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Schwierige Zeiten für die Selbstverwaltung in Argentinien

Macris neoliberaler Angriff bedroht die von ArbeiterInnen übernommenen Betriebe

Das Dokumentationszentrum zu den von ArbeiterInnen übernommenen Betrieben gibt seit 2003 alle paar Jahre eine Erhebung zur Lage dieser Betriebe in Argentinien heraus. Der fünfte Bericht von Mai 2016 steht ganz im Zeichen der neuen Schwierigkeiten, mit denen die selbstverwalteten Betriebe seit der Regierungsübernahme von Macri und dessen neoliberaler Offensive konfrontiert sind.

Alix Arnold

Die Wirtschaftspolitik, die Präsident Mauricio Macri seit seiner Amtsübernahme im Dezember 2015 (siehe ila 392 und 394) umsetzt, hat für die Bevölkerung Argentiniens verheerende Folgen. Die Abwertung des argentinischen Peso um rund 40 Prozent, eine weiter steigende Inflation, die Streichung der Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr sowie die gigantische Verteuerung von Strom, Gas und Wasser senken den Lebensstandard. Massenentlassungen und Betriebsschließungen bedeuten erneut für viele Menschen den Absturz in die Armut. Übernommene Betriebe und Kooperativen stehen besonders unter Druck. Da Entlassungen bei ihnen ausgeschlossen sind, bleibt oft nur die Senkung der Auszahlungen, um den Betrieb zu erhalten, womit die selbstverwalteten Betriebe ungewollt zur allgemeinen Lohnsenkung beitragen. Die größte finanzielle Belastung entsteht durch die Streichung von Subventionen für Gas, Strom und Wasser, die zur Verteuerung um bis zu 700 Prozent beim Strom und bis zu 1300 Prozent beim Gas geführt hat. Die Druckerei Chilavert in Buenos Aires beispielsweise, in der das Dokumentationszentrum seinen Sitz hat, musste im April und Mai 15 000 Pesos für Strom bezahlen, im Gegensatz zu 3000 Pesos im Februar und März (1000 argentinische Pesos entsprechen zurzeit etwa 60 Euro). Die Gasrechnung der Fliesenfabrik Zanon in Neuquén verteuerte sich im gleichen Zeitraum von 700 000 Pesos auf acht Millionen. Bei einer solchen Kostenexplosion wird es für selbstverwaltete und kleine Industriebetriebe unmöglich, in der internationalen Konkurrenz zu bestehen. Durch den allgemeinen Rückgang der Kaufkraft sind auch andere Bereiche wie Gastronomiebetriebe akut von Schließung bedroht.

Neben diesen Auswirkungen der allgemeinen Wirtschaftspolitik weht speziell gegenüber den selbstverwalteten Betrieben auch politisch ein härterer Wind. Eine stringente Politik zur Förderung der selbstverwalteten Betriebe gab es schon unter den Kirchner-Regierungen nicht. Es wurden aber bei verschiedenen Ministerien Programme aufgelegt, die zumindest kleinere Förderungen ermöglichten. So gab es beim Arbeitsministerium das Programa Trabajo Autogestionado, nach dem bei zahlreichen Kooperativen in Krisensituationen ein Teil der Löhne vom Staat finanziert oder Maschinenkäufe und Weiterbildung subventioniert wurden. Dieses Programm wurde zwar noch nicht offiziell abgeschafft, es liegt aber zurzeit auf Eis. Beim Sozialministerium gibt es die Kommission für Mikrokredite, die zwar für den Bedarf der übernommenen Betriebe in der Regel viel zu niedrig, trotzdem aber gelegentlich hilfreich waren. Der Haushalt dieser Kommission wurde im Vergleich mit 2015 auf ein Drittel zusammengestrichen und in den ersten vier Monaten dieses Jahres gab es kaum noch Bewilligungen.

Vor seiner Präsidentschaft war Macri Bürgermeister von Buenos Aires. In dieser Funktion legte er systematisch sein Veto ein gegen Enteignungsdekrete, die das Stadtparlament zugunsten der ArbeiterInnen von übernommenen Betrieben beschlossen hatte. Diese Vetopolitik wird von seinem Nachfolger und auch der Gouverneurin der Provinz Buenos Aires fortgesetzt. Die Selbstverwaltung des Hotel BAUEN im Zentrum von Buenos Aires hängt damit weiter in der Schwebe, obwohl die Enteignung von der Abgeordnetenkammer schon letztes Jahr im Dezember beschlossen wurde. Im zweiten Teil der Legislative, dem Senat, wurde das Dekret aber bislang nicht behandelt. Durch diese Verzögerung unter der Regierung Kirchner müssen die KollegInnen des BAUEN nun wieder um ihr Projekt bangen, da sie selbst im Falle einer positiven Entscheidung des Senats mit einem Veto von Macri rechnen müssen.
Die Justiz liegt ebenfalls auf dieser Linie. Das Argument der Gemeinnützigkeit, mit der Enteignungen begründet wurden, wird zunehmend infrage gestellt. Verschiedene Richter erklärten Enteignungen von Betrieben für verfassungswidrig, da die NutznießerInnen der Selbstverwaltung „Privatleute“ seien. Es kommt zunehmend zu Anzeigen und Anklagen wegen Betriebsbesetzungen gegen ArbeiterInnen sowie zu Räumungsversuchen und Razzien. Im April 2016 gelang es zum ersten Mal einem Konkursverwalter, mit richterlicher Erlaubnis und Unterstützung der Polizei eine besetzte Fabrik zu betreten und sie einem potenziellen Aufkäufer vorzuführen. Im Mai wurde der Betrieb Industrías RB in Martínez (Provinz Buenos Aires) gewaltsam geräumt, trotz Enteignungsdekret und nach mehr als zehn Jahren Selbstverwaltung! Die Antwort auf soziale Konflikte ist in Argentinien immer häufiger Polizeigewalt.
Zurückgenommen wurden auch staatliche Aufträge für übernommene Betriebe und Kooperativen. Viele Betriebe hatten solche Aufträge explizit gefordert, um Nützliches für die Gemeinschaft herstellen zu können, statt sich in die Konkurrenz auf dem Markt zu begeben. Lebensmittel für Schulen und Krankenhäuser, Baumaterialien für öffentliche Bauvorhaben, Arbeitskleidung für den öffentlichen Dienst, Schuluniformen und sogar Polizeiuniformen und schusssichere Westen wurden in selbstverwalteten Betrieben hergestellt. Die Rücknahme dieser Aufträge bedeutet für die Betriebe weitere ökonomische Engpässe.

In dieser schwierigen Situation haben bereits einige Belegschaften das Experiment Selbstverwaltung aufgegeben. Es sind vier Fälle bekannt, in denen die ArbeiterInnen mehrheitlich dem Verkauf des Betriebes an einen Investor zugestimmt haben. In drei Fabriken (Forja San Martín, 2 de diciembre/Ex-Coventry, Crometal) wurde die Produktion eingestellt und das Gebäude als Immobilie verkauft, bei der Reißverschlussfabrik Depe wurden nach dem Verkauf einige wenige ArbeiterInnen unter prekären Bedingungen weiterbeschäftigt. Bei der bekannten Textilfabrik Brukman gab es schon Ende 2014 einen ähnlichen Versuch. Der hier federführende Anwalt Luis Caro bekam in der Versammlung eine Mehrheit für den Vorschlag, das zentral gelegene Fabrikgebäude als Immobilie zu verkaufen. Die wenigen ArbeiterInnen, die sich widersetzten, wurden rausgeschmissen. Der Verkauf kam aus formalen Gründen schließlich nicht zustande; bei Brukman wird in geringem Ausmaß weiter produziert. Es gibt aber Hinweise auf weitere Verkaufsvorhaben von übernommenen Betrieben, bei denen Caro ebenfalls beteiligt sein soll, und Gerüchte unter den ArbeiterInnen, dass hinter diesem Ausverkauf eine Investorengruppe mit Verbindung zu ausländischem Kapital steht.

Es sieht nicht gut aus für die 367 von ArbeiterInnen übernommenen Betriebe in Argentinien. Aber Macris Politik geht nicht widerstandslos durch. Seit seiner Amtsübernahme ist er mit Streiks und Protesten auf der Straße konfrontiert. Die traditionellen Demonstrationen am 24. März, dem Jahrestag des Militärputsches von 1976, sowie am 1. Mai waren dieses Jahr besonders massiv und zum ersten Mal nach vielen Jahren konnten sich die großen Gewerkschaftsdachverbände wieder auf eine gemeinsame Demonstration einigen. Gegen den Tarifazo, die ungeheure Anhebung der Gebühren für Gas, Strom und Wasser, wurde im ganzen Land demonstriert. Anfang Juni gründeten selbstverwaltete Betriebe, Kooperativen, Kleinbetriebe, Nachbarschaftsvereinigungen und Kulturzentren bei einem Treffen im Hotel BAUEN eine Koordination (Multisectorial) gegen den Tarifazo. Ende Juni trafen sich ArbeiterInnen aus übernommenen Betrieben und Kooperativen aus verschiedenen Provinzen und über ideologische Grenzen hinweg in Buenos Aires zu einer Demonstration vor dem Arbeitsministerium. Unter dem Druck der vielen Mobilisierungen gab es zumindest erste Zusagen, eine Liste von übernommenen Betrieben mit Anrecht auf Sozialgebühren zu erstellen. Auch in Neuquén gingen die Compañer@s der Fliesenfabrik Zanon im Juli und August wieder auf die Straße. Als Sofortmaßnahme bewilligte die Provinzregierung den mittlerweile drei selbstverwalteten Fliesen- und Ziegelfabriken Zanon, Cerámica Neuquén und Stefani einen Vorschuss von insgesamt vier Millionen Pesos für öffentliche Aufträge, deren Auszahlung sie aber verzögert. Die Demonstrationen und Straßenblockaden gehen weiter.