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Von den Guaraní zu den Gauchos

Kleine Kulturgeschichte des Mate in Südamerika

Einst befand sich Tupã, der Geist des Guten, auf einer Wanderung über den Erdball. Am Ende eines langen Tages kam er zu einer abgelegenen, kargen Hütte, in der eine junge Frau und ihr greisenhafter Vater lebten. Trotz ihrer Armut gaben sie dem erschöpften Reisenden Speis und Trank. Zum Dank machte Tupã die beiden zu Halbgöttern und hinterließ ihnen Yerba, den Strauch, aus dessen Blättern sie den Mate brauten, der ihnen Kraft gab und ihren Hunger stillte.

Robin Tunger

Die Geschichte von Tupã ist nur eine von unzähligen Mythen, die sich die Indigenen Südamerikas über den Matestrauch erzählen. Ob die schöne Göttin Sumá, Yasi und Araí, die Götter von Mond und Wolken oder der wandernde Tupã, zahlreiche Erzählungen ranken sich darum, dass wohlwollende Unsterbliche den Menschen den Strauch zum Dank, zu ihrer Stärkung oder als Heilmittel brachten.

Seit über 5000 Jahren wird die Pflanze genutzt, wie Archäologen nachweisen konnten. Die Verwendung als Grabbeigabe in der vorkolonialen Epoche belegt, dass Yerba (so werden die zerkleinerten und gerösteten Blätter des Matestrauches genannt) seit langem einen hohen Stellenwert in der Region besitzt. „Mati“ nannten Inka und andere quechuasprachige Indígenas im heutigen Peru und Bolivien das Gefäß aus Flaschenkürbis, aus dem sie Tee tranken. Drei Tage, so behauptet man, konnten sie marschieren und arbeiten, ohne etwas anderes als Mateblätter zu kauen. Das heute noch beliebte Kauen von Blättern ist vor allem von der Coca bekannt. Zu Verwechslungen trägt zudem bei, dass Coca-Tee im Andenraum auch „Mate de Coca“ genannt wird. Und tatsächlich ist frische Yerba in den Anden schon seit längerem aus dem Reisegepäck verschwunden.

Doch in präkolumbianischen Tagen war das Kauen von Mateblättern, manchmal vermischt mit Salbei, von den Anden bis zur Atlantikküste verbreitet. Nicht nur auf langen Fußmärschen, auch in den Dörfern war die Pflanze als Mittel gegen Müdigkeit und Hunger beliebt. Hier tranken die Indígenas den Aufguss und siebten die kleingeschnittenen Blätter mit den Zähnen aus dem Sud. Das als Bombilla bekannte Trinkröhrchen erfanden die Guaraní, ein Volk aus dem Gebiet der heutigen Staaten Paraguay, Bolivien, Argentinien, Brasilien und Uruguay. In vorkolonialer Zeit bestand das „tacuapi“ genannte Utensil aus Pfahlrohr mit einem Sieb aus Pflanzenfasern und erfüllte bereits den gleichen Zweck wie die späteren Metallröhrchen, dank derer die zerkleinerten Blätter beim Trinken im Gefäß verbleiben.

Bekannt war Yerba auch bei anderen Völkern, wie den mit den Guaraní verwandten Tupí und Tapuia in Brasilien. Möglicherweise waren sie es, die die Wirkung der Yerba als erste entdeckten. Die kleinen Blätter ernteten die Indigenen Lateinamerikas zunächst von den wild wachsenden, bis zu 14 Meter hohen Matebäumen. Erst im Zuge der Kolonialisierung kam es zur größer angelegten Kultivierung der Pflanze. Obwohl auch die Weißen bald Geschmack an dem indigenen Getränk fanden, musste es sich zunächst gegen kirchliche Vorbehalte behaupten. Mitte des 16. Jahrhunderts belegten die Franziskaner die Pflanze mit einem Kirchenbann. Die Legende um Tupã sahen sie als einen Beleg dafür, dass Mate ein Werk des Teufels sei, das die indigenen Schamanen von ihrem heidnischen Gott empfangen hätten. Außerdem unterstellten sie eine aphrodisierende Wirkung, die zur völligen Zügellosigkeit der ihrer Ansicht nach ohnehin schon wollüstigen Menschen führte. Das Verbot blieb jedoch weitgehend ohne Konsequenzen: Die indigene Bevölkerung konsumierte ihren Mate weiter, die wohlhabenden Reichen behaupteten, es gebe eine medizinische Notwendigkeit. Da er kaum Wirkung zeigte, hob die Kirche schließlich den Bann wieder auf. Zu diesem Sinneswandel mag auch die tatsächliche Wirkung des Mateaufgusses beigetragen haben, der nämlich keineswegs aphrodisierend und auch nicht berauschend wirkt. Ganz im Gegensatz zu anderen traditionellen Getränken. Etwa die bis heute vor allem bei den Indigenen der Anden, aber auch in einigen Tieflandregionen beliebte Chicha. Dieses alkoholische Getränk aus fermentiertem Mais wirkt ähnlich wie Bier. Das gegen die Chicha vorgebrachte Argument, ihr Konsum fördere die Trunkenheit und zöge körperlichen Verfall und Gewaltausbrüche nach sich, konnte gegen den Mate, der lediglich belebt und den Hunger stillt, nicht ins Feld geführt werden. Kein Wunder also, dass die christlichen Missionare bald die Vorteile des Mate entdeckten. Natürlich mussten die oben erwähnten „heidnischen“ Mythen über den Ursprung der Yerba Mate durch christliche Legenden ersetzt werden. So verkündete der Jesuitenpater Antonio Ruiz de Montoya Tupã, der Geist des Guten sei in Wahrheit der heilige Apostel Thomas gewesen, der auf seiner Reise zur Verbreitung von Gottes Wort, Halt bei den Guaraní gemacht habe und sie das Brauen von Mate lehrte. Daher sei es nur natürlich, dass die Indigenen mit Hilfe der Jesuiten zum rechten christlichen Glauben zurückfänden. Die Aufnahme der Pflanze in christliche Mythen veranschaulicht ihren Stellenwert, war es doch hierdurch leichter, die Missionierung voranzubringen und gleichzeitig ökonomischen Vorteil aus dem forcierten Anbau der Yerba zu schlagen.

Auch nach der Auflösung des sogenannten Jesuitenstaates im Jahr 1767 behielt die Yerba ihre praktische und kulturelle Bedeutung. Nicht nur bei der Landbevölkerung blieb Mate das traditionelle Getränk schlechthin. Reisende im 18. und 19. Jahrhundert berichteten, dass der Aufguss zu jeder Tageszeit und in jeder Gesellschaftsschicht getrunken wurde. Er soll sogar nicht unwesentlich zum Unabhängigkeitskampf Argentiniens und Uruguays beigetragen haben, da die Soldaten auf ihren Märschen zwar zu wenig Nahrung, aber immer genug Mate zu ihrer Stärkung bei sich trugen. Auch unter den Gauchos, den Viehhirten in den weiten Ebenen der Pampa, war Mate hoch geschätzt. Der Aufguss und das Fleisch der Rinder bildeten oft ihre einzige Nahrung und erlaubten ihnen lange körperliche Arbeit. In der einsamen Grassteppe der Pampa soll sich spätestens im 19. Jahrhundert das bis heute in Varianten vollzogene Trinkritual gefestigt haben, bei der der Mate in Gruppen getrunken wird. Ein Gefäß, zumeist eine Kürbiskalebasse, wird mit Yerba gefüllt. Dann wird etwas heißes Wasser darauf geschüttet und der/die Trinkende saugt den so entstandenen Aufguss durch einen Strohhalm aus Metall, die schon erwähnte Bombilla. Dann wird neues Wasser draufgeschüttet und die Kalebasse wird an den oder die Nächste weitergereicht. In Gesprächsrunden hat das den Vorteil, dass diejenigen, die mit dem Aufgießen des Wassers und mit Trinken beschäftigt sind, schweigen, so dass auch Vielredner*innen zeitweilig gestoppt werden und andere Gelegenheit haben, etwas zu sagen.

Mittlerweile hat sich die städtische Lebensweise in Südamerika immer weiter ausgebreitet. Die Urbanisierung bringt weitreichende Veränderungen für die ehemals ländlich geprägten Gesellschaften. So sind die traditionellen alkoholischen Getränke wie die Chicha weitgehend durch Alternativen europäischer und nordamerikanischer Prägung, vor allem Bier und Cola, verdrängt worden. Heute wird in vielen lateinamerikanischen Ländern der ursprünglich aus Afrika stammende Kaffee angebaut und auch viel getrunken. In Argentinien und Uruguay führten die vielen italienischen Migrant*innen ihre Kaffeekultur ein.

Doch von all dem bleibt der Mate weitgehend unberührt und erfreut sich im Süden Brasiliens, in Argentinien, Paraguay und ganz besonders in Uruguay nach wie vor großer Beliebtheit, auch wenn er bei den ganz Jungen nicht mehr ganz so allgegenwärtig ist wie bei den Älteren. Sorgen um die Matekultur muss sich deswegen jedoch niemand machen. Ob auf dem Land oder in den Städten, in allen Schichten, zu jeder Gelegenheit und von allen Altersklassen wird Mate getrunken und in Liedern besungen, denn: „Wer Mate trinkt, wird wiederkommen“, wie es in einem bekannten Sprichwort heißt. Oder mythischer, angelehnt an die uralten Legenden der indigenen Bevölkerung: „Der Gebrauch derselben Bombilla weiht uns in die Geheimnisse der anderen Matetrinker ein.“