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Errungenschaften in Gefahr

Genmanipulation in Ecuador

Im Jahr 2008 gab es in Ecuador eine Verfassungsänderung. Seither gilt vielen die ecuadorianische Verfassung als grünste der Welt, schließlich werden darin die Rechte der Natur genauso anerkannt wie das Konzept des Buen Vivir als Entwicklungsweg (was eine neue Beziehung zwischen Mensch und Natur beinhalten würde). Zudem erklärt die neue Verfassung Ernährungssouveränität zu einem der strategischen Staatsziele. Fast ein Jahrzehnt später stellen wir fest, dass es sich um Lippenbekenntnisse gehandelt hat, denn de facto wurde nach dieser neuen Grundlegung für die Politik des Landes die kapitalistische Modernisierung in der Landwirtschaft vorangetrieben.

Elizabeth Bravo

Der Artikel 401 der Verfassung, der festschreibt, dass das Land frei bleibe von genmanipuliertem Saatgut und genmanipulierten Anbaukulturen, war eine politische Errungenschaft. Ebenso die Vorschrift, dass die Einfuhr von solch gentechnisch verändertem Saat- oder Pflanzgut zu unterbleiben habe, das gesundheitsschädlich sein könne und die Ernährungssouveränität oder die Ökosysteme bedrohe. Die Verfassung verbietet darüber hinaus „die Einführung von Organismen und organischem sowie anorganischem Material, welches das genetische Erbe des Landes unumkehrbar verändern kann. Dieser Artikel 15 war der bemerkenswerten Präsenz sozialer Organisationen, vor allem von Umweltaktivist*innen sowie Kleinbauern und -bäuerinnen, in der Verfassunggebenden Versammlung zu verdanken.

Doch später wurde ein Fenster für Genmanipulation in der Landwirtschaft geöffnet, und zwar mit der Verfügung, dass „gentechnisch verändertes Saatgut oder gentechnisch veränderte Pflanzen in Ausnahmefällen eingeführt werden dürfen, sofern dies im nationalen Interesse ist, von der Präsidentschaft der Republik ordnungsgemäß begründet und von der Nationalversammlung genehmigt wurde“. Ein Wikileak, der in jenen Monaten landesweit zirkulierte, legte offen: „Die(se) in der Verfassung vorgesehene präsidiale Ausnahme war allein der Lobbyarbeit einflussreicher ecuadorianischer Agrarunternehmen geschuldet.“

Obwohl also Ecuador verfassungsrechtlich zu einem von genmanipuliertem Saatgut und Anbau freien Land erklärt wurde, wachen die sozialen Organisationen aufmerksam darüber, dass das so bleibt. So gab es im ganzen Land Hunderte von Workshops, während derer die enorme Agro-Biodiversität in Ecuador und ihre Bedeutung für die indigene bäuerliche Kultur verglichen wurde mit der genetischen Verarmung, die mit dem Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut und entsprechenden Anbaukulturen einhergeht. Von den ernsthaften Auswirkungen auf die Umwelt und unsere Gesundheit einmal ganz zu schweigen.

Zudem werden einheimische und industrielle Maissorten ständig überwacht. Da Mais so vielfältig ist, gedeiht er in den unterschiedlichsten Ökosystemen, von Flächen auf Meereshöhe bis zu Flächen auf über 3000 Meter Höhe im Andenhochland, über alle komplexen Ökosysteme und Böden hinweg, die Ecuador zu bieten hat. Bislang haben wir in unserem Mais keine durch Gentechnologie verursachte Kontamination (Verunreinigung) gefunden. Doch diese Form der Kontrolle beschränkt sich nicht nur auf den Maisanbau. Bei Proben von Soja- und Luzerne-Kulturen konnten gentechnisch veränderte Pflanzen gefunden werden, die illegal auf ecuadorianischen Feldern ausgebracht worden waren.

Nachdem die Bauernorganisationen dies festgestellt hatten, verklagten sie das Umweltministerium auf Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten. Selbiges erklärte sich für „nicht zuständig“, woraufhin es keine weitere Möglichkeit mehr gab, um gegen diesen illegalen Zustand Rechtsmittel einzulegen.

Kurz vor Ende der Amtszeit von Präsident Rafael Correa Mitte 2017 hat dieser seine Möglichkeit einer Teilblockade zum Gesetz über Agro-Biodiversität, Saatgut und die Förderung Nachhaltiger Landwirtschaft genutzt, um die Anwendung von Gentechnik für Anbau und Saatgut zu Forschungszwecken zu legalisieren. Die neue Nationalversammlung, die gerade zusammengetreten war, hat diesem Veto sehr schnell stattgegeben. Damit konterkarierte sie den Status eines gentechnikfreien Landes und verletzte die Verfassung Ecuadors. Die Reaktion folgte auf dem Fuß, da sich die sozialen Organisationen im „Kollektiv für ein gentechnikfreies Ecuador“ organisiert hatten und nun mehrere Klagen anstrengten. So auch jene, in der es um die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes geht. Es gab Demonstrationen, Sit-Ins, Saatguttauschbörsen und andere Aktionen, die in den sozialen Netzwerken und den Medien koordiniert wurden.

Die hier beschriebene Politik steht im Einklang mit der Einführung eines mittlerweile von der neuen Regierung vorgeschlagenen Projektes für den ländlichen Raum, welches euphemistisch die große Minga Agropecuaria1 genannt wird. Hier wird ein Modell öffentlich-privat-gemeinschaftlicher Zusammenarbeit vorgeschlagen, in dem der Staat landwirtschaftliche Grundausstattungen, Saatgut (womöglich genmanipuliertes), synthetische Düngemittel und Agrargifte subventioniert. All dies wird großen Importunternehmen abgekauft, die zu den Meistbegünstigten der Subventionen gehören. Zugleich gibt es Verträge zwischen der Agrarindustrie und den Landwirten, die die Produkte kaufen, was – obwohl es ihnen einen Markt sichert – auch eine starke Abhängigkeit schafft. Zu den subventionierten Kulturen gehört auch der Mais, und nichts verhindert wirklich, dass dieser Mais genmanipuliert ist.

Obwohl nach Gesetzeslage die Anwendung von Gentechnik auf die Saatgutforschung begrenzt ist, ist nicht auszuschließen, dass künftig weitere Änderungen kommen und bisherige Ausnahmen auch für den kommerziellen Anbau zugelassen werden. Tatsächlich könnten die bäuerlichen Anbaubetriebe selbst zu Demonstrationszwecken als experimentelle Orte zur Aussaat dieses Saatguts verwendet werden. Das entspräche einer Praxis, die seit vielen Jahren von Saatgutunternehmen in den industriellen Maisanbaugebieten des Landes eingesetzt wird.

Deswegen steht die ecuadorianische Bewegung vor der großen Aufgabe, Ecuador tatsächlich frei von genmanipuliertem Saatgut und Anbaukulturen zu halten.

  • 1. Minga, ein Wort aus dem Quechua (der wichtigsten indigenen Sprache Ecuadors), bedeutet „gemeinschaftliche Arbeit”, die dem Wohl der Gemeinschaft dient. Damit wird eine Symbolik der indigenen Völker angeeignet.