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Wer spricht für wen?

Ein Buch über die Repräsentativität indigener Organisationen in Lateinamerika
Alicia Rivero

In den 70er-Jahren entwickelte sich die Debatte über die Lebensbedingungen indigener Völker weltweit. Doch es war die UN-Umweltkonferenz von Rio 1992, vor allem in Bezug auf ihren Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen, die der Diskussion einen neuen Schub gab. Zur Weiterentwicklung der Debatte trug entscheidend das Abkommen 169 (Indigenous and Tribal Peoples Convention) der UN-Organisation ILO bei, das die kollektiven Rechte der indigenen Völker international anerkennt. Seitdem nahm die Sichtbarkeit indigener Völker und ihrer Rechte ständig zu, nicht zuletzt wegen ihrer Verletzung, sei es durch Staaten, die extraktive Industrie oder durch nichtindigene Bevölkerung.

Wenn man die Konferenz von Rio als Meilenstein in der allgemeinen Debatte betrachtet, sind nun 24 Jahre vergangen, in denen sich indigene Organisationen vervielfacht haben, deren VertreterInnen wiederum in vielen nationalen wie internationalen Foren präsent sind. Im Rahmen der Aktualisierung der Strategie für die Kooperation mit indigenen Völkern Lateinamerikas und der Karibik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durch das Programm PROINDIGENA1 durchgeführt wird, fand im Mai 2013 in Bonn eine internationalen Konferenz zum Thema Las Américas – The Americas – Die Amerikas: Tendiendo puentes. 6to Encuentro de investigadores germano-parlantes de Sudamérica, Mesoamérica y el Caribe statt. Das Treffen ging der Frage nach der Repräsentativität und Legitimität indigener Organisationen und ihrer VertreterInnen nach.

Als Beitrag zu dieser Debatte wurde das hier besprochene spanischsprachige Buch Quién habla por quién? Representatividad y legitimidad de organizaciones y representantes indígenas veröffentlicht. Es besteht aus zwei Teilen, denen eine allgemeine Präsentation von Sylvia Reinhardt und eine Einleitung in die Thematik von Sabine Speiser vorausgehen. Reinhardt, Koordinatorin von PROINDIGENA, nennt als Konferenzziel die Organisation einer Dreiecksdebatte zwischen den indigenen Organisationen, der Wissenschaft und der Kooperationspraxis.

Unter dem Obertitel „Essay“ finden sich neun Beiträge über verschiedene Aspekte der Repräsentativität, manchmal mit anderen Themen wie Autonomie, Interkulturalität und Landverteilung verwoben.

Unter dem Obertitel Continúa el debate (die Debatte wird fortgesetzt) werden die Erfahrungen vom europäischen Klimabündnis und dem Ökoinstitut INFOE zusammengefasst sowie offene Fragen und weitere Überlegungen der Debatte von Sabine Speiser resümiert. Zuletzt gibt es noch zwei weitere Beiträge von Regine Mader über Repräsentation und indigene Frauen sowie von Aura María Puyana Mutis über die Dynamik der Konzertierung zwischen Staat und indigenen Völkern in Kolumbien.

Bei den durchaus wertvollen Beiträgen fällt auf, dass der Schwerpunkt der teilnehmenden WissenschaftlerInnen vor allem in verschiedenen Regionen Ecuadors und Kolumbiens sowie im Gran Chaco (Territorien in Bolivien, Paraguay und Argentinien) liegt. 

Das anspruchsvolle Unterfangen der Konferenz, nämlich die Dreiecksdebatte zu organisieren, ist begrüßenswert. Weil die Wissenschaft von Anfang an eine privilegierte Rolle hatte, haben die wissenschaftlichen Beiträge vielleicht ein viel zu großes Gewicht im gesamten Werk bekommen, zumal das Buch einen Dialog bzw. einen Trialog zwischen ungleichen Partnern fördern soll.

Das Interessanteste am Beitrag von Ampan Karakras, einem indigenen Vertreter der Shuar aus dem ecuadorianischen Amazonastiefland, ist, dass er die Frage der Repräsentativität zum Teil aus der Perspektive des Diversity Management beleuchtet. Er fragt nicht nur, in wessen Namen ein indigener Repräsentant spricht, sondern auch nach seinem Alter, seiner sozialen Stellung, seiner Ausbildung, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt und mit wem er spricht. Er hinterfragt die internationale Kooperation aus der Sicht der Zielgruppe und fragt, ob die Repräsentativität und Legitimität der Akteure der internationalen Zusammenarbeit real oder fiktiv sei.

Theodor Rathgeber setzt sich mit dem Konzept der Repräsentativität im Fall Kolumbiens auseinander und weist auf die Hindernisse für eine autonome Entwicklung und eine eigene Institutionalität der indigenen Völker hin, nämlich die überragende herrschaftliche Gesellschaft Kolumbiens, in der die Politik von Caudillismo, Klientelismus und Konfessionalismus durchsetzt sei, was übrigens für viele andere lateinamerikanische Länder gelten dürfte. Nichts Neues, aber diese Hindernisse erklären zum Teil die Differenz zwischen dem progressiven Diskurs vieler südamerikanischer Staaten, oft die Stimme aus der Hauptstadt, und der Realität der Lebensbedingungen der indigenen Völker.

Volker von Bremens Artikel analysiert die im Gran Chaco verbreiteten Führungsformen indigener Organisationen und reflektiert die Ungleichheit der Beziehung zwischen indigenen und nichtindigenen Akteuren, wobei letztere zu der herrschenden Gesellschaft gehören, die die Schrift, die Ausdruckformen und andere (westliche) Ressourcen dominieren. Die Beziehung zwischen ihnen wäre immer noch von der aus der Kolonialzeit herrschenden Mentalität geprägt, in der jeder Akteur seine herrschende beziehungsweise unterwürfige Rolle internalisiert hätte, sagt er. Er versucht die Organisationsformen im Gran Chaco zu verstehen, indem er die vorkolonialen Organisationsstrukturen und Prinzipien berücksichtigt, sowie diejenigen, die sich nach dem Kontakt mit den Kolonisatoren herausgebildet haben.

Juliane Ströbele-Gregor setzt sich mit traditionellen Autoritätskonzepten verschiedener indigener Völker Südamerikas auseinander und konfrontiert sie mit „moderneren“, westlichen Konzepten. Ihr Beitrag ist besonders interessant für Akteure der Internationalen Kooperation, die nicht von der Anthropologie bzw. Ethnologie herkommen. Eine weitere interessante Überlegung der Autorin betrifft das Spannungsfeld zwischen indigenen und nichtindigenen Völkern. Sie nennt auch die Konflikte zwischen Gemeinschaften mit potenziell höherem Einkommen durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und denen, die nicht darüber verfügen.

Auch wenn das Buch etwas unübersichtlich strukturiert ist und man eine zusammenfassende Schlussfolgerung vermisst, ist es durchaus lesenswert. Allerdings spricht es durch seine akademischen Beiträge hauptsächlich die wissenschaftliche Gemeinschaft an.

Sabine Speiser (Hg.), Quién habla por quién? Representatividad y legitimidad de organizaciones y representantes indígenas. Un debate abierto, Quito, Ecuador, November 2013, 261 Seiten.