ila

Meine erste große Liebe ist die Poesie

Hiphop in Guatemala – Rebeca Lane im Gespräch

In den letzten zehn Jahren hat die guatemaltekische Hiphop-Szene Aufwind bekommen. Verschiedene KünstlerInnenkollektive und Einzelpersonen haben viel dafür getan, dass sich diese Kultur weiter verbreitet. Rebeca Lane nennt als wichtige Meilensteine die Gründung der Hiphop-Akademie Trasciende, die Freiraum für künstlerisches Experimentieren bietet, sowie das Zusammenkommen beim jährlichen Festival Revolución Hiphop. „Die beste Art und Weise, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse an möglichst viele Menschen  weiterzugeben, ist mit Hilfe der Kunst!”. Bei einer kurzen Begegnung mit der Rebeca Lane blieb dieser Satz hängen. Die Rapperin ist vielseitig: Sie moderiert die Radiosendung Políticamente Incorrecta bei Da-Radio.com, analysiert als Soziologin die Szene und schreibt Poesie, die sie dann in Musik und Rap verwandelt. Mit ihren Worten und Reimen, Melodien und Rhythmen bearbeitet, diskutiert, artikuliert, belebt und fordert sie den Kampf um die Rechte der Frauen. Und als Nichte einer Verschwundenen thematisiert sie den Kampf um Erinnerung. Dabei ist sie clever, gewitzt, scharf. Letztes Jahr erschien ihr erstes Album „Canto”. Gemeinsam mit zwei weiteren guatemaltekischen Musikerinnen, Pia Aravelo und Jen Soto, veröffentlichte sie für die Kampagne Onebillionrising das Lied  „Tu cintura sin censura” („Deine Hüfte ohne Zensur”). Auch über die Landesgrenzen hinaus erklingen ihre Lieder, nicht nur auf Soundcloud: Von „feministischen Schwestern” erhielt sie letztes Jahr die Einladung zu einem Festival in Mexiko. Weitere Konzerte und Workshops in Mexiko und Zentralamerika in feministischen Kreisen und der Hiphop-Community folgten. Ihr künstlerisches Zuhause hat sie im KünstlerInnen- und ProduzentInnen-Kollektiv UltimaDosis gefunden.

Jen Wörz

Was ist deine erste große Liebe – Poesie oder Hiphop?

Meine erste Liebe ist die Poesie, obwohl Rap mich schon zur Zeit meines politischen  Engagements begleitet hat. Aber als erstes habe ich angefangen Poesie zu schreiben. Mit der Zeit haben die Texte einen Rhythmus bekommen. So fügte es sich zusammen – Rhythmus und Poesie – eben Rap. Für mich war es ein ganz natürlicher Prozess, vom geschriebenen Wort zur mündlichen Poesie zu gelangen.

In vielen Liedtexten geht es um die Situation im Land, die Geschichte, Politik und die  Lebensrealität von Jugendlichen. Inwiefern geht es dabei auch um eine Art politische Bildung oder gar politische Bewegung?

Rap-Gruppen und KünstlerInnen wollen einfach über ihren unmittelbaren sozialen und politischen Kontext sprechen. Ein Großteil der Jugendlichen, die Teil der Hiphop-Kultur sind, leben in marginalisierten Stadtgebieten oder kommen aus entsprechenden gesellschaftlichen Schichten:  Das kann bedeuten Frau zu sein oder eine Maya-Sprache zu sprechen. Alle Probleme, die in einer Gesellschaft existieren, zeigen sich im Alltäglichen. Natürlich sprechen auch nicht alle über das Gleiche. Es geht auch mal um Dinge wie die Liebe, oder um Einsamkeit und Alleinsein. Ich persönlich kann mir keine andere Form vorstellen: Hiphop erzählt die Geschichten, die unter den herrschenden Machtverhältnissen totgeschwiegen werden.

Gibt es ausgehend vom Hiphop Potenzial für eine soziale Transformation in Guatemala-Stadt oder Guatemala?

Hiphop hat zunächst die Kraft, individuelle Veränderungen anzustoßen, indem du das Schweigen brichst und dich in eine Sprecherin verwandelst, die über das berichtet, was die Gesellschaft täglich erlebt. Wenn wir alle uns bewusst darüber wären, welches kollektive Potenzial in uns steckt, dann würde es auch stärkere Auswirkungen auf einer übergeordneten Ebene geben. Tatsächlich gibt es Jugendliche, die sich dem Hiphop angeschlossen haben, um sinnstiftende Kunst  zu schaffen, und sich somit von Mara-Gruppen oder anderen gewalttätigen Gruppierungen entfernt haben. Allerdings haben wir noch nicht das Niveau eines gereiften Kollektivs oder einer gewachsenen politischen Bewegung erreicht. Vielleicht ist es am ehesten eine Bewegung der Gegenkultur. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das bewusst geschieht. Es geht auf jeden Fall darum, verschiedene  Ausgrenzungsstrukturen  zusammenzubringen, um sie in emanzipatorische Aktionen umzuwandeln. 

Hiphop ist nach wie vor eine Kultur, in der mehrheitlich Jungs und Männer zu Hause sind und die machistische, sexistische und konservative Geschlechterbilder transportiert. Wie erlebst du das in der guatemaltekischen Szene?

Hiphop hat – wie andere Bewegungen und soziale Gruppen auch – einen strukturellen Machismo verinnerlicht. Das Stereotyp des machistischen Rappers entspricht allerdings eher dem US-amerikanischen Gangsta-Rapper.  Meiner Meinung nach gibt es in der lateinamerikanischen Hiphop-Szene mehr Themen als nur Frauen und Geld. Insgesamt werden in dieser Szene aber Konkurrenzkämpfe ausgefochten. Stets wird dann die Erklärung angeführt, dass es sich ja um eine Straßenkultur handele und dass auf der Straße eben Kämpfe ausgetragen werden.

Ein Teil der Szene bringt ein gewisses Verständnis dafür auf, dass es schwierig ist, ständig zu bestimmen, wer der oder die beste ist, wobei doch alle so unterschiedlich sind. Als ich anfing feministische Themen im Hiphop anzusprechen, war das dann etwas anderes, das es auf diese Art und Weise in Guatemala noch nicht gegeben hatte. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Leute nun mehr über ihre eigenen Texte nachdenken. In der guatemaltekischen Szene haben wir Frauen an Respekt gewonnen. Wir haben gezeigt, was wir künstlerisch drauf haben und wie wir uns entwickelt haben. Ein Teil der Hiphop-Szene hat die künstlerischen Vorschläge und Beiträge von Frauen sehr gut aufgenommen. Am Anfang sprachen die Männer allerdings noch vom sogenannten „femininen Rap“. Das gefiel mir nicht, das ist einfach sexistisch. Doch nachdem ich ihnen mit einem noch klareren feministischen Rap begegnet bin, haben sie mich schnell wieder aus dieser selbst ausgedachten Kategorie herausgeholt.

 

Rebeca Lane bei Soundcloud: https://soundcloud.com/rebeca-lane

„Tu cintura sin censura“: www.youtube.com/watch?v=WBWADlsPTGw

Und auch hier: www.publico.es/550110/raperas-combativas-y-feministas

Das Interview mit Rebeca Lane führte Jen Wörz im Oktober 2014.