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Nicht nur Klimakiller

Der Kohletagebau in Kolumbien

In den nächsten Jahren ist in Deutschland der Bau von mehr als 25 neuen Kohlekraftwerken geplant, die bei großen Teilen der Bevölkerung umstritten sind. Sie gelten als Klimakiller. Denn Kohlekraftwerke sind Dreckschleudern: Sie stoßen viel Kohlendioxid aus, das unser Klima ruiniert, vertritt neben vielen anderen der Umweltverband BUND. Infolge von Gerichtsentscheiden, Bankenbedenken und dem Druck von emsigen Bürgerinitiativen beginnt derzeit mancherorts die Umsetzung der Kohlekraftwerkspläne zu wackeln. Aber nicht so stark, dass mit einem wirklichen „Umsturz“ der politischen Entscheidung für die klimaschädliche Energie aus Kohle zu rechnen wäre. Zwei Drittel des Bedarfs an Kraftwerkskohle stammen auch heute schon gar nicht mehr aus Deutschland, sondern kommen vor allem aus Russland, Südafrika und Kolumbien. Ein Faktum, das beim Thema „Energie aus Kohle“ oft übersehen wird. Kolumbien will in den nächsten Jahren seine Steinkohleförderung weiter ausbauen. Grund genug, einen Blick auf den dortigen Kohleabbau und seine sozialen und ökologischen Auswirkungen zu werfen. 

Bettina Reis

Mitte September fällte ein Gericht in Kolumbien ein wichtiges, vielleicht bahnbrechendes Urteil. Ein Paramilitär wurde wegen des Mordes an zwei Kohlegewerkschaftern im Jahr 2001 zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein wesentliches Merkmal des Urteilsspruchs ist es aber, dass angeordnet wird, in die strafrechtlichen Untersuchungen auch Führungspersonen des US-Konzerns Drummond und eines seiner Kontraktunternehmen einzubeziehen. Diese gelten als mutmaßliche Auftraggeber. Drummond fördert seit 13 Jahren Kohle im Küsten-Departement Cesar. Valmore Locarno und Víctor Hugo Orcasita, Präsident und Vizepräsident der Gewerkschaft Sintramienergética, die die Interessen der Drummond-Belegschaft vertritt, wurden dort am 12. März 2001 in der Ortschaft Bosconia von Paramilitärs umgebracht. „Nach Beweisen, die stichhaltig genug für die Urteilsfindung waren, wurden die Gewerkschafter lange vorher von den Paramilitärs bedroht. Ihre Namen standen auf mehreren Flugblättern, die in der Region zirkulierten und in denen alle Gewerkschafter als Guerilleros bezeichnet wurden. 

Dem Gericht zufolge übte in diesen Tagen die Gewerkschaftsführung Druck auf das Unternehmen aus, den Essensservice für die Beschäftigten der Kohlenmine La Loma entweder zu verbessern oder den Dienstleister zu wechseln. Dabei wurde damals auch mit der Niederlegung der Arbeit gedroht“, berichtet das Anwaltsbüro Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo in Bogotá, eine angesehene kolumbianische Menschenrechtsorganisation. Das Gericht sah infolgedessen ausreichende Gründe gegeben, um einen direkten Zusammenhang der Tat mit dem Gewerkschaftskampf zugrunde zu legen. Nach der Aussage eines geständigen Paramilitärs soll der Chef des Kantinenservice, Jaime Blanco, seinen Vertrag bedroht gesehen und dazu aufgefordert haben, die Probleme mit den Gewerkschaftern „von Grund auf“ zu lösen. Agusto Jiménez, Präsident des Drummond-Konzerns in Kolumbien, wird angelastet, einem berüchtigten Kommandanten der Paramilitärs, Rodrigo Tovar Pupo, alias „Jorge 40“, einen Koffer mit Bargeld ausgehändigt zu haben, um „gewerkschaftliche Hindernisse zu beseitigen“. Dies wurde von einem ehemaligen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörde DAS versichert. Jiménez weist dies zurück. Bei einem Verfahren in den USA vor zwei Jahren wurde der Konzernvertreter freigesprochen. 

Die Auseinandersetzung vor den Gerichten wegen der Vorfälle bei Drummond gehen aber auch in den USA weiter. Die kolumbianische Gewerkschaftszentrale CUT verklagte dort im Mai zusammen mit anderen Organisationen und unterstützt von einer US-amerikanischen Anwaltskanzlei das US-Unternehmen wegen der Zahlung von Schutzgeldern an paramilitärische Gruppen. „Die Paramilitärs ermordeten über 220 Personen an der Eisenbahnstrecke, die von der Kohlenmine La Loma im Departement Cesar zum Hafen in Ciénaga im Departement Magdalena führt“, berichtet die CUT. Die Opfer waren Gewerkschafter, Mitglieder von sozialen Organisationen und einfache Leute aus der Region. „Einziges Ziel dabei war, in den Zonen, die für Drummond von Interesse sind, Terror zu verbreiten. Dies ist eine geläufige Praxis dieses und anderer in Kolumbien operierender Multis“, erklärt der Gewerkschaftsdachverband am 20. Mai. Nicht zu vergessen: Kolumbien ist das gefährlichste Land für Gewerkschaftsarbeit: 2008 wurden weltweit 76 GewerkschafterInnen ermordet, 49 (!) davon in Kolumbien. Diese extremen Menschenrechtsverletzungen sind die schlimmsten, aber weitaus nicht die einzigen Repressalien und Hindernisse bei dem Versuch, die Rechte der ArbeitnehmerInnen zu verteidigen. 

Im März legte die gesamte Belegschaft von Drummond, einschließlich der Transport- und Hafenarbeiter, spontan die Arbeit nieder. Grund: die Probleme im Bereich Arbeitssicherheit. Auslöser war ein Arbeitsunfall, bei dem Dagoberto Clavijo Barranco, 37 Jahre alt und Vater von vier Kindern, ums Leben gekommen war. Er hatte die Kontrolle über ein Spezialfahrzeug verloren und war damit zwanzig Meter in die Tiefe gestürzt. Die Gewerkschaft macht die Firma für den Unfall verantwortlich. Clavijo, ein Leiharbeiter, hatte nicht die erforderliche Schulung für die Fahrzeugführung bekommen. „Wir sind es leid, unter diesen unsicheren Bedingungen zu arbeiten und dazu noch die Gleichgültigkeit des Geschäftsführers zu ertragen, der die hohen Arbeitssicherheitsstandards des Unternehmens anpreist“, begründete ein Gewerkschaftsführer den Protest. Die Escuela Nacional Sindical , ein Gewerkschaftsbildungsinstitut mit Sitz in Medellín, geht davon aus, dass es sich bei dem Unfall nicht um einen Einzelfall handelte, sondern „um eine lange Serie von Arbeitsunfällen in dem Minenkomplex“. 

Nach Firmenangaben sind bei Drummond 4000 Personen direkt beschäftigt, weitere 12 000 gelten als indirekt Beschäftigte, sind also über Leihfirmen und Subunternehmen angestellt. Der US-Konzern beutet nicht nur die Kohle der La Loma-Mine aus, sondern hat auch eine Erdgaskonzession für dieses Gebiet. Ein neues Vorhaben ist die Kohlenmine El Descanso, die im Bereich der Landkreise Becerril und Codazzi im Departement Cesar liegt und sich zum größten Kohletagebau weltweit entwickeln soll. Die Förderkapazitäten sollen zügig erhöht werden, dafür muss die Infrastruktur für Transport und Verschiffung der Kohle erweitert werden. Derzeit wird eine zweite, 190 Kilometer lange, Kohlenzugstrecke gebaut, auf der jährlich 100 Mio. Tonnen Kohlen an die Atlantikhäfen rollen sollen. Dies geht zu Lasten von Bevölkerung und Umwelt. „In einigen Schulen an der Atlantikküste wird jedes Mal der Unterricht unterbrochen, wenn der Kohlenzug durchs Dorf fährt. Die Anwohner beschweren sich wegen dem Krach, dem Staub und den Erschütterungen, denen sie zwischen zehn und fünfzehn Mal täglich ausgesetzt sind“, berichtet die Tageszeitung El Tiempo am 4. Januar 2009. Das Umweltministerium verfügte nachträglich Auflagen. Die Kohlenzugstrecke, die eigentlich schon 2010 fertig sein soll, soll nicht mehr mitten durch die Dörfer gehen, sondern um sie herum führen. Dies ist eine kostenintensivere Variante, vor allem, wenn sie nachträglich umgesetzt werden soll. Eigner der Eisenbahngesellschaft FENOCO, die den Kohlentransport abwickelt, sind Drummond und der Schweizer Konzern Glencore, der in Kolumbien auch in Kohle investiert. 

Beim Cerrejón-Unternehmen, das zu gleichen Teilen dem australischen Kohlegiganten BHP Billiton, der Anglo American und dem Schweizer Bergbaukonzern Xstrata gehört, gibt es vergleichbare Probleme. Das Konsortium betreibt den derzeit größten Kohletagebau weltweit. Bei Cerrejón arbeiten ca. 4500 Personen mit direkten Arbeitsverträgen, zuzüglich an die 4000 Leih- und Zeitarbeiter. Knapp dreitausend sind der Gewerkschaft Sintracarbón angeschlossen. Circa fünf Prozent der Cerrejón-Belegschaft sind Frauen. Die Explorierung der Cerrejón-Norte-Mine im nordöstlichen Departement La Guajira begann bereits 1977, die Förderung 1986. Im Zuge der Ausweitung des Tagebaus wurde 2001 auch das Dorf der afrokolumbianischen Gemeinde Tabaco zerstört. Infolge von internationalem Druck und Bemühungen der Gewerkschaft werden derzeit die Bedingungen der Wiederansiedlung der Gemeinde verhandelt. 

Die Halbwüste La Guajira an der Grenze zu Venezuela ist das traditionelle Wohngebiet der Wayuu, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens. Deren Lebensbedingungen haben sich durch den großflächigen Tagebau grundsätzlich verändert. Dagegen protestierten sie zuletzt mit einer massiven Mobilisierung Ende Juli, wobei sie auch die Kohlenzugstrecke blockierten. Darauf werden täglich 90 000 Tonnen Kohle der Cerrejón-Mine an den Atlantikhafen Puerto Bolívar befördert. Die Armee fuhr mit sechs Panzern auf und stationierte Soldaten nahe am Sitz der Wayuu-Frauenorganisation. Es kam jedoch relativ schnell zu Verhandlungen und einer Einigung mit den Regierungsbehörden. „Bei acht Großprojekten, in denen das Kapital von Multis wie BHP Billiton, Xstrata und Glencore steckt, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Konsultierung mit den indigenen Gemeinden nicht durchgeführt“, beschwert sich Sütsüin Jiyeyu Wayuu-Fuerza de Mujeres Wayuu, eine indigene Frauenorganisation, die an dem Protest beteiligt war. Diese Großprojekte hätten nicht, wie stets verheißen, zu Wohlstand und Entwicklung geführt, sondern zu noch mehr Korruption. Die indigenen Gemeinden seien noch ärmer geworden und würden aus ihrem Lebensraum verdrängt. Besonders empfindlich trifft die indigene Bevölkerung die verstärkte Militarisierung, die eine „Nebenwirkung“ des Rohstoffabbaus ist. 200 Wayuu-Indígenas sind bereits Opfer von Morden geworden. La Guajira ist nach wie vor eine Konfliktregion, es operieren Guerillagruppen und Paramilitärs neben einer starken Präsenz der Streitkräfte.

Die kolumbianische Regierung strebt an, Peru und Chile nachzueifern und will das Land nach deren Vorbild zu einer „Bergbaunation“ machen. Sie setzt auf „Entwicklung durch Bergbau“ und preist bei ausländischen Investoren die günstigen finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen an. Das Energie- und Bergbauministerium wird seit 2006 von Hernán Martínez Torres geleitet. Er war 16 Jahre lang Präsident von Intercor, der kolumbianischen Tochter von ExxonMobil, die bis 2002 am Cerrejón-Geschäft beteiligt war. In diesem Jahr wurden ihre Anteile von dem Cerrejón-Konsortium gekauft. Martínez hat auch Erfahrungen in Aufsichtsräten von anderen Multis und ist ein Politiker, den der rechte Präsident Alvaro Uribe gern an seiner Seite sieht. Der Staat steht hinter dem weiteren Ausbau der großflächigen Kohleförderung. Vorgesehen ist, die nationale Förderquote von 70 Mio. Tonnen 2007 auf 102 Mio. Tonnen in 2010 zu steigern. Möglicherweise muss dies infolge der Weltwirtschaftskrise nach unten korrigiert werden. 

Auf dem europäischen Markt ist die kolumbianische Steinkohle wegen ihrer Qualität und des relativ niedrigen Preises beliebt. „Diejenigen Länder, in denen Hartkohle größtenteils im Tagebau gefördert wird, weisen die niedrigsten Produktionskosten auf. In Ländern wie Russland und Venezuela, gefolgt von Südafrika, Indonesien und Kolumbien, fallen die geringsten Produktionskosten von etwa 15 bis 30 US-Dollar pro Tonne an“, erklärt der Bericht über Energierohstoffe 2009, den die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erstellt hat. Kolumbien beliefert vor allem den atlantischen Kohlemarkt und war 2007 das fünftwichtigste Exportland weltweit. Für Deutschland war es in diesem Jahr nach Russland und Südafrika der drittwichtigste Kohleexporteur. 

Werden die Pläne für neue Kohlekraftwerke in Deutschland nicht gestoppt, sind in Zukunft noch mehr Kohleimporte aus Kolumbien zu erwarten. Während 1995 noch 77 Prozent des Bedarfs an Steinkohle aus einheimischer Förderung stammten, waren es 2007 nur noch 33 Prozent. Zwei Drittel der Kohle legte also weite Strecken zurück, bevor sie in hiesigen Kraftwerken verfeuert wurde.