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Zerstörte Umwelt, entwurzelte Gemeinschaften, Menschenrechtsverletzungen

Die Folgen des Kohlebergbaus in Kolumbien

Kohle ist eines der wichtigsten Exportprodukte und Devisenbringer für Kolumbien und damit ein wichtiger Pfeiler der „Entwicklungslokomotive Bergbau“ der Regierung Santos. Den Deviseneinnahmen für Kolumbien und den Gewinnen für die multinationalen Konzerne, die die Kohle abbauen, stehen jedoch prekäre Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung, nicht wieder gutzumachende Umweltschäden und gewalttätige Übergriffe gegen Gewerkschafter und Menschen, die sich Umsiedlungen und Vertreibungen widersetzen, gegenüber.

Stephan Suhner

Anders als in den europäischen Kohlerevieren wird die thermische Steinkohle für den Export in Kolumbien im Tagebau abgebaut, vornehmlich in den nordöstlichen Provinzen Cesar und Guajira. Die wichtigsten Produzenten sind Cerrejón mit rund 33 Millionen Tonnen pro Jahr, der US-Konzern Drummond mit 22 Millionen Tonnen sowie das Schweizer Rohstoffunternehmen Glencore mit 20 Millionen Tonnen. Cerrejón nahm die volle Kohlegewinnung 1986 auf und war bis 2001 ein Joint Venture zwischen der staatlichen Carbocol und dem US-Konzern Intercor (Exxon Mobile). Heute gehört Carbones del Cerrejón zu je einem Drittel den Bergbaukonzernen Anglo American, BHP Billiton und Glencore, hat aber ein weitgehend unabhängiges kolumbianisches Management. Das US-amerikanische Familienunternehmen Drummond operiert seit 1987 in Kolumbien und nahm 1995 die Produktion auf, während Glencore 1995 mit der Übernahme des kolumbianischen Unternehmens Prodeco in den Kohleabbau einstieg und in den Jahren 2005 bis 2007 drei weitere kleine kolumbianische Minenbetreiber aufkaufte: Carbones del Caribe, Consorcio Minero Unido und Carbones El Tesoro.

Die Tagebaukohlenminen in Nordostkolumbien haben einen enormen Landbedarf, das Konzessionsgebiet von Cerrejón beträgt 69 000 Hektar, auf etwa 17 000 Hektar davon wird aktuell Kohle abgebaut. Die Dimensionen aller Minen in Cesar zusammen sind etwa ähnlich. Um die Minen zu eröffnen, werden große Landflächen von der Vegetation und der Humusschicht befreit und Millionen von Tonnen Gestein abgetragen. Erst dann gelangt man an die Kohleschichten. Das nicht kohlehaltige Gestein wird auf riesigen Abraumhalden deponiert. Die fehlende Vegetation fördert die Erosion, den lokalen Klimawandel und beeinträchtigt den Wasserhaushalt. Die lokalen Gemeinschaften und Bauern verloren Tausende Hektar an Acker- und Weideland sowie den Zugang zu Wäldern und Flüssen, womit ihre Möglichkeiten der Sammelwirtschaft sowie für Jagd und Fischfang eingeschränkt wurden. Die Bergbauunternehmen haben verschiedene kleinere und größere Wasserläufe umgeleitet und obwohl dies meistens mit der Bewilligung der Umweltbehörden erfolgte, sind die Folgen für die Abflussmengen und das aquatische Leben gravierend. Viele Oberflächengewässer sind durch den Kohleabbau verschmutz worden, sei es durch Auswaschungen aus den Abraumhalden, durch Staubeintrag oder Abwässer der Minen und Maschinen. Durch die tiefen Gruben hat sich auch der Grundwasserspiegel erheblich gesenkt und die lokale Bevölkerung klagt darüber, dass das Grundwasser vielerorts verschmutzt ist.

Ein weiteres großes Problem stellt die Staubbelastung dar, und zwar sowohl der sichtbare Staub wie auch der lungengängige Feinstaub. Der Staub entsteht bei den täglichen Sprengungen zur Freilegung der Kohleschichten, bei der Bearbeitung der Kohle sowie durch die Fahrzeuge auf den teilweise nicht geteerten Straßen. Die Messwerte der lokalen Umweltbehörden und der Unternehmen sind nicht sehr zuverlässig, da die Standorte der Messstationen zum Teil so gewählt werden, dass sie eine geringere Belastung anzeigen, beispielsweise entgegengesetzt zur Hauptwindrichtung (also ungefähr so, wie es VW bei den Schadstoffmessungen seiner Dieselfahrzeuge getrickst hat – d. Säz.). Selbst die relativ laschen kolumbianischen Grenzwerte werden aber immer wieder verletzt, die strengeren Standards der Weltgesundheitsorganisation werden andauernd überschritten. Der Staub behindert das Pflanzenwachstum, Früchte bekommen beispielsweise Schorf oder fallen unreif herunter, das Vieh leidet unter dem staubigen Gras und erkrankt. Am gravierendsten sind aber die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Zusammen mit dem verschmutzten Wasser und der staubigen Luft klagen die Anwohner über schädliche oder übel riechende Gase, Erschütterungen durch die Explosionen und Lärmbelastung. Typische Krankheitsbilder sind chronische Grippeerkrankungen, Durchfall, Hautausschläge, Atemwegserkrankungen bis hin zu Staublungen und Krebs, Seh- und Hörbehinderungen sowie Missbildungen bei Neugeborenen. In vielen Fällen fehlen jedoch technisch zuverlässige und unabhängige Studien über die Umweltbelastungen und über die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung. Da kaum Vergleichszahlen zu Krankheiten vor dem Kohleabbau vorliegen, bestreiten die Bergbaukonzerne bis heute eine Verantwortung für Gesundheitsschäden und geben die Schuld dem ungesunden Lebenswandel der Menschen oder der Tatsache, dass mit Holzfeuer gekocht wird.

In der Umgebung der Minen in Cesar und in der Guajira existieren respektive existierten Dutzende von kleinbäuerlichen, afrokolumbianischen und indigenen Gemeinschaften und Dörfern. Ihnen gemeinsam war, dass sie von Landwirtschaft und Viehzucht und von dem lebten, was das Territorium hergab, also Fische aus den Flüssen, Wildtiere, Früchte und Heilpflanzen aus den Wäldern. Einige BewohnerInnen arbeiteten bei größeren Landwirtschaftsbetrieben oder später auf Palmölplantagen. Die wenigsten Dorfbewohner hatten formalisierten Landbesitz und Besitzurkunden, aber sie hatten ein Territorium zur Verfügung und genossen Bewegungsfreiheit. Die Leute sagen, dass sie früher zwar arm gewesen seien, aber im Gegensatz zu heute nie Hunger gelitten hätten. Mit den Minen wurde das Territorium der Gemeinschaften privatisiert und umzäunt, der Zugang zu den Flüssen und Wäldern schwieriger, manchmal ganz verunmöglicht. Flüsse, die für die Gemeinschaften von existenzieller Bedeutung sind, wie der Calenturitas, wurden von den Bergbaukonzernen umgeleitet. Nur dem entschlossenen Widerstand der Bevölkerung ist es zu verdanken, dass Cerrejón den wichtigsten Fluss der Guajira, den Río Ranchería, nicht auf 26 km Länge umgeleitet hat, um darunter liegende Kohlevorkommen auszubeuten. Trotzdem ist der Ranchería schwer beeinträchtigt (Staudamm in den Bergen, Einfluss des Bergbaus und herrschende Dürre) und fließt zur Zeit nicht mehr bis ins Meer (vgl. dazu das Interview mit Gonzalo Guillén in dieser Ausgabe).

Die BewohnerInnen sahen sich also zusehends ihrer Lebensgrundlage beraubt, ohne dass sie beispielsweise neue Jobs in den Minen bekommen hätten. Die Personen in den Gemeinschaften, die in einer der Minen fest angestellt wurden, lassen sich an einer Hand abzählen. Da den Gemeinschaften Land fehlt und das wenige Land durch die Umweltbelastung weniger fruchtbar ist, gibt es Hunger und zunehmende Verarmung. Gleichzeitig zogen die Minen Tausende von auswärtigen Arbeitern an, die vergleichsweise gut verdienen. Das gesamte Preisniveau ist dadurch gestiegen, die Infrastruktur konnte mit dem Bevölkerungsanstieg nicht Schritt halten. In den Dörfern rund um die Minen gibt es kaum Trinkwasser, immer wieder fällt der Strom aus und die Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind von schlechter Qualität. Ein Teil der Einheimischen kann sich durch die Vermietung von Zimmern oder mit kleinen Geschäften und Restaurants ein Einkommen sichern, andererseits gibt es aber wegen der wirtschaftlichen Not ein massives Problem von Kinderprostitution und Teenagerschwangerschaften.

Der Bergbau hat in den letzten 20 bis 30 Jahren das Leben dieser Gemeinschaften viel stärker verändert als vergleichsweise die Agroindustrie oder der Drogenschmuggel in der Guajira. Es war ein Prozess einer brutalen und radikalen Modernisierung, die in den Gemeinschaften aber fast nur Verlierer produzierte und ihnen die Selbstbestimmung raubte.

Eine der einschneidendsten Folgen für die lokalen Gemeinschaften sind die Vertreibungen. Im Falle von Cerrejón erfolgen die erzwungenen Umsiedlungen vor allem, weil die Tagebaumine sich immer näher an die Dörfer heranfrisst. In den 90er-Jahren führte Cerrejón keine eigentlichen Umsiedlungen durch, sondern verhandelte individuell mit den BewohnerInnen über Entschädigungen, worauf sie wegziehen mussten. Noch 2001 wurde das afrokolumbianische Dorf Tabaco enteignet und mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, nachdem es mit einem Teil der stark verwurzelten BewohnerInnen zu keiner Einigung über Verkauf und Wegzug gekommen war. Seit etwa 2005 führt Cerrejón angeblich kollektive Umsiedlungen mit den fünf Gemeinschaften Roche, Chancleta, Patilla, Tamaquito und Las Casitas durch. Keine dieser Umsiedlungen konnte bis heute zufriedenstellend abgeschlossen werden. Alle Verhandlungsprozesse zeichneten sich durch mangelnde Transparenz, Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht, Druckversuche des Unternehmens und Spaltungen der Gemeinschaften aus. Cerrejón verhandelte mit jeder Gemeinschaft anders. Während beispielsweise mit der Gemeinschaft A zuerst über Land verhandelt wurde, verhandelte Cerrejón mit der Gemeinschaft B über Entschädigungszahlungen. Da zudem nicht klar war, was die Betroffenen für Rechtsansprüche haben, sorgte dies für Unruhe und Verwirrung in und zwischen den Gemeinschaften. Zudem negierte Cerrejón die negativen Auswirkungen des Bergbaus und nahm als Grundlage für die Entschädigungen und Ersatzgrundstücke am neuen Ort die Situation zu Beginn des Umsiedlungsprozesses und nicht beispielsweise die Situation, bevor der Kohleabbau begann. Die ehemals ländlichen Gemeinschaften leben heute, sofern sie dem Umzug zustimmten, in sterilen Reihenhaussiedlungen, wo pro Familie ein Hektar Land zur Verfügung steht. Das Land genügt nicht, um genügend Lebensmittel anzubauen, geschweige denn Tiere zu halten. Andere Projekte zur Einkommensgenerierung sind enorm schwierig umzusetzen und bisher nicht nachhaltig. Da die Umgesiedelten an den neuen Orten zudem für Strom, Wasser und Gas bezahlen müssen, aber kaum Einkommen erzielen, haben sie die Entschädigungszahlungen konsumiert und stehen heute vielfach vor dem Nichts. In jeder Gemeinschaft gibt es eine Minderheit, die sich gegen den Umzug in die Vorstadtsiedlungen wehrt und eine wirklich ländliche Umsiedlung mit genügend Land fordert. Zudem gibt es bis heute mit allen fünf Gemeinschaften zähe Nachverhandlungen über unerfüllte Versprechen oder neu aufgetauchte Probleme wie massive Baumängel an den noch fast neuen Häusern oder das fehlende Trinkwasser. Die herrschende Dürre hat den Wassermangel verschärft, auch für Bewässerung und Viehtränke. Obwohl Cerrejón für leitende Angestellte und Ingenieure eine Mustersiedlung mit grünem Golfplatz, Schwimmbad mit 50 Metern Beckenlänge und grünen Vorgärten hat, war das Unternehmen nicht in der Lage oder willens, die umgesiedelten Gemeinschaften mit dem lebensnotwendigen Wasser zu beliefern.

Im Cesar hat das Umweltministerium im Jahr 2010 mit zwei Verfügungen die Umsiedlung der Gemeinschaften Plan Bonito, El Hatillo und Boquerón angeordnet. Grundlage war die Umweltsituation, wobei das Umweltministerium auch die zukünftige Expansion der Minen und der Kohleproduktion mit einberechnete und zum Schluss kam, dass die Gesundheit der Bewohner dieser drei Gemeinschaften gefährdet sei. Die Unternehmen Glencore-Prodeco, Drummond und CNR Goldman Sachs wurden verpflichtet, die drei Gemeinschaften gemeinsam umzusiedeln, dafür einen Treuhandfonds zu alimentieren und einen Operator für die Durchführung der Umsiedlungen anzustellen. Die Unternehmen bekämpfen die Umsiedlungsverfügungen bis heute auf juristischem Weg, da die Luftverschmutzung weniger schlimm sei als vom Ministerium ausgewiesen respektive durch geeignete Massnahmen reduziert worden und somit nicht gesundheitsgefährdend sei. Gemäß Verfügungen hätte Plan Bonito innerhalb von einem, El Hatillo und Boquerón innerhalb von zwei Jahren umgesiedelt werden sollen. Tatsächlich sind diese Fristen unrealistisch kurz, dennoch haben die Unternehmen den Prozess über Gebühr verzögert. Plan Bonito wurde erst Mitte 2014 umgesiedelt, zudem war es keine kollektive Umsiedlung, sondern nur ein Verhandlungsprozess mit individuellen Entschädigungen. Anfang Juli 2015 kehrten mehrere Dutzend „umgesiedelte“ Familien auf das ehemalige Land von Plan Bonito zurück, da sie mit den getroffenen Vereinbarungen nicht zufrieden sind, respektive ihre Lebensgrundlage am neuen Ort nicht nachhaltig gesichert ist. El Hatillo befindet sich noch mitten im Verhandlungsprozess, bei Boquerón haben die Verhandlungen noch nicht einmal richtig begonnen. Die inakzeptablen Verzögerungen in den Umsiedlungsprozessen haben für die Gemeinschaften schwerwiegende Konsequenzen, da sie kaum mehr Land- und Viehwirtschaft betreiben können, nur wenige Personen sonst eine Arbeit haben und der Staat in den Weilern nicht mehr investiert, da diese Dörfer ja umgesiedelt und abgebrochen werden. Obwohl die Unternehmen verpflichtet sind, mit einem Übergangsplan ein würdiges Leben am alten Ort bis zum Umzugstermin sicherzustellen, kommen sie dieser Verpflichtung nur ungenügend nach. So hatte El Hatillo Anfang 2013 eine soziale Notlage ausgerufen, weil physischer Hunger herrschte. Seither liefern die Unternehmen Lebensmittelpakete, Projekte zur Einkommensgenerierung funktionieren bis heute nicht.

Neben den schon beschriebenen Menschenrechtsverletzungen (Recht auf Wohnraum, Arbeit, Wasser und Nahrung, kollektive Rechte der AfrokolumbianerInnen und Indigenen wie die vorgängige informierte und freie Zustimmung FPIC) wurde im Kontext des internen bewaffneten Konfliktes auch das Recht auf Leben immer wieder verletzt. Den Bergbaukonzernen wird vorgeworfen, paramilitärische Gruppen finanziert und unterstützt zu haben, um die Sicherheit der Minen zu garantieren. Diese Paramilitärs haben Hunderte von Personen ermordet und Tausende gewaltsam vertrieben. Drummond und Glencore besitzen heute Land, von dem Personen gewaltsam vertrieben wurden. Bis heute ist die Zone von sozialer und politischer Gewalt geprägt, kommt es zu Todesdrohungen und gewaltsamen Übergriffen gegen soziale Führungspersonen und gegen BergbaugegnerInnen. Vor allem Menschen, die im Rahmen der unfreiwilligen Umsiedlungen mit den Firmen verhandeln, werden regelmäßig mit dem Tod bedroht respektive zum „militärischen Objekt“ von paramilitärischen Gruppen oder sogenannten kriminellen Banden erklärt.

Besonders gravierend ist die Situation für die Gewerkschafter bei Drummond, Glencore und Cerrejón, wo es regelmäßig im Kontext von Arbeitskonflikten zu Todesdrohungen, gewaltsamen Übergriffen und falschen Anklagen kommt. Besonderes Aufsehen erregt bis heute die Ermordung von drei Gewerkschaftsführern im Jahre 2001, die bei Drummond arbeiteten.

Die drei Bergbaukonzerne zeichnen sich auch durch sehr gewerkschaftsfeindliches Verhalten aus. Neu angestellte Personen werden aufgefordert, keiner Gewerkschaft beizutreten, sonst würden sie die Entlassung riskieren. Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter werden auf unterschiedlichste Art und Weise unter Druck gesetzt oder gezwungen, aus der Gewerkschaft auszutreten, indem ihnen mit der Entlassung gedroht oder Geldprämien und weitere Vorteile versprochen werden. Tarifvertragsverhandlungen werden verzögert, durch nur minimale Zugeständnisse Einigungen verhindert und wenn immer möglich Streiks für illegal erklärt. Das Resultat ist, dass v.a. bei Glencore und Drummond nur noch eine kleine Minderheit der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert ist. Zudem werden immer mehr Aufgaben und damit Arbeiter outgesourct. Ein Großteil der Arbeiter leidet an arbeitsbedingten Erkrankungen wie Staublunge, Wirbelsäulenschäden oder Muskelerkrankungen.

Stephan Suhner ist Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien.