ila

Leben im Dienst der Befreiung

Abschied vom belgo-brasilianischen Theologen José Comblin (1923-2011)
Michael Ramminger
Sandra Lassak

Am 27. März verstarb im Alter von 88 Jahren der bekannte Befreiungstheologe José Comblin in der kleinen Stadt Simões Filho im brasilianischen Bundesstaat Bahia. Dorthin war er gereist, um einen Kurs für Basisgemeinden zu geben. José Comblin gehörte zu den Befreiungstheologen der ersten Generation. Bis zu seinem Tod lebte und verkündete er auf authentische und radikale Weise, wofür er Zeit seines Lebens eingetreten war: die eindeutige Option für die Armen und den bedingungslosen Einsatz für ihre Befreiung.

José Comblin wurde am 22. März 1923 in Brüssel geboren und 1947 zum Priester geweiht. Er promovierte an der Katholischen Universität in Löwen und ging 1958 als Missionar nach Brasilien. Die Entsendung von Priestern nach Lateinamerika in den 50er Jahren war Teil der päpstlichen Bekämpfungsstrategie gegen die „Gefahr des Kommunismus“ in der Region. In Brasilien arbeitete Comblin zunächst mit der Katholischen Arbeiterjugend im Bundesstaat São Paulo zusammen. Bereits in Europa hatte er Kontakte zur Arbeiterpriesterbewegung und war inspiriert von den theologischen Überlegungen Joseph Cardijns, Begründer der Christlichen Arbeiterjugend.

Neben seinen missionarischen und pastoralen Aufgaben war er auch als Theologieprofessor und in der Priester- und Ordensausbildung tätig. Zwei seiner bekanntesten Schüler waren Frei Betto und Frei Tito. Frei Tito wurde 1970 während der Militärdiktatur verhaftet und schwer gefoltert. 1974 nahm er sich in Paris im Exil das Leben. Von 1962-1965 unterrichtete José Comblin an der Universidad Católica de Chile, bevor er 1965 auf Einladung Dom Hélder Câmaras nach Brasilien zurückging und zum Berater des „roten Bischofs“ wurde. Auf seine Initiative wurden pastorale und missionarische Bewegungen gegründet, die sich besonders unter der armen Landbevölkerung engagierten. Aus diesen Initiativen entstand die sogenannte „Theologie der Hacke“, eine Theologie, die von den Realitäten der Bauern im Nordosten Brasiliens ausging, biblisch fundiert war und philosophische Abstraktionen vermied.

Zeitlebens galt Comblins unermüdlicher Einsatz den Armen und Entrechteten und er nahm die Kirche, allen voran den Klerus, in die Pflicht, die befreiende Botschaft des Evangeliums und damit die Option für die Armen umzusetzen. Er kämpfte gegen Militärdiktaturen und gegen Menschenrechtsverletzungen. Dafür wurde er 1971 aus Brasilien ausgewiesen und verbrachte acht Jahre im chilenischen Exil, wo er seine befreiungstheologische Arbeit fortsetzte. Aufgrund seines Buches zur Doktrin der Nationalen Sicherheit wurde er in Chile vom Pinochet-Regime ebenfalls des Landes verwiesen und kehrte mit einem Touristenvisum nach Brasilien zurück. Erst 1979 wurde sein Aufenthaltsstatus durch das Amnestiegesetz legalisiert.

José Comblin war Missionar und Pastoraltheologe. Ihm ging es um die Organisation der Menschen im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit. Er setzte seine Hoffnung auf die Reformfähigkeit der katholischen Kirche, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine theologische und kirchliche Öffnung eingeschlagen hatte, die sich in Folge vor allem in den Vollversammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe 1968 in Medellín und 1979 in Puebla artikuliert hatte. Comblin ging es um eine Kirche in der Welt, unter den Menschen. Er kritisierte die römische Kirche in aller Offenheit, ihre absolutistische und hierarchische Diktatur sowie ihr Schweigen über die herrschenden Unrechtsverhältnisse. Auf einer Veranstaltung auf dem Weltsozialforum 2009 in Belém diagnostizierte er scharf, dass das Grundproblem der Katholischen Kirche der Klerikalismus und der römische Zentralismus seien. Diese seien nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht ausreichend überwunden worden. Dieses System sei doktrinär und autoritär, die katholische Doktrin sei Herrschaftsdoktrin, vor deren Ende wir nun aber stünden.

Ihm ging es um eine jesuanische Kirche, die in Orientierung am Evangelium das Reich Gottes verkündet, aus der Selbstgenügsamkeit heraustritt und eindeutig Partei für die Armen ergreift. Seine Kritik blieb jedoch nicht auf Kirche und Theologie beschränkt, sondern galt in derselben Eindeutigkeit auch den gesellschaftlichen Missständen, dem globalen Kapitalismus und seinen fatalen Auswirkungen. Comblin ging es um radikale Veränderungen, die von unten, von den Armen ausgehen. Deshalb sind die Basis, die Menschen und Bewegungen, die für neue Strukturen und ein alternatives Modell kämpfen, die Orte, von denen aus eine zukunftweisende Vision von Kirche entstehen kann. Denn die institutionelle Kirche habe sich schon lange von der Basis, von den einfachen Menschen verabschiedet, wie Comblin im Jahr 2008 in einem Interview mit IHU-online konstatiert. „Gott ist in La Victoria und in La Legua (zwei Armenviertel in Santiago de Chile) und im Gefängnis, aber aus Rom ist er schon vor langer Zeit verschwunden.“ 

Seine Option hatte er bis zum Ende überzeugt gelebt und so starb er unter denjenigen, die ihm sein ganzes Leben lang am meisten am Herzen lagen, denjenigen, die unten stehen, die um ihr Recht und ihre Würde ringen. Über die Grenzen Brasiliens und Lateinamerikas hinaus war José Comblin ein großes Vorbild in seinen eindeutigen Haltungen und seinem entschiedenen Einsatz für alle diejenigen, die um Befreiung von Unterdrückung und Unrecht kämpfen.

Mit José Comblin haben wir einen authentischen prophetischen und kämpferischen Theologen verloren. Möge sein Erbe in den Kämpfen um Befreiung und eine prophetische Kirche lebendig bleiben.

Michael Ramminger und Sandra Lassak arbeiten im Institut für Theologie und Politik in Münster.