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Die beiden G in der Transformation von Santa Cruz

Gentrifizierung und Gastronomie in Lima

Der Boom der peruanischen Küche beeinflusst auch das städtische Leben im Stadtteil Santa Cruz in Lima. Es entstehen neue und exklusive Gastro-Tempel in dem Armutsviertel dort, wo vorher Menschen mit geringen Einkommen wohnten und kleine Werkstätten ihr Auskommen hatten.

Natalia Consiglieri Nieri

Die Urbanisation Santa Cruz umfasst genau 56 Häuserblocks von den insgesamt 770 in Miraflores, einem der 43 Stadtbezirke Limas. Miraflores und das angrenzende San Isidro gelten als die reichsten Stadtteile Limas, hier wohnt die gut situierte Mittelklasse. Dieses Miraflores beschreibt etwa der Autor Mario Vargas Llosa. Er porträtiert in seinem literarischen Werk unterschiedliche Menschen in den Straßen, Avenidas und Gebäuden des Viertels, beispielsweise in den Büchern „Gespräch in der ›Kathedrale‹“ (1969, dt. 1976), „Das böse Mädchen“ (2006). Es sind Limeños und Limeñas, viele davon junge Menschen, die das Stadtzentrum verlassen, in dem sie sich nicht mehr wohl fühlen, und sich in Miraflores niederlassen, wo sie Beziehungen eingehen und mit ihrer Selbstfindung und Selbstdarstellung beschäftigt sind.

Ein anderer Schriftsteller aus Lima, der in seinen Geschichten vom Leben in Miraflores erzählt, ist Julio Ramón Ribeyro. In seinen Erzählungen finden wir aber nicht nur Protagonist*innen aus der Mittelklasse, sondern auch Bewohner*innen, die in den Gassen leben, Menschen, die sich nicht selbst inszenieren müssen, im Gegenteil, sie packen den Leser/die Leserin durch elementare Bedürfnisse wie die irre Lust auf merengados (peruanischer Nachtisch aus Baiser, Früchten, Likör u.a., der gebacken, gekocht und dann gefroren wird), die aber unerschwinglich sind, oder durch ihre grenzüberschreitenden Abenteuer wie die huaquearía (Schatzsuche, Grabräuberei) in den Ruinen des Stadtteils (in den Erzählbänden „Aasgeier ohne Federn“ (1955) und Los huaqueros (nur auf Französisch veröffentlicht)).

Ribeyros Romanheld*innen, die so ganz anders sind als die von Vargas Llosa, leben in Santa Cruz. Diese Urbanisation war für die wohlhabende Schicht in Miraflores lange Zeit tabu, sie galt in der kollektiven Vorstellung der Hauptstadt als gefährlicher Ort, wo Drogen verkauft werden. Die städtische Landschaft war hier durch Baugelände, Maschinenwerkstätten und Eisenwarenhandlungen geprägt. Das hat sich in den letzten 15 Jahren durch den gastronomischen Boom der peruanischen Küche, den Neoliberalismus und das Wirtschaftswachstum geändert. Santa Cruz durchläuft einen beschleunigten Transformationsprozess. Es gibt einen starken Bebauungsdruck, zum einen durch seine Lage (es liegt in Miraflores, grenzt an das wohlhabende San Isidro und an die Uferpromenade des Pazifik) und zum anderen, weil es eine attraktive Zone für Investitionen in exklusive gastronomische Unternehmen und Designläden sowie für Immobilienprojekte wie Boutique-Niederlassungen und gehobene Wohnanlagen geworden ist.

Das schwarze Schaf von Miraflores ist zum verlorenen Sohn geworden, den die ökonomische Entwicklung und private Investitionen zu einem neuen Beispiel für den städtischen „Fassaden“-Fortschritt machen wollen. Das bedeutet die Umwandlung eines Stadtteils, der lange Zeit hindurch ganz unterschiedliche Nutzungen und Aktivitäten ermöglichte. Zurzeit tendiert Santa Cruz zur Vereinheitlichung, zum Nachteil der Bewohner*innen mit niedrigen Einkommen.

Santa Cruz wurde von den Urbanist*innen bisher als Elendsviertel im Zentrum kategorisiert, d.h. eine Gesamtheit von überfüllten und prekären Wohneinheiten im traditionellen Stadtgebiet. Anders als die „neuen Siedlungen“ in der Peripherie von Lima sind die städtischen Slums nicht durch den großen Zuzug aus dem ländlichen Gebiet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden, diese Gebiete sind eine Folge der Urbanisierung der Stadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie profitierten nicht von den städtischen Programmen zur Infrastrukturverbesserung, sie blieben prekäre und unsichtbar gemachte Inseln innerhalb der bürgerlichen Stadtbezirke.

Die Geschichte der Urbanisierung von Santa Cruz beginnt 1917. Damals wurde das Gebiet, wo sich früher die Hacienda Santa Cruz befand, aufgeteilt und sehr unterschiedliche Nutzungen wurden möglich. Das führte dazu, dass ein sehr heterogener Stadtteil entstand. Seit langer Zeit stehen hier nebeneinander Einfamilienhäuser aus Beton und aus Lehm, verschiedene Geschäfte (Eisenwaren, Weinkellereien, Glasgewerbe etc.), Autowerkstätten, Grundstücke, Landhäuser und, vor allem in letzter Zeit, Designläden und exklusive Restaurants. Das hat zur Folge, dass hier ganz verschiedene soziale Gruppen präsent sind.

Wenn auch die überfüllten Wohnhäuser seit der Mitte des letzten Jahrhunderts langsam weniger wurden, so hat sich dieser Prozess durch die Ankunft exklusiver Restaurants extrem beschleunigt. Die Menschen, die bisher hier wohnen, können sich diese Restaurants nicht leisten und sie sind auch nicht für sie gedacht. Der erste Gourmettempel in der Zone war „Pescadores Capitales“, ihm folgte das Restaurant „La Mar“, in der Avenida desselben Namens. Inzwischen befinden sich in Santa Cruz mehr als 20 Spitzenrestaurants und Gastro-Unternehmen, die sich an ein zahlungskräftiges Publikum richten. Viele wurden auf Baugelände errichtet oder dort, wo sich früher Maschinenwerkstätten befanden.

Nicht nur der Immobiliensektor, auch die Kommunalverwaltung spielt eine aktive Rolle bei der Transformation des Viertels. Die einkommensschwachen Bewohner*innen dagegen erleben die Stadtverwaltung als ihren Anliegen gegenüber gleichgültig. In den letzten Jahren hat die Politik die Umwandlung des Viertels unterstützt, so wurden die Steuern für alle im Viertel erhöht, es werden keine Genehmigungen für Gewerbebetriebe wie Kfz-Werkstätten und Eisenwarenhandlungen mehr erteilt, nur gehobene Restaurants erhalten noch Lizenzen.

In der Presse wird die Umwandlung von Santa Cruz überaus positiv dargestellt. Es ist die Rede von der „Wiederauferstehung von Santa Cruz“ (als wäre es vorher tot gewesen); es gilt als „das Gebiet mit dem größten Wachstumspotential und Potential zur Neubewertung“; „das neue Aushängeschild von Miraflores“, auch mit gastronomischen Vokabeln wird experimentiert, so wird die Vergangenheit als „pikant“ (weil gefährlich) dargestellt, die gegenwärtigen Veränderungen als „genau richtig gewürzt“.

Diese abfeiernden Bewertungen zu Santa Cruz stehen im Kontrast zu den vielen „Im Rechtsstreit“-Schildern im Viertel. Abwechselnd mit Ankündigungen neuer Bauvorhaben sind diese Schilder an den Eingängen zu Baugeländen und an eher ärmlichen Häusern zu finden. Angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Baugrundstücken steigt das Risiko für die Menschen im Stadtteil, ihre Wohnorte räumen zu müssen.

Paradoxerweise und obwohl die Gentrifizierung dazu führt, dass viele Familien mit geringen Einkommen Santa Cruz unfreiwillig verlassen müssen, wird die populare Vergangenheit von Santa Cruz von einigen der neuen und exklusiven Geschäfte kapitalisiert und stilisiert. So steht zum Beispiel in einer der neuen Boutique-Niederlassungen eine kleine Ausstellung mit Fotografien von Santa Cruz, die die Avenida del Mar zeigen und die Geschichte des Viertels mit Bildern von einem Scherenschleifer, Straßenhändler*innen, Glaswarengeschäften etc. erzählen. Die Bilder sind bearbeitet: Die historischen Teile sind schwarzweiß gehalten, die Gegenwart ist bunt. Die Vergangenheit von Santa Cruz wird nicht ausgeblendet, sie wird stilisiert.

Die Aneignung des Popularen von Santa Cruz durch die hochpreisigen Geschäfte findet man auch in den gastronomischen Angeboten. So hat zum Beispiel Gastón Acurio, Hauptbetreiber des Restaurants „La Mar“, in mehreren Interviews erklärt, dass er sein Restaurant deshalb in Santa Cruz eröffnet hat, „weil die Avenida (Mariscal del Mar) genau dieses Stadtteilambiente hat, das er für seine Cebichería suchte“.

In einem anderen Edelrestaurant in der Gegend kann man im Eingangsbereich und im Speisesaal Sprüche lesen, die eher in einer Markthalle angemessen wären als in einem Restaurant der gehobenen Kategorie. „Pase caserito“ (kann viel bedeuten: „Komm rein, Kumpel“ oder „fühl dich wie zu Hause“ oder „hier wirst du nicht übers Ohr gehauen“ oder „Essen wie bei Mama“) oder „Probieren kostet nichts“ steht auf stilisierten Ständern. Die Tatsache, dass diese Elemente sich im Eingangsbereich des Restaurants befinden, verspricht den Gästen, dass sie hier Speisen in einem Ambiente einnehmen können, das an einfache Esslokale und Straßenküchen erinnert. Das Ursprüngliche wird auf ein anderes Niveau gehoben, damit zahlungskräftige Kund*innen es konsumieren können, und wird so inhaltsleer.

Die exklusiven Restaurants, die in Lima aus dem Boden schießen, haben volkstümliche Gerichte, Zutaten und Geschmäcker übernommen und kapitalisiert, darin besteht ein Teil ihres Erfolges. Wenn die angebotene Erfahrung darin besteht, die Gerichte der einfachen Menschen zu probieren, dann soll sie auch in einer Umgebung stattfinden, die an die ursprüngliche Atmosphäre erinnert, zumindest so, wie sie sich die gehobene Klasse vorstellt. Das beinhaltet zum Beispiel die Idee vom „Barrio“ oder die Ästhetik und Sprache der Markthallen, aber in einer geschützten Umgebung, die sich durch Exklusivität vom Original unterscheidet.

Die Mehrheit der Peruaner*innen ist sehr stolz auf die einheimische Küche und die soziale Anerkennung, die sie zurzeit erfährt. Dieser Stolz macht uns aber nicht blind und hindert uns nicht daran, zu sehen, wie sie für das System funktionalisiert wird. Die vorhandenen Probleme und die Praxis der Differenzierung werden durch die gastronomische Industrie reproduziert. Letztlich werden durch die Vermarktung der peruanischen Küche und die Aneignung des Popularen die Kulturformen und die kulturellen Gepflogenheiten der „Unterdrückten“ durch die dominante Kultur übernommen, ohne dass dadurch die Machtverhältnisse verändert werden. Und daher kommt auch die gefährliche Kombination, die durch die gastronomische „Zutat“ der Gentrifizierung in Santa Cruz entsteht: ein kritikloses Feiern, das dazu beiträgt, diejenigen unsichtbar zu machen, die nichts zu konsumieren und nichts zu applaudieren haben.