ila

Die ila eine „Botschaft des internationalen Terrorismus“?

Was der Bundesnachrichtendienst (BND) in den siebziger Jahren „herausfand“

In den letzten beiden Jahren gab es in den hiesigen Medien zahlreiche Berichte und viel Empörung über die Überwachungstätigkeit des US-Geheimdienstes NSA. Natürlich sammeln auch deutsche Geheimdienste wie das Bundesamt für Verfassungssschutz (BfV) und der Bundesnachrichtendienst (BND) seit jeher Informationen über BürgerInnen und politisch-soziale Gruppen. Während es aber in den USA nach einer gewissen zeitlichen Frist einen Rechtsanspruch auf Einsicht in die Geheimdienstunterlagen gibt, verweigern dies deutsche Dienste weiterhin. Damit will sich die Journalistin Gaby Weber, ila-LeserInnen durch zahlreiche Beiträge in unserer Zeitschrift bekannt, nicht abfinden. Sie hat bereits mehrere Prozesse gegen BFV und BND angestrengt und sich Einsicht in verschiedene Akten erstritten. Bei der Durchsicht der Unterlagen des BND über Argentinien in der Zeit zwischen 1973 und 1980 stieß sie darauf, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst auch großes Interesse an der 1975 gegründeten ila hatte und uns als „Botschaft“ verschiedener lateinamerika- nischer Guerillagruppen in Bonn betrachtet hat.

Gaby Weber

Glaubt man den Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus den 70er-Jahren, war die ila damals eine „Botschaft des internationalen Terrorismus“. Eigentlich gibt der Geheimdienst keinen Einblick in sein Archiv, aber wir kennen uns schon. Ich hatte in den 90er-Jahren gegen den BND eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil das neue Verbrechensbekämpfungsgesetz im Ausland mit der so genannten Staubsaugermethode (also erst mal alles und bei allen im Ausland Wohnenden auf bestimmte Stichworte checken und filtern) in meine verfassungsrechtlich garantierten Rechte eingriff. Ich lebte damals als Auslandskorrespondentin für deutsche Medien in Montevideo. Ich ging bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, weil mein uruguayischer Assistent Richard und ich nicht einsehen wollten, warum dies erlaubt sein soll. (Details zu den erwähnten Prozessen auf meiner homepage: www.gabyweber.com/prozesse.php). Das zweite Mal verklagte ich 2008 das Pullacher Amt zwecks Einsicht in ihre Akten zum Naziverbrecher Adolf Eichmann und gewann weitgehend.

Als 2014 in Pullach mein Antrag auf Akteneinsicht bezüglich Argentinien 1975-1984 einging, müssen die Alarmsirenen geschrillt haben, umso mehr, als ich vor wenigen Monaten gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz in gleicher Sache vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht hatte. Die Kölner Behörde hatte mir doch tatsächlich geantwortet, dass sie zu Argentinien in diesem Zeitraum kein einziges Blatt Papier besäße, beziehungsweise es nicht finden konnte. Nicht nur ila-LeserInnen wissen, dass lateinamerikanische Exilierte in Deutschland überwacht wurden, weil sie vor rechten Diktaturen geflohen waren, also Linke waren. Der in Argentinien verschwundene Klaus Zieschank hatte in München Demonstrationen gegen die Ermordung chilenischer Regimegegner bei der Polizei angemeldet, er hatte Kontakte zur „Revolutionären Junta der Koordination“ (JCR), in der sich Anfang der 70er-Jahre mehrere südamerikanische Gueril- lagruppen zusammengeschlossen hatten. Das Bundeskanzleramt gab mir im Dezember seine Zieschank-Akten frei, darunter den Kassiber des Inhaftierten, in dem er vor der „Zusammenarbeit der Geheimdienste“ warnt. Zieschanks Leiche wurde später mit Folterspuren gefunden. Das Auswärtige Amt weigerte sich, sich bei der Militärjunta für den Verschleppten zu verwenden, empfahl aber die Weitergabe des Kassibers an das Bundesant für Verfassungsschutz (BfV) und den BND.

Kein Zweifel besteht daran, dass der BND umfangreiche Unterlagen über die Verschwundenen und deren Mörder besitzt. Schließlich war an der Botschaft ein „Resident“ des BND mit Diplomatenstatus tätig, dessen Aufgabe es war, zu den „befreundeten Diensten“ Kontakte zu pflegen. Kein Zweifel besteht auch dran, dass nach dem Bundesarchivgesetz der BND grundsätzlich zur Aktenfreigabe nach 30 Jahren verpflichtet ist. Also machte man mir eine Art Friedensangebot und ließ mich in Pullach unter Aufsicht 200 Blatt Lageberichte einsehen. Sie betrafen die Zeit 1973 bis 1980. Das meiste davon passt am ehesten in die Kategorie „pillepalle“: Länderbeschreibungen, dass Argentinien groß ist, dass Präsident Perón aus dem Exil zurückkommen will und dass es eine Linke gibt. Auch zur Antarktis hat man einen Bericht verfasst. Aber natürlich geht es immer wieder um die JCR, Guerillabewegungen, die gegen die Diktatur kämpften.
Der Kalte Krieg war in Deutschland zu Ende, der deutsche Herbst stand auf der Tagesordnung, die RAF besetzte deutsche Botschaften und hatte dem BRD-Imperialismus den Krieg erklärt. Ideologisch bezog sich die RAF ausdrücklich auf den Befreiungskampf in der Dritten Welt und auf Stadtguerillagruppen wie die Tupamaros (heute Regierungspartei in Uruguay) und argentinische PRT-ERP (einige seiner Mitglieder üben inzwischen in Argentinien Regierungsfunktionen aus), Mitglieder der JCR.

Auszug aus den BND-Akten: „JCR-Filialen gibt es ferner in Spanien, Portugal und Großbritannien. In London wurde im November 1976 ein Büro des ERP für Propaganda und Ideologie gegründet. Von zweifacher Bedeutung sind die JCR- Aktivitäten in der Schweiz, wo die JCR Bankkonten unterhält und bemüht ist, ...auf den Ökumenischen Rat der Kirchen und das Büro für Beschwerden gegen Missachtung der Menschenrechte einzuwirken“. Aha, terroristische Aktivitäten also, finanziert von den Komplizen in den Schweizer Banken. Aber es wird noch besser. Der Geheimdienst hat sogar die Botschaft der JCR in der Bundesrepublik ausgemacht, die Informationsstelle Lateinamerika e.V., samt konspirativer Anschrift: Buschstraße 20. Hoppla, das sind ja wir! O-Ton BND: „(Die ila) widmet sich nach hier angefallenen Informationen u.a. der Sammlung aller marxistischen lateinamerikanischen Organisationen in Deutschland“, besondere Verbindungen werden zur „Asociación de Estudiantes Latinoamericanos“ (AELA), damals ein sehr aktiver Zusammenschluss lateinamerikanischer Studierender in der Bundesrepublik, erwähnt. Das ist insofern interessant, weil der Kassiber Zieschanks diese AELA ausdrücklich erwähnt.

Tatsächlich: Die ila hat wirklich Material zu Lateinamerika gesammelt, darunter auch marxistisches. Als die ila 1975 gegründet wurde, hatte zwei Jahre zuvor in Chile das Militär gegen die Regierung Salvador Allendes geputscht, tausende ChilenInnen waren gefoltert und ermordet worden. Zum Glück hatten einige nach Europa fliehen können, auch in die beiden deutschen Staaten. Ja, die ila hat Solidarität mit den Flüchtlingen geübt und die Verbrechen dieser Regime angeklagt. Dafür hat sie Broschüren veröffentlicht und die Schriften anderer Solidaritätsgruppen vertrieben. In der Anfangszeit war die ila ein Ein-Zimmer-Büro in der Buschstraße, natürlich nicht konspirativ, sondern offen mit Kingelschild, Telefonnummer und regelmäßigen öffentlichen Sitzungen, zu denen auch in der Bonner Stadtzeitung „Schnüss“ eingeladen wurde. Sie teilte sich die Etage mit drei anderen Büros, der Informationsstelle Südliches Afrika (issa), der Informationsstelle Palästina und der Informationsstelle Freie Sahara. Die beiden letzten hatten gute Beziehungen zu den Befreiungsbewegungen PLO und Frente Polisario und waren ihre halb-offiziellen Vertreter in Bonn. Sie waren, wie die ila, eingetragene Vereine. Die issa hatte natürlich Kontakte zu den Gruppen, die damals in Südafrika gegen das Apartheidregime kämpften, war aber niemals deren Vertretung. Der ANC, damals Terroristen für den BND, regiert heute Südafrika. Damals stand er mit deutschen politischen Stellen in Kontakt, auch mit der Regierungspartei SPD.

Die ila hat 1977/78 die bundesweite Kampagne „Fußball ja – Folter nein“ (zur Fußball-WM 1978 in Argentinien) koordiniert und damit das Propagandaspektakel der argentinischen Militärjunta etwas gestört. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon aus der Buschstraße in die Römerstraße ausgezogen, weil der Raum zu klein war. Sie veröffentlichte Broschüren zu Argentinien und ein größeres Buch über die Praxis des Verschwindenlassens: „Argentinien auf dem Weg zum Völkermord“, eine Übersetzung eines CADHU-Berichtes, einer Menschenrechtsgruppe, bei der auch PRT-Mitglieder tätig waren.

Abgesehen von den 200 Blatt zu Argentinien – allgemeine Lageberichte – verfügt der BND über die Monats-, Wochen- und Tagesberichte seines Residenten in der bundesdeutschen Botschaft in Buenos Aires. Gerade hat mir der BND mitgeteilt, dass er meinen Antrag auf Einsicht in diese konkreten Berichte des Residenten abgelehnt hat. Eine Offenlegung würde ihn „in einem zentralen Aspekt des internatio- nalen nachrichtendienstlichen Geschehenes, nämlich dem Informationsaustausch mit anderen Nachrichtendiensten, in grober Weise diskreditieren“. Pech für den BND ist, dass die argentinische Regierung nicht müde wird, die Veröffentlichung aller Unterlagen und Akten über die Diktatur zu fordern. Das Argument, Pullach müsse diese Informationen geheim halten, um die argentinische Regierung und ihren Geheimdienst nicht zu vergrämen, so die Argumentation im Falle der Eichmann-Akten, von denen immer noch ca. 100 Blatt geheim sind, zieht nicht.

Ich habe den BND wieder verklagt, aller guten Dinge sind schließlich drei. Dabei wird sicher auch herauskommen, welches Material über die ila gesammelt wurde, über die „JCR-Botschaft“ in Bonn.