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Der Dialog ist der Weg

Interview mit der kolumbianischen Bauernorganisation Asociación Campesina del Valle de Cimitarra

Die Nachricht über die Tötung von FARC-Kommandant Alfonso Cano durch eine High-Tech-Operation des kolumbianischen Militärs am 4. November brachte den Krieg in Kolumbien für einen kurzen Moment international in Erinnerung. Denn sonst ist dieser Krieg ein „vergessener Konflikt“. Dass jede Offensive der Armee gegen die Guerilla bedeutet, dass auch die ländliche Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gerät, wird in der Berichterstattung über die großen militärischen „Erfolge“ in der Regel ausgeblendet. Die Landbevölkerung Kolumbiens hat von der bewaffneten Konfrontation in ihren Gebieten schon lange genug. Sie will endlich Frieden, und zwar Frieden mit sozialer Gerechtigkeit. Dies ist die zentrale Botschaft einer Friedensversammlung im August, bei der Tausende VertreterInnen indigener, afrokolumbianischer und sonstiger Bauerngemeinden über die Perspektiven für den Frieden in Kolumbien diskutierten. Das Treffen wurde maßgeblich von einer regionalen Bauernorganisation initiiert, der Asociación Campesina del Valle de Cimitarra, die im Gebiet des Magdalena Medio beheimatet ist. Sie berichtete der ila über dieses Ereignis und ihre Anliegen.

Bettina Reis

Mitte August hat in der Erdölstadt Barrancabermeja ein großes Treffen von Basisorganisationen und Gemeinden stattgefunden, bei dem Lösungen für den bewaffneten und den sozialen Konflikt in Kolumbien diskutiert wurden. Eure Organisation, die Asociación Campesina del Valle de Cimitarra (ACVC), die Bauernvereinigung des Cimitarra-Tals, war Motor dieses Treffens. Was motiviert eine Bauernorganisation, eine solche Versammlung einzuberufen?

Die kleinbäuerlichen, indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden sind diejenigen, die die schrecklichen Auswirkungen des Krieges am besten kennen. Wir sind die direkten Opfer der Konfliktakteure, in unseren Regionen finden weiterhin bewaffnete Auseinandersetzungen statt, die humanitäre Krise ist zu einem Dauerzustand geworden und die Rechte der Bauern, Indigenen und AfrokolumbianerInnen werden weiter verletzt. Aus all diesen Gründen haben wir ein Treffen angeregt, bei dem die diversen Gruppen der zivilen und der bewaffneten Gesellschaft ihre Standpunkte und Vorschläge darlegen sollten, um die Krise ein für alle Mal zu beenden. Auch der Nationale Friedenspreis, mit dem unsere Organisation ausgezeichnet wurde, bedeutete für uns eine Verpflichtung, ein solches Friedenstreffen anzuregen. 
Als Teil der sozialen Bewegung sind wir von der Notwendigkeit des Dialogs (also Verhandlungen zwischen Staat und Guerilla – d. Red.) überzeugt. Die militärische Lösung, die die Regierung bisher verfolgt hat, hat für unsere Lebensrealität fatale Konsequenzen. Die Informationen, die die regierungsnahen Medien verbreiten, spiegeln nicht wider, was in den abgelegenen Teilen Kolumbiens wirklich passiert, dort, wo Bombardierungen, Drohungen, Verhaftungen und Flucht Alltag sind. Damit all das aufhört, haben wir das Friedenstreffen vorgeschlagen.

Wie ist das Treffen verlaufen? Hat es die Erwartungen erfüllt?

An dem Treffen haben über 20 000 Menschen teilgenommen, die aus allen Winkeln Kolumbiens kamen, Delegationen von der afrokolumbianischen, der indigenen und der Bauernbewegung. Sie alle debattierten in Barrancabermeja über Themen wie „Land, Territorium und Frieden“, „Demokratie und Friedensgarantien“, eine „Ökonomie für soziale Gerechtigkeit und Frieden“ und andere Themen, die für die Analyse von Krieg und Frieden in unserem Land eine Rolle spielen. Über spezifische Themen gab es auch Vorträge, sie wurden von nationalen und internationalen Fachleuten gehalten, die für die Debatte und Analyse mit den teilnehmenden Gemeinden offen waren.
Auch die Wirtschaft, die Regierung und die Guerilla waren eingeladen, ihre Vorschläge bei dem Treffen zu unterbreiten. Aber weder die Wirtschaftsgruppen noch die Regierung wurden vorstellig. Die Guerillagruppen, sowohl FARC wie ELN, schickten Videobeiträge, in denen sie ihre Positionen darlegten. Beide Gruppen äußerten ihren Willen, mittels Verhandlungen eine Lösung für die humanitäre Krise anzugehen. 
Es ist bedauerlich, dass die Wirtschaftsgruppen nicht vertreten waren. Die Gemeindedelegierten beklagten vor allem die Probleme, die die großen Rohstoffförderprojekte und Energievorhaben für sie beinhalten, denn diese führen generell zu einer Verschärfung des bewaffneten Konfliktes in ihren Gebieten. Aber trotz dieser Lücken war für uns die Beteiligung der Gemeinden am wichtigsten, dies war sehr bereichernd. Es waren alle Generationen vertreten, Jung und Alt, auch Kinder. Ausgehend von ihren Erfahrungen ließen sie alle KolumbianerInnen aufs Neue wissen, dass sie für Frieden und Gewaltfreiheit sind und dass sie trotz des erfahrenen Leids auf dem Dialog beharren. So heißt es auch in der Schlusserklärung des Treffens „Manifest für Land und Frieden. Der Dialog ist der Weg.“ (Siehe Spalte rechts)

2010 hat eure Organisation den Nationalen Friedenspreis von Kolumbien bekommen. Wofür hat die ACVC diese Auszeichnung erhalten? 

Die ACVC, die Bauernvereinigung des Cimitarra-Tals, hat den wichtigsten Friedenspreis Kolumbiens als Anerkennung für ihren vierzehnjährigen Einsatz für die Menschenrechte, Gesundheit, Erziehung und Umwelt bei uns in der Region erhalten. Aber wir verstehen den Preis nicht nur als eine Auszeichnung für die ACVC, sondern für die Arbeit der Bauern und Bäuerinnen für ländliche Entwicklung und Menschenrechte an sich. Es ist ein Preis für die gesamte Magdalena Medio-Region und die Campesinos und Campesinas von Kolumbien, die oft genug vom Staat übersehen und wenig geachtet werden. 
Die ACVC wurde vor 14 Jahren gegründet. Ausgangspunkt war damals eine Bauernmobilisierung, die vom Staat eine integrale Agrarreform, Gesundheitsversorgung, Bildung, soziale Investitionen und die Achtung der Menschenrechte einforderte. Aktuell setzt sich die ACVC aus 120 Juntas de Acción Comunal (Gemeindevertretungen) in den Landkreisen Yondó und Remedios im Departement Antioquia und in San Pablo und Cantagallo im Süden des Departements Bolívar zusammen. Wir führen mittlerweile auf über 500 000 Hektar landwirtschaftliche Projekte durch und es wurden mehrere Menschenrechtskomitees gebildet.
Mit anderen Worten, wir sind eine große Gruppe von Bauern und Bäuerinnen, die endlich Frieden wollen. Wir wollen auf unseren Fincas und Parzellen bleiben und diese nicht aufgeben müssen. Wir wollen unseren Boden fruchtbar machen und uns von unsrer Hände Arbeit ernähren können, so dass wir unabhängig von der Industrie sind. Wir kämpfen dafür, dass unsere Kinder zur Schule gehen können. Sie sollen später die Plätze der MedizinerInnen und LehrerInnen in der Region besetzen, die heute noch fehlen. 

Ein wichtiger Vorschlag der ACVC für die Bauernbewegung ist die Einrichtung von sogenannten Zonas de Reserva Campesina (ZRC), also ausschließliche Zonen für Kleinbauern. Welchen Nutzen hat eine solche ZRC für die Bauernschaft? Sind diese Zonen mit den kollektiven Territorien von indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden zu vergleichen?

Das Cimitarra-Tal gehört zum Gebiet des Mittellaufs des Magdalena, Kolumbiens größtem Strom, in den der Cimitarra mündet. Unser Gebiet ist von den gleichen Problemen und Konflikten wie die Gesamtregion geprägt. Vom Staat wurde sie historisch vernachlässigt, Basisdienstleistungen sind entweder prekär oder überhaupt nicht vorhanden, die Straßen sind schlecht, die Bodenkonzentration ist hoch, es werden vor allem Bodenschätze gefördert und es gibt auch Cocaanbau. Der Vorschlag zur Einrichtung einer Zona de Reserva Campesina (ZRC), einer geschützten Zone für Kleinbauern, geht auf das Jahr 1998 zurück, als über siebenhundert Campesinos aus der Region einen „Plan für Entwicklung und integralen Menschenrechtsschutz im Magdalena Medio“ diskutierten. Zu den staatlichen Vorschlägen, die sich die ACVC angeeignet hat, gehörte die Einrichtung einer solchen Zone für das Cimitarra-Tal. Solche Kleinbauernzonen entsprechen einer Rechtsform, die in einem Gesetz über ein Nationales Agrarreformsystem, Gesetz 160 von 1994, vorgesehen ist. Sie sollen vor allem in Kolonisierungsgebieten und in Gebieten mit vornehmlich Brachland etabliert werden. 
Für uns sind diese ZRC das einzige positive Element dieses Gesetzes von 1994 zugunsten der Bauernschaft. Dadurch wird anerkannt, dass die Situation von Siedlerfamilien stabilisiert und die Zerstörung der kleinbäuerlichen Wirtschaft verhindert werden muss. Phänomene wie der ungleich verteilte Grundbesitz sollen korrigiert und die Ursachen der sozialen Konflikte, die für den ländlichen Raum in Kolumbien charakteristisch sind, angegangen werden. So heißt es zumindest in Dekret 1777 von 1996, das einen Teil des Gesetzes reglementiert. 
Die exklusiven Zonen für Kleinbauernfamilien, die indigenen Schutzgebiete (resguardos) und die kollektiven Territorien der Afrogemeinschaften haben zwar unterschiedliche Ursprünge und Ursachen, haben aber trotzdem gemeinsame Züge. Denn die Kämpfe von Bauern, Indígenas und Schwarzen mündeten schließlich alle in eigenen Territorien, bei denen der kollektive Grundbesitz Priorität hat und die Partikularinteressen hintangestellt werden. Unser Ziel sind autonome und respektierte Territorien, in denen die Kosmovisionen, Gebräuche und Traditionen mit eigener Identität gelebt werden können.

Die ACVC arbeitet im Magdalena Medio, einer Region, die zu den historischen Konfliktregionen in Kolumbien gehört. Aber sie war auch die Wiege von bedeutenden sozialen Bewegungen. Welches Panorama gibt es für diese Bewegungen heute?

Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ist komplex und hat die Dynamik und die Arbeit der sozialen Bewegungen in der Magdalena Medio-Region beeinträchtigt, sie lassen sich aber nicht unterkriegen. Es gibt viele Strategien des Staates, Kritik und Opposition zum Verstummen zu bringen. Zum Beispiel werden Gerichtsverfahren angezettelt, was auch im Fall mehrerer Führungspersonen der ACVC geschehen ist, die man ungerechtfertigt der Rebellion angeklagt hat. (Sie mussten schließlich freigelassen werden – d. Red.). Schlimmer noch sind die extralegalen Hinrichtungen, Drohungen und Vertreibungen.
Trotz der schwierigen Situation wurden in Kolumbien bedeutende Netzwerke und Bündnisse von Organisationen geschaffen, wie im Fall des Congreso de los Pueblos, des Kongresses der Völker, und die Coordinación Nacional Agraria y Popular, CONAP, eine nationale Agrar- und Basiskoordination.1 Diesen Prozessen und Bündnissen gehört auch die ACVC an. Einen wichtigen Stellenwert hat auch die Informationsarbeit. Jeder Angriff auf die Unversehrtheit von Bauern, Führungsleuten der sozialen Bewegungen und Opfern wird in unseren alternativen Medien öffentlich gemacht.

Die Fragen von Bettina Reis beantwortete die Asociación Campesina del Valle de Cimitarra - ACVC - im November 2011 per E-Mail.