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Detektiv R bei der Arbeit

Besprechung eines Romans von Marcelo Figueras
Sandra Schmidt

Der Protagonist des Romans arbeitet als Journalist, Lektor und Übersetzer und will doch eigentlich Schriftsteller sein. Er heißt R, seine Kinder V und P, sein Bruder C, weitere Figuren haben Namen. Orte sind Buenos Aires und La Plata im Winter 1956, ein Jahr nachdem das argentinische Militär Bomben auf die eigene Bevölkerung abgeworfen und Präsident Perón der so genannten Befreiungsrevolution, einer Militärregierung unter General Aramburu, hatte weichen müssen. R, im spanischen Original schöner Erre, erfährt von einer Erschießung in einem Vorort von Buenos Aires, bei der ein Mensch überlebt haben soll, und beginnt zu recherchieren. Er rekonstruiert mit Redaktionskollegin Muñiz Umstände, Auftraggeber in den Reihen von Polizei und Militär und den genauen Tathergang des Abends, an dem vermeintlich aufständische Peronisten sich in José León Suárez getroffen hatten, um einen Boxkampf anzuschauen. Die Suche nach Fakten birgt Gefahren, die Suche nach einer Zeitung, die das Ungeheuerliche veröffentlichen will, scheint aussichtslos.

Wer das Porträtphoto des jungen Rodolfo Walsh, das die erste Seite des Buches ziert, nicht kennt, weiß während der Lektüre bis fast zum Ende nicht, dass R für Walsh steht. Wer Walshs 1957 veröffentlichten Bericht Operación Masacre (dt. von Erich Hackl: Das Massaker von San Martín) nicht kennt, liest einen Kriminalroman, einen Kriminalroman, der seine Leserschaft schnell ins Geschehen zieht und nicht mehr loslässt, einen Kriminalroman mit einem Plot, dem leicht, vielleicht allzu leicht, zu folgen ist, ohne komplexe Handlungsstränge oder außergewöhnliche Figuren. Doch „Das schwarze Herz des Verbrechens“ kann auch anders gelesen werden und dann ist es keineswegs ein gewöhnlicher Kriminalroman. Das Erzählverfahren, die Mise en Abyme, besteht in Wiederholungen und Spiegelungen auf anderer Ebene. Bis hin zu wörtlichen Formulierungen ist Figueras seinem Protagonisten, dem Autor Walsh, gefolgt. Doch belässt er es dabei nicht: Im Gegensatz zur Vorlage nehmen Beziehungen und Gedanken im Leben des R im Roman eine deutliche Gestalt an. Um die Vorlage wissend, erwischt sich die Leserin nicht selten zweifelnd darüber, ob bestimmte Beschreibungen, zum Beispiel von Debatten mit Verlegern, tatsächlich historisch verbürgt sind, also Ergebnisse der Recherchen des Autors Figueras, oder ob sie seiner Phantasie entspringen. Nicht erst in Zeiten allzu vieler Fake News kann das auf unangenehme Art und Weise irritieren, muss es aber nicht. Wenig Zweifel hingegen gibt es, wenn es um die Liebesbeziehung zur smarten Enriqueta Muñiz geht: Die Beschreibungen intimer Momente sind alles andere als erregend – und das liegt nicht an Übersetzerin Sabine Giersberg. Angesichts des recht plumpen Machismo à la „Er bot an, ihr das Schießen beizubringen. Sie wollte es nicht lernen. Dafür lernte sie mit Riesenschritten im Bett.“ (S. 345) kann man nur hoffen, dass Figueras sich hier tatsächlich 70 Jahre zurückversetzt hat. Der historische Sprung im Epilog hingegen hat einen ganz eigenen Reiz.