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Freihandel weiter auf dem Vormarsch

Mehrheit im Europaparlament für Abkommen mit Peru, Kolumbien und Zentralamerika

Als sich Ende Januar die Delegationen aus lateinamerikanischen, karibischen und europäischen Staaten in Santiago de Chile zu einem gemeinsamen Gipfel trafen, fehlte auch Angela Merkel nicht. Die Anwesenheit der Kanzlerin ist nicht selbstverständlich, hat sie sich doch beim Klimagipfel in Doha und auf dem Weltnachhaltigkeitsgipfel in Rio von ihren Ministern vertreten lassen. Doch Merkels Reise nach Chile zeugte nicht von einer starken Bindung an diese Region, sondern von dem einseitigen Fokus ihrer Regierung – in Santiago ging es an erster Stelle um wirtschaftliche Themen. Während die globale Finanz- und Wirtschaftskrise noch im vollen Gange ist, wurden zwei vor kurzem verabschiedete Freihandelsabkommen gefeiert.

Ska Keller
Thilo Hoppe

Am 11. Dezember segnete das Europaparlament ein Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien sowie ein Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika (im Wesentlichen auch ein reines Handelsabkommen) mit erdrückender Mehrheit ab – trotz der von Zivilgesellschaft und Opposition vorgebrachten starken Bedenken. Nur die GRÜNEN und Die Linke sowie wenige „rebellische“ SozialdemokratInnen stimmten dagegen. Die Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion ließ sich durch einen sehr vagen und unverbindlichen Aktionsplan für Menschenrechte zur Zustimmung zum Abkommen mit Peru und Kolumbien bewegen, den das Europaparlament von den beiden Regierungen gefordert hatte. Die Abstimmung hat wieder einmal gezeigt, dass sich die Mehrheit des Europaparlaments zwar als stolze Verfechterin der Menschenrechte versteht, diesen Grundsatz aber über Bord wirft, wenn Menschen-, Umwelt- und soziale Rechte Unternehmensinteressen gegenüberstehen.

Ganz im Sinne der EU-Handelsstrategie besteht das Ziel der beiden Abkommen darin, im Wettkampf mit aufsteigenden Schwellenländern und den USA den Zugang zu neuen Absatzmärkten zu suchen und gleichzeitig die Rohstoffzufuhr für europäische Unternehmen zu sichern. Dies bedeutet zum einen, dass letztere die größten Profiteure der Abkommen sein werden. Zum anderen wird der intensivierte Warenaustausch Land- und Umweltkonflikte in den lateinamerikanischen Ländern verschärfen. So ist z.B. der zollfreie Import von Palmöl in die EU vorgesehen, ein Anreiz für GroßgrundbesitzerInnen u.a. in Kolumbien, Peru und Honduras, die Produktion auszuweiten, und das, obwohl sich bereits heute riesige Palmölplantagen in die Regenwälder hineinfressen und dafür die dort lebende Bevölkerung, vor allem KleinbäuerInnen und Indigene, mit Gewalt vertrieben werden.

Gleichzeitig verpflichten sich die lateinamerikanischen Länder, ihre Zölle für Milchprodukte zu senken oder ganz zu streichen. So kann die überschüssige EU-Milch, deren Preis durch Agrarsubventionen extrem niedrig gehalten wird, auf der anderen Seite des Atlantiks abgeladen werden. Nach lautstarken Protesten kolumbianischer MilchbäuerInnen, die um ihre Existenz fürchten, hat die EU Bogotá 50 Millionen Euro als Entschädigung für die KleinbäuerInnen versprochen. Dass dies eine lächerlich geringe Summe ist (100 Euro pro Hof), wird wohl auch in Brüssel und Berlin bekannt sein.

Die Handelsabkommen drohen also diverse Menschenrechte, wie jenes auf Nahrung oder Wohnen, zu verletzen. Zudem sind sie ein fatales Zeichen an Regierungen wie diejenigen in Kolumbien und Honduras. 47 Prozent der weltweiten Morde an GewerkschafterInnen werden in Kolumbien verübt, die Aufklärungsrate ist sehr gering. In Honduras hat sich die Menschenrechtslage seit dem Putsch 2009 weiter verschlechtert, auch politische Morde sind wieder an der Tagesordnung. Daran werden auch Fahrpläne für Menschenrechte, wie sie in das Abkommen mit Peru und Kolumbien aufgenommen wurden, nichts ändern, solange sie nicht mit effektiven Monitoring- oder Sanktionsmechanismen flankiert werden. Diese sucht man jedoch in den Klauseln vergeblich.

Entgegen den Erfahrungen aus der Finanzkrise wird die Deregulierung von Finanzdienstleistungen weiter vorangetrieben. Devisentransfers werden in jeder Höhe und zu jeder Zeit möglich sein. Derivate und neue Finanzprodukte sind explizit erlaubt. Kapitalverkehrskontrollen und eine gemeinsame Bankenaufsicht sind nicht vorgesehen, dagegen wird das Bankgeheimnis ausdrücklich festgeschrieben. Auch sind im Abkommen mit Peru und Kolumbien keine Vorkehrungen gegen Geldwäsche und Steuerflucht geplant, im Gegensatz zu anderen EU-Freihandelsabkommen. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass illegale Geldströme und Steuerflucht mit dem Abkommen zunehmen werden.1 Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat festgestellt, dass die Abkommen die derzeitigen Regulierungsbestrebungen der EU unterlaufen könnten. Insbesondere angesichts des Einflusses der Organisierten Kriminalität in Lateinamerika ist dies kontraproduktiv und schwächt jedes Engagement zur Stärkung staatlicher Strukturen bei der Verbrechensbekämpfung; die Geldwäsche der Kartelle wird erleichtert.

Was den CELAC-EU-Gipfel angeht, ist es sehr bedauerlich, dass viel dringlichere Themen wegen wirtschaftlicher Interessen in den Hintergrund gedrängt werden. Die beiden Freihandelsabkommen müssen noch vom Bundestag ratifiziert werden, der voraussichtliche Termin ist Ende Februar. Hier haben alle Fraktionen ein letztes Mal die Gelegenheit zu beweisen, wie viel ihnen Menschenrechte und Umweltschutz Wert sind.

  • 1. Myriam van der Stichele (2012): Free Trade Agreement EU – Colombia & Peru: Deregulation, illicit financial flows and money laundering, SOMO (Studie im Auftrag des EP-Abgeordneten Jürgen Klute - Die Linke)

Ska Keller ist Mitglied des Europäischen Parlaments, Thilo Hoppe Mitglied des Bundestags (beide für die GRÜNEN).