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Ein Freiwilligendienst der anderen Art

Wolfgang Meiers Erinnerungen an seine Zeit bei der FSLN-Guerilla in Nicaragua
Gert Eisenbürger

„Es ist Krieg und wir gehen hin“ lautet der Titel eines äußerst lesenswerten Buches von Paul Parin aus dem Jahr 1991. Der Schweizer Arzt und spätere Mitbegründer der Ethnopsychoanalyse beschreibt darin, wie er, seine Lebensgefährtin Goldy Matthèy und zwei weitere Genossen 1944 aus der friedlichen Schweiz nach Jugoslawien gingen, um die Truppen Titos im Kampf gegen die Nazis zu unterstützen. Alle vier waren ausgebildete Mediziner*innen und setzten ihre Kenntnisse ein, um als Sanitäter*innen die verwundeten Partisan*innen zu versorgen.

1979, also 35 Jahre später, zog der junge Ökonom Wolfgang Meier (ila-Leser*innen kennen ihn durch seine Artikel zu Brasilien in unserer Zeitschrift) aus der Bundesrepublik Deutschland in einen anderen Krieg. Er wollte mit seinen Kenntnissen die in Nicaragua kämpfenden Sandinist*innen unterstützen. Seine Kompetenzen lagen allerdings nicht im medizinischen, sondern im militärischen Bereich. Vor seinem Studium war er Zeitsoldat bei der Bundeswehr gewesen, hatte dort eine Ausbildung als Fallschirmjäger und Scharfschütze absolviert. Während der größte Teil der bundesrepublikanischen Linken antimilitaristisch gesinnt war und den Kriegsdienst verweigerte, war Meier damals der „festen Überzeugung, dass sich in bestimmten Situationen die Anwendung von Gewalt nicht vermeiden lässt, vor allem dann, wenn grundlegende Umwälzungen der gesellschaftlichen Verhältnisse1 nötig sind, die herrschenden Klassen geben schließlich die Macht nicht kampflos ab“ (S. 23).

Theoretisch teilten damals viele linksalternativ orientierte Menschen trotz ihrer antimilitaristischen Grundhaltung diese Position und immer mehr Leute in der Bundesrepublik unterstützten ab 1978 den Befreiungskampf gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua politisch und materiell. Aber Wolfgangs Entscheidung, mit den Sandinist*innen von der FSLN zu kämpfen, war eine ziemlich einsame. Nur zwei oder drei Deutsche taten damals das gleiche, aber darüber gab es keine größeren Diskussionen, auch weil in der entstehenden Solidaritätsbewegung 1978/79 nur ganz wenigen bekannt war, dass es einige Deutsche in den Reihen der Sandinist*innen gab. Außerdem bekundete niemand öffentlich, dass er/sie in Nicaragua kämpfen wollte, weil dann möglicherweise die bundesdeutschen Behörden die Ausreise der betreffenden Person verhindert hätten.

Wolfgang beendete im November 1978 sein Studium, beteiligte sich Anfang 1979 noch an der Vorbereitung einer Peru-Veranstaltung im Rahmen der bis heute jeden Januar stattfindenden Nürnberger Lateinamerikawoche und reiste danach über Mexiko nach Costa Rica. Mit weitgehender Duldung der damaligen costaricanischen Regierung unterhielt die in Nicaragua kämpfende FSLN dort ihre klandestinen Strukturen, wie sichere Wohnungen, Wege, um den Nachschub nach Nicaragua zu bringen, und direkt an der Grenze gelegene Ausbildungslager für die Kämpfer*innen.

Wolfgang hatte zwar schon von Deutschland aus Kontakt zur FSLN aufgenommen, aber es dauerte mehrere Wochen, bis er seinen Ansprechpartner in Costa Ricas Hauptstadt San José treffen konnte, und es verging noch mal eine Zeit, bis man seinem Ersuchen um Aufnahme in die FSLN stattgab und ihn in ein geheimes Lager im Norden unweit der nicaraguanischen Grenze brachte. Dort erhielten die ankommenden Freiwilligen eine eher rudimentäre militärische Ausbildung, ansonsten war das Lagerleben von Langeweile geprägt.

Nach einigen Wochen überquerten die neuen Guerilleros (im Ausbildungslager waren auch einige Frauen gewesen, aber nach Wolfgangs Schilderungen waren an den folgenden militärischen Aktionen offenbar nur Männer beteiligt) dann im April 1979 in kleinen Gruppen den Río San Juan, den Grenzfluss zu Nicaragua. Sie sollten an einer der bis dahin größten Offensiven der FSLN teilnehmen. Insgesamt 128 Guerilleros sickerten in den Süden Nicaraguas ein und hatten die Aufgabe, durch den Urwald nach Norden vorzudringen. Damit sollten möglichst viele Regierungstruppen im Süden gebunden werden, um den im Zentrum operierenden Einheiten der FSLN mehr Räume zu eröffnen. Die Offensive im Süden wurde zu einem Fiasko, weil die Pläne der militärischen Führung der Aktion in Teilen fragwürdig waren, der Nachschub nicht funktionierte und die Guerilleros schon früh entdeckt und von Spitzeln, aber auch von einfachen Bauern oder Marktfrauen verraten wurden, sodass es Somozas Nationalgarde leichtfiel, sie zu lokalisieren und aufzureiben. Nur 24 FSLN-Kämpfer*innen gelang es in kleinen Gruppen zu entkommen und sich halb verhungert nach Costa Rica zurückzuziehen. In seinem Buch setzt sich Wolfgang relativ breit mit den strategischen Fehlern auseinander, die zu dieser verheerenden Niederlage und dem Tod von über 100 FSLN-Compañeros geführt hatten.

Nachdem die überlebenden Kämpfer in Costa Rica wieder aufgepäppelt worden waren, gingen sie und viele neue Freiwillige im Juni 1979 zurück in den Süden Nicaraguas, wo sich die Truppen von Somozas Nationalgarde und die FSLN-Kämpfer*innen seit einigen Wochen in einem Stellungskrieg gegenüberstanden. Beiden Seiten ging es darum, die gegnerischen Truppen zurückzudrängen. Zunächst war die Nationalgarde der Guerilla in der Bewaffnung deutlich überlegen. Im Laufe der Zeit machte den Regierungstruppen aber das von der Carter-Regierung verhängte Waffenembargo gegen das Somoza-Regime zu schaffen, was ihre Schlagkraft verringerte. Wolfgang Meier schildert relativ ausführlich die täglichen Kämpfe und seine Rolle als Scharfschütze. Immer wieder hatte er Widersprüche zu den Befehlen seiner Kommandanten, die er oft als militärisch unsinnig oder gefährlich empfand.

Für ihn endete der Krieg wenige Tage vor dem Sieg der FSLN, als er bei einem Überraschungsangriff der Regierungstruppen an der Schulter und am Kopf verwundet wurde, u.a. verlor er vorübergehend seine Sehfähigkeit. Inzwischen funktionierte der Nachschub der FSLN-Einheiten relativ gut, sodass die Verwundeten mit Jeeps weggeschafft und zunächst in Frontnähe und dann in Costa Rica militärisch behandelt werden konnten. Dort, in einem Spital in San José, erfuhr er aus dem Radio vom siegreichen Einzug der FSLN-Truppen in Nicaraguas Hauptstadt Managua.

All das bisher Gesagte beschreibt Wolfgang Meier in seinem im Juli 2019 erschienenen Buch „Lobo – Episoden aus dem Befreiungskampf der Sandinisten 1979“. Lobo war sein Spitzname in der Guerilla. Das Manuskript hatte er bereits wenige Monate nach den geschilderten Ereignissen verfasst. Im Vorwort bemerkt er, dass er heute manches anders schreiben würde, wegen der Authentizität habe er sich aber entschieden, den Text von 1980 nicht zu bearbeiten, sondern ihn in der damaligen Fassung zu veröffentlichen. Das macht ihn zu einem historischen Dokument, was spannend ist, aber auch Möglichkeiten vergibt, auf die ich weiter unten eingehen werde.

Zunächst möchte ich einige Sätze zur Perspektive schreiben, aus der das Buch geschrieben ist. Wolfgang kämpfte 1979 mit der FSLN, riskierte Tag für Tag sein Leben, wurde schwer verwundet. Dennoch blieb er als Nicht-Nicaraguaner, als Gringo, immer ein Anderer. Einerseits gehörte er eindeutig dazu, andererseits hatte er in seinem früheren Leben ganz andere Prägungen erfahren als seine nicaraguanischen Compas. So beinhaltet sein Bericht sowohl einen Blick von innen als auch von außen, eine absolut interessante Konstellation.

Mit einem ähnlichen Hintergrund erzählt auch der angolanische Autor Pepetela in seinem Buch „Mayombe“, für mich der beste Text, den ich bis heute von einem ehemaligen Guerillero gelesen habe. Pepetela befehligte im Krieg gegen die portugiesische Kolonialarmee zu Beginn der 70er-Jahre eine Gruppe der angolanischen Befreiungsbewegung MPLA. Er war zwar kein Ausländer wie Wolfgang, aber er war der einzige weiße Feldkommandant in einer Guerilla, in der ansonsten nur Schwarze kämpften, war also auch ein Anderer. Pepetela hat seinen Bericht als Roman gestaltet, was ihm die Freiheit für literarische Verdichtung und Zuspitzung gab. So konnte er besser herauszuarbeiten, was für ihn wichtig war, nämlich dass viele der Widersprüche der postkolonialen angolanischen Gesellschaft und vor allem der späteren MPLA-Regierung (der Pepetela kurzzeitig als Vizeminister angehörte), wie ethnische Widersprüche, Autoritarismus und Korruption, bereits in der Befreiungsarmee angelegt und präsent waren.

Auch Wolfgang Meiers Buch kann so gelesen werden. Wenn er beschreibt, wie viele der mittleren und höheren Kader in der Guerilla agierten, wie formalistisch, autoritär und bürokratisch sie sich aufführten (und wie das alles von den Kämpfer*innen weitgehend kritiklos akzeptiert wurde!), kann man sich vorstellen, dass in einer revolutionären Regierung, deren Mitglieder und Funktionär*innen sich aus den vormaligen Guerilleros/as rekrutierten, sehr vieles schräg und falsch laufen musste.

Ob die im Buch geäußerte Kritik an vielen militärischen Entscheidungen der FSLN-Guerilla und deren Comandancia berechtigt ist, kann ich nur bedingt beurteilen. Dazu verstehe ich zu wenig von Militärstrategie. Vieles, was er schreibt, klingt plausibel und nachvollziehbar, wobei mich sein Ton, mit dem er sich über Beschränktheit der Nicaraguaner, in militärischen Fragen für einen Deutschen besonders pikant, mokiert, mitunter gestört hat.

Mein zweites Problem mit dem Text ergibt sich aus dem schon erwähnten Fakt, dass das nun veröffentlichte Buch bereits 1980 geschrieben wurde. Wenn jemand mit einem Abstand von 40 Jahren einen Text über seine Beteiligung an einem Krieg veröffentlicht, erwarte ich eigentlich eine Reflexion, in der auch die weitere Entwicklung und spätere Erfahrungen und Erkenntnisse des Autors/der Autorin eingeflossen sind. Weil er genau das leistet, ist der eingangs erwähnte Text von Paul Parin ein großartiges Buch. Wolfgang hat sich, wie schon erwähnt, aufgrund der Authentizität gegen ein solches Vorgehen entschieden. Ich denke, dass er damit eine Chance vertan hat. Gerade aufgrund seiner späteren Erfahrungen als Ökonom und Projektleiter in mehreren afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten und seinen theoretischen Arbeiten, etwa seiner Dissertation über die Problematik sozialrevolutionärer Regimes in der Dritten Welt am Beispiel von Nicaragua und Guinea-Bissau, hätte er da sicher viel Interessantes sagen können.

Und meiner Meinung nach hätte er auch darauf eingehen sollen, warum es für viele junge Männer immer wieder attraktiv ist, in einen Krieg zu ziehen. Gerade die vielen Berichte, die in jüngerer Zeit über den Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurden, für den sich auf allen Seiten Tausende junget Männer, darunter auffallend viele Intellektuelle, freiwillig gemeldet hatten, sollten nachdenklich machen.

Auch in der Geschichte der Solidaritätsbewegung mit Mittelamerika ist mir das begegnet. Wie schon gesagt, hatten 1978/79 nur einige wenige Aktivist*innen der Solidaritätsbewegung den gleichen Schritt wie Wolfgang Meier vollzogen. Aber als 1983/84 die zivilen Solidaritätsbrigaden nach Nicaragua aufbrachen, um einen internationalen Schutzschild für die von der US-finanzierten Contra bedrohten Projekte der sandinistischen Revolution zu bilden, forcierten einige Männer die Diskussion, ob die Brigadist*innen in besonders bedrohten Regionen Waffen tragen sollten. Auch hier gab es den latenten Wunsch, in einem gerechten Krieg (Freiwillige finden den Krieg, für den sie sich melden, immer gerecht!) dabei zu sein.

Zu dieser Frage äußert Wolfgang nur die anfangs zitierte allgemeine Erklärung, dass sich Gewalt manchmal nicht vermeiden lasse, weil die Herrschenden die Macht schließlich nicht freiwillig abgäben. Nur wer die Macht habe, könne etwas verändern, alles andere seien Sandkastenspiele. Das klingt plausibel. Gerade die Beispiele aus Lateinamerika zeigen das. Immer wieder wurden die Kräfte, die radikale Veränderungen erreichen wollten, aber nicht die (militärische) Macht hatten, von den alten Eliten und ihren internationalen Verbündeten militärisch liquidiert, man denke nur an das Projekt der Unidad Popular in Chile 1970-73 und mehr noch an die dort entstandene revolutionäre Massenbewegung, die 1972/73 tatsächlich begonnen hatte, ihre Geschicke in die Hand zu nehmen.

Aber wo die Macht militärisch errungen wurde, konkret in Cuba und Nicaragua, wurde von den neuen militärischen und politischen Eliten vor allem ein staatszentriertes Entwicklungsmodell durchgesetzt, in dem sozialistische Demokratie und Selbstverwaltung nie wirkliche Ziele waren. Die Politik der Ikone des bewaffneten Kampfes, Ernesto „Che“ Guevara, macht das als cubanischer Industrieminister zu Beginn der 60er-Jahre in aller Schärfe deutlich. Che wollte sein Programm einer raschen Industrialisierung unter staatlicher Kontrolle umsetzen. Dafür sollten alle materiellen und menschlichen Ressourcen mobilisiert werden. Die damals in Cuba mehrheitlich anarchosyndikalistischen Gewerkschaften verstanden unter Revolution aber etwas anderes. Während Che den Cubaner*innen eine protestantische Ethik einimpfen wollte, wie es der Philosoph Helmut Thielen einmal klug formulierte (ideologisch verbrämt als Gerede vom „Neuen Menschen“, wovon bis heute viele Linke schwärmen), wollten die Arbeiter*innen selbst bestimmen, wie und wie viel sie arbeiten. Che ließ daraufhin die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften zerschlagen und viele ihrer Mitglieder als Konterrevolutionäre inhaftieren. Che hatte die Macht und benutzte sie, um das durchzusetzen, was er wollte. Was die organisierten Arbeiter*innen, die auch ihren Beitrag zum Sturz des Batista-Regimes geleistet hatten, wollten, hat ihn nicht interessiert.

Die militärische Erringung der Macht ist also mitnichten ein Garant für eine revolutionär-demokratische Umgestaltung einer Gesellschaft, möglicherweise ist sie dabei sogar ein Hindernis. Aber diese Frage stellte sich den Nicaraguaner*innen, die sich 1978/79 der FSLN anschlossen, erstmal nicht. Für sie galt es, die Somoza-Diktatur und den Terror der Nationalgarde zu beenden. Wie die neue Gesellschaft aussehen sollte und um auf Wolfgang zurückzukommen, wer da dann die Macht haben würde, waren Themen, die später angegangen werden sollten, sofern man den Krieg überleben würde.

Wolfgang Meier hat mit seinen Episoden aus dem Befreiungskampf seine damaligen Erlebnisse und Erfahrungen öffentlich gemacht. Damit eröffnet er einen neuen Blick auf den damals weltweit glorifizierten Befreiungskrieg und ermöglicht es auch, die weitere Entwicklung des Landes bis hin zur heutigen Diktatur des Ortega-Clans zu verstehen. Trotz meiner Einwände halte ich den Text für ein sehr wichtiges Buch, das alle, die sich in irgendeiner Weise mit Nicaragua beschäftigen, unbedingt lesen sollten.

  • 1. Weil Wolfgang Meier keine deutsche Tastatur zur Verfügung hatte, sind die meisten Umlaute im Buch als ae, ue, und oe geschrieben. Ich habe sie im Zitat der besseren Lesbarkeit wegen der gebräuchlichen Schreibweise angepasst.

Das Cover zeigt den costaricanischen Sandinisten Felipe Peña, der kurz vor dem Sieg der FSLN gefallen ist.