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Düsteres Panorama

Ein Krimi aus Haiti
Gert Eisenbürger

Der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II meinte einmal augenzwinkernd, Mexiko sei das ideale Land für KrimiautorInnen. Man brauche nur die Zeitung aufzuschlagen und schon habe man ausreichend Stoff für gleich mehrere Thriller. Natürlich war dabei etwas Koketterie. Es ist ja keineswegs so, dass es einen zwingenden Zusammenhang zwischen einer hohen Kriminalitätsrate und einer lebendigen Krimiszene in einer Region oder einem Land gibt. Das gilt auch umgekehrt. Schließlich ist die US-amerikanische Autorin Donna Leon seit Jahren international mit Kriminalromanen erfolgreich, die in einer Stadt angesiedelt sind, in der kaum Kapitalverbrechen verübt werden.

Andererseits verlangen die sozialen Verhältnisse in bestimmten Regionen gleichsam nach kriminalliterarischen Reflexionen und Kommentaren. Dies gilt sicherlich für die Republik Haiti, wo politische Ränkespiele, soziale Konflikte, eine hohe Kriminalitätsrate, durch Korruption geschwächte staatliche Institutionen und ein kaum noch durchschaubares Gewusel – teilweise dubioser – ausländischer Hilfsorganisationen den Alltag der meisten EinwohnerInnen prägen. Und in genau diesem Umfeld bewegt sich Polizeiinspektor Dieuswalwe Azémar, ein für deutschsprachige Krimifans neuer Ermittler. Er steht im Mittelpunkt des kürzlich erschienenen Romans „Schweinezeiten“ des haitianischen Autors Gary Victor.

Dieuswalwe Azémar ist der klassische Ermittlertyp, wie er LeserInnen in zahlreichen engagierten Kriminalromanen begegnet: Ein einsamer Wolf, der in einer von Korruption und Gewalt geprägten Umgebung an seinen moralischen Grundsätzen festhält, sich hart gibt, aber eigentlich weich und verletzlich ist und ökonomisch mehr schlecht als recht über die Runden kommt. Dazu trinkt Dieuswalwe Azémar viel, genau genommen ist er Alkoholiker. Der einzige Lichtblick in seinem Dasein ist seine Tochter Mireya, die erst nach dem rätselhaften Tod ihrer Mutter in sein Leben trat und in einem Internat lebt, weil er es nicht auf die Reihe bekommt, sich um sie zu kümmern.

In seinem Job bei der Kriminalpolizei von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince ist er ein bestenfalls geduldeter Außenseiter. Zum einen wegen seiner Alkoholsucht, aber mehr noch, weil er sich nicht schmieren lässt. Das macht ihn bei den Kollegen unbeliebt, die in ihm einen versoffenen Looser sehen. Lediglich sein Chef hält schützend die Hand über ihn, weil er trotz seines Alkoholproblems der beste und instinktsicherste Ermittler seiner Abteilung ist. Dass er die Fälle löst, an denen sich andere Kollegen die Zähne ausbeißen, macht ihn bei denen auch nicht unbedingt beliebter.

Gleich zu Beginn des Romans „Schweinezeiten“ befreit er – äußerst brutal – das Kind einer Freundin aus den Händen eines skrupellosen Voodoo-Heilers, der die Mutter finanziell ausnehmen will. Dies bringt ihm im Laufe des Buches ein paar Probleme ein, aber deren Erzählung bildet nur einen Nebenstrang der eigentlichen Handlung.

Eine Zeitlang hatte Dieuswalwe Azémar einen Assistenten namens Collin, der sein moralisches Ethos zu teilen schien und für ihn fast wie ein Sohn war. Doch eines Tages eröffnete ihm Collin, er habe um Versetzung in eine andere Abteilung gebeten. Seine anspruchsvolle Gattin verlange einen adäquaten Lebensstil, den er ihr nur bieten könne, wenn er mehr als sein spärliches Polizistengehalt beziehe. Deshalb wechsele er in ein Kommissariat, wo er mitverdienen, sprich Bestechungsgelder kassieren könne.

Dieser Collin ruft etwa ein Jahr nach seiner Versetzung bei Dieuswalwe Azémar an und bittet ihn dringend um Hilfe, nur er könne ihn retten. Der Inspektor gibt dem Drängen des Ex-Mitarbeiters nach und lässt sich zu einem Treffen überreden. Dort trifft er einen Collin, der sich auf mehr als merkwürdige Weise verändert hat. Bei seinen Nachforschungen stößt Azéwmar nicht nur auf den venezolanischen Killer eines Drogenkartells, der offensichtlich hinter Collin her ist, sondern auch auf eine evangelikale Sekte aus den USA. Und zwar genau die, die das Internat betreibt, in dem seine Tochter Mireya lebt. Der Inspektor spürt, dass sein Kind in Gefahr ist...

Auch wenn Gary Victors „Schweinezeiten“ keine neuen Elemente in das Genre einführt und das im Zentrum der Handlung stehende Verbrechen schon des öfteren in Thrillern thematisiert wurde, ist „Schweinezeiten“ ein anregendes Buch. Wie bei vielen interessanten Krimis wird neben dem eigentlichen Fall vor allem ein soziales Panorama entworfen, nämlich das des heutigen Haiti. Und dies bietet wenig Hoffnung: Korrupte Eliten, Sicherheitskräfte und internationale Organisationen machen ihre Geschäfte und verdammen damit die Mehrheit der Bevölkerung zu Elend und Perspektivlosigkeit. Wie sie dabei vorgehen, erzählt Gary Victor in seinem Buch. „Schweinezeiten“ ist im litradukt-Verlag erschienen. Dieser publiziert seit einigen Jahren vor allem Literatur aus der frankophonen Karibik, wobei Autoren und Autorinnen aus Haiti im Mittelpunkt stehen (s. Beitrag in ila 321). Und so düster das Panorama in Gary Victors Buch auch sein mag, seine Existenz und die anderen vielen Bücher haitianischer Autoren und Autorinnen, die bei litradukt erschienen sind, zeigen dennoch, dass das intellektuelle Leben in Haiti trotz aller Probleme und Widrigkeiten weiterhin vielfältig und lebendig ist.

Gary Victor: Schweinezeiten. Ein Voodoo-Krimi, Roman, Übersetzung: Peter Trier, Litradukt Literatureditionen, Trier 2013, 130 Seiten, 11,90 Euro