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TerrorZones

Gewalt und Gegenwehr in Lateinamerika
Anja Lenkeit

Nach „NarcoZones“ (vgl. ila 356) ist nun der Sammelband „TerrorZones“ bei Assoziation A erschienen. Mit einer aufwühlenden Analyse beschreibt dieser Band die grenzüberschreitende Gewalt in Mexiko, Zentralamerika und Kolumbien sowie ihre Auswirkungen, insbesondere auf Migranten auf ihrem Weg nach Norden und auf Frauen. Aber auch Ansätze der Gegenwehr werden vorgestellt, wenn sich die Bevölkerung der Gewalt entgegenstellt und durch ihr Handeln Selbstvertrauen zurückerlangt.

Im ersten Beitrag wird die Leserin unvermittelt in die Geschichte eines Lehramtsstudenten hineingezogen, der seine Kommilitonen nach den Angriffen von Ayotzinapa verloren hat. Hier wird betont, dass die Gewalt gegen die Studenten kein einmaliges Ereignis darstellt, sondern seit den 60er-Jahren im Alltag fest verankert ist. Auch die wichtige Rolle, die diese LehrerInnen auf dem Land für die BäuerInnen und Indígenas spielen, wird dargestellt. Staat und Regierung tragen durch ihr Schweigen Verantwortung für die Verbrechen und sind ebenso wie die Polizei tief mit den Kartellen und der kriminellen Ökonomie verstrickt, wobei sich dies von Region zu Region sehr unterschiedlich darstellt. Immer wieder betonen die AutorInnen von „TerrorZones“, dass die politische Situation „komplex“ sei. Das Besondere an den 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa ist allerdings die internationale Aufmerksamkeit gewesen.

In einem weiteren Beitrag werden die Frauenmorde, die als Kommunikationsmittel öffentlich platzierten Leichen und die Morde an jungen Männern analysiert; hier zeige sich, wie Gewalt verallgemeinert und der „Wert“ bestimmter Bevölkerungsgruppen schlicht negiert werde.

Der Einfluss sozialer Medien auf die Protestbewegung wird beleuchtet, mit deren Hilfe das Verschwindenlassen der Studenten erst die überregionalen Medien erreichte; gleichzeitig werden Kommerzialisierungs- sowie Überwachungsmöglichkeiten für Unternehmen und Staat kritisch hinterfragt. Sehr spannend sind die Interviews mit JournalistInnen, die über Opfer und Täter berichten und die in „TerrorZones“ beantworten, wie sie mit diesen Erfahrungen umgehen, wie diese sie verändern. Besonders interessant ist zu sehen, mit welchen unterschiedlichen Herangehensweisen sich die Journalistinnen und der Journalist ihrem Sujet näherten.

In dem Buch wird auch der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert die Selbstverteidigung der BürgerInnenmilizen in Mexiko hat, und ein Vergleich zu kolumbianischen Paramilitärs gezogen. Aber auch die forensische Aufarbeitung der Morde, mit der ein bestimmter Tathergang vor Gericht beschrieben werden könnte, oder etwa die Adoptionen von unbekannten Toten durch die Gemeinden werden als Verwandlung der Ohnmacht in Handlungsmacht beschrieben. Während die Erinnerungskultur in Kolumbien geplant wird, wird gleichzeitig die Frage gestellt, wie bei anhaltender Gewalt durch Paramilitärs bereits von Erinnerung gesprochen werden kann. In Mexiko verwandelt ein mexikanisches Projekt mit Angehörigen und DorfbewohnerInnen einen Ort der seriellen Gewalt in einen künstlerischen Ort der Erinnerung mit einem bunten Gemeindezentrum.

Eine andere Art, wie sich Gewalt beruhigen kann, wird am Beispiel Acajutlas in El Salvador erzählt, wo die Mara-Bande, vom BürgerInnenmeister unterstützt, zu einem Rückgang der Gewalt beitrug und somit zivile Unterstützung erhält (siehe auch Beitrag in ila 383). Oder am Beispiel des kolumbianischen Gefängnisses, wo ein Anführer mit Gewalt an die Spitze der Häftlingshierarchie kam und ein Sozialsystem für Inhaftierte und Angehörige etablierte. Diese Herrscher sind nicht demokratisch legitimiert, sondern werden aufgrund des staatlichen Versagens akzeptiert, wenn sie die alltägliche Gewalt reduzieren. Von gewaltloser Herrschaft kann natürlich mitnichten die Rede sein.

Auch die europäische Mitverantwortung an der Gewalt in Mexiko wird deutlich. Neben den Waffenlieferungen der deutschen Firma Heckler & Koch mit Unterstützung der deutschen Behörden wird die Frage behandelt, welche Möglichkeiten einer Klage vor dem Strafgerichtshof in Den Haag bestehen. Durch die Abschottungspolitik der EU führt die Route der MigrantInnen vermehrt über Mexiko in die USA. Auf dieser Odyssee verschwinden viele MigrantInnen, die von dem Kartell der Zetas ermordet, entführt oder als Handlanger gehalten werden. Die Suche nach den Angehörigen, vor allem von Seiten der Frauen, wird in „TerrorZones“ begleitet. Durch die Kontinuität ihres Einsatzes konnten sie wachsen und haben an Stärke, Organisationskraft und internationaler Vernetzung hinzugewonnen.

„TerrorZones“ ist eine abwechslungsreiche Mischung aus journalistischen Reportagen, Interviews und politikwissenschaftlichen Artikeln mit Analysen und historischen Erläuterungen, die zum Nachdenken, Weinen, aber auch hoffnungsvollem Schmunzeln anregen.