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Nichts an Aktualität verloren

Nicaragua-Solidarität heute und morgen

Die Idee der Solidarität hat nichts an ihrer Aktualität verloren. Die Ideale, wofür die Menschen der Solidaritätsbewegung einst nach Nicaragua gingen, sind auch heute noch relevant, wie auf der Nicaragua-Konferenz „Solidarität heute und morgen“ Ende Oktober in Wuppertal resümiert wurde. Wer ein Treffen von VeteranInnen der Nicaragua-Solidarität der achtziger Jahren erwartet hatte, dürfte sich die Augen gerieben haben. Die TeilnehmerInnen kamen aus allen Altersgruppen, wobei die jüngeren, also diejenigen, die am 19. Juli 1979 noch gar nicht geboren waren, die Mehrheit stellten.

Steffi Wassermann

Vom 19. bis 21. Oktober kamen in Wuppertal über hundert Gäste aus Nicaragua, Deutschland und Österreich zusammen, um sich über aktuelle Entwicklungen in Nicaragua zu informieren und über die Solidaritätsarbeit auszutauschen. Eingeladen hatte das Informationsbüro Nicaragua in Kooperation mit einem breiten Zusammenschluss von Solidaritäts- und Partnerschaftsorganisationen. Debattiert und diskutiert wurde über Fairen Handel und ländliche Entwicklung bis hin zu politischen Fragestellungen, wie die wirtschaftliche Ausrichtung Nicaraguas zwischen ALBA und IWF, das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Zentralamerika oder die Investitionen in erneuerbare Energien.

Wie kann eine gerechte Gesellschaft erreicht werden, wenn die Unterdrückung der Frauen nicht beseitigt wird? Diese Frage stellte die nicaraguanische Soziologin und Frauenrechtlerin Sara Henríquez auf der Konferenz. Gewalt gegen Frauen sei ein Phänomen, das sich tief in der Gesellschaft verwurzelt habe und als Querschnittaufgabe angesehen werden müsse, betonte sie. Denn eine echte Revolution könne nur realisiert werden, wenn die Lebensmöglichkeiten der Frauen revolutioniert werden, so die seit Jahrzehnten engagierte Feministin Henríquez. Was bedeutet diese Erkenntnis für die Soliarbeit? Echte Solidarität müsse immer vor einem Hintergrund stattfinden, der die Durchsetzung der Rechte der Frau bei allen Themen mitbedenkt – da war Sara Henríquez unmissverständlich. Frauenrechte sind kein Nebenwiderspruch, der sich wie von selbst erledigen würde, wenn der bekannte Hauptwiderspruch durch die Revolution gelöst sei.

Auf der Konferenz wurden immer wieder grundlegende Fragen aufgeworfen. Wie solle sich die Solidaritätsbewegung den aktuellen Entwicklungen gegenüber verhalten? An wen solle sie sich richten? Wie könne eine zeitgemäße Solidarität aussehen?

Die Beiträge der TeilnehmerInnen brachten zum Ausdruck, dass es viele unterschiedliche Anknüpfungspunkte und Herangehensweisen gibt, worin sich auch immer ein ganz persönliches Verständnis von solidarischem Handeln zeigt. Daneben wurde trotz der unterschiedlichen Ansätze deutlich, dass es ein gemeinsames Ziel gibt, über das trotz aller Unterschiedlichkeit Einigkeit besteht: in einer solidarischen Arbeit steckt immer die Hoffnung, die Lebensbedingungen zu verbessern und damit die Welt ein Stück gerechter zu machen.

Es mag überraschen, dass sich die Solidaritätsbewegung erhalten hat, auch wenn sich viele Träume nicht verwirklichen ließen und die Euphorie vielerorts einer Ernüchterung über die Vorgänge in Nicaragua gewichen ist. Doch die Menschen, die zur Konferenz gekommen waren, machten deutlich, dass Nicaragua nicht nur Projektionsfläche für eine bessere Welt war, sondern auch der reale Ort für den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft ist. Das Interesse an Nicaragua wird dabei sehr unterschiedlich begründet. Ob durch jahrelange Arbeit in Gruppen und Partnerschaftsvereinen, Teilnahme an den Soli-Brigaden, EZ-Projekten oder einen Aufenthalt über das weltwärts-Programm, oft wurden persönliche Verbindungen mit Menschen geknüpft, die fortdauern. So hat die Solidarität einen Bezug zu konkreten Menschen und Projekten, darauf wies Fátima Ismael von der Kaffeebäuerinnen- und bauerninitiative Sopexcca mit Nachdruck hin.

Echte Solidarität kann aber nur auf Augenhöhe stattfinden. Neben der konkreten Unterstützung muss auch die eigene Position stets in einem größeren Zusammenhang reflektiert werden. Etwa wenn es um die Politik der EU geht. Welche Auswirkungen hat das Assoziierungsabkommen, das von der EU vorangetrieben wird? Wer profitiert von solchen Entwicklungen? Kritik muss geübt werden an der Wirtschaftsweise, die von der EU forciert wird und es muss ein Bewusstsein geschaffen werden über die eigene Rolle und das Verhaftetsein mit einem System, das es zu kritisieren gilt. 

Daran schließt sich die Frage an, in was für einer Welt wir leben möchten, in der durch globale Verstrickungen die Grenzen immer weiter verwischen. Kann das Selbstverständnis als WeltbürgerIn eine Antwort liefern? Ist das Gefühl, WeltbürgerIn zu sein, eine Möglichkeit, den Begriff der Solidarität mit neuem Sinn zu füllen? Aber, so wurde gefragt, solange wir in Kategorien von Nord/Süd und Deutschland/Nicaragua sprechen, behalten wir doch immer die Grenzen im Kopf; und das Gefühl, einE WeltbürgerIn sein zu können, droht doch wieder den Privilegierten vorbehalten zu bleiben.

Warum also heute noch von Solidarität sprechen? Es kommen immer neue Herausforderungen hinzu – doch es bleiben die „alten“ Probleme, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben, Hoffnungen und Ziele, die noch nicht erfüllt sind. Die grassierende Gewalt gegen Frauen besteht nach wie vor, Diskriminierung von Frauen zieht sich durch alle Bereiche des Lebens. Die Kritik an den Gegebenheiten ist – damals wie heute – immer auch eine Kritik an gesellschaftlichen Macht- und Geschlechterverhältnissen, so resümierte es Marta Flores von Otro Mundo es posible.