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Ein supermächtiger Präsident

Kolumbien: Von 2010 bis 2014 will Juan Manuel Santos als „Präsident der nationalen Einheit“ regieren

Was sich nach der ersten Wahlrunde bereits abgezeichnet hatte, bewahrheitete sich in der Stichwahl am 20. Juni. Der nächste Präsident Kolumbiens heißt Juan Manuel Santos, er tritt die Nachfolge und das Erbe von Hardliner Álvaro Uribe Vélez (2002-2010) an. Diesem war aus rechtlichen Gründen eine zweite Wiederwahl verwehrt. Der Kandidat der  „U-Partei“ wird die Politik der jetzigen Regierung fortsetzen, die er als ihr (Ex-)Verteidigungsminister ausgezeichnet kennt. Aller Voraussicht nach bleibt es bei der Politik der „harten Hand“ gegenüber der FARC, politische Verhandlungen mit der Guerilla als Lösung des bewaffneten Konflikts sind nicht in Sicht. Auch die neoliberale und konzernfreundliche Wirtschaftspolitik, die bei den Regierungen des Nordens gut angesehen ist, wird bleiben. Ein wichtiges Ziel bleibt die Unterzeichnung der Freihandelsverträge mit den USA und der EU. Bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt will sich Kolumbiens neuer Präsident am 7. Juli mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin treffen. 

Bettina Reis

Ich bin der Präsident der Nationalen Einheit“, stellte sich der frisch gewählte Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, am 20. Juni der Öffentlichkeit vor. „Zeigen wir dem Hass und den Spaltungen die kalte Schulter. Für Kolumbien hat die Stunde geschlagen, die Stunde der Einheit“. Bereits bei seiner ersten Rede am Wahlsonntag legte Santos Wert darauf, sich von dem polarisierenden Diskurs des amtierenden Präsidenten Álvaro Uribe abzuheben, und schickte eine „Versöhnungsbotschaft“ an die Adresse der obersten Gerichte des Landes und an die Nachbarstaaten. Inwieweit dieser neue Diskurs in reale Politik übertragen und der Erbe Uribes wirklich andere Akzente in der Innen- und Außenpolitik setzen wird, ist mit Skepsis abzuwarten. Zunächst stehen die Zeichen auf Kontinuität. Kolumbien hat ein más de lo mismo, dieselbe Politik in Neuauflage gewählt, vertritt neben vielen anderen IPS-Korrespondentin Constanza Vieira. 

Mit fast neun Millionen Stimmen erhielt Juan Manuel Santos bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahlen 2010 1,7 Millionen Stimmen mehr als Álvaro Uribe 2006, was als „historisches Ergebnis“ gilt. 69 Prozent der KolumbianerInnen, die ihre Stimme abgegeben hatten, optierten für Santos. Sein Gegenkandidat, Antanas Mockus von der Grünen Partei, erhielt nur 27 Prozent der Stimmen. 3,5 Prozent wählten „leer“ (en blanco), das heißt, sie beteiligten sich an der Wahl um auszudrücken, dass sie keinen der Kandidaten unterstützen. Der Anteil der Wahlberechtigten, die nicht zu den Urnen gingen, lag bei knapp 56 Prozent, fünf Prozent mehr als beim ersten Wahlgang am 30. Mai. Sieht man es aus dieser Perspektive, wurde Santos von nur knapp 30 Prozent der insgesamt Berechtigten gewählt. Welchen Anteil für die gestiegene Wahlenthaltung jeweils die Fußball-WM, das Regenwetter, die Politikverdrossenheit oder der Aufruf der Linkspartei PDA zum Nicht- (oder Ungültig-)Wählen hatten, ist nicht auszumachen. Da im Vorhinein von einem Sieg des rechten Kandidaten Santos auszugehen war, glaubten vermutlich viele Wahlberechtigte, dass es auf ihre Stimme nicht ankomme. Auch die Guerilla förderte die Wahlenthaltung. In den Konfliktregionen Caquetá und Putumayo übte sie Druck auf Busfahrer aus, wodurch sich der öffentliche Transport verringerte.

Juan Manuel Santos wurde von der Partido de la U, der „U-Partei“ aufgestellt, die erst seit 2005 besteht und mit vollem Namen „Soziale Partei der Nationalen Einheit“ heißt. Laut Selbstdarstellung formierte sie sich „um das Werk der Regierung von Álvaro Uribe“ herum und betrachtet sich als „Rückgrat der Politik der Demokratischen Sicherheit“ (www.elpartidodelau.com). Sie ist die wichtigste der uribistischen Parteien und verzeichnete bei den Kongresswahlen im März die besten Ergebnisse. Im zweiten Wahlgang konnte Juan Manuel Santos mit zusätzlichen Stimmen der Uribe-nahen Parteien, der Konservativen Partei und eines Mehrheitsflügels der Liberalen Partei rechnen, die in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen eigene KandidatInnen aufgestellt hatten. In den zwanzig Tagen nach dem ersten Wahlgang gelang es Santos, alle traditionellen Parteien unter dem Motto einer Regierung der „nationalen Einheit“ um sich zu scharen. Trotz innerer Widersprüche hat sich inzwischen auch die Liberale Partei, die sich während der Uribe-Regierung als Opposition verstand, dem Regierungsbündnis angeschlossen.

Nachdem sein persönlicher Favorit für die Nachfolge im Präsidentenamt, Ex-Landwirtschaftsminister Andrés Felipe Arias – nicht umsonst Uribito genannt –, bei der internen Entscheidung der Konservativen Partei über die Kandidatur gegen Noemi Sanín verloren hatte, unterstützte Staatspräsident Uribe offen seinen Ex-Verteidigungsminister und wurde zum Debattenchef der Santos-Kampagne. Aktuell wird in politischen Zirkeln häufig die Frage gestellt, wie der Uribismo ohne Uribe im Präsidentensessel funktionieren wird und inwieweit er zu einem Santismo mutiert. Die Namensspiele zeigen an, wie weit sich die kolumbianische Polit-Landschaft mittlerweile von der Tradition des Bipartidismo, der Vorherrschaft der Liberalen und der Konservativen Partei, entfernt hat: Nicht mehr Parteien, sondern Namen stehen für das Programm. Sowohl Uribe wie Santos haben ihre politische Laufbahn bei der Liberalen Partei begonnen. 

Wenn Juan Manuel Santos am 7. August offiziell sein Amt antritt, wird er ein „supermächtiger Präsident“ sein, rechnet Cristina Vélez in einem Beitrag des kritischen Webportals La Silla Vacía (www.lasillavacia.com ) vor. Das „Abkommen zur Nationalen Einheit“ und der Schulterschluss der traditionellen Parteien ermöglichen ihm eine fast totale Kontrolle des Kongresses, sowohl des Senats wie der Abgeordnetenkammer. Sein Machtpotenzial übertrifft in dieser Hinsicht das von Amtsvorgänger Uribe, der bereits auf satte Mehrheiten zählen konnte. Der von der Parteienallianz geförderte Einfluss von Santos setzt sich auf regionaler und kommunaler Ebene fort. Ihm ist die Unterstützung von mindestens 65 Prozent der Regionalregierungen (gobernaciones) sicher, auf Ebene der Rathäuser und Stadt- und Gemeinderäte sieht es ähnlich aus. „Wenn man zusätzlich die Nähe von Santos zu den nationalen Medien und den Unternehmern in Betracht zieht, fängt er sein Mandat als supermächtiger Präsident an. Es bleiben vier Jahre, um zu sehen, wie er diese Macht verwalten wird“, meint Vélez. Wie der derzeitige Vizepräsident „Pacho“ Santos ist auch Juan Manuel Spross der einflussreichen Santos-Familie, die zur politischen und gesellschaftlichen Elite der Hauptstadt gehört. Casa Editorial El Tiempo (das Verlagshaus El Tiempo) gibt u.a. die Traditionszeitung El Tiempo und die Wirtschaftszeitung Portafolio heraus. Cousin Alejandro Santos ist Direktor von Kolumbiens wichtigstem Polit-Magazin Semana. Santos kann – ähnlich wie Uribe – auch auf die breite Unterstützung in Wirtschaftskreisen zählen. Bei früheren Regierungen war er Handels- und Finanzminister.

Ein geschickter Schachzug von Santos ist die Ernennung von Angelino Garzón zum Vizepräsidenten, was ein aussichtsreicher Versuch ist, auch „nicht-uribistische“ Sektoren einzubinden. Angelino Garzón war in den 80er Jahren kommunistischer Gewerkschaftsführer und Mitglied der Linkspartei Unión Patriótica (Patriotische Union), danach bis 1994 bei der Alianza Democrática-M-19, einer Partei, die aus den Friedensverhandlungen mit der Guerillabewegung M-19 hervorging. Später war er Arbeitsminister der konservativen Pastrana-Regierung (1998-2002) und Gouverneur des Departements Valle del Cauca. Die Uribe-Regierung trug ihm den Botschafterposten bei den Vereinten Nationen und der ILO (Internationale Arbeits-Organisation) in Genf an. Der Ex-Kommunist bezeichnet sich heute als „Mitte-Links-Katholik“ und befürwortet u.a. die Unterzeichnung des Freihandelsvertrags mit den USA, die vom US-Kongress wegen der Menschenrechtsverletzungen, insbesondere der hohen Rate von Morden an kolumbianischen GewerkschafterInnen, blockiert wird. Als Vizepräsident wird er für die staatliche Menschenrechtspolitik zuständig sein. Der Präsident in spe, Juan Manuel Santos, stellt ihn als „Champion der Menschenrechte und der Verteidigung der Arbeiter“ vor. Erster Erfolg der „santistischen“ Umarmungsstrategie bei den sozialen Bewegungen ist, dass der christdemokratisch orientierte Gewerkschaftsdachverband CGT seine Unterstützung der neuen Regierung erklärt hat. Dies geht auf die guten Beziehungen zwischen Angelino Garzón und der Verbandsspitze zurück. Bisher trug die CGT meist die Positionen der linken Gewerkschaftszentrale CUT mit.

Während sich der – sowieso mächtige – rechte Präsidentschaftskandidat um ein möglichst breites Bündnis der „nationalen Einheit“ bemühte, machte sein – sowieso schwacher – Kontrahent das Gegenteil. Antanas Mockus von der Grünen Partei (www.partidoverde.org.co) wies sogar die Unterstützung durch die Linkspartei Polo Democrático Alternativo (Alternativer Demokratischer Pol) zurück (www.polodemocratico.net). Der Ex-Bürgermeister von Bogotá und Ex-Rektor der größten öffentlichen Universität des Landes enttäuschte seine Anhängerschaft durch seine schwachen Auftritte und unverständliche Argumentation. Sein Kandidat für das Vizepräsidentenamt, der Ex-Bürgermeister von Medellín, Sergio Fajardo, hatte einen Fahrradunfall, der ihn daran hinderte, in der zweiten Runde des Wahlkampfes mitzuwirken. „Eines der interessantesten Phänomene in der ersten Phase des Wahlkampfes, die sog. ‚Grüne Welle', die um Mo-ckus herum erzeugt worden war, verebbte in der zweiten Phase. Den grünen Sympathisanten gelang es nicht, die Frustration zu verarbeiten, dass Mockus ein viel schlechteres Ergebnis erzielt hatte, als es in den Umfragen versprochen worden war. Sie verloren das Vertrauen in den Sieg ihres Kandidaten“, analysiert die Journalistin Juanita León. 

Für all diejenigen, die nicht an das „santistische“ Projekt der Nationalen Einheit glauben und zu den VerliererInnen der militaristischen und neoliberalen Politik der Uribe-Regierung gehören, werden die nächsten vier Jahre nicht leicht werden. Vielleicht wird Juan Manuel Santos diplomatischer als sein Vorgänger sein, am politischen Rechtstrend wird das jedoch nichts ändern.