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Der Kontakt zu den ZeitzeugInnen war besonders wichtig

Interview mit Barbara Rupflin, einer der Macherinnen der Münsteraner Ausstellung

Die Historikerin Barbara Rupflin hat zusammen mit der Professorin Silke Hensel und mit Barbara Rommé, der Direktorin des Stadtmuseums Münster, die Ausstellung „Chile-Solidarität in Münster“ konzipiert und erarbeitet.

Gert Eisenbürger

Wann entstand die Idee für eine Ausstellung über die Chile-Solidarität in Münster?

Das kann ich gar nicht mehr so genau sagen. 2008 habe ich meine Magisterarbeit zu dem Thema geschrieben mit dem Fokus auf die Katholische Studentengemeinde. Schon damals hatte Silke Hensel, die Professorin für Lateinamerikanische Geschichte hier in Münster ist, die Idee im Hinterkopf, dass man dazu eine Ausstellung machen könnte. Nachdem die Magisterarbeit abgeschlossen war, hat Silke Hensel dann Barbara Rommé, die Direktorin des hiesigen Stadtmuseums, angesprochen. Sie reagierte zunächst eher verhalten, weil es schwierig ist, eine soziale Bewegung, über die es keine erschlossenen Archive gibt, in einer Ausstellung zu präsentieren. Dazu kommt, dass sie rund 50 Anfragen im Jahr bekommt und nur sehr wenige realisieren kann. Sie hat sich aber zunehmend für das Thema interessiert. Dann haben wir eine erste Zusammenstellung möglicher Exponate gemacht und es zeigte sich, dass es da viele Möglichkeiten und ausreichend Material gäbe. Dann mussten wir uns natürlich um die Finanzierung bemühen.

Wie kamst du selbst dazu, deine Magisterarbeit über die Chile-Solidarität und die Rolle der Katholischen Studentengemeinde Münster darin zu schreiben?

Das ist eigentlich ganz lustig. Ich habe in Münster studiert und mich für Chile interessiert. Dabei stieß ich auf ein englischsprachiges Buch von Pamela Lowden, einer US-amerikanischen Autorin über die Vicaria de la Solidaridad. Im Anhang dieses Buches sind die wichtigsten Geldgeber der Vicaria aufgeführt und einer davon war die Katholische Studentengemeinde (KSG) Münster. Da nahm die ganze Recherche ihren Anfang, denn weder ich, die ich viel zu jung bin, um diese Ereignisse erlebt zu haben, noch Silke Hensel, die nicht aus Münster stammt, wussten über dieses Stück Münsteraner Zeitgeschichte Bescheid.

Du hast eben schon die Finanzierung angesprochen. Wer finanziert so etwas?

Wir haben den Förderkreis der Universität Münster gewinnen können, der eine große Summe für Ausstellung, Katalog und ein Praxisseminar zur Verfügung gestellt hat. Mit letzterem haben Studierende der Uni Münster an der Ausstellung mitgearbeitet. Wir haben uns das ganze Sommersemester 2011 inhaltlich eingearbeitet, Techniken wie Interviewführung und Kameraarbeit erlernt und dann gemeinsam die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen befragt. Das wurde auch vom Historischen Seminar gefördert. Finanzielle Unterstützung kam weiter von Exzellenzcluster „Religion und Politik“, zu dessen Ansprüchen es gehört, wissenschaftliche Forschung auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und vom Sonderforschungsbereich „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“. Schließlich haben wir von der Darlehenskasse des Bistums Münster Geld bekommen, die schon in den siebziger und achtziger Jahren die Spendengelder für Chile verwaltet hat.

Wie fängt man an, wenn man so ein Ausstellungsprojekt realisieren will? Die Ausstellungsmacherinnen kommen selbst nicht aus der Chile-Solidaritätsbewegung, ihr musstet also erstmal Leute und Exponate suchen?

Wir haben wahnsinnig davon profitiert, dass in Münster noch viele Leute leben, die damals aktiv waren, teilweise weiter aktiv sind und mit uns zusammengearbeitet haben. So haben wir Barbara Imholz und Martin Ostermann für den Beirat gewinnen können, mit denen wir uns während der Konzeption der Ausstellung regelmäßig getroffen und vieles diskutiert haben. Durch die beiden hatten wir auch die Möglichkeit, viele weitere der damaligen Aktivisten und Aktivistinnen wegen möglicher Exponate anzusprechen. Vor allem hat uns Martin Ostermann seinen eigenen Fundus zur Verfügung gestellt. Er hat ungeheuer viel Material, er ist ein bisschen der Archivar der hiesigen Bewegung. Durch das Schneeballsystem, aber auch durch öffentliche Aufrufe in Zeitungen und Zeitschriften – darunter auch in der ila – kam vieles zusammen, letztlich viel mehr, als wir zeigen können. Ich fand es sehr wichtig, dass wir den intensiven Austausch mit den ZeitzeugInnen hatten. Das war ein sehr interessanter und spannender Prozess.

Bei den Exponaten und im Katalog fiel mir auf, dass bei den Leihgebern neben den Leuten und Initiativen aus der Solibewegung auch das Polizeipräsidium Münster auftaucht, das einige Fotos von Demonstrationen zur Verfügung gestellt hat. Wie kam es dazu?

Da haben wir die Polizei direkt angesprochen. Es handelt sich um sehr ungewöhnliches Material und wir sind froh, diese Bilder bekommen zu haben. Es gibt nämlich nur sehr wenige Fotos von den frühen Demonstrationen. Das war ein Problem, mit dem wir uns lange herumgeschlagen haben. Fotografieren war damals noch teurer und es war auch nicht das Interesse der AktivistInnen, sich selbst bei ihrem Tun abzulichten. Außerdem wollten viele nicht auf Fotos festgehalten werden, weil sie Schwierigkeiten befürchteten, es gab damals ja im öffentlichen Dienst Berufsverbote für „Radikale“.

In der Ausstellung und stärker noch im Katalog fällt auf, dass die Darstellung des Engagements christlich motivierter Menschen breiten Raum einnimmt. Hat das eher pragmatische Gründe, wie deine Magisterarbeit zur KSG oder die Unterstützung des Projektes durch das Exzellenzcluster „Religion und Politik“, oder war es tatsächlich so, dass sich in Münster besonders viele ChristInnen engagiert haben?

Sicher gab es pragmatische Gründe. Aber insgesamt war Letzteres wichtiger, also die Tatsache, dass es in Münster ein breites christliches Engagement in der Chile-Solidaritätsarbeit gab. Es ist schwer zu sagen, ob das stärker war als anderswo in der Bundesrepublik, weil es darüber kaum Untersuchungen gibt. Dass sich Christen und Christinnen in Münster sehr stark beteiligt haben, kann man an einigen Dingen exemplarisch festmachen: Die erste Demonstration am 12. September 1973 hatte drei Redner. Einer war der Pfarrer der Evangelischen Studentengemeinde (ESG), Fritz Hufendiek. In den Räumen der ESG hat sich der Initiativkreis „Solidarität mit Chile“ fortan jeden Donnerstag getroffen und der Studentenpfarrer war lange Sprecher des Initiativkreises.

Ähnlich verhielt es sich mit der KSG. Die wurde ab 1975/76 ganz besonders aktiv. Damals stellte sie einen Exil-Chilenen als Gemeindeassistenten ein, der eine halbe Stelle nur für die Solidaritätsarbeit mit Chile hatte. Diese Tradition wurde bis Ende der achtziger Jahre beibehalten, das heißt, da wurden auch erhebliche Ressourcen zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Höhepunkt des Engagements der KSG war 1983 der bundesweite Kongress „Solidarität mit Chile“, dessen Organisation weitgehend von der KSG und deren Gemeindeassistenten Heiner Rosendahl getragen wurde. Das christlich motivierte Engagement war sehr wichtig, allerdings haben sich auch sehr viele Leute in Münster für Chile engagiert, die mit den Kirchen nichts zu tun hatten.

In der Ausstellung werden die politischen Konflikte in der Chile-Solidarität nur am Rande erwähnt. Ich habe diese Bewegung seit Anfang der achtziger Jahre mitbekommen und erlebte die politischen Auseinandersetzungen als sehr heftig, deutlich heftiger als etwa in den Solidaritätsbewegungen zu Mittelamerika. Warum habt ihr diese Konflikte, die natürlich viel mit der Zersplitterung der bundesdeutschen wie der chilenischen Linken zu tun hatten, nicht weiter thematisiert?

Es war bis zu einem gewissen Grad eine Entscheidung, diesen Auseinandersetzungen keinen breiten Raum zu geben. Nur ein Beispiel: Wir haben bewusst nicht aufgenommen, dass es in der ersten Zeit nach dem Putsch noch ein Lateinamerika-Komitee gab, das stark auf Konfrontationskurs zum Initiativkreis „Solidarität mit Chile“ gegangen war und ihm vorwarf, das sei alles reformistisch, was da gemacht würde. Dieses Komitee existierte nur kurze Zeit und hat sich dann quasi selbst zerlegt. Das fand ich aufs Ganze gesehen letztlich zu marginal in der gesamten Geschichte von fast zwei Jahrzehnten, um das groß zu thematisieren. Für eine breitere Öffentlichkeit ist die Geschichte der Chile-Solidarität ohnehin ein relativ sperriges Thema.

Um jemandem, der darüber gar nichts weiß, verständlich zu machen, worüber da gestritten wurde, hätte es sehr viel Erklärung und Raum gebraucht. Das hätte ich unproportional gefunden und es hätte abgelenkt von dem, was geleistet worden ist, diese Kontinuität über einen so langen Zeitraum. Sicher gab es die politischen Konflikte, auch wegen der unterschiedlichen Positionen der exilchilenischen Organisationen, die du angesprochen hast, aber der Initiativkreis hat versucht, möglichst viele Richtungen zu integrieren, indem er zum Beispiel gesagt hat, wir unterstützen alle Kräfte der chilenischen Opposition.

Wie ist die bisherige Resonanz auf die Ausstellung?

Sie läuft ja erst seit gut zehn Tagen, aber die ersten Reaktionen sind sehr positiv. Bei der Eröffnung am 4. November waren rund 200 Leute da, auch viele, die damals aktiv waren und sogar teilweise aus anderen Städten angereist sind. Es war aber trotzdem kein reines Ehemaligentreffen, es waren auch viele junge Leute da. Es war eine schöne Mischung und wir hatten den Eindruck, dass es generationsübergreifend Interesse weckt und nicht nur bei denen, die früher dabei waren.

Das Gespräch führte Gert Eisenbürger am 16. November 2011 im Stadtmuseum Münster.