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Mitte oder Mitte?

Bei den mexikanischen Gouverneurswahlen koalieren links und rechts

Der Wahlkampf von 2006 ist den MexikanerInnen noch gut in Erinnerung. Zum Schluss lief er auf einen Zweikampf zwischen Felipe Calderón und Andrés Manuel López Obrador (AMLO) hinaus. Wochenlang blockierten die AnhängerInnen López Obradors das Zentrum von Mexiko-Stadt und er ernannte sich zum legitimen Präsidenten. Der Sieg Felipe Calderóns sei nur durch Wahlbetrug zustande gekommen. Im Laufe der Proteste zerstritt sich die PRD immer stärker untereinander sowie mit ihren Bündnispartnern und rutschte in den folgenden Wahlen ab. Doch auch Felipe Calderón hat in der Bevölkerung radikal an Vertrauen eingebüßt, seine Partei PAN verlor bei den Parlamentswahlen 2009 und verschiedenen Gouverneurswahlen ebenfalls stark an Zustimmung. Nutznießer dieses Konfliktes scheint die PRI zu sein, die einstige mexikanische Staatspartei, die bei den Parlamentswahlen 2009 überraschend stärkste Partei wurde. In diesem Jahr stehen in zehn Bundesstaaten die Wahl der Gouverneure und einige andere wichtige Regionalwahlen an. Um einen erneuten Triumph der PRI zu verhindern, kommt es in diesem Jahr in verschiedenen Bundesstaaten zu einer merkwürdigen Allianz: PAN (rechts) und PRD (vormals mitte-links) beginnen einen Pakt, der möglicherweise eine Probe für die Wahlen 2012 darstellen soll. 

Frederik Caselitz

In 20 von 32 Bundesländern Mexikos stellt die PRI mittlerweile den Gouverneur. Auf PRD und PAN entfallen jeweils lediglich sechs. Nachdem die PRI das Land 70 Jahre lang diktatorisch regiert hatte, schien ihre Herrschaft im Jahr 2000 gebrochen zu sein. Die konservativ-katholische Oppositionspartei PAN konnte sich mit Vicente Fox als Präsident durchsetzen. In den Wahlen 2006 erreichte die PRI mit rund 22 Prozent nur noch den dritten Platz. Dieser Trend hat sich inzwischen wieder umgedreht und die PRI erwacht zu neuer Stärke. Zeitungen titeln vom „Erwachen der Dinosaurier“ und der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der PRI, Enrique Peña Nieto, liegt in den Umfragen deutlich vor den möglichen Gegenkandidaten. Auch bei einigen der anstehenden Gouverneurswahlen hat die PRI klar die Oberhand, weswegen PAN und PRD nun einen Kurswechsel vollziehen und in den Staaten mit starkem Vorsprung bei der PRI gemeinsam antreten. Insgesamt finden in 14 Bundesländern Wahlen statt, in sechs treten PAN und PRD gemeinsam an: in Durango, Hidalgo, Oaxaca, Puebla, Sinaloa und Chiapas. 

Oaxaca beispielsweise ist ein Staat, der sich seit jeher in der Hand der PRI befindet. Er liegt im Süden Mexicos und zählt zu den ärmsten des Landes. Obwohl die PRI hier eine sichere Stammwählerschaft hat, gibt es eine breite außerparlamentarische Opposition, soziale Bewegungen und Aufstände. Hier rebellierte 2006 die APPO (eine Organisation, die sich aus einer Vielzahl von Gruppen zusammensetzt, vor allem aus Gewerkschaften und indigenen Vertretungen) und besetzte monatelang die Stadt aus Protest gegen den korrupten Gouverneur Ulises Ruiz. Die Regierung setzte auf Gewalt und bleibt ihrer repressiven Linie weiterhin treu (vgl. folgenden Beitrag, S. 44-45). Trotzdem hat der neue Kandidat der PRI gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen, indem er die Ängste der Bevölkerung anspricht und für Stabilität wirbt. Der Wahlausgang schien klar, bis sich die restlichen Parteien zusammenschlossen, um ihre Chance zu wahren. Eine Allianz aus PAN, PRD und zwei kleineren Parteien, Partido Trabajador (links) und Convergencia (mitte-links) steht nun der PRI gegenüber und möchte sich vor allem Demokratie auf die Fahnen schreiben. Die Mitarbeit der PAN an dem Bündnis führte jedoch dazu, dass einige soziale Bewegungen ihre Unterstützung ausschlossen. Zurzeit liegen beide Kandidaten in den Umfragen fast gleichauf. 

Wen soll man nun wählen, wenn man sich zwischen einer Allianz aus der Ultrarechten zusammen mit der gemäßigten Linken und einer Mitte-Rechts Partei entscheiden muss, einer/m also quasi zwei Mal die Mitte begegnet? Diese Frage werden sich viele MexikanerInnen bei den kommenden Wahlen stellen müssen. Sie stoßen auf eine Allianz aus zwei Parteien, die sich noch vor vier Jahren auf übelste Weise gegenseitig diffamierten und augenscheinlich nichts gemeinsam haben als ihre Ablehnung der PRI. Die Argumentation der Koalitionsbefürworter stellt sich dann auch dementsprechend dar. Denise Dressler, Professorin am ITAM (Instituto Tecnológico Autónomo de México) und eine der bekanntesten Kommentatorinnen der öffentlichen Politik, stellte im Februar eine Rede ins Internet, in der sie die Zusammenarbeit rechtfertigt und verteidigt. Sie konzentriert sich darauf, vor einem Autoritarismus zu warnen, der ihrer Meinung nach mit einer Rückkehr der PRI einhergehe. PRD und PAN hätten das gemeinsame Ziel, demokratische Prozesse zu stärken und einen mehrheitsfähigen politischen Diskurs zu führen. Diese Argumentation ist sehr fragwürdig, wenn man den Verlauf der Wahlen von 2006 betrachtet. Die Gerüchte über Wahlbetrug konnten bis heute nicht entkräftet werden, vor allem weil die Richter eine erneute Auszählung der Stimmen vorzeitig stoppten. López Obradors Gegenregierung wirkte ebenfalls wenig an einem „versöhnlichen“ Diskurs interessiert, der in den Augen von Dressler ja das oberste Ziel beider Parteien sei. Und weder Felipe Calderón noch vor ihm Vicente Fox zeichneten sich dadurch aus, dass sie den mexikanischen Autoritarismus hätten brechen wollen. Stattdessen schworen sie das Land auf einen gemeinsamen Feind, die Drogenmafia, ein, um damit ihren eigenen Autoritarismus zu rechtfertigen. 

Es stellt sich indes die Frage, wie eine Versöhnung in einem derartig polarisierten Land auszusehen hätte. Linke und rechte Rhetorik, die die Strukturen des Landes nicht antastet? So ähnlich sah es in Venezuela nach dem Punto Fijo-Abkommen 40 Jahre lang aus: Christdemokraten und Sozialdemokraten teilten sich die Macht und gewährleisteten in erster Linie, dass ihre Parteien mit Posten und Vorteilen versorgt wurden. Die Bevölkerung wurde durch Versprechen und aggressive Rhetorik ohne praktische Konsequenzen ruhig gestellt, bis sich die Ernüchterung im Februar 1989 im Caracazo entlud, einem Volksaufstand gegen ein Sparprogramm, der von den Streitkräften blutig niedergeschlagen wurde; ca. 3000 Menschen wurden dabei umgebracht. Das Land ist bis heute drastisch polarisiert. Auch in Mexiko wäre das Ergebnis eines solchen Paktes ein noch weiteres Auseinanderdriften von Bevölkerungsinteressen einerseits und den Interessen der Politik andererseits, also genau das, was die Opposition an der PRI stets kritisiert hatte. 
Dressler findet es positiv, dass durch die Koalition einer Radikalisierung der PRD entgegengewirkt würde, sie also zurück zur „politischen Pragmatik“ finde, statt sich den Basisbewegungen anzunähern.

In der PRD dominiert mittlerweile die eher liberale Linie. Der zum linken Parteiflügel gehörende López Obrador hat sich zurzeit aus der aktiven Parteiarbeit zurückgezogen und liebäugelt gar mit einem Wechsel zu den kleineren linken Parteien. Er bleibt eine einflussreiche Stimme in der mexikanischen Linken und lehnt den Pakt von PRD und PAN gänzlich ab. „Auch aus persönlichen Gründen kann ich keinen Kandidaten unterstützen, der auch von PAN oder PRI getragen wird“, erklärte er in einem Fernsehinterview. Die PRD scheint also nach wie vor gespalten – eine Spaltung, die sich durch ihre Geschichte zieht. Ihre Gründung erfolgte nach langjähriger Basisarbeit lokaler Gruppen, die von Befreiungstheologie und sozialen Bewegungen inspiriert waren. Gründungsvater war jedoch Cuauhtémoc Cárdenas, ein Reformer innerhalb der PRI, der also durchaus schon zum politischen Establishment gehörte. Auch Obrador war zeitweise Präsident der PRI, ehe er sich Cárdenas anschloss. So standen sich in der PRD von Beginn an movimientistas (am Aufbau einer Bewegung innerhalb der Bevölkerung Interessierte) und partidistas (an der Schaffung eines mächtigen Parteiapparates Interessierte) gegenüber. Spätestens mit der Übernahme von eigenen Gouverneurspos-ten (insbesondere in Chiapas) verlor die PRD ihre Verbindung zu vielen sozialen Bewegungen. Besonders öffentlichkeitswirksam wurde der Konflikt, als die ZapatistInnen klar-machten, dass sie nicht zur Wahl von AMLO aufrufen würden, sondern zur „Anderen Kampagne“ mobilisierten.

Sowohl für PAN als auch für PRD werden die Wahlallianzen in diesem Jahr richtungweisend sein. Für beide Parteien sind es Generalproben für die Präsidentschaftswahl 2012. Die PRI wird voraussichtlich mit Enrique Peña Nieto antreten, dem jetzigen Gouverneur des Bundeslandes Estado de México, der für seine harte Hand gegenüber den sozialen Bewegungen bekannt ist. 2009 wurde er wegen seines Vorgehens bei den Unruhen von Atenco vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt, wo nach Polizeigewalt ein 14jähriger starb sowie über 200 Misshandlungen und zahlreiche Vergewaltigungen angezeigt wurden. Umstrittenerweise wurde er freigesprochen. Dennoch erfreut er sich laut Umfragen großer Beliebtheit und liegt deutlich vor den möglichen Gegenkandidaten. 

Der Machtkampf innerhalb der PRD wirkt sich auch auf ihre Kandidaten aus. Es läuft wohl auf Marcelo Erbrad oder Alejandro Encinas hinaus. Erbrad ist ein liberaler Kandidat und Befürworter der Allianzen mit der PAN, während Encinas eher auf der sozialdemokratischen Linie von López Obrador liegt und sich über die Allianzen widersprüchlich äußert. Bei dem Versuch, Vorsitzender der PRD zu werden, scheiterte Encinas am liberalen Kandidaten Jesús Ortega, der als Strippenzieher der Koalitionen gilt. 
Der Erfolg der Wahlen 2010 ist auch für die Situation innerhalb der PRD von größter Bedeutung. Sind die Absprachen erfolgreich, steht einer Kandidatur von Marcelo Erbrad nichts mehr im Wege. Sollten sie allerdings scheitern, würde der linke Flügel der PRD gestärkt, der dann auf eine Koalition mit den Linksparteien drängen würde, wahrscheinlich angeführt von Encinas. Auch in der PAN verfolgt man die Situation der PRD. Einen starken eigenen Kandidaten für 2012 hat sie noch nicht gefunden, weswegen eine Unterstützung von Erbrad denkbar wäre. 

Die Stärke von PAN und PRD lag traditionell vor allem darin, die PRI-Politikerklasse als opportunistisch anzuprangern. Die PRD von links, indem sie auf die Entfernung der Politik von den Sorgen der armen Bevölkerung zeigte, und die PAN von rechts, mit neoliberalen Argumenten, die den Staat bei gleichzeitigem Rückzug aus der Wirtschaft auf die Sicherung des Friedens und der (konservativ-katholischen) Werte beschränken wollte. Durch ihre Allianz verwässern beide ihre politischen Ziele und es bleibt unklar, was ein Konsens denn als Inhalt hätte. Beide Parteien erscheinen dem Wähler als Opportunisten, die ihre Ideologien bei Bedarf auch gerne über Bord werfen. So weit ist es dann auch nicht mehr zur PRI, die darüber hinaus mit Stabilität für sich wirbt.