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Kloake am Arsch der Welt

Carlos Busqueds ätzendes Portrait der argentinischen Gesellschaft
Klaus Jetz

Lateinamerikanische Autorinnen und Autoren können provinziell sein, aber auch Weltruhm erlangen. Ihre Werke können eine regionale, eine nationale oder universelle Thematik aufweisen. Wie auch immer. Was hier an Krimis, Thrillern oder Detektivromanen in Übersetzung ankommt, ist meist unterhaltend, spannend und gut. Und diejenigen, die dies fabrizieren, sind keine „schlechte(n) lateinamerikanische(n) Autoren“, denen es immer nur „ad nauseam“ um „die drastische Schilderung deprimierender Umstände“ geht (O-Ton FAZ). Das ist Unsinn. Und das Gegenteil beweist „Unter dieser Furcht erregenden Sonne“, der erste Roman des argentinischen Autors Carlos Busqued. Busqued wurde 1970 im nordargentinischen Chaco geboren, lebt heute in Buenos Aires und produziert historische Programme für das argentinische Radio.

Über weite Strecken verschlägt der Roman dem Leser den Atem. Landschafts- und Ortsbeschreibungen, Charakterisierungen, Anekdoten und Handlungen muten dermaßen abstoßend und absurd an, dass die an sich kurzweilige und mühelose Lektüre alles andere als eine leicht verdauliche Kost ist. 

Der Protagonist Cetarti ist ein apathischer Herumlungerer aus Córdoba, ein Mensch ohne Arbeit, ohne Freunde, ohne Perspektive, der in den Tag hinein lebt, sich gehen lässt, kifft und Stunden vor der Glotze verbringt oder seiner Vorliebe für Junk Food, Cola und militärhistorische Magazine frönt. Eines Tages erhält er den Anruf eines Fremden aus dem Chaco. Der Anrufer Duarte teilt ihm mit, dass sein Bruder und seine Mutter von deren Lebensgefährten, Molina, ermordet wurden, bevor dieser sich selbst tötete. Die Nachricht macht keinen Eindruck auf Cetarti, er fühlt sich allenfalls in seinem langweiligen Alltag gestört. Lustlos und schicksalsergeben macht er sich im Auto auf in das nördliche Provinznest Lapachito, um sich um die toten Angehörigen und deren Hinterlassenschaft zu kümmern.

Der Ort ist so etwas wie eine Kloake am Arsch der Welt. „Der Geruch von Scheiße schlug ihm ins Gesicht, also schloss er das Fenster wieder. Die Straßen des Dorfes waren verwahrlost und mit einer dünnen Schlammschicht bedeckt, es musste vor Kurzem geregnet haben.“ Doch es hat keineswegs geregnet, berichtet Duarte, sondern der Grundwasserspiegel ist nach einem Erdbeben gestiegen, das Wasser stehe fast auf Bodenhöhe, die Sickergruben seien geplatzt, weshalb die Häuser langsam in Schlamm und Scheiße versinken und die Bäume längst abgestorben seien.

Die beiden Freunde Duarte und Molina waren früher beide Offiziere der Luftwaffe. Duarte verfügt noch immer über gute Kontakte und nutzt alte Seilschaften für krumme Geschäfte. Er macht genau das, was er schon zu Zeiten der Militärdiktatur gemacht hat. So schlägt er Cetarti vor, die ihm keineswegs zustehende Lebensversicherung Molinas zu kassieren und die Summe zu teilen. Sein Einkommen bessert der Sadist durch Entführungen und die Erpressung von Lösegeldern auf, die Opfer foltert und vergewaltigt er.

Dabei scheinen die Entführungen und Misshandlungen nur Nebensache zu sein, obwohl auch sie für die beklemmende Atmosphäre im Roman verantwortlich sind. Im Vordergrund stehen indessen immer die Gespräche und Unternehmungen der anderen Romanpersonen, Drogenexzesse, Albträume, Gewalttaten und Horrortrips in übernatürliche TV-, DVD- und Magazinwelten, die bevölkert sind von alles verschlingenden Riesenkraken und anderen Tiefseemonstern, sowie reale Erlebnisse mit giftigen Nashornkäfern, deren Bisse einen Menschen langsam verfaulen lassen. Weitere animalische Anekdoten kreisen um eine von Zirkusleuten gefolterte Elefantenkuh, der man das Tanzen durch Elektroschocks eingebläut hatte, um zwei außer Kontrolle geratene Doggen, die erschossen werden, einen sich selbst überlassener Axolotl, den der sichere Hungertod erwartet, sowie eine Kuh, die schließlich für ein fulminantes Ende und eine überraschende Auflösung der Handlung sorgt.

Lapachito ist trotz der Furcht erregenden Sonne ein finsterer Ort, der dem Untergang geweiht ist; ein Ort, wo die Menschen einander misstrauen, übereinander herfallen, im Wahnsinn enden; ein Ort, an dem sich Abgründe auftun: Der Leser erhält Einblicke in die scheinheilige Doppelmoral der längst nicht mehr intakten Gemeinschaft. Die eigentlichen Themen des Romans sind die mafiösen Strukturen und Machenschaften der Militärkaste, die zügellose Gewaltbereitschaft und die offen zutage tretende Mordlust, die die Militärherrschaft überlebt zu haben scheinen.

Lapachito steht für das unholde, das dunkle Argentinien, die Welt der Militärs und Folterer, die Exzesse und Hinterlassenschaften der Diktatur. Der Roman ist vollgespickt mit Anspielungen auf die jüngste Geschichte, auf die gesellschaftliche Verrohung, die langfristigen Auswirkungen der Militarisierung und Repression. Immer wieder bedient sich der Autor in den Dialogen ganz bewusst einer Fäkalsprache, die Kriminellen, Folterern und Sadisten eigen ist. Auch sie hat ihren Anteil an der deprimierenden Grundstimmung des Romans.

Carlos Busqued hat ein erstaunliches Romandebut vorgelegt, das Lust auf mehr macht. Busqued erzählt spannend, versucht sich daran, die Leserinnen und Leser in die Irre zu führen, fesselt sie an die Handlung. Dennoch geht es ihm nicht allein um Unterhaltung, er nutzt den Thriller auch als Vehikel für sein ätzendes Portrait der argentinischen Gesellschaft. Den Autor wird man sich merken müssen, er steht gerade erst am Anfang seiner literarischen Laufbahn. 

Carlos Busqued, Unter dieser Furcht erregenden Sonne, Übersetzung: Dagmar Ploetz, Verlag Antje Kunstmann, München 2010, 190 Seiten, 17,90 Euro