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Kapitulation vor dem Schweigen?

Erzbistum San Salvador schließt Menschenrechtsbüro Tutela Legal

Am 30. September 2013 informierte das Erzbistum San Salvador die überraschten MitarbeiterInnen von Tutela Legal über die Anordnung des Erzbischofs José Luis Escobar Alas, das seit 1982 tätige Menschenrechtsbüro zu schließen. Ursache und Hintergründe der Maßnahme blieben bisher unklar, auch wenn kirchliche Autoritäten und die Medien in den folgenden Tagen die verschiedensten Versionen publik machten. Ebenso unklar ist, welche Auswirkungen die Schließung des Büros bzw. die Reorganisation der Menschenrechtsarbeit, die das Erzbistum nun ankündigte, haben wird.

Helene Kapolnek

MenschenrechtsaktivistInnen befürchten nun die Vernichtung des umfänglichen, rund 50 000 Dokumente, Bilder, Ton- und Videoaufnahmen umfassenden Archivs von Tutela Legal zu Menschenrechtsverletzungen aus der Bürgerkriegszeit. So wurde die Forderung laut, das Archiv an das Nationalarchiv El Salvadors oder an die staatliche Menschenrechtsombudsstelle, die im Rahmen des Friedensabkommens 1991 gegründet wurde (PDDH), zu übergeben.

Tutela Legal und das Archiv zu Menschenrechtsverletzungen spielen gerade im Augenblick eine herausragende Rolle bei der immer noch halbherzig betriebenen Vergangenheitsbewältigung El Salvadors, denn das Menschenrechtsbüro des Erzbistums kämpft seit 1989 für die öffentliche und internationale Aufklärung des Massakers von El Mozote, Morazán, bei dem vom 10. bis 14. Dezember 1981 bis zu 1000 Menschen von der Regierungsarmee ermordet wurden. Es gilt als das schwerste Massaker der modernen lateinamerikanischen Geschichte. Maßgeblich durch den Einsatz von Tutela Legal beschäftigt sich das interamerikanische Menschenrechtssystem und konkret der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof mit El Mozote. Am 25. Oktober 2012 verpflichtete dieser El Salvador zur Aufklärung des Massakers und zur Entschädigung der Opfer. In diesem Urteil beschäftigt sich der Gerichtshof auch mit dem umstrittenen salvadorianischen Amnestiegesetz von 1993, dem Ley de Amnistía General para la Consolidación de la Paz, mit dem sich die Konfliktparteien des Kriegs gegen eine Strafverfolgung wegen Bürgerkriegsverbrechen absichern wollten.

Wie im Fall anderer Länder mit ähnlichen Amnestiegesetzen (Uruguay, Brasilien) spricht sich der Gerichtshof dagegen aus, solche Amnestieregeln in Bezug auf schwere Menschenrechtsverletzungen gelten zu lassen, obwohl er die Zusammenhänge anerkennt, in denen ein Amnestiegesetz explizit zur Beendigung eines Bürgerkriegs zustande kommen kann. In Punkt 312 der richterlichen Entscheidung fordert der Gerichtshof den Staat El Salvador auf, das Amnestiegesetz auszusetzen oder aufzuheben, soweit es der Aufklärung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Weg steht (Entscheidung: SerieC_252_esp.). Die Schließung von Tutela Legal fällt in einen Zeitraum, in der die Diskussion um die generelle Zulässigkeit des Amnestiegesetzes in El Salvador wieder aufgeflammt ist und in dem immer mehr Stimmen, auch höchstrichterliche, genau diese anzweifeln.

Obwohl es seit 1982 unter dem Namen Tutela Legal tätig ist, begann die Menschenrechtsarbeit des erzbischöflichen Büros bereits im März 1977. Das Rechtshilfebüro wurde von dem damals gerade erst ernannten Erzbischof Oscar Arnulfo Romero unter dem Namen Socorro Jurídico Cristiano kurz nach der Ermordung des Jesuitenpaters Rutilio Grande und der beiden Kleinbauern Manuel Solórzano und Nelson Rutilio Lemus in El Paisnal, im nördlichen Einzugsgebiet der salvadorianischen Hauptstadt San Salvador, gegründet. Der Mord an dem sozial engagierten Pater – der bis dahin schwerste Angriff auf das gesellschaftskritische Engagement der vom II. Vatikanischen Konzil und der Befreiungstheologie beeinflussten salvadorianischen Basiskirche – wurde prägend für die Haltung des Erzbistums des 1980 ermordeten Erzbischofs Romero und auch seines Nachfolgers Arturo Rivera y Damas. Er ließ die Arbeit des Büros 1982 – auch mit dem Ziel, die Drahtzieher des Mordes an Romero zu ermitteln – unter dem neuen Namen Tutela Legal fortführen: die Option, sich für die wehrlosen Opfer des Bürgerkriegs einzusetzen und dazu beizutragen, den sozialen Konflikt zu beenden, ohne das Ziel Demokratie und soziale Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Unter den Amtszeiten der wesentlich konservativeren Erzbischöfe Fernando Sáenz Lacalle (1995-2008) und José Luis Escobar Alas (seit 2009) nahm der Druck auf das Menschenrechtsbüro zu.

Einige in der mittelamerikanischen Menschenrechtsarbeit bekannte Gesichter waren bei Tutela Legal tätig. So der erste Direktor des Socorro Jurídico, Roberto Cuéllar. Er leitet heute das Interamerikanische Menschenrechtsinstitut in Costa Rica. Auch der heutige Menschenrechtsombudsman der salvadorianischen Regierung, David Morales, arbeitete von 1990 bis 1995 bei Tutela Legal – in einer Zeit, in der der Einsatz des Büros für die Opfer des Massakers von El Mozote seinen Anfang nahm.

Die treibende Kraft bei diesem Einsatz war María Julia Hernández, die seit 1982 das Büro leitete und bis zu ihrem Tod 2007 als das Gesicht und die Stimme von Tutela Legal wahrgenommen wurde. Sie nahm mit ihren MitarbeiterInnen 1989 im schwer vom Bürgerkrieg getroffenen Departement Morazán im Osten El Salvadors Kontakt mit Angehörigen und Überlebenden des Massakers auf, so mit Rufina Amaya, die bis zu ihrem Tod im März 2007 unermüdlich für die umfassende Aufklärung des vom Infanteriebataillon Atlacatl verübten Verbrechens kämpfte. Obwohl die Umstände des Massakers inzwischen gut dokumentiert sind – unter anderem durch den Bericht der Wahrheitskommission im Rahmen der Friedensabkommen 1992 – und durch den Einsatz etwa der argentinischen Nichtregierungsorganisation Equipo Argentino de Antropología Forense viele Exhumierungen in El Mozote und benachbarten Orten wie Cerro Pando, La Joya, Jocote Amarillo durchgeführt werden konnten, sind die Verantwortlichen bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Tutela Legal setzte sich seinem Auftrag gemäß auch in ungezählten weiteren Fällen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen ein. Hier seien das Massaker vom Río Sumpul am 14. Mai 1980 in Chalatenango erwähnt, bei dem mindestens 300 Menschen starben, sowie die Jesuitenpatres Ignacio Ellacuría, Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Amando López, Juan Ramón Moreno, Joaquín López y López, die Haushälterin Elba Julia Ramos und ihre Tochter Celina Ramos, die am 16. November 1989 in der Zentralamerikanischen Universität UCA von Angehörigen der Armee ermordet wurden.

Eine wichtige Rolle kam Tutela Legal im Fall Baterías Récord zu, der die salvadorianische Öffentlichkeit und die Gerichte seit 2007 beschäftigt. Im Dorf Sitio del Niño, bei San Juan Opico, nördlich der Hauptstadt San Salvadors, vergiftete eine Batterie-Recycling-Fabrik über viele Jahre hinweg Umwelt und AnwohnerInnen mit Blei. Tutela Legal stieß mit ihrem Einsatz für die Opfer den ersten großen Umweltprozess in El Salvador an.

Der „Fall“ Tutela Legal ist bezeichnend für das El Salvador von heute. In seiner Rede zum 20. Jahrestag der Friedensabkommen am 16. Januar 2012 verpflichtete sich der linksgerichtete Präsident El Salvadors, Mauricio Funes, ein umfangreiches Entschädigungsprogramm für die Opfer und Angehörigen des Massakers von El Mozote in Gang zu bringen. Er forderte auch von der Armee, den Sicherheitskräften und der Gesellschaft im Allgemeinen eine Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit. Die Auseinandersetzung gibt es – und das ist gut. Aber für einflussreiche Kreise der Gesellschaft sind Leugnen und Verschweigen Teil dieser Auseinandersetzung. Eins ihrer Opfer scheint gerade Tutela Legal geworden zu sein.