ila

Bewegung wird museal

Ausstellung über die Chile-Solidarität im Stadtmuseum Münster

Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein städtisches Museum mit der Geschichte der Solidaritätsbewegung beschäftigt. Doch genau dies tut derzeit das Stadtmuseum Münster. Dort wurde am 4. November 2011 die Ausstellung „Chile-Solidarität in Münster – Für die Opfer der Militärdiktatur (1973-1990) eröffnet“. Gert Eisenbürger hat sie sich angeschaut.

Gert Eisenbürger

Am 12. September 1973, einen Tag nach dem Militärputsch gegen Salvador Allende, versammelten sich rund 200 Menschen vor der Lambertikirche in Münster, um gegen den Staatsstreich in Chile zu demonstrieren. Auf der Kundgebung sprachen der evangelische Studentenpfarrer Fritz Hufendiek, Ewald Halbach von der DKP und – man höre und staune – der Münsteraner FDP-Bundestagsabgeordnete und Oberleutnant der Reserve Jürgen Möllemann. Am gleichen 12. September konstituierte sich ein „Initiativkreis Solidarität mit Chile“, der von zahlreichen Gruppen und Organisationen aus dem sozialdemokratischen, DKP-kommunistischen und christlichen Spektrum getragen wurde; die damalige radikale Linke (libertär-sozialistische Spontis, trotzkistische LinkskommunistInnen, maoistische K-Gruppen) schien nicht beteiligt gewesen zu sein. Der Initiativkreis wurde in den folgenden Jahren der organisatorische Kern der Solidaritätsbewegung in der Stadt.

Linkschristliche Gruppen hielten engen Kontakt zur Vicaria de Solidaridad, dem Menschenrechtsbüro des Erzbistums Santiago, und publizierten dessen Zeitschrift Solidaridad in deutscher Übersetzung, später erweitert durch Beiträge aus anderen kritischen chilenischen Zeitungen. Münster wurde zu einem Zentrum der bundesdeutschen Chile-Solidarität, die dortige Katholische Studentengemeinde (KSG) war in den achtziger Jahren die wichtigste Koordinationsstelle der Gruppen und Institutionen, die sich in der alten Bundesrepublik gegen die Militärdiktatur Pinochets engagierten. Als die KSG Anfang der neunziger Jahre auf amtskirchliche Linie gebracht wurde, gründeten einige der AktivistInnen aus ihrer bisherigen Chile-Arbeit das unabhängige „Institut für Theologie und Politik“, wo bis heute eine in Deutschland vielleicht einzigartige Kombination von theologisch-politischer Forschung/Reflexion und politischer Aktion praktiziert wird.

Diese Geschichte war mir durch meine Arbeit in der ila in den Grundzügen bekannt und ich war sehr gespannt, wie das in einem Museum präsentiert würde. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich sah eine äußerst anregende und gut gemachte Zeitreise durch rund zwanzig Jahre Solidaritätsbewegung in Münster. In einem schätzungsweise 40 Quadratmeter großen Raum des Museums finden sich Exponate wie Flugblätter, Plakate, hektographierte Erklärungen und Protokolle, Fotos von Demos, Aktionen und Veranstaltungen, Pappschilder, die dabei mitgeführt wurden und sogar ein – durch Kunstglas geschütztes – aufwendig gestaltetes Originaltransparent. Strukturiert ist das Ganze durch Schrifttafeln, mit Informationen über die Regierungszeit Allendes, den Putsch, die Beziehungen der Bundesrepublik zur chilenischen Militärdiktatur, den bundesweiten Kongress „Für Chiles Freiheit“, zu dem im Juni 1983 2000 TeilnehmerInnen nach Münster gekommen waren, und natürlich über die verschiedenen Phasen der Solidaritätsbewegung und ihre Aktivitäten in Münster.

Ein weiteres Element sind Audio- und Videoaufnahmen, die an mehreren Terminals angesehen und über Kopfhörer angehört werden können. Dazu gehören in kurze Spots zerlegte Interviews mit AktivistInnen der Münsteraner Chile-Szene (Anne Broden, Jens Holst, Barbara Imholz, Ferdinand Kerstiens, Martin Ostermann, Heiner Rosendahl) und in Münster lebenden Exil-ChilenInnen (Raúl Hidalgo, Isabel Lipthay) sowie Archivaufnahmen mit Redebeiträgen vom Kongress „Für Chiles Freiheit“ und Auszüge aus den Radioansprachen Salvador Allendes am 11. September 1973.

Ein besonderes Element, sozusagen eine Ausstellung in der Ausstellung, bilden rund ein Dutzend Arpilleras, von Angehörigen politischer Gefangener hergestellte bunte Stoffbilder, die eindrucksvoll die Realität und Gewaltstrukturen der Militärdiktatur darstellen.

Zu der Ausstellung ist ein sehr schön aufgemachter 80-seitiger Katalog erschienen mit vielen Abbildungen und sehr informativen Aufsätzen über den Militärputsch, die Rolle der Katholischen Kirche während der Diktatur, die Arpilleras (alle drei von Silke Hensel), die Beziehungen zwischen der BRD und Chile 1973-1990 (von Stephan Ruderer), über die Chile-Solidarität in Münster (von Barbara Rupflin) sowie Porträts von AktivistInnen. Leicht nostalgische Gefühle erlebte ich bei der Lektüre des Aufsatzes „Mit Klebeband, Schreibmaschine, Papier und Laken im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit“, in dem Barbara Rommé vor allem jüngeren MuseumsbesucherInnen nahebringen möchte, wie Kommunikation in der Prä-I-Phone und -Internet-Ära funktioniert hat.

Natürlich stellt die Ausstellung eine historische Phase dar, sie vermittelt das aber nicht so, als ob dies alles Geschichte und definitiv vorbei wäre. Die BesucherInnen erfahren auch, dass es bis heute in Münster Initiativen wie das erwähnte „Institut für Theologie und Politik“ gibt, die in dieser Tradition stehen, auch wenn sie heute andere inhaltliche Schwerpunkte als in den siebziger und achtziger Jahren haben.

Ein Besuch der Ausstellung in Münster lohnt sich und wer das bis zum 18. März nicht schafft, der/dem sei der Katalog empfohlen, der zum moderaten Preis von 9,80 Euro auch über den Buchhandel erhältlich ist.

Das Stadtmuseum Münster (Salzstr. 28) ist Mo.-Fr. von 10-18, Sa.-So. von 11-18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Der Katalog „Chile-Solidarität in Münster“ (hrsg. von Silke Hensel, Barbara Rommé, Barbara Rupflin) ist im Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster 2011, ISBN 978-3-89691-888-8) erschienen.