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Feministamente heute

Gespräch mit Gladys Acosta über Bilanz und Perspektiven des Feminismus in Lateinamerika

In den 1980er-Jahren wehrten sich peruanische Feministinnen gegen den Machismo der Männer in linken Parteien und bauten ihre eigenen Strukturen auf. Unter ihnen war die Juristin und Soziologin Gladys Acosta vom Feministinnenzentrum Flora Tristán in Lima. Später wechselte sie die nationale mit der internationalen Bühne, leitete ein Programm für Gender und Macht in Kolumbien, war UNICEF-Regionalberaterin für Gender- und Jugend in Panamá, später UNICEF-Vertreterin in Argentinien und Guatemala. Danach leitete sie die Sektion Lateinamerika und Karibik der UN-Frauenorganisation (UN Women).Von 2015 bis 2018 wird sie sich bei der CEDAW1 für die Abschaffung von Frauendiskriminierung einsetzen. „Feminismus ist die Frage: Was haben die Frauen davon?“, sagte die Frühfeministin und Anarchistin Emma Goldman. Im Gespräch mit Gaby Küppers bilanziert Gladys Acosta vom Feminismus Erreichtes und noch zu Erreichendes.

  • 1. CEDAW: Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen
Gaby Küppers

Gladys, Anfang der 1990er-Jahre schriebst du als Vorsitzende des kämpferischen Feministinnenzentrums Flora Tristán in Lima einen Beitrag für das Buch Feministamente.1 Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen infolge des Mauerfalls und dem Ende der Sowjetunion plädiertest du aus einer linken Haltung heraus für einen engagierten Feminismus, der angesichts des offenbaren Verschwindens der Konfrontation Kapitalismus-Sozialismus klar Stellung beziehen und eine Alternative aus dem Blickwinkel der Differenz zwischen Mann und Frau und aus geschlechtsspezifischen Interessen heraus entwerfen solle. Heute leidet Peru unter einem schwerwiegenden demokratischen Defizit, die Linke ist weitgehend unsichtbar oder einflusslos. Die offizielle Politik in Sachen Frauen und Gender gilt als die am meisten  rückwärtsgewandte in ganz Lateinamerika. Die großen Medien stehen auf der Seite des Opus Dei, das Anfang Oktober sogar die Wiederwahl einer Frau, Susana Villarán, als Bürgermeisterin Limas verhindern konnte. Stattdessen machte ein politischer Erbe Fujimoris das Rennen. Ist der Feminismus, für den du eingetreten bist, gescheitert?

Über das Verhältnis von Feminismus und Politik ist viel zu sagen. Ich bin weiterhin dafür, dass wir uns einmischen, Absentionismus führt zu nichts. Dass viele neue Frauengenerationen heute in Lateinamerika aktiv in der Politik sind, freut mich sehr. Sie wissen, dass sie patriarchalen Strukturen unterworfen sind, vor allem in den klassischen Parteien. Sie wissen aber auch, dass sie sich mit viel Solidarität untereinander Räume erkämpfen und zudem männliche Alliierte finden müssen. In Peru wie auch anderen Ländern Lateinamerikas ist es noch ein weiter Weg, bis Frauen in politischen Ämtern breit anerkannt sind. Wir müssen erreichen, dass die WählerInnen, die Bevölkerung generell, auf die Qualität eines Programms Wert legen und nicht darauf, welches Geschlecht der/die KandidatIn hat. Dafür müssen zunächst noch viele Frauen in Ämtern ein breites  Bewusstsein schaffen. Deswegen vertrete ich weiterhin die Quote als temporäre Maßnahme, im Sinne der CEDAW, als Erziehungs- und Fördermaßnahme zugleich.
Allerdings bin ich nicht für mehr Frauen in der Politik um jeden Preis. Fortschritte in der Gleichstellungspolitik messen sich nicht allein an Zahlen. Feministische Frauen in der Politik tragen eine enorme Verantwortung in der Praxis wie bei der Suche nach Alliierten. Eine profunde Kritik der konkreten Erscheinungsformen des Patriarchats ist vonnöten. Allgemein gehört der Feminismus politisch ins progressive Spektrum und hat tiefe antikapitalistische Wurzeln. Einen rechten Feminismus gibt es meines Erachtens nicht, allenfalls einen liberalen Feminismus. In Peru und anderen Ländern des Kontinents haben jedoch viele Politikerinnen der Rechten und des Zentrums verstanden, wie wichtig es ist, bestimmte feministische Forderungen zu unterstützen. Das macht sie nicht zu Feministinnen, wohl aber zu taktischen Alliierten. Allianzen sind nötig und klappen bisweilen, wie beim Thema Gewalt gegen Frauen im privaten wie öffentlichen Umfeld, aber die Fronten sind schnell klar, wenn es etwa um Arbeitsrechte oder sexuelle und reproduktive Rechte geht.

Du selbst hast Peru verlassen und arbeitest seither auf internationaler Ebene. In deinem besagten Beitrag sagtest du, wichtig sei, klar zu haben, dass Frauen nicht gleich seien, dass es aber strategische Fraueninteressen gebe, wie etwa die Infragestellung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, die Umverteilung produktiver und reproduktiver Arbeit, das Ende der Diskriminierung, Gleichheit politischer und reproduktiver Rechte, Kampf gegen Gewalt und gegen Männermacht über Frauen. Wie lassen sich diese Ziele auf den Ebenen der UNO angehen und umsetzen?

Seitdem ich von Peru weg bin, sehe ich das Land mit anderen Augen. Nicht alles ist schwarz oder weiß.  In der UNO, sei es bei UNICEF oder bei UN Women2, war mir jeden Tag aufs Neue klar, dass ich äußerste Anstrengungen aufbringen musste, um patriarchale Strukturen aufzubrechen, welche Frauen in den unterschiedlichsten  Formen und in verschiedensten Zusammenhängen unterwerfen. Ich habe zwar immer zu Lateinamerika und der Karibik gearbeitet, habe dabei aber auch die internationalen Debatten über Frauenrechte mitbekommen. Daher verstehe ich die Schwierigkeiten, Rechte wahrzunehmen, jetzt besser. Die Unterwerfungs- und Herrschaftskulturen sind komplementär. Sie stützen sich gegenseitig. Es ist grundlegend, die Wurzeln von beiden anzugehen.
Ich bin nicht für Spezialistinnentum und Schubkastendenken in Frauenfragen, wenn man dabei kein theoretisches Verständnis vom historischen Funktionieren des Patriarchats in zeitgenössischen Gesellschaften hat. Man kann beispielsweise unmöglich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ändern, ohne an den wirtschaftlichen Grundfesten des kapitalistischen Systems zu rütteln. Alle erfolgreichen Erfahrungen auf Mikroebene zerschellen am Ende an einem wirtschaftlichen System, das Frauen, dann aber auch Männern immer weniger zahlt. Letztlich helfen solche mit den besten Absichten gemachte Erfahrungen vielleicht einigen Frauen, zu überleben und die eigene Lebensqualität und die ihrer Familien zu verbessern, aber sie verändern die Realität nicht. Die Zahlen zur Reichtumskonzentration weltweit sind beeindruckend. Davor kann man die Augen nicht verschließen und etwa nur dafür kämpfen, Löhne für Frauen zu verbessern. Angesichts des aktuellen Ausmaßes der Ungleichheiten weltweit ist das aufs Ganze gesehen nicht nachhaltig.
Trotz der Fortschritte in Arbeitsgesetzgebungen wird weiterhin Arbeit im Haushalt am schlechtesten bezahlt und ist am wenigsten abgesichert. Gleichzeitig finanziert Haus- und reproduktive Arbeit weiterhin Staatshaushalte. Genau da ist der Kern der Frauenunterdrückung und einer der Schlüssel für das Funktionieren des ganzen Wirtschaftssystems. Ich habe mich sehr für das Inkrafttreten der ILO-Konvention 189 zu Hausarbeit eingesetzt, aber jetzt wollen viele Länder nicht ratifizieren oder die Konvention gesetzgeberisch umsetzen. Vom Feminismus her müssen wir die Hausarbeit als nicht anerkanntes Gratisstandbein der Gesellschaft entlarven. Debatten dazu gibt es viele, aber Handeln ist angesagt.
Gewalt gegen Frauen war ein weiteres meiner Themen. Auf unserem Kontinent habe ich dazu  „Unete“ angeregt, eine Kampagne des UN-Generalsekretariats. Ehrlich gesagt sind die Ergebnisse da sehr mager im Vergleich zu den Ausmaßen des Phänomens. Der Anstieg der Feminizide in Lateinamerika und der Karibik ist horrend, es ist geradezu eine Epidemie. Dank besserer Statistiken können wir heute die Dimensionen besser erfassen, aber wir sind weit davon entfernt, die Tendenz umzukehren. Abgesehen von Ausnahmen gelingt es nicht, das Thema zu einer politischen Priorität zu machen. Viel wäre auch zu sagen zum Recht auf Kinder oder keine. Denn ohne dies bleiben Frauenexistenzen immer eingeschränkt.
Ich hoffe, dass ich künftig als unabhängige Expertin für die CEDAW mit Mandat bis 2018 optimistischer werde.
Kurz gesagt, die Arbeit bei der UNO ist gleichzeitig interessant und frustrierend. Es ist wie Steinchen bewegen, obwohl man weiß, dass Berge verschoben werden müssten. Es ist nicht leicht, Regierungen zu überzeugen, aktiv zu werden, aber die Arbeit muss gemacht werden. Es gibt heute mehr weibliche Führungskräfte in Lateinamerika und in den nächsten Jahrzehnten sollten es noch mehr werden. Bessere Gesetze heute sind gut, aber nicht ausreichend. Die Sozialpolitiken greifen zu wenig. Ausgaben werden nicht als Investitionen in Menschen gesehen. Zum Glück verschaffen sich organisierte Frauenstimmen auf staatlicher und UNO-Ebene heute Gehör. In ihrer Diversität sind sie unabdingbar. Als UNO-Rentnerin freue mich nun auf eine Rückkehr in die Bewegungen, damit gewinne ich meine Stimme zurück. Es ist wichtig, weiterzukämpfen für künftige Frauengenerationen und die substanziellen Verbesserungen auf der geopolitischen Agenda zu halten. Der Erfolg ist sicher, die Frage ist nur, wann?

Hat die Genderthematik auf UN-Ebene inzwischen den Feminismus verdrängt? Ergibt es Sinn, dort weiter als Feministin zu arbeiten? Was sagst du zu der alten Polemik zwischen „institutionellen“ Feministinnen und den anderen?

Das Thema ist sehr emotional besetzt. Die Polemik in Sachen Gender ist nicht produktiv, wenn sie an der Oberfläche bleibt, die Genderthematik ganz abzulehnen ist aber auch kontraproduktiv. Auf den politischen Blickwinkel kommt es an. Die Genderperspektive sollte zum methodologischen Instrumentarium gehören, während der Feminismus als Theorie Gründe und Funktionsweisen der Reproduktion männlicher Unterdrückung erklärt. Eine politische Organisation wie die UNO kann daher nicht feministisch sein. Dort geht alles über komplexe Verhandlungsprozesse zwischen Staaten. Viele Feministinnen haben da mitgemacht und wenige Schlachten gewonnen. Genderpolitik ist weniger umfassend, aber ohne sie ständen wir noch schlechter da.
Feministinnen bringen den humanistischen Gedanken ein. Insofern finde ich es sinnvoll, in der UNO Feministin zu sein. Damit habe ich in Debatten und Verhandlungen das notwendige theoretische Rüstzeug. Der Widerstand ist heftig, daher sind konzertierte Aktionen wichtig. Es reicht aber nicht, Feminismus nur als Verteidigung anerkannter Frauenrechte zu verstehen. Das ist nur ein Aspekt. Der Horizont muss die tiefgreifende Transformation der Gesellschaft mit feministischer Perspektive sein. Historisch ist klar: diesem Ziel nähern wir uns nur etappenweise.
Sicher gibt es feministische Strömungen, die der Arbeit auf UNO- oder überhaupt institutioneller Ebene kritisch gegenüberstehen. Sie halten so etwas für Verrat an den Frauen. Aus ihrer theoretischen Sicht haben sie Recht, aber die Realität funktioniert anders. Diese feministische Strömung, mit anarchistischen Zügen, steht in harter, offener Konfrontation zu den bestehenden Strukturen. Beschränkungen oder Etappen lassen sie nicht gelten. Doch agieren können sie nur in Kleingruppen, wo es keine Machtwidersprüche gibt. Wegen ihrer interessanten Patriarchatsanalyse muss man den Dialog mit ihnen suchen, aber die frontale Attacke gegen andere feministische Positionen ist meines Erachtens nicht konstruktiv. Wir haben schon genug mit unserer Patriarchatskritik auf allen sozialen Ebenen zu tun.

Nochmal zu deinem Beitrag Anfang der 90er-Jahre. Du sagtest, möglich sei ein Sozialismus, der mehr anstrebe als die Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt. Ist von dieser Hoffnung heute noch etwas übrig in Lateinamerika?

Die Geschichte hat meines Erachtens mehr als genügend gezeigt, dass diese Eingliederung der Mehrheit der Frauen unter den schlechtesten Bedingungen geschah, auch wenn in den letzten paar Jahren mehr formelle Arbeitsverhältnisse geschaffen wurden. Die Ausweitung der prekären, „flexiblen“ Arbeit bleibt in unseren Ländern für die meisten Frauen der einzige Zugang zu Arbeit. Zusammen mit der Arbeit daheim schuften sie durchschnittlich 70 bis 90 Stunden die Woche. Bis heute schaffen sie es nicht, die Hausarbeit mit dem Partner zu teilen. Allgemein kann man sagen, dass der Kapitalismus Frauen bis zum letzten Tropfen ausquetscht. Ihren Bildungsstand zu heben hat nicht viel gebracht, wenn sie für die gleiche Arbeit weiterhin 30 Prozent weniger verdienen als Männer.
Die wichtigste Lektion daraus ist vielleicht, dass die Lebensbedingungen von Frauen nicht mit Arbeitsmarktpolitik verbessert werden können, wenn Arbeitsrechte nicht garantiert werden. Auch hier läuft die Auseinandersetzung über das herrschende wirtschaftliche System, das Gewinne über immer niedrigere Löhne einfährt. Auf kurze Sicht muss das Problem erkannt und müssen Lösungen gefunden werden, um die Arbeitslast der Frauen zu verringern; viel ist etwa die Rede von Systemen der Kinder- und Altenbetreuung. Aber das setzt bedeutende Investitionen seitens des Staats voraus, um die Doppelbelastung von Frauen aufzufangen. In ländlichen Gebieten ist die Lage noch schlimmer, wo Frauen superlange Arbeitstage ohne Lohn und ohne den Genuss von Arbeitsrechten haben. Indigene Frauen haben darauf auf verschiedenen politischen Foren aufmerksam gemacht und gezeigt, dass bei ihnen zur Arbeitsausbeutung noch die gravierende ethnische und kulturelle Diskriminierung hinzukommt. Um Lösungen zu finden, braucht es weiterhin Druck.        
Heute kann man sagen, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen der Zugang zum Arbeitsmarkt Frauen nicht frei gemacht hat, und es gibt nicht genügend progressive Regierungen in Lateinamerika, um das Gegenteil zu beweisen. Das heißt nicht, dass ich für die Rückkehr an den Herd bin. Feministische Ökonominnen haben sehr viele Formeln zur Anerkennung von Frauenarbeit erarbeitet, aber leider habe ich noch kein Land gesehen, das das Recht von Frauen auf bezahlte Arbeit und ein Familienleben mit geteilter Haus- und Pflegearbeit gewährleistet. Eliten lösen das Problem über Hausangestellte und das reproduziert den Teufelskreis der Ausbeutung von Frauen durch andere Frauen, sofern nicht anständige Löhne bezahlt werden. Einige Länder haben bessere Gesetze für Hausangestellte, aber im Allgemeinen haben diese dennoch weniger Rechte. Das wirkt sich auch symbolisch negativ auf ihren sozialen und wirtschaftlichen Status aus, wobei auch eine Minderheit von Männern das Schicksal dieser Arbeitsbedingungen in Haushalten teilt.
Ich möchte noch einen Punkt hinsichtlich der sogenannten Care Economy, wie feministische Ökonominnen in Lateinamerika sie konzeptualisieren, anfügen. Bei der Sorge für Menschen mischt sich Hausarbeit mit emotionalem Engagement. Kinder wie alte Menschen haben ein Recht darauf. Aber der Staat schert sich nicht darum, sodass wir Frauen vor einem historischen Unbehagen stehen: Wir sind heraus aus der Beschränkung auf das Haus, aber ohne genügend soziale Absicherung, die für ein würdiges Leben ohne Doppelt- und Dreifachbelastung nötig wäre.

Am Ende des besagen Beitrags warst du sehr optimistisch hinsichtlich der Möglichkeit, den Neoliberalismus in Lateinamerika, speziell in Peru, zu überwinden, auch aus geschlechtsspezifischen Interessen heraus. Wie würdest du heute deinen Optimismus kommentieren?

Ich bin heute nicht mehr so optimistisch wie damals. Der Neoliberalismus hat sich, mit wenigen Ausnahmen, auf dem Kontinent breit gemacht. Ohne Ecuador, Venezuela, Brasilien, Bolivien, Argentinien und Uruguay wäre es noch viel schlimmer. Jedes dieser Länder leistete Widerstand, dank sozialer Bewegungen und Regierungen, die den Zentren des globalen Kapitalismus Autonomiemechanismen entgegensetzten. Der Fall Perus aber ist jämmerlich. Das vergangene Jahrzehnt mit dem Wirtschaftsboom wurde verschleudert und jetzt, wo es mit der Wirtschaft abwärts geht, sieht man die endemischen Probleme. Die Sozialpolitik ist weiterhin paternalistisch und minimalistisch und darauf ausgerichtet, ein „akzeptables Niveau“ von Armut zu verwalten. Beschäftigungswachstum, auch informelles, hat exzessiven Konsum angekurbelt, mit besonderen Auswirkungen für Frauen. Einigen Analysen zufolge ist die Mittelschicht gewachsen, aber es fließt in Wirklichkeit nur mehr Geld, ohne mehr Stabilität geschaffen zu haben. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass dieses Mehr an Geld häufig aus der illegalen Wirtschaft stammt.  
Gleichzeitig sind soziale Ungleichheit und Unsicherheit auf der Straße gewachsen, was auch die Gewalt gegen Frauen anschwellen lässt. Es gibt eine sagenhafte Verschwendung in Konsumenklaven für die sehr Reichen, mit von Privatpolizisten geschützten Wohnstätten. Luxusrestaurants, Shopping Malls voller Importprodukte und neuste Automodelle sind in Peru nicht die Ausnahme. Es fehlt jedweder angemessene Mechanismus zur Umverteilung des Reichtums – das ist keine übertriebene Formulierung. Zwar sind die Steuereinnahmen heute höher, aber diejenigen, die mehr besitzen, zahlen nach wie vor nicht entsprechend. Kein Wunder, dass die Delinquenz zunimmt.
Es sind die Frauen, wie immer vor allem aus den popularen Sektoren, die das Überleben der Familie sichern und ihr Einkommen für Ernährung, Kleider und Erziehung der Kinder ausgeben. Aber die Bildung ist nicht besser geworden, was ein enormes Defizit Perus ist. Wer durch die einfachen Viertel läuft, sieht, dass sich die Modernität im Handel konzentriert. Das soll Entwicklung sein! Die Produktion im Land ist begrenzt. Der Wohnraum ist schlecht wie eh und je. Der Alltag in Lima ist schwierig mit einem chaotischen Verkehr und enormen Wegstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Im Rest des Landes ist es nicht viel anders. Mäße man den Lebensstandard am Zugang zu Waren, wäre Peru weit fortgeschritten. Aber der hohe Konsum ist ein Trugbild in der Wüste, dahinter warten Schulden.
Es tut mir leid, ich kann nicht optimistischer sein. Hoffentlich hält sich in Lateinamerika ein Kern von Ländern, die eine echte regionale Integration mit ihren Institutionen vorantreiben, um nicht unter die Bevormundung durch die globalen Wirtschaftspotenzen zurückzukehren. Feministische Bewegungen müssen sich dazu aktiv in progressive Politiken einmischen, um Frauen ein würdiges Leben im umfassenden Sinn zu ermöglichen. Man kann es nur wiederholen: eine Gesellschaft, die Frauen nützt, nützt der gesamten Bevölkerung.

In Europa hört man heute Stimmen, die offen einem Antifeminismus das Wort reden. Der Angriff geht insbesondere gegen Feministinnen in den Institutionen, gegen Professorinnen, gegen Philosophinnen. Die Gründe sind sicher vielfältig. Gleichzeitig kann man sagen, dass der Feminismus hierzulande an Engagement, aber auch an Akzeptanz unter Frauen verloren hat, die sich lieber allein durchboxen. Siehst du ein ähnliches Phänomen auch in Lateinamerika? Wenn ja, wo?

Der Feminismus war nie ein Massenphänomen, mit Ausnahme vielleicht der berühmten europäischen und US-amerikanischen Mobilisierungen Ende der 1960er-, Anfang der 70er Jahre. In Lateinamerika gab es starke Frauenbewegungen gegen die Diktaturen. Später entwickelten sich ein akademischer und ein popularer Feminismus, die es auch immer noch gibt. Feministinnen – im weitesten Sinne – finden sich in Studierendenbewegungen, unter Freiberuflerinnen, Künstlerinnen und in progressiven Kreisen, auch in NRO. Aber es gibt auch zahlreiche Frauen, die keine Ahnung haben, was Feminismus ist, und die sich, beeinflusst durch Propaganda, explizit davon distanzieren.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie Frauen in den verschiedenen sozialen und kulturellen Zusammenhängen auf solche Ideen kommen. Heutzutage zeitigen die kulturellen Maschinerien sehr negative oder sehr zweideutige Botschaften für Frauen und in den Medien wird nicht ausreichend Kritik daran geübt. Unter diesen Bedingungen können sehr viele Frauen kaum begreifen, dass es ohne Feminismen – in seinen verschiedenen historischen Spielarten – keine Fortschritte für sie gegeben hätte und sie ihre heutigen Rechte und Freiheiten nicht besäßen. Ein gutes Thermometer sind die sexuellen und reproduktiven Rechte. In Peru beispielsweise hat eine Frau im Falle einer Vergewaltigung oder einer Missbildung des Fötus immer noch nicht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die meisten Frauen denken nicht darüber nach, bis dass sie selbst oder eine Frau in ihrer Umgebung in diese Lage gerät. Das Recht darauf, im Falle einer Vergewaltigung oder Missbildung über das Austragen zu entscheiden, ist elementar, um so mehr, wenn wir wissen, dass die Zahlen über Gewalt gegen Frauen immens hoch ist, mit noch höheren Dunkelziffern. Andererseits kann die Medizin heute fötale Missbildungen früh feststellen. Aber die Stimmen der katholischen Kirche und all jener, die den Obskurantismus der auferlegten Mutterschaft vorziehen, haben viele Kanäle, sich zu Wort zu melden. Es bleibt zu hoffen, dass dank des Engagements von feministischen Gruppen und der Entwicklung der Gesellschaft eines Tages die freie Entscheidung über die Mutterschaft verbrieft ist. Dies ist ein absolut notwendiges Recht für Frauen jedweder sozioökonomischen Schicht.
Solche Themen bringen mich auf den Gedanken, dass wir nie aufhören können werden, für unsere Rechte zu kämpfen. Wir können uns auch nicht darauf verlassen, dass Rückschritte ausbleiben. Es ist ein bisschen wie mit Sisyphos: nie zurückschauen, sondern auf jeden Fall weitermachen in der Hoffnung, dass wir es irgendwann schaffen. Aber um positiv zu sein: Es gibt ganze Generationen von jungen Feministinnen, die sich mit dem alten und neuen Problem der sozialen Ungerechtigkeit gegenüber Frauen auseinandersetzen. Das macht doch Mut!

  • 1. Gaby Küppers (Hrsg.); Feministamente. Frauenbewegung in Lateinamerika, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1992
  • 2. UN Women: Abteilung der Vereinten Nationen für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Frau.

Das Gespräch fand im Oktober 2014 per E-Mail statt. Gaby Küppers fragte und übersetzte.