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Vom Vergnügen der Präsidentengattin

Die „Lebensbäume“ in Managua

Manchen gelten sie als neue Wahrzeichen Managuas, anderen als das spinnerte Hobby einer esoterisch angehauchten Präsidentengattin. Auf jeden Fall spalten sie die öffentliche Meinung in Nicaraguas Hauptstadt und auch derjenigen, die sie besuchten, die Árboles de la Vida, die 94 nachts hell erleuchteten Metallbäume, die seit 2014 die Stadt zieren – oder auch nicht.

Heidi Kuhles

Beim Anflug auf Managua sehe ich sie schon von weitem: Sie leuchten in die Nacht, die Árboles de la Vida. Ihre Größe und das warme Gelb ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Und ich finde sie schön! Aber darf ich das? Zu Hause gibt es niemanden, der oder die nicht wütend wird oder wenigstens den Kopf schüttelt, wenn das Gespräch auf die „Lebensbäume“ kommt. Sofort sind wir bei Propaganda, Geld- und Energieverschwendung, sozialer Ungerechtigkeit, ethischer Chuzpe und Autokratie.
Wir wissen, dass in Nicaragua nach offiziellen Angaben 47 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben; Zahlen von 2005 sprechen von 80 Prozent der Bevölkerung, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen müssen, 45 Prozent gar mit weniger als einem Dollar. Zehn Jahre später werden sich diese Zahlen nicht wesentlich geändert haben. Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land in Lateinamerika und der Karibik.

Wir wissen, dass jeder der 94 „Lebensbäume“, die die Präsidentengattin Rosario Murillo für die Hauptstadt in Auftrag gab, knapp 20 000 US-Dollar kostet. Im August 2014, da stehen bereits 50, die restlichen sollten im Dezember aufgestellt sein, nennt La Prensa Zahlen, die schwindlig machen. Jeder Árbol de la Vida, siebzehn Meter hoch, dreizehn Meter breit, sieben Tonnen schwer, wird erleuchtet von 15.000 LED-Birnen. Der Energieverbrauch jedes einzelnen dieser Metallbäume entspricht dem von 33 Wohneinheiten. Die 94 Lebensbäume, die täglich von 18 bis 22 Uhr erleuchtet werden, verbrauchen jährlich 20 586 000 Kilowattstunden an Strom. Im August 2014 kostet die Kilowattstunde 7,9 Córdobas. Mit diesem Geld könnten ländliche Gegenden elektrifiziert und Telefonanschlüsse geschaffen werden, es fehlt in Schulen, für Bildung  und bei der medizinischen Versorgung. Wir wissen, die Liste der Bedarfe ist endlos. Warum dann gibt es sie?

Nachgebildet dem „Lebensbaum“, den Gustav Klimt 1914 als ein Zwischenelement bei der Gestaltung des Frieses im Speisesaal des Stoclet-Palais in Brüssel nutzte, docken die Árboles de la Vida an das Lichtermeer an, das seit 2007 zu Weihnachten die Straßen erhellt. Jetzt sind es nicht mehr nur die zahllosen Marienaltäre oder Silhouetten der Heiligen Drei Könige, die künstlichen Tannenbäume und riesigen illuminierten Geschenkpakete, die einmal im Jahr die Stadt in Licht und Farbe tauchen, sondern 94 metallene „Lebensbäume“ lenken ganzjährig die Gefühle himmelwärts und ins Zeitlose. Sofía Montenegro vermutet in ihnen Rosario Murillos Versuch, sich gegen die eigene Endlichkeit und den Tod zu stemmen. In der Rezeption von Klimts Lebensbaum wird seinen spiralförmig zusammengerollten Ästen hypnotische Wirkung bescheinigt.
Die Idee ist, Bilder aus den von Rosario Murillo so geschätzten Quellen, aus Katholizismus, Mystik, Geomantie und Feng Shui zu verbinden und über Alltag und Begrenztheit hinaus zu verweisen.

An vielen Orten in der Stadt steht ein Árbol de la Vida, zwei auf jedem Kreisverkehr und zwischen 35 und 40 dort, wo es am augenfälligsten war beim Anflug auf die Stadt, entlang der Avenida Bolívar zwischen der Statue des Befreiers Simón Bolívar an der Uferpromenade des Lago Xolotlán bis dorthin, wo in der Rotonde am Ende der Avenida das metallene Antlitz des großen Hugo Chávez dem Betrachter ungebeugt entgegenblickt, umrahmt von drei weiteren der goldgelb leuchtenden Metallbäume.

So verbinden sich die irdischen Heilsbringer Bolívar, Chávez und Rosario Murillo. Und dann gibt es noch eines drauf auf La Loma de Tiscapa, dem Hügel über der Stadt, der für die BewohnerInnen von Managua ein quasi heiliger Ort ist, dort, wo die Foltergefängnisse von Somoza waren, dem Symbol des Terrors und der Diktatur. Dort steht jetzt neben der Statue von Sandino, der klein daneben aussieht, ein Árbol de la Vida, gigantischer als alle anderen. Hier inszeniert sich die Präsidentengattin als Königin und Herrin jenes Bergrückens, der jahrzehntelang der einzige historische Zufluchtsort in der Stadt war. Von hier aus überblickt der „Lebensbaum“ Stadt und Land als Beweis eines Machtanspruchs, der göttlichen Ursprung für sich behauptet und absolut ist.

Seit die Menschen staunend verfolgten, was in ihrer Stadt geschah, prallen die Pros und Contras aufeinander. Die einen führen die Argumente von Geld- und Energieverschwendung an, die ein Verrat sind am Volk und an den Idealen der sandinistischen Revolution, ein Skandal angesichts von Armut und Mangel. Sie distanzieren sich von der durchsichtigen Inszenierung von Größe und Macht, von Mystik und Emotion.

Die anderen sehen die „Lebensbäume“ als Teil eines Erneuerungskonzepts, das Managua nach fast 40 Jahren Brachland zu einer Landeshauptstadt macht, die es an Attraktivität, wenigstens in Teilen, endlich auch mit anderen Hauptstädten aufnehmen kann. Und sie sind stolz darauf, lieben die Vergnügungsparks und die Avenida Bolívar, bummeln am Abend jetzt dort, wo die Árboles de la Vida die Straßen erleuchten, jeder einzelne beschützt von einem eigenen Wächter, was das Gefühl von Sicherheit noch verstärkt. Ich bin hin- und hergerissen. Ich staune diese monströsen Lichtspender an, verstehe, dass ich fasziniert bin, und frage mich, ob etwas diese Investition rechtfertigen kann. Hat sie vielleicht doch einen Wert über den für den Machterhalt der Familie Ortega-Murillo hinaus? Ein Wert auch für die BewohnerInnen Managuas oder überhaupt für Nicaragua?

Es ist keine Frage, dass die Investition angesichts der schreienden Not an vielen Orten unmoralisch ist und ihr Ziel demagogisch. Aber ich frage mich, ob diese „Lebensbäume“ wirklich nur das Hirn benebeln, in den mütterlich-heiligen Schoß sinken lassen, die kritischen Kräfte ermatten und Widerstand brechen. Licht in einer Stadt, und nicht nur durch die straßenübliche Neonbeleuchtung oder kommerziellen Werbeträger, und ein Flickerflacker wie am Times Square, dazu in einer Form, die einzigartig ist, die der Stadt ein Gesicht verleiht, ein Hingucker ist, wie jede Hauptstadt ihre Hingucker braucht: Vielleicht stärkt das ja auch. Vielleicht ist das ja auch ein positiver Wert, der trägt. Das macht nicht satt und nicht gesund und bildet nicht. Aber es signalisiert Zuwendung und macht’s heller. Ist das vielleicht ähnlich wie die Diskussion um den Wert von Kunst?

Es war schön, auch wegen des Lichts und all dem anderen Bunten, das es zu sehen gab (hier setzt die eurozentrische Diskussion um guten Geschmack an), mit den Freunden durch das nächtliche Managua zum Malecón zu spazieren.