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In ganz neuem Licht

Ramón Fonseca Mora ist derzeit der bekannteste Schriftsteller Lateinamerikas –– aber nicht, weil er so gut schreibt
Gert Eisenbürger

Die meisten Autoren und Autorinnen können von ihrer schriftstellerischen Arbeit nicht leben. Das gilt für Lateinamerika ebenso wie für Europa. Zwar gibt es unter ihnen einige GroßverdienerInnen, aber die meisten müssen neben ihrem Schreiben einen Brotberuf ausüben. Dabei fallen einem sofort die Geschichten von Autoren wie Franz Kafka und Fernando Pessoa ein, die einen großen Teil ihres Lebens einer öden Bürotätigkeit nachgingen. Doch es gibt auch AutorInnen, die in ihrer Erwerbsarbeit ungemein kreativ sind und dadurch berühmt werden.

Zur letzten Gruppe gehört zweifellos Ramón Fonseca Mora. Der hat zwar nicht den Literaturnobelpreis bekommen (und wird ihn mutmaßlich auch nie erhalten), ist derzeit aber dennoch in aller Munde, nämlich als Anwalt und Mitinhaber einer Kanzlei in Panama-Stadt, deren Geschäftsmodell es ist, gegen ein gewisses Honorar die notwendigen Formalitäten zu erledigen, damit wohlhabende Menschen aus aller Welt über eigene Firmen in Panama diskret Geschäfte und Finanztransaktionen abwickeln können. Nicht einmal die Briefkästen, die solchen Firmen einst den Namen gaben, braucht es dafür, denn wer macht heute noch Geschäfte per Post? Das ist alles ganz legal und unser honoriger Schriftsteller ist sich auch keines Vergehens bewusst, schließlich kann er ja nicht wissen, warum die Reichen solche Firmen gründen. Es könnte ja zum Beispiel sein, dass sie damit jemandem eine Geburtstagsfreude machen möchten.

Als ich mich anlässlich einer Reise nach Panama vor einiger Zeit mit Lesestoff eindecken wollte, schaute ich nach belletristischen Büchern panamaischer AutorInnen in deutscher Übersetzung, fand aber zunächst nichts. Also fragte ich Klaus Küpper vom Archiv für übersetzte lateinamerikanische Literatur in Köln, denn der kennt alles. Und so war es denn auch. Klaus wusste, dass lediglich ein Roman aus Panama ins Deutsche übersetzt ist. „Der Tanz der Schmetterlinge“ von Ramón Fonseca Mora sei 2000 im Scherz Verlag erschienen. Es sei ein eher schwaches Buch, meinte Klaus. Trotzdem besorgte ich mir den Titel. Nach der Lektüre teilte ich seine Einschätzung. Daher kam ich damals auch nicht auf die Idee, darüber etwas in der ila zu schreiben.

Nun da Ramón Fonseca Mora solche Medienpräsenz genießt, habe ich das Buch aus dem Regal geholt und erneut gelesen. Besser fand ich es immer noch nicht, allerdings habe ich es diesmal anders wahrgenommen als beim ersten Mal.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Anselmo Fuentemayor del Campo y Guzmán, ein schon in die Jahre gekommener Richter am Obersten Gericht eines mittelamerikanischen Landes. Er ist ein äußerst korrekter, man könnte sagen penibler Zeitgenosse. Sein Leben folgt einem genau strukturierten Zeitplan, in dessen Mittelpunkt seine Arbeit steht. Er ist Junggeselle (das Wort Single wäre eindeutig zu modern), immer ordentlich, aber unauffällig gekleidet, wird von einer treu-naiven Haushälterin umsorgt, und seine einzige außerberufliche Passion ist es, nachts mit einem alten Teleskop in den Himmel zu schauen. Dieser Richter findet plötzlich in seinem Schlafzimmer, seinem Büro und seinem Auto weiße Umschläge vor, mit merkwürdigen Schreiben über das Wesen der Natur, der Dinge und des Menschen. Dann erkrankt er aus heiterem Himmel, hat schwere Fieberschübe und sein Hausarzt empfiehlt ihm dringend, eine Krankenschwester zu beschäftigen, die ihn während seiner Genesung betreuen könnte. Die junge attraktive Pflegerin weckt in ihm bislang unbekannte Sehnsüchte, und bald hat er mit ihr eine leidenschaftliche Affäre.

In einem zweiten Handlungsstrang werden wir Zeugen abstoßender Rituale einer eigentümlichen Geheimloge, der ein Unbekannter vorsteht, den alle nur den „Gesalbten“ nennen. Mit seiner Hilfe wurde Oberst Muñoz, unschwer als Manuel Noriega, früherer Militärchef und „starker Mann“ Panamas, zu erkennen, zum mächtigsten Mann im Staat. Der Oberst ist jedoch in der Bevölkerung äußerst unbeliebt und gerät wegen des Todes eines Oppositionspolitikers, dessen verstümmelte Leiche aus dem Meer gefischt wird, unter Druck.

Unterdessen erscheint bei unserem wieder gesundeten Richter ein Besucher, der sich als Autor der rätselhaften Schreiben zu erkennen gibt und ihn zum Treffen eines exklusiven Kreises von Menschen einlädt, die auf der Suche nach der Wahrheit seien. Gleichzeitig fordert ihn sein Schwager dringend auf, bestimmten Leuten juristische Gefälligkeiten zu gewähren. Damit könne er seine Karriere befördern und sich ordentlich etwas dazu verdienen. Würde er aber ablehnen, drohten ihm Unannehmlichkeiten oder Schlimmeres. Der Richter, als einer der wenigen nicht korrupten Juristen im Land bekannt und geachtet, lehnt brüsk ab.

Langsam wird ihm bewusst, dass man ihn in irgendetwas hineinziehen will, und er realisiert, dass die junge hübsche Krankenschwester nicht in Liebe für ihn entflammt (warum auch?), sondern Teil des Komplotts ist. Sie gibt schließlich zu, auf ihn angesetzt worden zu sein, könne sich aber nicht erklären, was man von ihm wolle. Beim Versuch, Licht in das Dunkel zu bringen, erkennt der Richter, dass es um zwielichtige Geschäfte geht, bei der die Drogenmafia und auch Oberst Muñoz ihre Hände im Spiel haben.

Es folgen eine überstürzte Flucht, ein Verkehrsunfall, eine Entführung durch Militärs, Indiskretionen seiner Haushälterin, eine Pressekonferenz, in der der Richter eine ihm vorgelegte Version seiner Entführung erzählen soll, was er aber nicht tut, was wiederum zum Sturz von Muñoz alias Noriega führt, und schließlich ein Happy End, das darin besteht, dass der Richter in sein langweiliges Leben zurückkehrt.

Dies ist alles mäßig spannend erzählt, über weite Strecken reichlich konstruiert und lässt kein Klischee aus. Hätte es jemand geschrieben, der der Macht fern steht, könnte man ihm/ihr sogar einen gewissen Hang zu Verschwörungstheorien unterstellen. Nun ist Ramón Fonseca Mora, wie wir inzwischen wissen, keineswegs machtfern, sondern gehört in Panama zum inneren Zirkel der Macht (er war bis Anfang April Berater des Präsidenten und Vizepräsident der Regierungspartei). Zudem ist er über seine Kanzlei und ihr besonderes Geschäftsmodell mit der internationalen Hochfinanz verbunden. Haben wir es also vielleicht gar nicht mit literarischen Phantasien über dunkle Mächte, sondern mit Insiderinformationen von jemandem zu tun, der genau weiß, wovon er spricht?

Sicherlich haben Wirtschaftsgruppen, seien sie nun in den legalen Geschäften der Finanzwirtschaft oder den illegalen der organisierten Kriminalität (wobei die Grenzen fließend sind) aktiv, ihre Mittel, um Menschen aus politischen und juristischen Entscheidungsstrukturen unter Druck zu setzen, zu korrumpieren oder zu diskreditieren. Und wir wissen auch, dass es Logen und andere Männerbünde gibt, in denen Machtmenschen zusammenkommen, um sich gegenseitig ihrer Loyalität und ihrer ganz eigenen Ethik zu vergewissern und dabei gleichzeitig die nächsten Transaktionen und Geschäfte zu planen.
Aber die Realität ist dann doch wesentlich banaler als im Roman. Man braucht keine Rituale, bei denen lebendigen Welpen das Herz aus dem Leib geschnitten wird, wenn man doch alles Wesentliche beim Golf, einem exklusiven Essen, einer sündhaft teuren Flasche Wein oder der Ruhezone eines Edelbordells besprechen kann.

Der internationale Kapitalismus und speziell die Finanzgeschäfte bieten zweifellos unendlich viel Stoff für spannende Romane. Aber sie sollten gut und kohärent erzählt sein, Machtstrukturen offen legen und sich nicht hinter okkulten Geheimbünden verstecken. Wenn er aber solche Romane schreiben würde, müsste Herr Fonseca Mora tatsächlich etwas von seinem Insiderwissen preisgeben. Ob er dann für den Nobelpreis in Frage käme, weiß ich nicht, aber spannend zu lesen wäre es sicher.