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Brandanschlag mit Folgen

Der Konflikt im Süden Chiles spitzt sich zu

Der Konflikt zwischen Großgrundbesitzern und Mapuche im Süden Chiles hat einen vorerst neuen Höhepunkt erreicht. Ein Brandanschlag mit tödlichen Folgen hat den Stein ins Rollen gebracht und die Diskussion um territoriale Ansprüche und die Politik der chilenischen Regierung gegenüber den indigenen Mapuche erneut angeheizt.

Laura Winkler

In der Nacht auf den 4. Januar 2013 kam bei einem Brandanschlag in Vilcún in der Region La Araucanía im Süden Chiles ein Ehepaar um, das zu einer der reichsten und bekanntesten Großgrundbesitzerfamilien Chiles gehörte. Es handelt sich um Werner Luchsinger, dessen Vorfahren vor etwa 100 Jahren aus der Schweiz nach Chile ausgewandert waren, und seine Frau Vivianne McKay. Laut der offiziellen Version wurde das Feuer von einer Gruppe von maskierten Angreifern gelegt. Luchsinger habe sich mit einer Schusswaffe verteidigt und einen der vermummten Angreifer verletzt. Dabei handelt es sich um den 25-jährigen José Córdova Tránsite, einen machi, einen Schamanen einer benachbarten Mapuche-Gemeinde. Er wurde später festgenommen.

Regierung und Medien in Chile gehen davon aus, dass der Anschlag ein Racheakt für den Tod des 22-jährigen Studenten und Aktivisten Matías Catrileo gewesen sei. Matías Catrileo hatte sich im Januar 2008 an der Besetzung eines Landguts beteiligt, das die Mapuche als ihnen angestammtes Land zurückfordern. Bei der Räumung durch ein Sondereinsatzkommando der chilenischen Militärpolizei war er am 3. Januar 2008 von einem Polizisten hinterrücks erschossen worden. Das besetzte Grundstück gehörte Jorge Luchsinger, einem Cousin des nun getöteten Werner Luchsinger. Am fünften Todestag von Matías Catrileo hatten im ganzen Land Demonstrationen und Gedenkfeiern stattgefunden, um Gerechtigkeit für das Todesopfer zu fordern. Hintergrund ist, dass der Täter Walter Ramírez zwar zunächst festgenommen und wegen „ungerechtfertigter Gewalt mit Todesfolge“ zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, allerdings auf Bewährung. So ist Walter Ramírez mittlerweile nicht nur auf freiem Fuß, sondern sogar weiterhin im Polizeidienst tätig, wie das Gericht in letzter Instanz am 14. Januar 2013 erneut bestätigte.

Kaum war die erste Schockstarre vorüber, begannen in Chile die Diskussionen darüber, wer die Schuld an dieser Eskalation der Gewalt trägt. Bereits am Tag nach dem Attentat standen erste Maßnahmen fest. Chiles Präsident Sebastián Piñera reiste noch am Freitag in den Süden Chiles und gab bekannt, dass erneut das Antiterrorgesetz gegen die Täter angewendet werde. Innenminister Andrés Chadwick kündigte an, 84 weitere Polizisten in die Region entsenden zu wollen. Dabei ist die Region schon jetzt hoch militarisiert, in keiner anderen Region des Landes gibt es eine ähnlich starke Polizeipräsenz. Mapuche-Gemeinden klagen seit Jahren über eine massive Militärpräsenz, über Einschüchterungsversuche seitens der Polizei, willkürliche Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Drei Tage nach dem Brandanschlag soll eine Razzia der Polizei in der autonomen Gemeinde Temucuicui nahe Temuco stattgefunden haben, bei der die Polizei überaus gewalttätig mit Panzern gegen Frauen, Kinder und alte Menschen vorging. Obwohl es keinerlei Widerstand oder Provokationen von Seiten der BewohnerInnen gegeben habe, seien sie von den Beamten brutal angegriffen worden, so der Sprecher der Gemeinde, Jorge Huenchullan.

Über solche Ereignisse schweigen die Medien Chiles allesamt. Dafür berichten sie nun von den Landwirten, die von einem Klima der Angst sprechen, Angst vor terroristischen Attentaten von Angehörigen der Mapuche. „Es ist in diesen Tagen nicht leicht, in den Schlaf zu finden“, so einer der Großgrundbesitzer der Zone. In der Tat hat die Gewalt auf beiden Seiten zugenommen. In den vier Tagen nach dem tödlichen Anschlag wurden gleich fünf weitere Brandanschläge in der Region verübt. Zu einigen der harmloseren Brandanschläge hat sich die Organisation CAM (Coordinadora Arauco-Malleco) bekannt, eine der radikaleren Strömungen der Mapuche-Bewegung, die jedoch betont, mit dem tödlichen Brandanschlag nichts zu tun zu haben. Ziel ihrer Attentate sind meistens Geräte und Lastwagen der Forstbetriebe, die sich auf dem ehemaligen Territorium der Mapuche ausgebreitet haben.

Auch der angeschossene und verhaftete José Córdova Tránsite beteuert seine Unschuld. Trotzdem stehen jetzt die Mapuche unter Generalverdacht. Zwar sind noch nicht alle Einzelheiten zum Tathergang bekannt, doch schon jetzt ist klar, dass auf den/die Verdächtigen das Antiterrorgesetz angewandt wird. Dieses Gesetz stammt noch aus Zeiten der Pinochet-Diktatur und wurde damals gegen politische WiderständlerInnen angewandt. Das Antiterrorgesetz erlaubt u.a. eine mitunter jahrelange Untersuchungshaft und die Anhörung anonymer ZeugInnen. Dabei lässt es der Polizei bei der Ermittlung weitgehend freie Hand, was diese Art von Prozessen besonders anfällig gegenüber Manipulationen und Montagen macht.

Der Direktor des Programms für indigene Rechte der Organisation Fundación Chile 21, Domingo Namancura, betont, dass die Mapuche keine Schuld an den Ereignissen trifft. In einem Gespräch mit CNN-Chile zeigt er sich davon überzeugt, dass die Täter keine Beziehung zu den kulturellen und religiösen Werten der Mapuche hätten, da Respekt und Achtung vor dem menschlichen Leben für sie essentiell seien.

Auch der Journalist Pedro Cayuqueo warnt vor einer einseitigen Berichterstattung. Bei allem Respekt vor den Opfern gibt er zu bedenken: Die Gewalt in der Zone ist zwar neu aufgeflammt, der Konflikt schwelt jedoch schon seit Jahrzehnten und geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. „Die ersten Häuser, die im Süden Chiles abgebrannt wurden, waren die Hütten der Mapuche“, sagt Cayuqueo und spielt damit auf die sogenannte „Befriedung Araukaniens“ an, bei der seit 1891 der Großteil der Mapuche-Bevölkerung vertrieben oder getötet wurde – mit dem Ziel, Land für die Einwanderer zu gewinnen. Von dieser Praxis hatten vor rund 100 Jahren u. a. die Vorfahren der Familie Luchsinger profitiert. Chilenische und ausländische SiedlerInnen wurden damals gezielt angeworben, um die traditionellen Territorien der Indigenen zu bevölkern. Die Marginalisierung der Mapuche in den Reservaten verschlimmerte sich noch dadurch, dass sich die SiedlerInnen Reservatsland illegal aneigneten und legalisieren ließen. Im Jahre 1906 erwarb die Familie Luchsinger in Vilcún 60 Hektar Land von einem deutschen Einwanderer und vergrößerte ihren Grundbesitz später auf 1200 Hektar.

Auch wenn man die Nachfahren schwerlich für die heutige Situation der Mapuche verantwortlich machen kann, war doch die Rolle von Werner Luchsinger während des aktuellen Konflikts nicht gerade ruhmvoll. Luchsinger wehrte sich sein Leben lang gegen Landrückkäufe der staatlichen Behörde CONADI, die damit beauftragt war, zumindest Teile der angestammten Ländereien von den Landwirten zurückzukaufen und an Mapuche-Gemeinden zu verteilen. In einem berüchtigten Interview gab er als Grund für seine Weigerung an, die Mapuche seien von Natur aus faul und würden das Land brachliegen lassen. Mehrmals hat er außerdem die Landwirte seiner Umgebung zur Selbstjustiz gegen die Mapuche aufgerufen. So wenig solche Äußerungen das gegen ihn verübte Attentat rechtfertigen können, so haben sie doch dazu beigetragen, dass sich die Gesamtsituation zugespitzt hat.

Diese Verflechtungen zeigen, wie schwer eine angemessene Reaktion auf die jüngsten Ereignisse ist. Der Staat Chile hat seine historische Schuld gegenüber den Mapuche verdrängt, zum Schaden nicht nur der Mapuche, sondern auch der heute im Süden ansässigen Landwirte, Nachfahren der ersten europäischen EinwanderInnen. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass Gewalt nicht durch noch mehr staatliche Gewalt beendet werden kann, so wie es die chilenischen Regierungen, egal welcher politischen Couleur seit Ende der Diktatur zu tun pflegen. Eugenio Tuma, ein Senator der sozialdemokratisch orientierten Partei für die Demokratie (PPD), forderte die Regierung deshalb auf, sich endlich mit den Ursachen des Konflikts zu befassen. Die Gewalt könne nur beendet werden, wenn die Exekutive anerkenne, dass der Staat den indigenen Völkern und allen EinwohnerInnen der Araucanía Schaden zugefügt habe.

Auch der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles, Guillermo Teillier, forderte ein Ende der Konfrontation: „Ebenso wie die Gewalt kein Weg sein kann, führen auch blinde Repression und überzogene Interpretationen der Ereignisse nur zu noch mehr Konfrontation.“

Der Präsidentschaftskandidat Marco Enríquez-Ominami fordert außerdem eine Anerkennung der indigenen Kulturen in der Verfassung: Bis jetzt definiert sich Chile nicht als das plurikulturelle Land, das es in Wirklichkeit ist. Auch hat Chile die ILO-Konvention 169, die ein Mitspracherecht indigener Völker bei Großprojekten garantiert, bis heute nicht ratifiziert. Und nicht zuletzt spielt auch die soziale Ungerechtigkeit eine Rolle. Die Region La Araucanía ist die ärmste Region Chiles und so fühlen sich die Mapuche vom Fortschritt und Wohlstand im Rest des Landes ausgeschlossen.

Für den 16. Januar haben verschiedene Autoritäten der Mapuche zu einem gemeinsamen Gipfel mit der Regierung geladen. Präsident Piñera ist zwar nicht erschienen, wohl aber zwei Repräsentanten der Regierung. Jetzt kommt es darauf an, dass die chilenische Politik auf die ihr gestellten Herausforderungen angemessen und mit Augenmaß reagiert.