründer des Theaters der Unterdrückten, das heute von unzähligen TheateraktivistInnen und Gruppen praktiziert wird, ob in Kalkutta oder Ouagadougou, in Paris oder Katmandu, in Buenos Aires oder Rio de Janeiro. Hier, im Stadtteil Penha, wurde Boal im Jahr 1931 geboren. Im Brasilien der 50er und 60er Jahre war er einer der bekanntesten Theateravantgardisten, leitete das Teatro de Arena in São Paulo und entwickelte mit dem Zeitungstheater eine erste Form des Theaters der Unterdrückten. Während der brasilianischen Militärdiktatur wurde er verhaftet und gefoltert, schließlich zwangsexiliert. Ab Anfang der 70er Jahre lebte und arbeitete er in unterschiedlichen lateinamerikanischen Ländern, dann in Lissabon, schließlich rund zehn Jahre lang in Paris. 

Er schrieb Stücke und theatertheoretische Texte und entwickelte in dialogischer Zusammenarbeit mit FreundInnen und KollegInnen und in Auseinandersetzung mit den jeweiligen gesellschaftlichen Realitäten vor Ort immer neue emanzipatorische Theaterformen: Bilder- und Statuentheater, Forumtheater, Unsichtbares Theater, den Regenbogen der Wünsche. Ende der 80er Jahre kehrte er schließlich nach Rio de Janeiro zurück und gründete das Centro de Teatro do Oprimido (CTO-Rio), das Zentrum des Theaters der Unterdrückten. Für die Arbeiterpartei PT ins Stadtparlament von Rio de Janeiro gewählt, entwickelte er gemeinsam mit den CTO-AktivistInnen das Legislative Theater als eine neue Form partizipativer Politik. Ebenfalls am CTO-Rio entstand in den letzten Jahren die Ästhetik der Unterdrückten, in die nun auch Malerei, Poesie und Musik einbezogen wurden und mit der Boal den Grundstein für eine neue Ästhetiktheorie legte. Künstlerischer Leiter des CTO-Rio war Boal bis zu seinem Tod. 

Sein Theater der Unterdrückten wird weiterhin unterdrückerische Realitäten in Frage stellen, mit Unterstützung des Publikums Szenarien der Veränderung entwerfen und Menschen dabei unterstützen, HauptdarstellerInnen ihres eigenen Lebens zu werden. Jede und jeder ist in der Lage, Theater zu spielen und die Gesellschaft zu verändern. „Akteure sind wir alle. Ein Bürger ist nicht, wer bloß in der Gesellschaft lebt. Ein Bürger ist, wer sie verändert!“, schrieb Boal noch im März dieses Jahres zum Welttheatertag, nachdem er von der UNESCO zum Weltbotschafter des Theaters ernannt worden war. „Wenn wir hinter den Schein schauen, sehen wir Unterdrücker und Unterdrückte, in jeder Gesellschaft, in jedem Volk, jeder Klasse und Kaste; wir sehen eine ungerechte, grausame Welt. Wir müssen eine andere erfinden, denn wir wissen, eine andere Welt ist möglich. An uns liegt es, eine solche Welt mit eigenen Händen zu bauen und auf die Bühne zu gehen: auf die Bühne des Theaters wie auf die Bühne des Lebens.“