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Zuflucht in Quito

Lilo Linke und Paul Engel (Diego Viga) integrierten sich schreibend in Ecuador

Obwohl das am Pazifik gelegene Ecuador in Europa kaum bekannt war, wurde es 1938/39 als Asylland für verzweifelt nach Einreisevisa suchende Füchtlinge aus Nazideutschland und Österreich immer wichtiger. Denn in Lateinamerika hatten nur Bolivien, die Dominikanische Republik und eben Ecuador keine Restriktionen gegen die Einwanderung europäischer Juden und Jüdinnen erlassen. Die Entscheidung, wer das begehrte Visum erhielt, lag im Ermessen der ecuadorianischen Diplomaten in Europa. So war Konsul Andrade in Hamburg ein ausgesprochener Antisemit, der jüdische Asylsuchende schikanös behandelte, während seine Kollegen in Amsterdam und Genua, Uteras und Gánara, sich den Asylsuchenden gegenüber freundlich und hilfsbereit zeigten. Andere ecuadorianische Diplomaten ließen sich die Visa teuer bezahlen. Zwischen 3500 und 4000 Flüchtlinge aus Europa fanden bis 1942 Aufnahme in Ecuador. Der größte Teil ließ sich in Guayaquil und Quito nieder, wo sie sich meist als kleine Gewerbetreibende oder Angestellte über Wasser hielten. Nach Quito kamen mit Lilo Linke und Paul Engel zwei interessante und überaus produktive AutorInnen, die der folgende Beitrag vorstellt.

Gert Eisenbürger

Lilo (Lieselotte) Linke wurde 1906 in Berlin geboren. Ihr Vater war ein kleiner Angestellter, beide Eltern waren konservativ und kaisertreu. Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die Revolution erlebten sie als bedrohlich. Sie waren von wirtschaftlichen Abstiegsängsten geplagt, wofür sie die Juden und „Roten“ verantwortlich machten, mit der Weimarer Republik konnten sie wenig anfangen. Also genau jenes kleinbürgerlich-nationalistische Milieu, in dem der Nationalsozialismus bald seine wichtigste Basis finden sollte. Das galt auch für die Familie von Lilo Linke. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder sympathisierten bereits vor 1933 mit den Nazis, während sie sich völlig anders entwickelte. Sie begann 1923 eine Lehre in einer Buchhandlung. Dort sprach sie ein Kollege an, ob sie nicht der Angestelltengewerkschaft beitreten wollte. Obwohl sich diese als „unpolitisch“ verstand und von den sozialdemokratischen Arbeitergewerkschaften abgrenzte, begann dort für Lilo Linke eine Politisierungsphase. 1926 schloss sie sich den Jungdemokraten, der linken Jugendorganisation der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), an. Als die ursprünglich linksliberale DDP immer weiter nach rechts rückte, gehörte sie 1930 zu den Gründungsmitgliedern der linksbürgerlichen Radikaldemokratischen Partei. Nach deren Scheitern trat sie 1932 in die SPD ein. Zwar hatte sie schon bei den Jungdemokraten links von der SPD gestanden, zur Politik der KPD hatte sie aber noch größere Widersprüche.

Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte Lilo Linke im Mai 1933 nach London. Sie war offensichtlich sehr sprachbegabt. Obwohl sie bei ihrer Ankunft nur wenig Englisch sprach, begann sie bereits nach einem Jahr in dieser Sprache zu publizieren. 1934 erschien ihr erster englischsprachiger Roman Tale without end (Geschichte ohne Ende). Relativ große Aufmerksamkeit erregte ihr zweiter Roman Restless Flags (Rastlose Fahnen), der 1935 herauskam. 2005, also siebzig Jahre später, erschien er unter dem Titel „Tage der Unrast“ in der Bremer „edition lumière“ erstmals auf deutsch. Es ist ein erfrischend geschriebenes und äußerst aufschlussreiches Buch über das Kleinbürgertum in der Weimarer Republik und dessen Anteil an deren Scheitern. Die 1918 gerade mal zwölf Jahre alte Ich-Erzählerin erlebt die Jahre bis 1933 mit einem immer klarer werdenden politischen Blick. Wie wenige andere Bücher vermittelt „Tage der Unrast“, wo die enormen Defizite des ersten Versuchs einer Republik in Deutschland lagen und wie wenig er in weiten Teilen der Bevölkerung verankert war. Dies mag auch den Erfolg dieses Buchs einer jungen unbekannten Autorin im englischsprachigen Raum erklären: Es verdeutlichte besser als viele Bücher arrivierter AutorInnen den Erfolg der Nazis im Land der „Dichter und Denker“.

Ein Beispiel für die außergewöhnliche Bereitschaft Lilo Linkes, sich auf neue Dinge einzulassen, war ihr nächstes Projekt: Im März 1935 reiste sie für mehrere Monate alleine in die Türkei, um den unter Mustafa Kemal (Atatürk) eingeleiteten Reformprozess zu verfolgen. Darüber veröffentlichte sie 1936 das Buch Allah Dethroned (Allah entthront). Ein Jahr später erschien Cancel all vows (etwa: Verabschiedet Euch von allen Gewissheiten), ihr letzter englischsprachiger Roman, der in der Emigrantenszene in Paris spielt. Im Mittelpunkt stehen auf der einen Seite Julius Bergmann, der am Exil verzweifelt und sich schließlich umbringt, und auf der anderen Seite Marthe Jansen, die sich behauptet und Pläne für die Zukunft schmiedet. Dazu gehört, dass sie nach Lateinamerika übersiedeln will.

Auch Lilo Linke bereitete ihre Ausreise nach Lateinamerika vor. Während die dortigen Exilländer für die meisten Flüchtlinge eher eine Notlösung waren, die oft erst erwogen wurde, wenn sich die Hoffnung auf ein US-Visum zerschlagen hatte, wollte Lilo Linke explizit nach Lateinamerika. Nachdem sie im Juni 1939 in Panama an Land gegangen war, bereiste sie Venezuela, Kolumbien, Peru, Bolivien und Ecuador. In Quito ließ sie sich schließlich nieder, wo sie sich anfangs durch Englischunterricht mühsam finanzierte. Da sie ebenso schnell Spanisch wie vorher Englisch lernte, begann sie nach ein/zwei Jahren erste journalistische Texte zu schreiben, wovon sie aber erst ab Anfang der fünfziger Jahre leben konnte. Besonders faszinierte sie die Kultur der Indígenas, sie war aber auch schockiert über die elenden Bedingungen, in denen die große Mehrheit der UreinwohnerInnen lebte. Fast jeden Sonntag besuchte sie ein Dorf in der Nähe von Quito. Dort organisierte sie Alphabetisierungskurse und Schulungen in Hygiene und Gesundheitsvorsorge und lernte Ketschua, was völlig ungewöhnlich war: Außer einigen Missionaren und Linguisten kam es damals kaum Weißen in den Sinn, sich mit indigenen Sprachen zu beschäftigen. Kurz vor Kriegsende erschien ihr bereits 1940 fertiggestelltes Buch Andean Adventure : A Social and Political Study of Columbia, Ecuador and Bolivia in London. 1946 brach sie zu einer längeren Reise nach Europa auf, vorher nahm sie noch die ecuadorianische Staatsangehörigkeit an. In England besuchte sie Bekannte und erneuerte ihre Kontakte zu britischen Verlagen, in Paris war sie einige Monate bei der UNESCO tätig.

Zurück in Quito, intensivierte Lilo Linke ihre sozialarbeiterische Tätigkeit. Nun organisierte sie auch Hygienekurse in Armenvierteln, wobei sie das Medium Puppenspiel benutzte. Unterstützt wurde sie dabei von der Studentin Lia Graciela Aguirre, mit der sie später bis zu ihrem Tod zusammenlebte. Anfang der fünfziger Jahre wurde sie feste Mitarbeiterin der in Quito neu gegründeten Tageszeitung El Comercio. Sie unternahm verschiedene Reisen, über die sie neue Bücher veröffentlichte, so Magic Yucatan oder Viaje por una revolución über Bolivien, das sie nach der Revolution von 1952 besuchte. 1954 veröffentlichte sie das Buch Ecuador – A Country of Contrasts, das bis in die siebziger Jahre ein Standardwerk an britischen Universitäten blieb und bei Oxford University Press mehrmals neu aufgelegt wurde. Anfang der sechziger Jahre reiste sie als erste Journalistin tief in die Amazonasregion Ecuadors, worüber sie im Buch People of the Amazon berichtete. Neben ihren Buchpublikationen in Großbritannien und Ecuador stand die journalistische Arbeit für El Comercio im Mittelpunkt ihres Schaffens. Dort veröffentlichte sie zwischen 1951 und 1963 über 2000 Artikel und Reportagen. Unter kritischen Intellektuellen wurde sie dafür geschätzt, während der konservative Präsident Velasco Ibarra 1952 erklärte, „diese Fremde sollte man aus dem Land werfen“.

1963 reiste Lilo Linke wieder nach Europa. Auf dem Flug von Athen nach London verstarb sie am 27. April 1963, erst 56jährig, nach einem Herzanfall. Kurz vor ihrem Tod hatte sie das deutschsprachige Jugendbuch „Wo ist Fred“ fertiggestellt, das posthum erschien. Die Hauptperson, der 18jährige Fred, kommt nach dem Krieg aus Berlin zu seiner Tante nach Ecuador. Weil ihn deren übertriebene Fürsorge nervt, beschließt Fred, abzuhauen und in den Anden einen Inkaschatz zu suchen, auf dessen Existenz er in einem historischen Buch gestoßen war. Zunächst wird er aber wegen eines Verkehrsunfalls festgenommen und landet kurzzeitig im Gefängnis. Dort lernt er den Indio Ignacio kennen. Fred hilft ihm mit etwas Geld aus, so dass er seine Geldstrafe bezahlen kann und freikommt. Zusammen fahren sie ins Heimatdorf Ignacios, der sich Fred gegenüber verpflichtet fühlt und ihn in seinem Haus aufnimmt. In den nächsten Kapiteln schildert die Erzählerin überaus spannend und sensibel die Lebensrealität und den Wertekodex der andinen Indígenas, auch unter dem Blickwinkel der Genderperspektive: Es wird sehr genau dargestellt, welche Aufgaben die Männer/Jungen und die Frauen/Mädchen haben. Auch wenn diese Welt Fred durchaus fasziniert, hat er weiterhin den Schatz im Kopf. Er überredet den skeptischen Ignacio und dessen Sohn David, ihn bei der Schatzsuche in einer unwegsamen Bergregion zu begleiten. Weil er trotz immer schwieriger werdender Bedingungen alle Warnungen der Indígenas ignoriert, verschuldet er schließlich den Tod Davids. Erst da wird ihm klar, was er mit seiner Gier nach Gold angerichtet hat. Er verlässt Ignacios Familie und fällt in tiefe Depression. Eher zufällig kommt er dann über Guayaquil in die vor allem von AfroecuadorianerInnen bewohnte Tieflandprovinz Esmeraldas, wo er als Angestellter auf einer Bananenplantage arbeitet. Wie schon bei den Passagen in dem Indígenadorf besticht die Erzählung auch hier durch ihre Darstellung der Lebenssituation und Kultur der Schwarzen im Tiefland. Ganz im Sinne des klassischen Entwicklungsromans wird Fred zunehmend geläutert und versucht, gegenüber der Familie Ignacios etwas von dem gutzumachen, was er ihr angetan hat. Eine so sensible jugendgemäße und gleichzeitig spannende Darstellung indigener und afroamerikanischer Lebensrealitäten habe ich bis dahin noch nie in Büchern aus dieser Zeit gelesen.

Einen ganz anderen sozialen Hintergrund als Lilo Linke hat Paul Engel. Er wurde 1907 als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers in Wien geboren. In dem aufgeklärt-liberalen Elternhaus wurde sehr viel Wert auf Kultur und Bildung gelegt. Nach dem Abitur begann er Medizin zu studieren und trat dem „Sozialistischen Studentenbund“ bei. Im Studium galt sein Interesse der Forschung, sein Fachgebiet wurde die Endokrinologie (Hormonforschung). Seit April 1933 herrschte in Österreich der so genannte Austrofaschismus unter den Kanzlern Dollfuss (1933-34) und Schuschnigg (1934-38), ein katholisch-autoritärer Ständestaat. Der Austrofaschismus verfolgte nicht nur Kommu-nisten und Sozialdemokraten, er verbot auch die NSDAP. Zwar gab es keine judenfeindlichen Gesetze, trotzdem bekamen jüdische Wissenschaftler kaum noch Stellen an Hochschulen. Da er wissenschaftlich arbeiten wollte, ging Paul Engel 1935 an ein Forschungslabor in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo, kehrte dann aber aus familiären Gründen zurück. Nach dem erzwungenen Anschluss Österreichs an Nazideutschland im März 1938 verließen Paul Engel und seine Frau Josefine Wien endgültig und emigrierten nach Kolumbien.

Dort vertrat Engel ein ungarisches Pharmaunternehmen, hielt Vorlesungen an der Universidad libre in Bogotá und begann literarisch zu schreiben. Dafür wählte der begeisterte Bergwanderer ein Pseudonym, das er den unweit von Bogotá gelegenen Bergen Largodiego und Viga entlehnte: Diego Viga. In seinem ersten Roman „Die Parallelen schneiden sich“ verarbeitete er seine Erfahrungen mit den verschiedenen Varianten des Faschismus in Europa und die Flucht nach Kolumbien. ProtagonistInnen des Buchs sind sieben Leute aus dem jüdischen Bürgertum in Berlin und Wien Anfang der dreißiger Jahre, wobei der Mediziner Johannes Kramer, der in mehreren seiner Romane auftritt, stark autobiografische Züge trägt. Der Roman ist so konstruiert, dass alle Personen als Ich-Erzähler wechselnd ihre Wahrnehmung bestimmter Ereignisse oder Entwicklungen darstellen. Die LeserInnen erleben den Aufstieg der NSDAP in Deutschland und deren Machtübernahme, die sofort massive Folgen für die Berliner ProtagonistInnen hat, das erstickende Milieu des Austrofaschismus in Wien und danach den Terror des ungleich brutaleren Nationalsozialismus auch in Österreich. Vor allem erfahren sie, wie unterschiedlich die Personen auf die wachsende Gefahr reagieren und welche Entscheidungen diese ihnen abverlangt. Am Ende gelingt fünf von ihnen die Flucht nach Kolumbien, einer begeht Selbstmord, ein anderer wird im Konzentrationslager ermordet. Ein starker Roman, den Viga nach der ersten Niederschrift Anfang der vierziger Jahre immer wieder verändert und korrigiert hat, ehe er 1969 im Leipziger List-Verlag erschien. Im Roman „Das verlorene Jahr“ schrieb Diego Viga später die Geschichte der ProtagonistInnen bis in die siebziger Jahre fort.

1940 war er im Auftrag eines US-amerikanischen Unternehmens erstmals in Ecuador. Über seine Ankunft dort schrieb er „Das Flugzeug stieg gewaltig hoch – der Berge wegen – und kam dann den Felsen bedenklich nahe, als wir in Quito landeten. Am 24. Januar 1940 kam ich zum ersten Mal auf den Flugplatz... Der war damals eine Weide, von der die Kühe und Pferde weggejagt werden mussten, wenn eine Maschine landen sollte, und hatte bloß ein sehr bescheidenes Stationshäuschen... Mein erster Eindruck: aufragende Berge und ein bezopfter Indianer. Niemals zuvor hatte ich einen Mann mit einem Zopf gesehen.“ (zit. nach Felden, 1987, S. 89) Doch zunächst war es nur ein Besuch in Quito. Die Engels blieben in Bogotá. Dort engagierten sie sich im Antifaschistischen Club, einem Zusammenschluss linker EmigrantInnen. Hier lernte Engel den Dichter Erich Arendt kennen, einen alten Kommunisten, der in Spanien in den Internationalen Brigaden gegen Franco gekämpft hatte. Arendt wurde für den Schriftsteller Diego Viga so etwas wie ein Mentor, der ihn stark beeinflusste.

Ende der vierziger Jahre fühlten sich Paul und Josefine Engel in Bogotá zunehmend unwohl, vor allem aufgrund der politischen Entwicklungen und beruflicher Enttäuschungen. Am 9. April 1948 war der linksliberale Präsidentschaftskandidat Jorge Eliécer Gaitán in Bogotá ermordet worden, der bei Engels Ankunft in Kolumbien Rektor der Universidad libre gewesen war und ihn eingeladen hatte, dort zu lehren. Gaitán verkörperte die Hoffnungen vieler KolumbianerInnen auf einen sozialen Wandel. Nach seinem Tod kam es zu Unruhen, die vom Militär brutal niedergeschlagen wurden. Dabei wurden innerhalb weniger Tage über 3000 Menschen getötet. Die Ermordung Gaitáns markierte den Beginn des kolumbianischen Bürgerkriegs, der bis heute andauert. Die Engels erwogen, nach Wien zurückzukehren, entschieden sich aber schließlich für Quito. Nachdem er eine Zeitlang wieder als Vertreter für Pharmaunternehmen gearbeitet hatte, sogar kurzzeitig für eine Holzfirma tätig war, erhielt Paul Engel 1961 eine ordentliche Professur an der Universität Quito und eröffnete eine ärztliche Praxis.

In Quito wurde er endgültig zum Schriftsteller Diego Viga, die Literatur wurde ihm ebenso wichtig wie seine medizinische Arbeit. Insgesamt hat er 17 Romane geschrieben, wovon 15 in der DDR erschienen sind, dazu Erzählungen, Theaterstücke und Sachbücher, die in Ecuador auf Spanisch herauskamen. Die in der DDR veröffentlichte Romane hat er alle auf Deutsch verfasst, einige aber später, als sich auch ecuadorianische Verlage für seine Bücher interessierten, selbst ins Spanische übersetzt. Mit wenigen Ausnahmen ist die Handlung seiner Romane in Kolumbien und Ecuador angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen soziale und politische Konflikte. Dafür bedient er sich unterschiedlicher Genres. Kriminalgeschichten bilden etwa den Rahmen der 1957 und 1958 erschienenen Romane „Schicksal unter dem Mangobaum“ und „Die Sieben Leben des Wenceslao Perilla“. In ersterem geht es um soziale Konflikte in der kolumbianischen Provinz, im zweiten um einen zwielichtigen Aufsteiger in Bogotá. Als Piratengeschichte angelegt ist „Die sonderbare Reise der Seemöwe“ (1964), in der die einzigartige Natur der Galapagosinseln eine große Rolle spielt. „Die Konquistadoren“ (1975) ist ein umfangreicher historischer Roman über die spanische Eroberung Amerikas, während „Der Freiheitsritter“ (1955) eine moderne Version des Don Quijote darstellt, in der die Verarbeitung der Ereignisse rund um die Ermordung Jorge Eliécer Gaitáns 1948 in Bogotá eine wichtige Rolle spielt. Die Ausbeutung Lateinamerikas durch ausländische Unternehmen und die dadurch hervorgerufene Ausbeutung der bäuerlichen und indigenen Bevölkerung ist das Thema der Romantrilogie „Der geopferte Bauer“ (1959), „Waffen und Kakao“ (1961) und „Die Indianer“ (1960). Im Roman „Weltreise in den Urwald“ (1979) setzt sich Viga vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte zweier Indígenas mit der „Nutzbarmachung“ und den Landkonflikten in der ecuadorianischen Amazonasregion auseinander. Im Vorwort warnte er bereits damals eindringlich vor den Folgen der Vernichtung der tropischen Regenwälder für das Klima.

Diego Vigas Romane fanden in der DDR ein großes Publikum. Sein 1957 erstmals erschienener Roman „Schicksal unter dem Mangobaum“ erreichte eine Auflage von über 200 000 Exemplaren und wurde ins Polnische und ins Ungarische übersetzt. In Ecuador stand Diego Viga im Austausch mit anderen Autoren und kritischen Intellektuellen. Mit Jorge Icaza, dem wichtigsten ecuadorianischen Autor im 20. Jahrhundert, war er persönlich befreundet, ebenso mit Francisco Tobar García, dem Direktor des Teatro Independiente in Quito, das mehrere seiner Theaterstücke zur Aufführung brachte.

Diego Viga/Paul Engel lebte 47 Jahre lang in Quito. Als er dort 1997 neunzigjährig starb, hinterließ er ein beeindruckendes wissenschaftliches und literarisches Werk, das leider in Vergessenheit zu geraten droht. Diego Viga geht es wie anderen SchriftstellerInnen, deren Bücher in der DDR erfolgreich waren. Ihre Verlage wurden übernommen oder abgewickelt, westdeutsche Verlage zeigen sich desinteressiert. Auch in seiner ursprünglichen Heimat Österreich gibt es kein Interesse, seine Bücher neu aufzulegen, wie der Schriftsteller Erich Hackl in einem sehr schönen Beitrag zu Vigas 100. Geburtstag in der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ bitter konstatierte und weiter schrieb: „Ich finde, es gibt eine gesellschaftliche Verpflichtung, das Werk dieses Vertriebenen zur Kenntnis zu nehmen, zum Nutzen der Leser.“ Dem ist nichts hinzufügen. Oder vielleicht doch: Die Bücher Diego Vigas wie auch „Wo ist Fred“ von Lilo Linke sind antiquarisch (www.zvab.com oder www.amazon.de) preisgünstig erhältlich, Linkes Roman „Tage der Unrast“ ist über den Buchhandel lieferbar. Und die Sommerferien bieten viel Zeit zum Lesen.