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Das AA und die argentinische Diktatur

Neue Erkenntnisse über die „Zurückhaltung“ des Auswärtigen Amtes
Gert Eisenbürger

Auf der Basis inzwischen freigegebener Akten des Auswärtigen Amtes (AA) hat die Historikerin Dorothee Weitbrecht die Politik der bundesdeutschen Diplomatie gegenüber der argentinischen Militärdiktatur (1976-83) untersucht. Im Zentrum ihrer Recherchen steht die Frage, was das von Hans-Dietrich Genscher geführte AA und die deutsche Botschaft in Buenos Aires für die vom argentinischen Militärregime entführten deutschen StaatsbürgerInnen (nicht) getan haben. Weitbrecht zeigt, dass in der Politik des AA gegenüber dem Militärregime die Interessen einiger weniger Unternehmen absolute Priorität hatten. 

Insbesondere ein Panzerexportgeschäft der Firma Thyssen-Henschel, das bereits vor dem Putsch genehmigt worden war, sollte auch mit der Diktatur abgewickelt werden, und das obwohl die damaligen Exportrichtlinien der BRD die Ausfuhr von Rüstungsexporten in Krisenregionen untersagten. Doch nicht etwa die schweren Menschenrechtsverletzungen, die Argentinien eindeutig zur Krisenregion machten, beunruhigten Jörg Kastl, den deutschen Botschafter in Buenos Aires, sondern die in Deutschland vernehmbare Kritik an Folter und Massenmorden. In einem Fernschreiben ans AA äußerte er am 7. Juli 1977 die Befürchtung, der Rüstungsauftrag geriete in Gefahr, wenn Argentinien „in die Schusslinie“ von Menschenrechtskritikern käme

In dem Panzergeschäft sah der Botschafter eine „Belohnung für die bisher geleistete Entwicklungsarbeit“. Die ging auch während der Diktatur weiter, unterstützte sogar deren Propaganda. So wurde ein vor dem Putsch bewilligter 12-Millionen-DM-Kredit für den Bau eines Wasserspeichers umgewidmet zur Finanzierung von Fernseheinrichtungen, die für die Übertragung der Fußball-WM 1978 benötigt wurden. Die bundesdeutsche Politik zielte darauf, die Diktatur zu stabilisieren. So erklärte Karl Moersch, Staatsminister im AA, nach einer Südamerikareise, die Bundesrepublik müsse Argentinien – gemeint ist das Militärregime – „mit Geduld und Verständnis“ begegnen. Würden die rechten Diktaturen destabilisiert, drohe die Gefahr eines „marxistischen Gegenschlages“.

Aus dieser positiven Grundhaltung gegenüber dem Militärregime ergab sich die Haltung des AA und der Botschaft gegenüber den von diesem verfolgten Deutschen. Der Schutz der eigenen Staatsangehörigen, die im Ausland in Lebensgefahr geraten, gehört zu den originären Aufgaben von Auslandsvertretungen. Die Botschaft wurde am 22. März 1977 über das „Verschwinden“, das heißt die Entführung der aus Tübingen stammenden Elisabeth Käsemann informiert. Sie erkundigte sich daraufhin bei den argentinischen Behörden, die erklärten, ihnen sei davon nichts bekannt. Damit gab sich die Botschaft zufrieden. Am 2. Juni 1977 meldete eine argentinische Zeitung, Elisabeth Käsemann sei am 24. Mai bei einem Feuergefecht mit Sicherheitskräften erschossen worden. Auch diese Version akzeptierte man. 

In Wirklichkeit wurde Elisabeth Käsemann über zwei Monate in einem geheimen Gefängnis festgehalten, gefoltert und schließlich ermordet. In dieser Zeit hätte es vermutlich verschiedene Gelegenheiten gegeben, sie zu retten, wie es die US-Regierung im Falle der am gleichen Tag verschleppten US-Bürgerin Diana Houston getan hat. Die Zurückhaltung der Botschaft und des AA wurden von der Diktatur offensichtlich so gedeutet, dass es seitens der Bundesregierung kein größeres Interesse gab, Frau Käsemann zu retten. Dabei war das AA stets gut informiert. Während es gegenüber der Öffentlichkeit von Einzelfällen sprach, wusste man schon im August 1977, dass zu diesem Zeitpunkt 48 Deutsche oder Deutschstämmige verhaftet oder „verschwunden“ waren.

Gegenüber KritikerInnen, etwa der von der ila koordinierten Kampagne „Fußball ja – Folter nein“ im Vorfeld der WM 1978 in Argentinien, argumentierte die Bundesregierung damals, sie betriebe „stille Diplomatie“, die den Betroffenen viel mehr helfe als eine Brüskierung der argentinischen Regierung. Weitbrechts Auswertung der entsprechenden Akten legt nahe, dass diese Diplomatie extrem still gewesen sein muss und dass das AA – vorsichtig ausgedrückt – sehr wenig getan hat, um die von der Diktatur verschleppten deutschen Staatsangehörigen oder Kinder deutsch-jüdischer Flüchtlinge zu retten. 

Dorothee Weitbrecht: Profite versus Menschenrechte, Argentinien und das schwierige Erbe der deutschen Diplomatie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 7/13, S. 93-104