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Tat nur ein bisschen weh

Die Steuerreform der ersten Frente-Amplio-Regierung in Uruguay

„Steuerlich ist Uruguay ein erträgliches Land. Die Steuersätze sind vernünftig, das Finanzamt ist nicht eine totalitäre Verfolgungsmaschinerie wie in D und der EU“, begeistert sich das Auswandererforum „Uruguay Magazin“ auf seiner Website. Gleichzeitig machte Uruguay vor sieben Jahren auf sich aufmerksam, da die Frente-Amplio-Regierung unter Tabaré Vázquez eine umfassende Steuerreform in Angriff nahm. Was hat es also mit dem Steuersystem in diesem so „erträglichen“ Land auf sich?

Britt Weyde

Die Politologin Prof. Dr. Marianne Braig vom Lateinamerikainstitut der FU Berlin führt seit 2009 ein interdisziplinäres Forschungsprojekt durch, das schon mit seinem spanischen Namen verrät, worauf der Fokus liegt: DesiguALdades – „Ungleichheiten in Lateinamerika“. Darin sollen „die Ursachen und Effekte transregionaler und globaler Ungleichheitsprozesse untersucht werden“. Das Projekt hat besonders die „Grenzen der Umverteilung“ im Blick. Am 23. Oktober 2013 erschien in der uruguayischen Tageszeitung La Diaria ein Interview mit der Wissenschaftlerin, worin sie den Effekt betont, den Steuern auf die herrschende (Un)Gleichheit haben: „Seit der Unabhängigkeit und im Verlauf des ganzen 20. Jahrhunderts haben die lateinamerikanischen Länder es nicht geschafft, eine Steuerreform durchzuführen, Uruguay ist da die einzige Ausnahme.“ Allerdings hätten lediglich die direkten Steuern positive Auswirkungen auf das Gleichheitsniveau.

„Die meisten Leute zahlen in Lateinamerika keine Einkommensteuer, sondern indirekte Steuern beim Einkaufen, z.B. über die Mehrwertsteuer. Diese Steuern rufen Ungleichheit hervor, denn im Vergleich zu ihren Einkommen zahlen die Armen einen höheren Anteil an diesen Steuern als die Reichen. Die Einnahmen des Staates, etwa über den Export von Naturressourcen, haben auch keine Auswirkungen auf die Struktur der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen. Zwar hat der Staat dadurch mehr Mittel für die öffentlichen Ausgaben zur Verfügung und wenn es eine gute Regierung ist, erhöht sie die Transferleistungen oder investiert in Infrastruktur für die Ärmsten. Aber selbst das hat keine Auswirkungen auf die strukturelle Ungleichheit. Mit der Steuerreform zahlt die obere Mittelschicht mehr und die untere Mittelschicht zahlt etwas weniger, was eine Sozialstruktur mit etwas mehr Gleichheit schafft.“

Die deutsche Forscherin hebt Uruguay lobend hervor, interessanterweise hat dies auch das Magazin Wirtschaftswoche getan. In der Ausgabe vom 15.2.2012 schreibt Alexander Busch: „Ausgerechnet die Links-Mitte-Regierung setzte ab 2005 grundlegende Reformen des Staates durch, wie kaum eine andere Lateinamerikas: Sie krempelte das Steuersystem völlig um. Eine moderne Steuerbehörde wurde errichtet, 28 marginale Steuern abgeschafft. Eine Einkommens- und Kapitalertragssteuer wurde eingeführt, die vor allem bei den zehn Prozent der Reichsten vorsichtig die Abgaben erhöhte, die vorher kaum Steuern zahlten.“ Diese berühmte uruguayische Steuerreform scheint also rundum glücklich zu machen. Schauen wir etwas genauer hin.

Fakt ist, dass der Mitte-Links-Regierung unter dem Sozialisten Tabaré Vázquez, dem Vorgänger des jetzigen Präsidenten Pepe Mujica (beide vom Parteienbündnis Frente Amplio), in der Tat eine Pionierleistung – für Lateinamerika – gelungen ist. Vor der umfassenden Reform vom 1. Juli 2007 zeichnete sich das uruguayische Steuersystem wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern auch durch Intransparenz, mangelnde Effizienz in der Steuererhebung und eine regressive Einnahmestruktur aus.

Durch die Reform sollte das Besteuerungssystem in Uruguay vereinheitlicht und effizienter gestaltet werden. Sonder- und Ausnahmeregelungen sollten auf ein Minimum reduziert werden. Das Ziel dieser Reform war es nicht, mehr Einnahmen für den Staat zu generieren, sondern tatsächlich mehr Gleichheit zu erreichen. Der Direktor der Steuerbehörde (DGI), Pablo Ferreri, wies auf einem am 16. August 2013 in Montevideo stattgefundenen Panel zu „Steuergerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit“ darauf hin, dass unter dem alten Steuersystem 80 Prozent der Bevölkerung 50 Prozent der Einnahmen erhielt und 60 Prozent des Steueraufkommens bestritt. Unter dem neuen System hingegen würde dieser Teil nur noch 50 Prozent zahlen. Gleichzeitig wäre der Steueranteil, den die oberen 20 Prozent zahlen, von 40 auf 50 Prozent gestiegen. Viele Stimmen heben hervor, dass die Steuerreform eine gemäßigte Umverteilung von unten nach oben erreicht habe. Wie ist dies im Einzelnen zustande gekommen?

Das wichtigste Element der Reform ist die Einführung der IRPF (Impuesto a las Rentas de las Personas Físicas), mit der Einkommen aus abhängiger und selbständiger Arbeit sowie Kapitalerträge besteuert werden. Somit wurde die Steuerbasis erheblich erweitert und das System gerechter gestaltet. Die Einkommensteuer war übrigens 1974 unter der Militärdiktatur abgeschafft worden. Einkommen aus abhängiger Beschäftigung, Renten und Pensionen wurden bereits vor der Reform besteuert, nicht jedoch die aus selbstständiger Tätigkeit. Die IRPF ist progressiv gestaffelt, 10 Prozent zahlen die niedrigsten noch zu besteuernden Einkommen, moderate 25 Prozent die höchsten. Die vor der Reform noch steuerfreien Kapitaleinkommen (Zinsen, Gewinne, Mieteinnahmen) werden mit lediglich 12 Prozent besteuert, dabei gibt es keine Staffelung.

In den ersten Jahren nach Implementierung der Steuerreform war stets ein wichtiger Kritikpunkt, dass die steuerfreie Grenze zu niedrig sei. Sie beträgt ein Siebenfaches des BPC (Base de Prestaciones y Contribuciones, Grundbetrag für Beiträge und Leistungen, liegt im Moment bei 2598 Pesos), beträgt also im Jahr 2013 monatlich 18 186 Pesos (611 Euro). Dazu muss allerdings gesagt werden, dass 80 Prozent der Bevölkerung durch die Reform entweder entlastet wurden und weniger zahlen als vorher bzw. sowieso unter dieser Einkommensgrenze liegen, denn etwa 70 Prozent der abhängig Beschäftigten im formalen Sektor verdienen weniger als 18 186 Pesos monatlich und führen damit keine Einkommensteuer ab. Steuerliche Mehrbelastungen gibt es also nur für das reichste Fünftel der UruguayerInnen.

Die indirekten Steuern, die die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten am stärksten belasten, sind gesenkt worden, die Mehrwertsteuer von 26 auf 22 Prozent sowie die Steuer auf Grundnahrungsmittel von 14 auf 10 Prozent. Allerdings machen die Einnahmen aus den indirekten Steuern nach wie vor einen Großteil der Steuereinnamen des uruguayischen Staates aus. Pablo Ferreri von der Steuerbehörde DGI betonte jedoch auf dem bereits erwähnten Panel, dass der Anteil der indirekten Steuern am gesamten Steueraufkommen von ca. 75 Prozent (vor der Reform) auf aktuell 64 Prozent gesunken sei.

Andreas Wille und Katharina Meier stellen in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung allerdings fest, dass sich der Umverteilungseffekt und der Beitrag zur Armutsbekämpfung in Grenzen halten würden: „Für die Armen ergibt sich kaum eine Entlastungswirkung, da ihr Einkommen (wenn es überhaupt im formalen Sektor generiert wurde) auch vor der Reform unterhalb des Freibetrags lag. Überdies fragen arme Schichten Waren und Dienstleistungen in Geschäften nach, die im Allgemeinen im informellen Sektor tätig sind und daher auch nicht von der Reduzierung der Mehrwertsteuer profitieren.“

Die Regierung unter Tabaré Vázquez (2005-2010) konnte ihre Steuerreform unter relativ günstigen Bedingungen umsetzen. Schon die Vorgängerregierung der konservativen Partido Colorado hatte Maßnahmen eingeleitet, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Als Anerkennung für seine Leistungen wurde der verantwortliche Fachmann nach dem Regierungswechsel auf seinem Posten belassen. Die FA verfügte nun über eine kommode parlamentarische Mehrheit, außerdem wurde die Steuerreform unmittelbar nach Amtsübernahme in Angriff genommen, das heißt, bis zu den nächsten Wahlen gab es einen ausreichend großen zeitlichen Abstand. Schließlich konnte die Regierung ein parteiübergreifendes Team aus Fachleuten und Wissenschaftlern für die Ausarbeitung der Reform gewinnen.

Obwohl Oppositionsparteien und Medien heftig gegen die Steuerreform polemisierten und sie somit zum umstrittensten Projekt der ersten Frente Amplio-Regierung machten, konnte sie letztlich umgesetzt werden. Interessanterweise begrenzten sich die Proteste gegen die Reform nicht auf die Schichten, die steuerlich mehr belastet werden sollten. Auch die Bevölkerungsgruppen, die von der Reform profitieren sollten, waren – allen Informationskampagnen zum Trotz – nur schwer von den positiven Effekten zu überzeugen. Die Regierung führte sogar im Vorfeld eine Art öffentliche Befragung durch, indem sie ab Ende 2005 die vorhergesehenen Reformen vorstellte und im Internet allen Interessierten die Möglichkeit eröffnete, Fragen und Anregungen beizusteuern.

Heute sind die Stimmen in Uruguay, die gegen das reformierte Steuersystem agitieren, deutlich stiller geworden. Und auf internationaler Ebene wird es nach wie vor angepriesen, von den einen, weil die Reform zum Glück nicht so radikal war und nur wenigen ein bisschen weh getan hat, von den anderen, weil sie zumindest in die richtige Richtung weist und im lateinamerikanischen Kontext ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal hat.

Literatur zum Thema: 

Andreas Wille, Katharina Meier, Möglichkeiten und Grenzen einer progressiven Wirtschafts- und Sozialpolitik in Lateinamerika. Das Beispiel Uruguay, November 2012; FES Perspektiven