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Die Menschheit muss aufwachen – es bleibt keine Zeit mehr

Das Buch „Indigene Autonomie in Mesoamerika“ vom Informationsbüro Nicaragua
Inga Triebel

Das Zitat im Titel stammt aus der Dankesrede von Berta Cáceres nach dem Erhalt des Goldman-Preises im Mai 2015. In Erinnerung an die Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin möchte ich allen Menschen, die nach der letzten ila-Ausgabe mehr über Klimabewegungen in Lateinamerika erfahren wollen, das Buch „Indigene Autonomie in Mesoamerika. Im Widerstand gegen Vertreibung und Dominanzkultur“ vom Informationsbüro Nicaragua ans Herz legen.

Der Titel sagt es bereits: Im Mittelpunkt stehen die Kämpfe indigener Gemeinschaften aus Mesoamerika, dem kulturhistorischen Raum der Amerikas, der sich vom Süden Mexikos über Guatemala, Belize, El Salvador und Honduras bis nach Nicaragua und dem nördlichen Costa Rica erstreckt. Das Buch ist eine Zusammenstellung einzelner Beiträge, deren Autor*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten schreiben. Dabei schildern sie unterschiedliche Konflikte sowie die Zusammenhänge zwischen den Akteur*innen: Unternehmen, nationale Regierungen, indigene Zusammenschlüsse, einzelne indigene Gruppen oder Guerilla-Bewegungen. Aber nicht nur die Anzahl der Agierenden fordert die Konzentration der Leser*innen. Auch die länderspezifischen historischen und politischen Entwicklungen bieten eine Fülle an Informationen. Da helfen Erklärungen zum rechtlichen Rahmen, die die Berücksichtigung indigener Gemeinschaften festlegen (wie zum Beispiel die ILO-Konvention 169 oder die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte), um den roten Faden nicht zu verlieren. Somit können alle Beiträge sowohl einzeln als auch im gesamten Kontext der systematischen Verletzung der Indigenen-Rechte gelesen werden.

Das Buch beginnt mit einem wissenschaftlichen Beitrag der Soziologin Anne Tittor, der auf ihrer sechsmonatigen Feldforschung in Nicaragua basiert. Nach einer kurzen Beschreibung der kolonialen Geschichte Nicaraguas und den Auseinandersetzungen zwischen Sandinist*innen und den Indigenen an der Atlantikküste (Miskitu, Rama, Mayanga/Sumos), beleuchtet sie anhand der Rama-Kriol und der „Schwarzen Indigenen Kreolischen Gemeinschaft von Bluefields“ den rechtlichen Prozess der Anerkennung von Land und wie dieser im Zusammenhang mit dem Bau des panamerikanischen Kanals umgangen wird. Es folgt eine gekürzte Version des Textes „Nosotros sí existimos!“ (Wir existieren doch!), herausgegeben vom Consejo de los Pueblos Indígenas del Pacifico, Centro y Norte de Nicaragua über die Kämpfe verschiedener indigener Gruppen in Nicaragua.

Adalberto Padilla liefert einen Überblick über die Prozesse der Landvergabe und deren Verteidigung angesichts extraktivistischer Interessen. Darauf folgt Erika Harzer mit ihren „Erinnerungen an Berta Cáceres“, einem Zusammenschnitt mehrerer Interviews, die die Autorin im Juni 2012 und im März 2013 mit der Aktivistin führte. Diese thematisieren die Arbeit der COPINH („Rat indigener Völker Honduras“), die Kosmovision der indigenen Lenca, denen Berta Cáceres angehörte, sowie die militärischen Maßnahmen gegen ihr Engagement. Daran schließen die Redebeiträge der Koordinatorinnen der OFRANEH („Geschwisterliche Schwarze Organisation der Garífuna in Honduras“), Miriam Miranda und Aurelia Arzú. Sie erläutern die politische Situation in Honduras, die Absichten, die hinter der Vertreibung der Garífuna-Gemeinschaften stecken, sowie den Kampf der OFRANEH gegen die Folgen des Klimawandels. Ebenfalls bezogen auf Honduras folgt ein Beitrag des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit über sogenannte „Modellstädte“ in Honduras, Mexiko und El Salvador. Dort sollen die ersten privatisierten „Modellstädte“ ohne demokratische Regierung und Bürgerbeteiligung gebaut werden.

Das Interview mit der Maya-Q’eqchi’ Lesbia Francisca Artola vom März 2019 nimmt uns mit nach Guatemala zum CCDA („Bäuerliches Komitee des Altiplano“). Dort engagiert sie sich für die Rechte indigener Kleinbäuer*innen in der nationalen Agrarpolitik. Tagtäglich setzt sie sich damit der Gefahr aus, verfolgt, verhaftet oder entführt zu werden.

Im nächsten Beitrag zu Mexiko beleuchtet Alfredo Ramírez den indigenen Widerstand der EZLN („Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung“) unter der Regierung von Andrés Manuel López Obrador und geht darauf ein, wie indigene Autonomie geschaffen werden kann. Im letzten Beitrag erklärt die Politikwissenschaftlerin Brigitte Hamm die auf UN-Ebene beschlossene Unternehmensverantwortung für Menschenrechte. Zwischen einigen Texten sind Comic-Streifen aus dem Buch „Indigener Widerstand“ von Gord Hill passend zur Thematik eingebaut.

Alle Beiträge zusammen liefern einen sehr informativen und weitgefächerten Blick auf die politische Situation indigener Organisationen in Mesoamerika. Sie zeigen, wie stark die Autonomie indigener Gemeinschaften mit der Landfrage und der Verteidigung ihrer territorialen Rechte zusammenspielt und wie schnell eigentlich illegale Prozesse zu geltendem Recht werden, wenn ökonomischer Gewinn in greifbarer Nähe ist. Sie zeigen auch, dass diese Auseinandersetzungen von existenzieller Bedeutung sind: Es geht ums Überleben – nicht mehr und nicht weniger. Alle müssen aufwachen und indigene Kämpfe sichtbar machen, Druck ausüben. Es bleibt keine Zeit mehr.