ila

Zapata Gay

Warum eine Kunstausstellung die Gemüter in Mexiko erhitzt

Am 10. Dezember 2019 blieb der Palacio de Bellas Artes in Mexiko komplett geschlossen. Doch das hatte nichts mit den Prügelszenen zu tun, die sich am Vortag an dem pompösen Bauwerk abgespielt hatten. Diesmal protestierten die Angestellten des Museums, da sie in der Weihnachtszeit immer noch keinen Lohn bekommen hatten. Und so konnte an diesem Tag kein*e Besucher*in die Ausstellung „Emiliano. Zapata después de Zapata“ (Emiliano. Zapata nach Zapata) besuchen. Zu den streikenden Angestellten gesellte sich eine Gruppe von LGBTQI-Aktivist*innen, die die Öffnung der Ausstellung forderten und gegen die Gewalt am Tag zuvor protestierten

Frederik Caselitz

Es war schon der dritte Protest innerhalb von 24 Stunden. Eine etwas verwirrende Situation, aber nun der Reihe nach: 2019 wurde in ganz Mexiko des 100-jährigen Todestages von Emiliano Zapata gedacht. Er war 1919 in einen Hinterhalt gelockt und erschossen worden. Eine Reihe von Ausstellungen, Vorträgen und Büchern widmete sich der Hinterlassenschaft des Bauernführers, der in der mexikanischen Revolution eine entscheidende Rolle spielte und immer noch ein Bezugspunkt für politische Bewegungen aller Couleur ist. Die international bekannteste ist sicherlich die EZLN, hier auch als Zapatist*innen bekannt, die seit 1994 in Chiapas eigene Autonomiegebiete erkämpft haben und bis heute basisdemokratisch verwalten. Doch in Mexiko gibt es weitaus mehr Organisationen, die sich in der Tradition von Zapata sehen, dessen Zitat „Das Land denen, die es bearbeiten“ eine zentrale Forderung vieler Kleinbäuer*innen ist. Und auch die traditionelle mexikanische Politik hat sich Emiliano Zapata immer wieder angeeignet und so steht sogar in Los Pinos, dem langjährigen Wohnsitz der mexikanischen Präsidenten1, ein schwarzes Abbild Zapatas auf einem Pferd, direkt hinter den Statuen der mexikanischen Präsidenten, die dort chronologisch posieren.

Seit 1931 prangt im mexikanischen Parlament (Congreso de la Unión) Zapatas Name im Eingang als goldener Schriftzug, ironischerweise neben seinem vermeintlichem Mörder, Venustiano Carranza, der hier ebenfalls geehrt wird. Es ist zynisch, dass ihm diese späte Ehre zuteil wurde, denn seine zentralen Forderungen, nach einer Agrarreform und Umverteilung des Landes wurden nach der mexikanischen Revolution nicht erfüllt. Der Bezug auf Zapata in der mexikanischen Politik ist bis zum Aufkommen der EZLN also häufig verklärend, romantisierend und geradezu unpolitisch.

Und genau um diese Bezüge ging es in der Ausstellung Zapata nach Zapata. Zeit seines Lebens wurde Zapata in den großen Zeitungen des Landes eher verlacht, als unzivilisierter Bauernführer und Massenmörder karikiert. Durch seine militärischen Erfolge und weil er selbst als armer Bauer aus der Mitte der unteren Schichten stammte, wurde er dennoch immer mehr zum Volkshelden, der zusammen mit Pancho Villa freudig in Mexiko Stadt empfangen wurde – die Bilder dieses Treffens im Präsidentenpalast werden in Mexiko immer noch als Postkarten und Plakate verkauft.

Nach seinem Tod erwuchs sein Legendenstatus und selbst bis in die USA rezipierte man Zapata. Marlon Brando spielte den Revolutionshelden in einem eher kitschigen Hollywoodfilm 1952. War Zapata zunächst auch in den USA ein Held, veränderte sich der Bezug auf ihn mit dem Aufkommen des Kalten Krieges. Die Ausstellung zeigt, wie die anfänglich positive Rezeption immer mehr ins Lächerliche geriet. Die Comic-Maus Speedy Gonzalez ist letztlich der Höhepunkt dieser Tradition, die mit übergroßem Sombrero und rotem Halstuch sicherlich auf den mexikanischen Revolutionär anspielt. In der Ausstellung wird auch dieser Bezug künstlerisch verarbeitet, indem das Gesicht Zapatas auf den Körper der Maus anspielt.

Gleichzeitig war Zapatas Reputation immer auch die des starken Mannes und er wurde als Caudillo del Sur – als Heerführer des Südens – bezeichnet. Heutzutage wird Caudillismo eher als Schimpfwort benutzt für autoritäre Herrscher, denen es vor allem um Personenkult und persönlichen Nutzen geht. Vielleicht auch um Zapata von den Machos abzugrenzen, eigneten sich auch verschiedene patriarchatskritische Künstler*innen sein Erbe an. Davon sind einige Werke auch in der Ausstellung zu sehen, wie das Bild El Mandilón von Daniel Salazar. Es zeigt Zapata im Kleid mit Besen als Werbeikone für Haushaltswaren. Das Bild entstand bereits 1995 als Teil einer Serie „sensible Machos“, bei der Salazar, der selber in Denver in den USA lebt, mexikanische Revolutionshelden mit Haushaltswaren und Küchengegenständen malte. Gegenüber der Zeitung Latin Life Denver erklärte Salazar, dass es ihm darum ginge zu zeigen, dass der Revolutionsheld auch durch Haushaltstätigkeiten seine Community unterstützen wolle und sich dafür nicht zu schade sei.

In der Ausstellung finden sich also mehrere Bilder, die den Soldaten ironisch persiflieren. All die oben benannten Bilder waren aber nicht der Auslöser, weswegen sich einige bäuerliche Gruppen aus Morelos letztlich bis in die Hauptstadt aufmachten, um dort gewaltsam gegen die Ausstellung zu protestieren. Die gesamte Aufregung drehte sich dann doch nur um das Bild „Die Revolution“ von Fabián Cháirez. Zapata wird hier in Stöckelschuhen nackt auf dem Rücken eines Pferdes gemalt, welches wiederum einen erigierten Penis hat. Dabei trägt er einen pinken Sombrero und eine Art Schal in den mexikanischen Farben. Der junge Künstler aus Chiapas hat es dabei gar nicht unbedingt nur auf Zapata abgesehen. Ihm geht es vor allem darum, den mexikanischen Machismo insgesamt in Frage zu stellen. 2015 erklärte er, dass die vorgegebenen Männerbilder ihn und viele andere in ihrer Entwicklung geprägt und unterdrückt hätten. Seine Bilder wiederum sollen neue Interpretationen davon zulassen, was es heißt, sich wie ein Mann zu verhalten. Dabei greift er verschiedene mexikanische Nationalsymbole auf – nackte Männer in Wrestlingmasken oder vor Agaven zieren seine Bilder. Diese Darstellung Zapatas als Schwulenikone jedoch führte zu einem homophoben Backlash, der die Nachkommen auf den Plan rief, die sich sogar mit Vertreter*innen der Stadtregierung zusammensetzten (ohne dass der Künstler Cháirez dabei sein durfte). Die Konsequenz war eine Plakette neben dem Bild, die nun deutlich macht, dass die Familienangehörigen mit dieser Darstellung nicht einverstanden sind. Das reichte aber nicht allen – der Enkel Zapatas Jorge Zapata González rief zu Protesten auf, denen dann wiederum einige Bäuer*innen folgten. In einem Versuch, das Museum zu stürmen, wurden auch Menschen attackiert, die der LGBTQI-Szene zugerechnet wurden. Die tumultartigen Szenen verbreiteten sich über die sozialen Medien. Fabián Cháirez, aber auch der Kurator der Ausstellung Luis Vargas Santiago erhielten Todesdrohungen. Gegenüber ARTnews sagte Santiago, dass Leute ihm geschrieben hätten, Zapata würde ihm eine Kugel in den Kopf jagen, wenn er noch leben würde. Interessanterweise hat die Aufregung um das Bild letztlich nur zur Bekanntheit der Ausstellung beigetragen. Eine Museumsangestellte verrät mir, dass die meisten Besucher*innen eigentlich nur kommen, um kurz ein Selfie vor dem Bild von Cháirez zu machen.

Am nächsten Tag wiederum gab es dann eine friedliche Demonstration von LGBTQI-Aktivist*innen vor dem Museum, die für künstlerische Freiheit und gegen Homophobie demonstrierten. Diese wiederum reklamierten Zapatas Erbe für sich. „Zapata wäre auf unserer Seite“, schrieben sie. Wahrscheinlich haben sie damit gar nicht so unrecht. Auch hierüber berichtet die Ausstellung: In Zapatas Armee waren Genderrollen nämlich deutlich unwichtiger als bisher angenommen. So kämpften erstaunlich viele Frauen in hohen Positionen, so auch der Transmann Amelio Robes. Wie sich Emiliano Zapata in der heutigen Gesellschaft verhalten würde, ist nur spekulativ. Eventuell hätte er andere politische Schwerpunkte als ein Bild in einer Ausstellung. Es verwundert etwas, dass bei allen sozialen Problemen, mit denen die bäuerlichen Organisationen in Morelos konfrontiert sind, nun ausgerechnet eine Kunstausstellung sie zur Reise nach Mexiko-Stadt bewegt. Und dass es nur um Zapatas Reputation geht, ist nicht sehr plausibel, denn einige Bilder der Ausstellung lassen sich durchaus ironisierend oder beleidigend verstehen – nur der Bezug auf Homosexualität löst aber einen Shitstorm aus.

Es ist tragisch, dass hier verschiedene marginalisierte Gruppen letztlich um eine künstlerische Darstellung streiten. Die bäuerlichen Gruppen aus Morelos sind ebensowenig wie die LGBTQI-Szene in einer dominanten Position innerhalb der mexikanischen Gesellschaft. Umso wichtiger ist es aber, sich Homophobie entschieden entgegenzustellen, auch wenn das mitunter gefährlich sein kann. Denn wie es ein berühmter Revolutionär aus dem Süden einst sagte: „Lieber stehend sterben als kniend leben“.

  • 1. Erst Andrés Manuel López Obrador verlegte den Amtssitz weg von Los Pinos in den Palacio Nacional.