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Wer berichtet wie und warum?

Tagungsbericht „Los medios de los pueblos? – Medien und Demokratie in Lateinamerika“ in Marburg vom 28.-30. Januar 2011
Andreas Hetzer

Begeistert äußerten sich die über 100 TeilnehmerInnen der Tagung „Los medios de los pueblos“, als sie sich nach einem intensiven Diskussionswochenende aus Marburg verabschiedeten. Sie hatten die vergangenen drei Tage genutzt, um sich gegenseitig kennenzulernen und neue Projekte zu avisieren oder um teilweise marginalisierte Medienprojekte oder Forschungsarbeiten zu bündeln. Die Dankesworte gingen an die Mitglieder der Lateinamerika Gruppe Marburg (LaMa), die mehr als ein Jahr Vorbereitung in die Veranstaltung gesteckt hatten. Während Freitagabend und Samstagmorgen eher im Zeichen überblicksartiger Grundlagenvorträge standen, setzte der Rest der Tagung bis zum Sonntag auf eine intensive Interaktion zwischen den TeilnehmerInnen. Das Spektrum reichte von Journalisten über Hochschulangehörige bis hin zu Lateinamerikaexperten oder Aktivisten aus sozialen Bewegungen und NRO.

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, wie die Mediensysteme Lateinamerikas in politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse eingebettet sind und welche alternativen Informations- und Kommunikationsquellen sich in einem kommerziellen Medienmodell für progressive gesellschaftliche Bewegungen bieten. Ausgehend von einer Analyse der historischen, politischen und sozialen Hintergründe der Schwerpunktländer Bolivien, Ecuador, Argentinien und Venezuela wurden aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Medien und Demokratisierung genauer unter die Lupe genommen. Die Fokussierung ergab sich aus den Reformanstrengungen der Regierungen dieser Länder im Mediensektor. Neben dem in den Verfassungen von Venezuela, Ecuador und Bolivien verbrieften Recht auf Kommunikation kam immer wieder das neue Mediengesetz in Argentinien zur Sprache, das in einem Workshop von Johannes Schulten und Kristy Schank gesondert behandelt wurde. Die Regierung Kirchner reagiert damit auf Forderungen von sozialen Bewegungen und versucht, das Medienmonopol des Clarín-Konzerns zu entflechten und neben kommerziellen Anbietern die restlichen zwei Drittel der Frequenzen zu gleichen Teilen für staatliche Sender sowie Non-Profit-Medien zu reservieren.

Die Bedeutung letzterer für Gegeninformationen von politischen Bewegungen und die Alltagskommunikation im ländlichen Raum betonte Viviana Uriona in ihrem Vortrag über kommunale Medien. Weitere Workshops befassten sich mit der Mediengesetzgebung der (Mitte)Links-Regierungen als Reaktion auf die Hegemonie der privaten, oppositionellen Medien (Dieter Boris), der Reformierung des polarisierten Mediensystems in Bolivien (Andreas Hetzer) oder der männlichkeitsdominierten Darstellung von Gewalt und Sicherheit in den zentralamerikanischen Medien am Beispiel der Mara-Jugendbanden (Annika Oettler, Peter Peetz).

Die zweite thematische Säule der Tagung setzte sich mit der Lateinamerikaberichterstattung der reichweitenstarken Medien und alternativer Basismedien in Deutschland auseinander. Harald Neuber beurteilte in seiner Bestandsaufnahme die Mainstream-Presse als tendenziös, weil sie nicht zuletzt aufgrund des dünnen Korrespondentennetzes unkritisch Medienberichte von den Oppositionsmedien in Lateinamerika übernähme. Es gab aber auch Anmerkungen aus dem Publikum, die die Verfügbarkeit von Informationen über Lateinamerika in Deutschland als qualitativ hochwertig und vielfältig bezeichneten. Dies liegt nicht zuletzt an z.T. prekär lebenden freien JournalistInnen und kleinen Basismedien wie den Zeitschriften ila und Lateinamerikanachrichten oder dem Pressedienst poonal und Radio onda sowie dem Internetportal amerika.21, deren Grenzen und Möglichkeiten im Workshop von Tobias Lambert, Bettina Hoyer und Viviana Uriona dargestellt wurden. 

Am Beispiel der ila legte Werner Rätz die historischen Marksteine der Lateinamerikasolidarität in Deutschland dar und lieferte einen Einblick in das Verhältnis politischer Bewegungen und ihrer Medienaktivitäten zur Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit. Verschiedene Diskussionsbeiträge thematisierten immer wieder die schwierige finanzielle Lage und den Grad der Selbstausbeutung der deutschen MedienaktivistInnen, so dass man sich auch über zukünftige Entwicklungen im Internet und mögliche Finanzierungsmodelle verständigte. Etwas bedauerlich war, dass unter den Anwesenden keine AkteurInnen der großen deutschen Medien vertreten waren, obwohl sich die VeranstalterInnen um deren Einladung bemüht hatten.

Der letzte Tag stand ganz im Zeichen der Vernetzung und einer Zusammenführung inhaltlicher Linien der Tagung. Im Abschlussplenum wurden in intensiver Debatte mit dem Publikum strittige Fragen noch einmal beleuchtet. Besondere Kontroversen über Ansprüche an einen öffentlichen Mediensektor löste der internationale und staatlich finanzierte Nachrichtensender Telesur aus, der von Harald Neuber als bedeutsames Gegengewicht zu CNN umschrieben wurde. Dagegen erklärte der Verfasser dieses Beitrags das Projekt im Verhältnis zu seinen Ansprüchen für gescheitert. Das gleiche Format zu übernehmen und mit anderen, zum Teil regierungsnahen Inhalten zu füllen, sei wenig emanzipatorisch. Stattdessen müsse ein aus öffentlichen Geldern finanzierter Rundfunk geschaffen werden, der redaktionell unabhängig arbeiten könne. Eine Kontrolle dürfte nur rechtsstaatlich erfolgen und nicht von der jeweiligen Exekutive bestimmt werden.