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Ausländischer Mais für inländische Hühner

Kolumbien verzichtet auf Ernährungssouveränität

Erklärtes Ziel der kolumbianischen Regierung ist es, das Vertrauen ausländischer Investoren zu gewinnen und die Toren für Importe weit zu öffnen. Damit setzt sie die neoliberale Wirtschaftspolitik fort, die vor 20 Jahren eingeleitet wurde. Während die Uribe-Regierung bei transnationalen Unternehmen und Regierungen des Nordens mit dieser Politik gut angesehen ist, sind die Auswirkungen auf die einheimische Agrarproduktion fatal. Völlig unnötig hat sich Kolumbien als Land in die Abhängigkeit gesteuert und seine Ernährungssouveränität verwirkt.

Bettina Reis

Von den „Zwölf Vorschlägen für den Aufbau eines anständigen Landes“, die Carlos Gaviria, Kandidat des Linksbündnisses Polo Democrático Alternativo mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2010 formuliert, bezieht sich einer auf Ernährungssouveränität. Diese müsse Staatspolitik sein und ihre wichtigsten Komponenten müssten die Befriedigung der Ernährungsbedürfnisse als Teil des Rechts auf ein würdiges Leben verfolgen. Kolumbien werde nur in Notsituationen Nahrungsmittel einführen. „Niemand wird Hunger leiden und es werden genügend Vorräte gelagert, um sich vor den internationalen Wirtschaftskrisen zu schützen“, proklamiert das 12-Punkte-Programm. 

Ganz davon abgesehen, dass jede kolumbianische Regierung das Recht der Bevölkerung auf Nahrung einlösen müsste, klingen die Vorschläge des ehemaligen Verfassungsrichters Gaviria auf den ersten Blick nicht wirklich aufregend oder „links“. Würden sie jedoch umgesetzt, würde dies eine grundlegende Wende in der kolumbianischen Politik bedeuten. Nach 20 Jahren neoliberaler Politik der wirtschaftlichen Öffnung würde das Steuerrad wieder in die andere Richtung gedreht werden. Die neoliberale Politik fördert unter anderem die massive Einfuhr von Grundnahrungsmitteln: ausgerechnet in Kolumbien, einem Land, das von der Natur gesegnet ist, alle Klimazonen, reichlich Wasser und auch genug Ackerland hat, um die Bevölkerung problemlos ernähren zu können. 

Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sind die Nahrungsmittelimporte konstant gestiegen. Während Kolumbien 1990 nur 700 000 Tonnen einführte, waren es 2002, als Präsident Álvaro Uribe Vélez an die Regierung kam, bereits 6,7 Mio. Tonnen. 2008 wurden 9,8 Mio. Tonnen Nahrungsmittel und Agrarprodukte, einschließlich Baumwolle, importiert. „1990 führte Kolumbien 55 Kilo Essen pro EinwohnerIn ein, jetzt sind es 221 Kilo. Wenn es in Kolumbien keine Importe mehr gäbe, würde eine Hungersnot ausbrechen. Wir hätten keinen Mais, Weizen und Gerste mehr, aber auch keine Hühner und Schweine, weil die mit ausländischem Mais gefüttert werden“, sagte der Oppositionspolitiker Jorge Enrique Robledo bei einer Senatsdebatte am 5. August. 

Die massiven Einfuhren verdrängen die inländische Agrarproduktion, die sich durch hohe Preise für Dünger und Pestizide, ebenfalls importiert, zusätzlich verteuert. Dies trifft am empfindlichsten die Kleinbauern, aber längst sind auch mittlere Landwirte davon betroffen. „Es überrascht, dass die Presse über den Notstand auf dem Land schweigt, obwohl er fast alle Produktionsbereiche betrifft“, wunderte sich jüngst der kolumbianische Agrarexperte Aurelio Suárez. Ende Juli blockierten über 500 Reisbauern im östlichen Departement Casanare den Zugang zu den Reismühlen, weil diese ihre Ernte nicht kaufen wollten. Wenige Tage später zogen über 1200 ihrer Kollegen im Nachbardepartement Meta mit Maschinen und Traktoren durch die Straßen der Hauptstadt Villavicencio. Auch hier weigerten sich die Mühlen, die Ernten ganz abzunehmen. Das Unbehagen weitete sich ins Departement Tolima aus. Hier wurde schließlich eine Vereinbarung erzielt, dass die Mühlen die gesamte Reisernte kauften, jedoch mit empfindlichen Verlusten für die Produzenten. 

Im Küstendepartement Córdoba traf es besonders die Baumwollpflanzer. Sie hatten für teures Geld vom Monsanto-Konzern gentechnisch verändertes Saatgut gekauft. Er war jedoch schadhaft und ruinierte ihre Ernten. In jeden Hektar mussten sie zusätzliche 300 Euro stecken. Nach langem Hin und Her bemüßigte sich Monsanto, eine Entschädigung für das Saatgut zu zahlen. Das Geld deckt aber nur 20 Prozent der Verluste. Mitte August holten die Maisbauern desselben Departements ihre Traktoren und LKWs auf die Straßen. Sie forderten Zuschüsse wegen der Niedrigpreise, die ihnen die verarbeitende Industrie für das wichtige Grundnahrungsmittel anbietet. Während Kolumbien 1990 noch die Selbstversorgung mit Mais gewährleistete, wird heute 75 Prozent des Bedarfs eingeführt. „Bei Mais, Baumwolle und Reis funktioniert die Wirtschaft schon so, als ob die Freihandelsverträge bereits in Kraft wären. Den nationalen Produzenten werden die Ernten erst abgenommen, wenn die Industrie schon genug Importware eingekauft hat“, folgert Agrarfachmann Suárez. 

Während die Einfuhren steigen, sind die Ausfuhren stagnierend oder rückläufig und beschränken sich vornehmlich auf die klassischen Agrarexporte Kolumbiens: Bananen, Kaffee, Blumen. 2005, im wirtschaftlich besten Jahr für die Uribe-Regierung, wurden fünf Millionen Tonnen Agrarprodukte ausgeführt, 2008 nur 4,4 Mio. Tonnen. Von der allgemeinen Misere betroffen sind derzeit auch die Kaffeebauern, die unter schlechten Ernteerträgen leiden. 60 Prozent der Kaffeepflanzer haben Parzellen, die kleiner als ein Hektar sind. Sie kämpfen mit Problemen wie gesteigerten Ausgaben für Dünger und Pestizide, alten Kaffeestöcken und mangelnder Fachberatung. 

Viele Kleinbauern, die traditionell Zuckerrohr pflanzen und in Familienarbeit panela, Rohzucker, herstellen, ließen sich von der Ethanolpropaganda der Regierung verleiten. Sie weiteten deshalb ihren Zuckerrohranbau aus. Die angekündigten Anlagen zur Ethanolproduktion blieben jedoch in den kleinbäuerlichen Regionen aus. Die kleinen Pflanzer mit ihren Parzellen an abschüssigen Berghängen hätten sowieso keine Chance gegen die Zu-ckerbarone, die in den Ebenen des Cauca-Tals in der Gegend von Cali riesige Plantagen betreiben. In anderen Fällen setzen Landfamilien auf Zuckerrohrkulturen und Panela-Herstellung als Alternative zum kriminalisierten Coca-Anbau. Panela ist ein wichtiges Grundnahrungsmittel vor allem für die armen Bevölkerungsschichten, sowohl als Süßungsmittel wie auch als heiß und kalt getrunkenes Zuckerwassergetränk. In den letzten Monaten sackten die Panela-Preise in den Keller, zum Teil um 50 Prozent. 

Die Panela-ProduzentInnen fühlen sich auch durch neue Vorgaben der Regierung schikaniert, die eine Verbesserung der einfachen Zuckerrohrmühlen fordern. Unter sanitären Auflagen haben derzeit auch die kleinen MilchbäuerInnen, GeflügelzüchterInnen und Schlachtereien auf dem Land zu leiden. Zum Beispiel soll keine Rohmilch mehr vertrieben werden, sondern nur noch pasteurisierte. Es kommt sogar vor, dass die Polizei den selbst hergestellten Käse konfisziert, den Bauersfrauen an der Straße zum Verkauf anbieten. Kritische Ökonomen sehen die hygienisch begründeten Auflagen als eine Intervention des Staates, die sich gegen die kleinbäuerliche Produktion richtet und das Warenangebot der Konzerne fördert. Damit werden die lokalen Ketten von Produktion und Direktverkauf zerstört, die auf dem Land, aber auch zwischen armer ländlicher und städtischer Bevölkerung bestehen. Fallen die zum Teil informellen Produktions- und Vertriebsformen weg, verschlechtert sich die Ernährungssituation der armen Leute. Sie können noch weniger Fleisch und Milchprodukte konsumieren. 

In einer besonders kritischen Situation leben die über vier Millionen Binnenflüchtlinge, die infolge des bewaffneten Konflikts und wegen strategischer ökonomischer Interessen (Bergbau, Agrotreibstoffe) von ihrem Land vertrieben wurden. Eine Fachkommission, die aufgrund eines Urteils des kolumbianischen Verfassungsgerichtes eingesetzt wurde, ermittelte das Ausmaß des Landraubs infolge von Vertreibung. Annähernd 5,5 Mio. Hektar wurden den rechtmäßigen BesitzerInnen entrissen, das entspricht 11 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Im Vergleich dazu wurden von 1962 bis 2006 durch Landreformprogramme insgesamt nur 1,6 Millionen Hektar Land an bedürftige Bauernfamilien ausgehändigt. Dies lässt die Dimension des Landraubs erkennen, der als größte „Gegen-Agrarreform“ in der kolumbianischen Geschichte bezeichnet wird. Kolumbien ist weltweit eines der Länder mit der höchsten Bodenkonzentration. Die Ländereien sind heute überwiegend in der Hand von traditionellen Großgrundbesitzern, Viehzüchtern, Agroindustriellen, Rauschgifthändlern, Paramilitärs und ihren Strohmännern (und -frauen). 

Den vertriebenen Familien ging nicht nur ihr Land verloren. In der Mehrzahl waren es Kleinbauern, die Geflügel, Schweine, Kühe, Pferde und Maultiere hatten. Laut einem Zensus von 2008 bauten 44 Prozent der Familien zur Erwirtschaftung von Einkommen und zur Selbstversorgung Kulturen wie Maniok, Kochbananen, Mais, Kaffee, Reis, Bohnen, Zuckerrohr und Tabak an. All dies ging ebenfalls verloren, mit fatalen Folgen für ihre Ernährungssicherung. „Eine der wichtigsten Konsequenzen der Vertreibung ist die radikale Verschlechterung des Einkommensniveaus der betroffenen Familien sowie der Umstand, dass eine große Gruppe kolumbianischer Familien zu Armut und Misere verdammt wurde“, stellt die Fachkommission fest. 

Vom 4. bis 6. September 2008 fand in Bogotá ein nationales Treffen statt, an dem 200 Organisationen teilnahmen, die auf lokaler und regionaler Ebene im Bereich Ernährungssouveränität, -sicherheit und -autonomie arbeiten. Bei dem Treffen wurde dargelegt, wie sich die weltweite Nahrungsmittelkrise in Kolumbien auswirkt, die Regierungspolitik auseinandergenommen und Aktionslinien definiert, um Ansätze von Widerstand und Einflussnahme zu stärken. Einmal mehr wurde harsche Kritik an den nationalen Agrar- und Wirtschaftspolitiken geübt. Es sei absurd, dass sich in Anbetracht der massiven Nahrungsmittelimporte die offizielle Agrarpolitik, ermuntert von Weltbank und IWF, weiter auf den Anbau von Exportprodukten und die Bepflanzung von drei Millionen Hektar Land für Agrotreibstoffe konzentriere, heißt es in der Abschlusserklärung. Die Freihandelsabkommen von Kolumbien mit den USA und der EU werden abgelehnt, weil damit „die Ernährungssouveränität den Nahrungsmittel- und Agrarkonzernen geopfert wird.“