ila

Der schwierige Weg zu einer neuen Verfassung für Chile

Interview mit Iván Ballesteros über die Ziele der Bewegungen und die Manöver der Regierung

Bei dem Aufstand, der in Chile am 18. Oktober 2019 begonnen hat, geht es längst nicht mehr um einzelne Forderungen, sondern um den Neoliberalismus, um das System. Neben dem Ruf nach dem Rücktritt der Regierung hat sich als gemeinsame Forderung die nach einer neuen Verfassung herauskristallisiert, als Voraussetzung für eine andere Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft. Unter dem Druck der Proteste haben Regierung und Parlament schon im November ein „Friedensabkommen“ geschlossen, das ein Referendum für eine Änderung der Verfassung vorsieht. Das beschlossene Verfahren erfüllt jedoch in keiner Weise die Forderung nach einer demokratischen Verfassunggebenden Versammlung und ist darauf angelegt, dass letztlich alles beim Alten bleibt.

Alix Arnold

Kannst du uns erklären, auf welche Weise in der Verfassung von 1980, aus der Zeit der Diktatur Pinochets, der Neoliberalismus festgeschrieben ist?

Die strukturellen Pfeiler der sozioökonomischen Matrix, die die Diktatur zu schaffen und durchzusetzen vermochte und die später in der Verfassung von 1980 verankert wurde, beruhen auf einer besonderen Konzeption des Staates, der als subsidiärer Staat bezeichnet wird. Dieses Konzept entspricht der neoliberalen Wirtschaftskonzeption, die den Staat aus ideologischen Gründen auf ein Minimum zurückdrängt und im chilenischen Fall in der Entstehungsphase eine „Minimaldemokratie“ voraussetzte. Demnach kann der Staat nur dann in wirtschaftliche Angelegenheiten eingreifen, wenn die Privatinitiative dies nicht kann oder kein Interesse daran hat, und wenn sich eine Privatinitiative durch eine staatliche Maßnahme diskriminiert fühlt, muss der Staat Entschädigung zahlen. In der besonderen Modalität, in der die Verfassung von 1980 in Chile entstanden ist, war das von Hayek entwickelte ideologische Prinzip der Subsidiarität ein integraler Bestandteil der neoliberalen Wirtschaftsvision, die in Chile von den „Chicago Boys“ nach der Wirtschaftsdoktrin von Milton Friedman eingeführt wurde. Der subsidiäre Staat hält doktrinär an der Auffassung fest, dass der Staat ausschließlich die Sicherheit und die Einhaltung von Verträgen garantiert. Im wirtschaftlichen Bereich kümmert sich der Staat nur um die Aufrechterhaltung und Förderung wettbewerbsfähiger Märkte, um Effizienz zu garantieren. Die Begriffe Bürger und Verbraucher sind hier nicht mehr zu unterscheiden.

Vom ideologischen Standpunkt aus betrachtet, begünstigt das neoliberale System die Tätigkeit von intermediären Gruppen, die mit Wirtschafts-, Finanz- oder Marktaktivitäten verbunden sind (Großunternehmen, Banken, Unternehmensverbände und Finanzgruppen), nicht aber soziale oder gewerkschaftliche Organisationen. Um „gesunde“ individuelle Anstrengungen nicht zu behindern, ist in diesem Zusammenhang Sozialpolitik nur dann erwünscht, wenn sie sich auf die schwächsten und prekärsten Gruppen konzentriert (Armut und extreme Armut – die durch den Markt verursacht wird). Eine Ausweitung von Rechten im Zuge von Wirtschaftswachstum und der Organisierung der Zivilgesellschaft – also das, was für einen Wohlfahrtsstaat typisch ist – ist von daher ausgeschlossen.

Die Politik der öffentlichen Hand wird also durch diesen subsidiären Staat begrenzt, da sie niemanden bevorzugen darf, da die erforderlichen Vorschriften einheitlich und allgemein sein müssen und öffentliche Unternehmen nur als Ausnahme vorkommen. Diese Aspekte sind u.a. in der Verfassung von 1980 in drei Artikeln des Kapitels III „Über verfassungsmäßige Rechte und Pflichten“ verankert.

In Artikel 22 heißt es: „Keine Diskriminierung bei der Behandlung von wirtschaftlichen Angelegenheiten durch den Staat und seine Behörden. Nur kraft eines Gesetzes und unter der Voraussetzung, dass es keine derartige Diskriminierung beinhaltet, können bestimmte direkte oder indirekte Vorteile zugunsten eines Sektors, einer Tätigkeit oder eines geographischen Gebietes genehmigt oder besondere Abgaben erhoben werden, die sich auf den einen oder den anderen auswirken.“

Artikel 21: „Der Staat und seine Behörden dürfen nur dann geschäftliche Tätigkeiten ausüben oder sich an ihnen beteiligen, wenn ein Gesetz mit qualifizierter Mehrheit sie dazu ermächtigt.“

Artikel 20 fügt hinzu: „Eingezogene Steuern jeder Art werden Teil des nationalen Vermögens und dürfen nicht einem bestimmten Zweck zugeführt werden.“

In der Praxis stellen die oben genannten Bestimmungen eine rechtliche Beschränkung von verfassungsmäßigem Rang dar, da für ihre Änderung oder Abschaffung eine qualifizierte Mehrheit (2/3) erforderlich ist und eine Grenze gesetzt wird für die Umsetzung von Public Policy oder für den Versuch, Public Policy in einem realistischeren und aktiveren Sinne für andere Ziele zu nutzen, die im Kongress mit einfacher Mehrheit beschlossen wurden.

Das Militärregime hinterließ einen großen Teil des Bildungs-, Gesundheits- und Transportwesens sowie das gesamte Rentensystem in Privatbesitz. Die 30 Jahre demokratischer Regierungen unter der Führung der Parteien der Concertación Democrática und später der Nueva Mayoría mussten dieses Erbe antreten und verfolgten nicht die Absicht, substantielle Änderungen daran vorzunehmen. Im Gegenteil, während der Concertación-Regierungen wurde der Prozess der Privatisierung staatlicher Unternehmen ausgeweitet, natürliche Ressourcen wie Wasser wurden privatisiert, Waldreserven und Fischereirechte an private Konsortien übergeben, und der extraktivistische Charakter des neoliberalen Wirtschaftsmodells wurde vertieft.

Was erhoffen sich die Aktivist*innen von einer neuen Verfassung oder auch von dem Weg dorthin?

Die Ursachen für den Beginn der massiven, transversalen Proteste der großen Mehrheit der chilenischen Bevölkerung liegen im Charakter des Staates, im Wirtschafts- und Entwicklungsmodell, das durch die Diktatur etabliert, in der geltenden Verfassung verankert und von den nachfolgenden „demokratischen“ Regierungen fortgeführt und sogar vertieft wurde. Die ersten Mobilisierungen und Proteste, die 2006 von Gymnasiast*innen initiiert und 2011 von Universitätsstudent*innen fortgesetzt wurden, sowie die verschiedenen Konflikte zur Verteidigung der Umwelt in verschiedenen Regionen des Landes (in Lateinamerika ist Chile das Land mit den größten Auseinandersetzungen um Ökologie und Umwelt) haben keine wesentliche Veränderung des Entwicklungsmodells der chilenischen Gesellschaft bewirkt. Die heutigen Proteste vereinen die Forderungen verschiedener sozialer Schichten, verschiedener Bewegungen und sozialer Gruppen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Dies ist einer der Gründe, warum die Proteste so massiv sind. Es geht nicht mehr um einzelne Reformen, sondern um einen Systemwechsel. Chile Despertó (Chile ist aufgewacht) oder „Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und wird in Chile sterben“ sind die Parolen der Demonstrationen, an denen verschiedene Gruppen und soziale Organisationen teilnehmen, die in gewerkschaftlichen, territorialen oder kommunalen Versammlungen organisiert sind, und die einen hohen Grad an Vernetzung und Übereinstimmung im ganzen Land aufweisen.

Es besteht ein breiter Konsens in der Bewegung: Der Ursprung der sozialen Probleme des Landes ist das neoliberale Wirtschaftssystem, und die Substitution dieses Modells impliziert eine neue Verfassung. Diese muss durch einen Konsens der Bürger*innen entstehen, die in konstituierenden Versammlungen organisiert sind, unabhängig von den unmittelbar nach der Diktatur entstandenen Institutionen und der Staatsmacht. Außerdem lehnt die Mehrheit der Bevölkerung die Regierungs- und Parlamentsinstitutionen ab, was sich in der geringen Wahlbeteiligung ausdrückt (nur 37 Prozent der registrierten Wähler*innen gehen zur Wahl). Die Ursachen sind vielfältig, aber die wichtigsten sind das hohe Maß an Korruption und Verstrickung der so genannten „politischen Klasse“ – unabhängig davon, welche politische Partei sie vertritt – mit den herrschenden Wirtschafts- und Finanzgruppen. Dies ist einer der Gründe, warum der Aufstand in Chile nicht nur verschiedene soziale Bewegungen, sondern auch verschiedene Altersgruppen vereint. Die Generation, die bei den Bildungsprotesten 2006 und später im Jahr 2011 eine große soziale Unterstützung erreichte, spielt auch heute noch eine wichtige Rolle: 2006 waren sie Schüler*innen und stellten das Bildungssystem in Frage, 2011 waren sie Student*innen und mussten sich verschulden, um die Kosten für die Bildung aufbringen zu können. Später in ihrem Berufsleben erleben sie die prekären Arbeitsbedingungen und die ungewisse Zukunft aufgrund der hohen Verschuldung. Die überwiegende Mehrheit von ihnen verfügt über ein hohes politisches Bewusstsein, das sie entweder in autonomen politischen Organisationen oder in Basisorganisationen, in denen sie Initiativen entwickeln, erworben haben. Es sind diese Basisorganisationen, hauptsächlich viertelbezogene und/oder kulturelle Vereine, die ein Bündnis mit der älteren Generation ermöglichen, die die Zeit der Militärdiktatur erlebt hat und in den 1980er Jahren die Proteste von Bevölkerung und Arbeiter*innen organisierte, die zum Ende der Diktatur führten.

Alle diese Organisationen sind nicht bereit, oberflächliche Lösungsvorschläge des Systems zu akzeptieren; sie fordern vielmehr eine grundlegende Veränderung des Charakters des Staates, der politischen Repräsentativität des Parlaments und vor allem eine Veränderung des Entwicklungsmodells der Gesellschaft als solcher. Dies setzt zunächst die Ausarbeitung einer neuen Verfassung voraus, die eine umweltverträgliche Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht, indem die Marktaktivitäten neu ausgerichtet werden, und in der die Verantwortung der wirtschaftlichen, industriellen und finanziellen Aktivitäten gegenüber der Gesellschaft als Ganzes ausdrücklich festgelegt wird. Es geht um die Reorganisation der sozialen, arbeits-, renten- und bildungspolitischen Aspekte, die in der Verantwortung des Staates liegen sollten. Dies beinhaltet die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker, die Wiedereinführung der Rechte der gewerkschaftlichen Organisationen (Tarifverträge nach Industrie- oder Wirtschaftszweigen), ein kostenloses Bildungssystem, Gesundheit, Renten usw.

Um diese Veränderungen zu erreichen, sind sich sowohl die teilnehmenden sozialen Organisationen als auch die Aktivist*innen, die in allen „Linien“ agieren, bewusst, dass es notwendig ist, die Basisorganisierung zu stärken, den Druck und das Niveau des Protests auf den Straßen aufrechtzuerhalten, Instanzen der Beteiligung und Beratung an den Orten zu schaffen, wo sie leben, in den Territorien, Stadtvierteln, an den Arbeitsplätzen, in den Schulen, Universitäten, Kulturvereinen, usw. In der Tat wurde bereits während der Entwicklung der Proteste und lange bevor die Pandemiekrise ausbrach, ein breites Maß an Organisation und Koordination erreicht; so wurde zum Beispiel angesichts der Repression durch Polizei und Militär Protest organisiert unter dem Motto „Sie haben uns alles genommen, sogar die Angst“, und heute, während der gegenwärtigen Krise, werden die Proteste auf dem „Platz der Würde“ unter dem Motto „Lasst euch nicht von der Angst lähmen“ abgehalten. Gleichzeitig hat sich die Bewegung angesichts der Unfähigkeit des Staates, der Bevölkerung, insbesondere den Bedürftigsten, einen Mindestschutz zu garantieren, in den Städten und Gemeinden unter dem Motto „Das Volk schützt das Volk“ organisiert und Volksküchen aufgebaut. Gesundheitsgruppen stellen das als Minimum notwendige Gesundheitsmaterial zur Verfügung, und die Aktivist*innen der „Ersten und der anderen Linien“ organisieren Desinfektionskampagnen in den öffentlichen Verkehrsmitteln dank der Unterstützung und Zusammenarbeit der „Volksapotheken“, die bereits vor den Protesten vom Oktober letzten Jahres organisiert wurden.

Am 15. November, drei Tage nach dem Generalstreik haben die Parteien im Parlament ein „Friedensabkommen“ und ein Verfahren für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung beschlossen. Dieses ist von der Bewegung scharf kritisiert worden. Kannst du die Kritikpunkte erläutern?

Das „Abkommen für den sozialen Frieden und die neue Verfassung“ entstand, als der Organisations- und Koordinierungsgrad der Proteste einen hohen Grad an Effektivität erreichte, vor allem durch die Aktion der Primera Línea, der Demonstrant*innen, die in der „ersten Linie“ die Auseinandersetzung mit den Repressionskräften führen und damit die friedlichen Demonstrationen schützen und ermöglichen, nicht nur in Santiago, sondern auch in Antofagasta, Valparaiso, Concepción und Punta Arenas. In einigen Städten erklärten die Carabineros-Truppen, sie seien von der Situation „überfordert“. Gleichzeitig kam es zwischen den Unternehmerverbänden in der „Konföderation für Produktion und Handel“, der Regierungskoalition, den im Parlament vertretenen politischen Parteien sowie den Streitkräften zu starken Differenzen über den Umgang mit der durch die Protestbewegung entstandenen Situation. Einen Tag vor der Unterzeichnung des Friedenspakts hatte die Regierung (Piñera) beschlossen, erneut nicht den „Notstand“ (Estado de Emergencia) auszurufen, für den sie die Zustimmung des Kongresses benötigte, sondern den „Ausnahmezustand“ (Estado de Excepción), der nicht der Zustimmung des Kongresses bedarf, um damit die Streitkräfte auf die Straße zu bringen, was jedoch nicht gelang, da die Armee Bedingungen stellte, unter denen sie die „Wiederherstellung der Ordnung“ im Land übernehmen würde. Zum einen sollte die Regierung im Falle von Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Streitkräfte Straffreiheit gewährleisten, zum anderen sollten die für die verschiedenen Standorte verantwortlichen Kommandeure die vollständige und absolute Kontrolle über die Lokal- oder Provinzregierungen übernehmen, was in der Praxis bedeutet hätte, die Tätigkeit der Zentralregierung und des Parlaments auf ein Minimum zu reduzieren. Mit anderen Worten, die Einsetzung einer Militärregierung, und schließlich auch noch die bedingungslose Freilassung von Mitgliedern der Streitkräfte, die wegen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur im Gefängnis von Punta Peuco inhaftiert sind. Dies konnte die Regierung nicht akzeptieren, und deshalb wurde mit den Parlamentsabgeordneten (mit Ausnahme der KP) eine Vereinbarung getroffen, die eine Rückkehr zur Normalität ermöglichen sollte.

Diese Vereinbarung wurde von den an den Mobilisierungen beteiligten Organisationen abgelehnt. Die Kritik wird in einem Dokument des „Forums für die konstituierende Versammlung“ vom 8. Dezember deutlich: Die Vertreter der Legislative wurden gewählt, um Gesetze zu erlassen. So offensichtlich es auch sein mag, die Parlamentarier*innen wurden weder gewählt, noch waren sie befugt, dem Willen ihrer Wähler zuzustimmen, ihn zu übergehen oder ihm zu widersprechen. Darüber hinaus vertreten mehrere der Befürworter*innen des „Abkommens“ nicht einmal die Standpunkte ihrer eigenen Partei oder ihres eigenen Sektors (Boric und Allamand), und es kommt noch hinzu, dass dieses Dokument in privaten Treffen bzw. Sitzungen und nicht in ordentlichen oder außerordentlichen Sitzungen des Repräsentantenhauses oder des Senats unterzeichnet wurde. Außerdem besagt das „Abkommen“, dass das Verfahren „einwandfrei demokratisch“ ist, was auf die Absicht der unterzeichnenden politischen Parteien anspielt, sich die Ausübung der Souveränität anzumaßen und nicht den Willen der Bürger*innen zu respektieren. Diesen Bürgerwillen beschränken sie auf ein erzwungenes Verfahren, das die Demokratie auf eine winzige sporadische Geste beschränkt; am Anfang die „Abstimmung“ ob die Bevölkerung tatsächlich eine neue Verfassung will, und wenn ja, die Wahl eines Teils der konstituierenden Versammlung. Am Ende dann eine erneute Volksabstimmung, ob die Mehrheit der Bürger*innen mit dem Text der neuen Verfassung einverstanden ist oder nicht.

Die „Vereinbarung“ kam unter Missachtung der Tatsache zustande, dass die ursprüngliche konstituierende Macht ausschließlich in der Bürgerschaft liegt, und dass diese sich schon seit Monaten in Sitzungen, Versammlungen und Cabildos berät, in denen ohne vorher festgelegte Formate ein autonomer konstituierender Prozess entwickelt wird. Dieser Prozess darf nicht von Machthabern oder Vertreter*innen der bestehenden Machtinstanzen blockiert oder unterbrochen werden. Dies sehen die seit der Französischen Revolution entwickelten demokratischen Prinzipien vor, die die Grundlage des internationalen Rechts der Selbstbestimmung der Völker bilden.

Das „Abkommen“ schließt Vorschläge für soziale Gerechtigkeit aus. Es erhebt den Anspruch, den Forderungen der Volksmobilisierung gerecht zu werden, enthält aber keine sozialen Erwägungen und schließt die Verfassunggebende Versammlung als Mechanismus für eine neue Verfassung aus. Zudem stellt der Name bereits einen Trugschluss dar: „Abkommen für sozialen Frieden“. Es waren nicht die gesellschaftlichen Organisationen, die Gewerkschaften, die autonomen Basisorganisationen, die kulturelle Einrichtungen , die Ureinwohner*innen, die feministische Bewegung und auch nicht die Teilnehmer*innen der größten Demonstration, die am 25. Oktober in Chile stattfand, die den Krieg erklärten. Es war der Regierungschef, der erklärte: „Wir befinden uns im Krieg.“ Im Krieg gegen wen? Gegen die gerechten Forderungen des Volkes?

Zweifellos kann die Legislativmacht, bevor es eine neue Grundrechtscharta gibt, viele der von den Bürger*innen geforderten sozialen Fragen gesetzlich regeln, wie zum Beispiel die Renten AFP (D. 3500), Gesundheitsversorgung ISAPRE/FONASA (Gesetz 18933), Arzneimittel (D. 466/1985), Gesundheitsdienste (Gesetz 20936), Verkehrswesen (Gesetz 20378), Gehälter der Minister, Abgeordneten, Senatoren und des Präsidenten der Republik (D. 249), Straftaten der Kollusion, Bestechung und Bestechlichkeit (Strafgesetzbuch). In dem „Abkommen“ ist jedoch keine dieser oder andere soziale Fragen, die die bedrückende Lage der chilenischen Bevölkerung lindern könnten, enthalten.

Eine Verfassunggebende Versammlung für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ist nicht vorgesehen. Mit dem Pakt vom 15. November soll der Wille des Volkes zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch den einzig wirklich demokratischen Mechanismus, nämlich die Verfassunggebende Versammlung, außer Kraft gesetzt werden. Der Unterschied ist nicht nur eine Frage der Semantik, wie die politischen Parteien und einige der Unterzeichner des „Abkommens“ gesagt haben, die fälschlicherweise behaupten, dass die Option des Verfassungskonvents die gleiche sei wie die der Verfassunggebenden Versammlung. Das ist nicht nur falsch, sondern bösartig, weil versucht wird, das souveräne Volk zu täuschen. Die Normen und Formen der Arbeitsweise der Verfassunggebenden Versammlung müssen ausschließlich und integral von den Delegierten der Verfassunggebenden Versammlung und nicht von einer anderen Staatsgewalt festgelegt werden. Man muss sich fragen: Warum sollten die Parlamentarier eine solche Entscheidung treffen? Sind sie die ursprünglichen Inhaber der verfassunggebenden Macht? Die Antwort ist klar: Aus demokratischer Sicht liegt eine solche Entscheidung allein bei den Bürgerinnen und Bürgern, denen als einzige die ursprüngliche konstituierende Macht zukommt.

Die vorgesehene Wahl der konstituierenden Delegierten ist wenig demokratisch. Sie erfolgt nach dem gleichen System, das bei der letzten Wahl der Abgeordneten verwendet wurde (D'Hondt-Verfahren). Dieses System wurde geschaffen, um den großen politischen Parteien und Koalitionen gegenüber den unabhängigen Kandidat*innen Vorteile zu verschaffen. So werden unabhängige Kandidat*innen aus Gründen der Wahlkalkulation gezwungen sein, künstliche Koalitionen von Parteien zu bilden oder in bestehende Parteien einzutreten, um ihre Chancen gewählt zu werden zu erhöhen. Die Berufspolitiker, die das „Abkommen“ unterzeichnet haben, wählten das Wahlsystem der Abgeordneten, weil es ihre Parteien begünstigt. Um Abgeordneter zu werden, muss man wahlberechtigte/r Bürger*in sein, über 21 Jahre alt, seinen Wohnsitz in der Region haben, auf einer Liste stehen oder über die notwendigen Unterschriften verfügen, um gewählt zu werden. Diese Bedingungen schließen die jungen Menschen zwischen 14 und 21 Jahren aus, die die soziale Explosion in Gang gebracht und für das derzeitige Kräfteverhältnis gesorgt haben. Darüber hinaus werden soziale Forderungen ignoriert, da das aufgezwungene Wahlsystem beispielsweise keine Geschlechterquoten oder für indigene Völker reservierte Sitze vorsieht.

Wesentliche Aspekte werden von einer von den Parteien eingesetzten technischen Kommission festgelegt. In dem „Abkommen“ steht, dass die politischen Parteien „Experten“ benennen, die sicher die Interessen der Parteien über diejenigen des Volkes stellen werden. Diese technische Kommission soll alle „unverzichtbaren Aspekte für das Funktionieren“ definieren. Die Meinung der Bürger*innen in all jenen Aspekten, die diese als ursprüngliche verfassunggebende Macht durch eine freie und souveräne Verfassunggebende Versammlung definieren sollten, wird sie wohl kaum beachten. Die Mehrheit der politischen Parteien in Chile sehen die Bürger*innen als eine Ansammlung ignoranter, getäuschter Individuen, die nicht in der Lage sind, über ihre Zukunft zu entscheiden. Die unterzeichnenden Parteien, die mit 684.973 Mitgliedern weniger als 4,8 Prozent der 14.308.151 Wahlberechtigten repräsentieren, schreiben sich mehr Repräsentativität und Entscheidungsbefugnisse zu als dem Rest der heute mobilisierten Bevölkerung.

Anstelle des von der Regierung beschlossenen Verfahrens wird vielfach eine Asamblea Constituyente gefordert, eine Verfassunggebende Versammlung. Wie könnte die aussehen und was ist der Unterschied?

Die am 15. November erzielte Vereinbarung sieht die Einrichtung eines „Verfassungskonvents“ vor, bei dem 50 Prozent der Mitglieder von den im Parlament vertretenen politischen Parteien und die anderen 50 Prozent durch Wahlen ernannt werden sollen. Zuvor wird im Oktober eine Volksabstimmung stattfinden, bei der die wahlberechtigten und regelmäßig in die Wählerverzeichnisse eingetragenen Bürger*innen entscheiden müssen, ob sie wirklich eine neue Verfassung wollen oder nicht. Unmittelbar nach der Einigung, die am 15. November zwischen den in der Regierung vertretenen Parteien und der parlamentarischen Opposition erzielt wurde, wurde beschlossen, dass eine neue Verfassung, falls diese Option in einem Plebiszit angenommen wird, durch den so genannten Verfassungskonvent festgelegt werden muss, dessen Einzelheiten im Folgenden dargelegt werden.

Der Verfassungskonvent setzt sich aus 172 Mitgliedern zusammen, von denen 50 Prozent Mitglieder des derzeitigen Kongresses sein werden (ohne Parität) und 50 Prozent vom Volk gewählt werden (mit Parität). Die Kongressabgeordneten, die den Konvent bilden, können ihre Arbeit im Kongress weiterhin fortsetzen. Die Kongressabgeordneten erhalten zwei Gehälter und die in den Konvent Gewählten nur das der Funktion entsprechende Gehalt. Es gibt keine Einschränkungen, sich nach Erfüllung ihrer Pflichten als Vertreter*innen im Konvent sofort für repräsentative Posten zu bewerben. Sollte die Option einer neuen Verfassung gebilligt werden, würde nach den Bestimmungen des „Verfassungsreformgesetzes“ verfahren, das die Form festlegt, in der sich der so genannte „Verfassungskonvent“ konstituieren wird. Aufgrund der aktuellen Pandemiekrise ist noch nicht klar, wann und wie die Wahl der vorgeschriebenen 50 Prozent stattfinden wird.

Die meisten gesellschaftlichen Organisationen schlagen jedoch eine andere Alternative vor, und diese besteht darin, sich massiv an der Volksabstimmung zu beteiligen, um sicherzustellen, dass die Zustimmung zur Verfassungsänderung eine überwältigende Mehrheit der Stimmen gegen die Ablehnungsoption erhält, und dann aus diesem Ergebnis heraus die Mobilisierungen und Straßenproteste zu erhöhen. Der Prozess auf dem Weg zu einer neuen Verfassung soll demokratisch verlaufen. Die Ausübung der Souveränität soll durch das Subjekt ausgeübt werden, dem sie zukommt, was nichts anderes ist als die Organisationen der Basis-Volksvertretung und die Bürgerschaft im Allgemeinen.

Die Verfassunggebende Versammlung besteht aus 155 zu 100 Prozent gewählten Mitgliedern (mit Geschlechterparität und Vertreter*innen der Indigenen Völker). Wenn die Kongressabgeordneten dem Verfassunggebenden Konvent angehören wollen, müssen sie von ihren Ämtern zurücktreten. Sie erhalten alle dasselbe Gehalt und sind nach Ablauf ihrer Amtszeit für ein Jahr von der Kandidatur für ein gewähltes Amt ausgeschlossen. Unabhängig davon, welche Alternative gewählt wird, wird die am 15. November verabschiedete durch ein kürzlich veröffentlichtes Gesetz geregelt. Einige Einzelheiten dieses Verfassungsreformgesetzes werden im Folgenden dargelegt.

Artikel 135 legt fest, dass die Konvention, solange es keine neue Verfassung gibt, „weder die Autorität (der alten Verfassung von 1980) leugnen … noch eingreifen oder irgendeine andere Funktion oder Zuweisung anderer in dieser Verfassung oder den Gesetzen festgelegter Organe oder Behörden ausüben“ darf. Da der Kongress weiterhin parallel arbeiten wird, wird die Verfassunggebende Versammlung nicht verhindern können, dass das Parlament weiterhin rasch – wie es dies jetzt tut – Gesetze verabschiedet, die dem Geist des Wandels zuwiderlaufen, der die Demonstrant*innen seit dem 18. Oktober beflügelt. Darüber hinaus teilt der „Sonderbestimmungen“ genannte Artikel 135 dieses Gesetzes den Delegierten der Constituyente mit, dass sie „die von Chile ratifizierten und in Kraft befindlichen rechtskräftigen und vollstreckbaren Gerichtsurteile und internationalen Verträge“ respektieren müssen. Das bedeutet, dass die Delegierten die Grundlage des neoliberalen Wirtschafts- und Entwicklungsmodells, das von der Militärdiktatur geschaffen und von den Concertación-Regierungen aufrechterhalten wurde, nicht verändern können. Dieses Modell ermöglichte bekanntlich die Privatisierung von lebensnotwendigen Ressourcen wie Gesundheit, Renten, Wasser, Saatgut und Bildung, wodurch die Ungleichheit zwischen denen, die in Chile leben und arbeiten, festgeschrieben wurde.

Die unbegrenzten Garantien, die den transnationalen Konzernen durch internationale Freihandelsabkommen gewährt werden, erlauben es ihnen, Schlüsselbereiche der Wirtschaft zu kontrollieren – den Bergbauunternehmen wie BHP, Bayer/Monsanto oder Agrosuper aus dem Agrar- und Pharmasektor – und sie stärken andere Konzerne wie die Gruppe Luksic, Angellini oder Matte mit Forst- und Fischereiunternehmen, Agroindustrie usw. Das in den Verträgen enthaltene Streitbeilegungssystem (Dispute Resolution System, ISDS) ermöglicht es diesen Unternehmen, den Staat Chile vor speziellen internationalen Gerichtshöfen zu verklagen. Dort ist der Staat ohne ordentliches Verfahren mit Unternehmensanwälten und unanfechtbaren Urteilen konfrontiert, die zumeist gegen die Staaten gerichtet sind und Kosten in Milliardenhöhe bedeuten, was dazu führt, dass die von den transnationalen Konzernen kritisierten öffentlichen Ausgaben (früher oder später) zurückgenommen werden müssen.

Als Alternative zu dem in der Vereinbarung vom 15. November festgelegten Verfahren begannen sowohl die an der Mesa de Unidad Social (Tisch der sozialen Einheit) vertretenen Organisationen (von dem sich im Laufe der Proteste einige der anfänglich teilnehmenden Organisationen wie die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ANEF und sogar der Gewerkschaftsdachverband CUT zurückzogen) als auch die Basisorganisationen, Volks- bzw. Gemeindeversammlungen zu organisieren, mit dem Ziel, einen Verfahrensentwurf für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung vorzulegen, in dem eine Wahl der Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung erforderlich ist. Diese Versammlung muss gleichberechtigt sein, d.h. eine paritätische Vertretung von Frauen und Männern, sie muss plurinational sein, d.h. sie muss die indigenen Völker einbeziehen und das Wahlrecht auf die Teilnahme junger Menschen ab 14 Jahren erweitern.

Diese neue Verfassung muss unter anderem sicherstellen, dass das zukünftige Entwicklungsmodell des Landes den „Extraktivismus“ beendet, durch ein Moratorium der Freihandelsabkommen und umfassende Überprüfungen der bereits geltenden, da diese das Land deindustrialisieren und die Ausplünderung der Territorien, die Ungleichheit, den zügellosen Konsum und damit die private Verschuldung der Mehrheit der Bevölkerung fördern. Ein weiterer wichtiger Aspekt in einer neuen Verfassung sind die Forderungen von Ökologie- und Umweltorganisationen, die die Einbeziehung des Naturbegriffs als Rechtssubjekt fordern und damit vorrangig die Nutzung des Wassers sowohl für die Menschen als auch für die Erhaltung der Ökosysteme garantieren und diesen Priorität gegenüber anderen privaten Nutzungsmöglichkeiten geben wollen. Mit dem Moratorium für Freihandelsabkommen muss das Recht auf soziale Sicherheit bekräftigt und dem privatisierten Rentensystem der AFP ein Ende gesetzt werden; es gilt, das Saatgut zurückzugewinnen und die Grundlagen für den Übergang zu einer Agrarökologie als Modell der Nahrungsmittelproduktion zu legen, wobei nach und nach die Verschmutzung durch die konventionelle Landwirtschaft (Monokultur) mit ihren schädlichen Auswirkungen beendet werden muss, die vor allem die Gesundheit und Unversehrtheit unserer Ureinwohner*innen, der ländlichen Gemeinden, der handwerklichen Fischerkooperativen, der Pirquineros (selbständigeBergarbeiter) und ganz allgemein die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung schädigen. Monokulturen, die auf den Export von Eukalyptusholz, Kiefern, Lachs, Avocados usw. ausgerichtet sind und die die Lebensbedingungen und das Überleben der handwerklichen Gemeinschaften gefährden, müssen beendet werden. Dies sind grundlegende gegen die Nutznießer des extraktivistischen Modells gerichtete Meilensteine, um der Gleichberechtigung ein Stück näher zu kommen – in einem Land, das von Ungleichheit und den Privilegien des 1 Prozent, das die Macht und damit 1/3 des Reichtums auf sich konzentriert, sowie von den übermäßigen Profiten der transnationalen Konzerne geprägt ist.

Gegen die Kampagne für eine neue Verfassung „Yo apruebo – Ich stimme zu“ gab es im Februar auf den Straßen gewalttätige Angriffe von Rechtsradikalen. Was sind das für Leute, wie sind sie organisiert?

In Chile gab es bereits vor den Oktober-Protesten ultra-rechte Gruppen mit unterschiedlich hohem Grad an Organisation und Mobilisierungsfähigkeit. Eine davon ist die „sozialpatriotische Bewegung“ Movimiento Social Patriota, eine Art paramilitärische Struktur, die über zahlreiche Zellen in verschiedenen Gemeinden und Regionen des Landes verfügt und durch Spenden von Einzelpersonen finanziert wird. Sie rekrutieren ihre Mitglieder mit einem migrantenfeindlichen Diskurs und versuchen auf diese Weise, die arbeitslose Bevölkerung zu erreichen, indem sie die Einwanderer für den Mangel an Arbeitsplätzen, niedrige Löhne und die Prekarität der Arbeit verantwortlich machen. Ihre Mitglieder sind Marginalisierte, nicht unbedingt im Sinn von Armut, sondern im Sinne von Ausschluss aus dem Sozialabkommen, das am Ende der Diktatur geschlossen wurde. Deshalb nehmen sie ultranationalistische Positionen ein, denn sie kritisieren die Globalisierung als Ergebnis eines angeblichen von den Vereinten Nationen gesteuerten Herrschaftsprojekts. Sie gehören weder zur historischen chilenischen Aristokratie und Oligarchie, noch zu den ärmsten und prekärsten Sektoren. Einer der ersten öffentlichen Auftritte dieser Gruppe fand im August 2019 statt, als sie die Teilnehmerinnen einer feministischen Demonstration angriffen, die die endgültige Verabschiedung eines Abtreibungsgesetzes forderte.

Eine weitere rechtsextreme Gruppierung, die sich seit geraumer Zeit herausbildet, ist die „Identitäre Aktion“ Acción Identitaria, die sich mit einem ultranationalistischen Diskurs gegen das von ihnen so genannte liberal-demokratische System wendet. Daneben gibt es die „Identitäre Nationale Kraft“ FNI, die den „Kreolismus“, die Vormachtstellung der Weißen mit einem populistischen rechtsextremen Diskurs verteidigt. Eine weitere Gruppe, die während der Demonstrationen in Erscheinung trat, ist die faschistische Gruppe „Revolutionärer Kapitalismus“. Sie tritt bei den Demonstrationen für die Ablehnung einer neuen Verfassung, die in den gutsituierten Vierteln stattfinden, als Stoßtrupp auf. Diese Gruppe wird von Personen aus der so genannten „Militärfamilie“ finanziert, die sich aus pensionierten Offizieren der Streitkräfte zusammensetzt.

Es ist kein Zufall, dass die ultrarechten Organisationen ihre Demonstrationen vor dem Gebäude der Militärschule abhielten. Dass sich die Regierung und die Parteien der Regierungskoalition, insbesondere Teile der mehrheitlich rechtsgerichteten Parteien wie der Unabhängigen Demokratischen Union (UDI) und der Nationalen Erneuerung (RN), unter dem Druck der sozialen Mobilisierung gezwungen sahen, eine mögliche Änderung der Verfassung von 1980 zu akzeptieren, zeigte, dass innerhalb der politischen Vertretung der dominanten Wirtschaftsgruppen in Chile ein Prozess der Umgruppierung eingesetzt hat. Schon bevor die Proteste begannen, befand sich die chilenische Wirtschaft in einer Phase der wirtschaftlichen Rezession. Dies war hauptsächlich auf den Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität in China und damit auf den drastischen Rückgang der Nachfrage und folglich des Kupferpreises (das Hauptexportprodukt, das etwa 65 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes ausmacht) auf dem internationalen Markt zurückzuführen, sowie darauf, dass die Wirtschafts- und Finanzgruppen in Chile, um die im Regierungsprogramm von Bachelet vorgeschlagenen Reformen (wie z.B. Änderung des Steuersystems, neue Verfassung usw.) zu boykottieren, das Investitionsniveau senkten. Dies führte zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, der Unmöglichkeit, den privaten Kreditverpflichtungen nachzukommen, sowie zu einem Rückgang des Konsums. Unabhängig davon, welche politische Koalition an der Regierung ist, hat in Chile die Finanz-, Banken- und Handelsfraktion das Sagen, die trotz ihres niedrigen Lohnniveaus die Arbeitskraft ausbeuten kann. Das System erhält einen zusätzlichen Mehrwert durch die gesetzliche Verpflichtung der Arbeitnehmer, ihre Beiträge in die privaten Renten- und Gesundheitssysteme einzuzahlen, die wiederum von Finanz- bzw. Bank-Konzernen verwaltet werden. Diese Gruppen bieten bedingungslosen Zugang zu Kreditkarten an, für die höhere Zinsen verlangt werden als bei normalen Bankkrediten, und deren Rückzahlung oft mehr als 75 Prozent des monatlichen Einkommens verschlingt. Die wirtschaftliche Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, der Unfähigkeit, Kredite zu bezahlen, und der Insolvenz nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Klein- und Mittelbetrieben, schränkt die Kauf- und Konsumkraft auf dem Markt weiter ein.

Dieses Wirtschaftsmodell widerspricht den Interessen der industriellen Fraktion, deren Tätigkeit auf den Konsum des Binnenmarktes ausgerichtet ist, der durch dieses nach außen ausgerichtete Akkumulationsmodell eingeschränkt und verkleinert wird. Aus diesem Grund haben sich die politischen Vertreter dieser Fraktion auf eine Verfassungsänderung und eine Ausrichtung des Wirtschaftsmodells auf die Stärkung des Binnenmarktes geeinigt, was wichtige Änderungen in der sozialen Ausrichtung der Wirtschaftstätigkeit voraussetzt. Die hegemoniale Finanz-, Banken- und Handelsfraktion, die in der Regierung durch Piñera vertreten wird, ist nicht bereit, Zugeständnisse zu machen, die das von der Diktatur errichtete Wirtschafts- und Entwicklungsmodell in Frage stellen oder gefährden würden, aber sie ist heute nicht nur mit der Stärke der Volksbewegung, sondern auch mit einer wichtigen Fraktion der industriellen Wirtschaftsgruppen konfrontiert. Als Piñera zu Beginn der Proteste sagte „Wir befinden uns im Krieg gegen einen mächtigen, unversöhnlichen Feind“, war das nicht nur eine Erklärung gegen die Bewegung, sondern auch ein Aufruf an die ultrakonservativen rechten Sektoren, sich zu organisieren und auf die Straße zu gehen, um das System zu verteidigen. Unmittelbar danach erklärte der Oberbefehlshaber der Armee, dass „er oder die Armee sich mit niemandem im Krieg befinde“, was zeigte, dass die Krise des Entwicklungs- und Herrschaftsmodells bereits bei den Streitkräften angekommen war. Ein wichtiger Faktor, der bei der künftigen Entwicklung der Mobilisierungen und der möglichen Alternative zur Ablösung des in Chile vorherrschenden Modells zu berücksichtigen ist, ist zweifellos die Haltung der Streitkräfte gegenüber der Infragestellung des Systems. Aus diesem Grund zielen die Demonstrationen organisierter rechtsextremer Gruppen vor der Militärschule darauf ab, ihre Unterstützung zu gewinnen und damit ein Gewaltregime zu errichten, das dem unter Pinochet etablierten gleichwertig oder ähnlich ist.

In den vielen Asambleas und Cabildos, die überall im Land entstanden sind, waren vor der Corona-Pandemie große Diskussionen über die Verfassung, das Referendum und mögliche Strategien der Bewegung im Gange. Es bildeten sich Koordinationen und Vernetzungen. Wie gehen die Diskussionen und die Organisierung jetzt unter den Bedingungen von Corona weiter?

In den nationalen und internationalen Medien wurde schon zu Beginn der Proteste auf die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen hingewiesen, die die „soziale Explosion“ motiviert hatten, und als wesentlicher Grund das hohe Maß an Ungleichheit in der chilenischen Gesellschaft hervorgehoben. Aus soziologischer und politischer Sicht hoben sowohl die Medien als auch politische Beobachter*innen die Tatsache hervor, dass diese „Explosion“ einen „spontanen“ Charakter gehabt hätte, da die gesamte Gesellschaft von einem Tag auf den anderen „in Wut erwacht“ sei. Dies trifft jedoch nicht zu.

Das „extraktivistische“ Entwicklungsmodell, das in Chile während der Diktatur etabliert und von den „Mitte-Links“-Regierungen nach dem Übergang zur Demokratie vertieft wurde, war in den letzten zehn Jahren Auslöser eines kontinuierlichen und anhaltenden Wachstums von sozio-ökologischen Konflikten. Diese Konflikte, die in erster Linie in peripheren Regionen stattfanden, wurden seit 2006 landesweit öffentlich sichtbar und setzten sich 2011 und 2012 mit den längsten und von viel Erfahrung geprägten Mobilisierungen fort, die von Universitätsstudent*innen und Gymnasiast*innen im ganzen Land organisiert wurden. Dieser Protest konnte sich im Laufe seiner Entwicklung ausweiten und bekam Unterstützung von anderen Sektoren, sowohl aus dem Sozial- als auch aus dem Umweltbereich, was dazu führte, dass sich regionalistische, ökologische und indigene Proteste und Mobilisierungen in verschiedenen Teilen des Landes entwickelten. In dieser Zeit begann die Organisierung der ersten „Volksversammlungen und Bürgerversammlungen“ (Asambleas y Cabildos locales populares), in denen ein Prozess der „Selbsterziehung“ des Volkes eingeleitet wurde, um ein Modell zu entwerfen, wie der Aufbau einer solidarischen und egalitären Gesellschaft aussehen könnte. Diese Organisationen prangerten die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Exportmodells an, insbesondere die übermäßige Ausbeutung der Bergbauressourcen im Norden, die Umweltauswirkungen der Forstwirtschaft und der Lachsindustrie im Süden sowie die Krise der Verfügbarkeit und des Zugangs zu den Wasserressourcen, die durch den intensiven Bergbau und die Agroexportindustrie in der Zentralzone des Landes erzeugt werden. Diese Konflikte, die im Zeitraum 2011-2012 massiv begannen, führten zu einem unsicheren Klima für Exporteure und Investoren, die durch die zahlreichen Proteste und den Widerstand von indigenen Gemeinschaften, Umweltgruppen und sozialen Organisationen, die sich auf der Ebene der Bevölkerung neu formierten, herausgefordert und verunsichert wurden. Diese prangerten die Unzulänglichkeiten eines Neoliberalismus an, der „denaturiert“ sei, nicht nur durch den zerstörenden Effekt auf die Umwelt, sondern auch und vor allem in Bezug auf die Bürgerbeteiligung und die Ausübung der Demokratie.

Ab 2011 beginnt sich in Chile eine neue sozio-politische Realität abzuzeichnen, die durch verschiedene Konflikte gekennzeichnet ist, die sich über die gesamte Geographie des Landes erstrecken. Im Norden die Proteste in der Stadt Calama, wo die Bevölkerung eine Beteiligung an den Gewinnen aus dem Kupferexport fordert, um staatliche Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit, Bildung und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tätigen. Im Süden (Magallanes) kam die große Mehrheit der Bevölkerung aus allen sozialen Schichten gegen das Projekt des Baus von Wasserkraftwerken (HidroAysén) zusammen, um die soziale und ökologische Unversehrtheit der Region zu erhalten und zu verteidigen. In der zentralen Region des Landes kam es zu den Mobilisierungen der Kleinbauern in Petorca, die den Mangel an Wasser anprangerten, das umgeleitet und durch das Bohren von Brunnen (illegale Ausbeutung der unterirdischen Aquifere) für die intensive Bewässerung der landwirtschaftlichen Monokultur (großflächige Plantagen von Avocados für den Export) genutzt wurde und wird. Hierzu gehören auch die Proteste und Mobilisierungen der Bewohner des Maipo-Tals (in der Nähe der chilenischen Hauptstadt) gegen die Staudämme zur Wasserkraftnutzung, deren Bau dazu führte, dass sie ihre angestammten Wohn- und Arbeits-Orte mit handwerklicher Reproduktion von landwirtschaftlichen Produkten wie Gemüse, Obst usw. aufgeben mussten. Die schon vor 2011 entstandenen sozialen und ökologischen Bewegungen stießen damit trotz ihrer heterogenen Forderungen eine bereits überwunden geglaubte Diskussion an: ”Chile ist eine Oase der Ruhe und des sozialen Friedens”. Der heterogene Charakter der sozialen Bewegung und die Gründe für die Mobilisierung sind verschiedene Erklärungen dafür, dass sie sich von Anfang an nicht vertreten fühlte und sich mit keiner der parteipolitischen Vertretungen identifizierte, die sich seit Beginn der Demokratie nur der Verwaltung des von der Diktatur errichteten Herrschaftssystems verschrieben hatten. Das von den hegemonialen Wirtschafts-, Finanz- und Politiksektoren propagierte und getragene Paradigma, dass es möglich sei, politische Demokratie, wirtschaftlichen Neoliberalismus und soziale Entwicklung auf der Grundlage eines neoliberalen Systems in den fälschlicherweise als “unterentwickelt” bezeichneten Ländern in Einklang zu bringen, wird von einem breiten Teil der Gesellschaft zunehmend revidiert, kritisiert und angefochten, sobald die negativen Auswirkungen bewusst werden, die das Entwicklungsmodell mit sich bringt. Schon seit den Demonstrationen während der Studentenproteste von 2011 entwickelten autonome Bewegungen in den Vierteln und Poblaciones (den ärmeren Stadtteilen), sozio-ökologische, indigene, feministische und Genderbewegungen neue Formen des politischen Aktivismus, der Volksbildung und der demokratischen Basisorganisierung, und schlugen für Chile ökologische Alternativen im sozialen und politischen Bereich vor. Zusammengefasst ging es darum, Vorstellungen zu entwickeln, wie die Volkssouveränität und die Ausübung der Demokratie (Neue Verfassung) am besten umgesetzt werden könnten, und Vorschläge für ein neues Entwicklungsmodell für die Gesellschaft als Ganzes zu machen. Dieser Prozess, sich der herrschenden Realität und der Notwendigkeit eines radikalen Wandels bewust zu werden, ist zu Beginn der Proteste im Oktober sichtbar geworden. Dies war nicht “spontan”, sondern der Höhepunkt eines langen Mobilisierungs- und Wiederaufbauprozesses der Organisationen, die sich dem im September 1973 in Chile errichteten Herrschaftsregime widersetzten.

Wenige Wochen vor Beginn der Proteste bildete sich der „Tisch der sozialen Einheit“ (Mesa de Unidad Social), an dem neben den Gewerkschaften auch gesellschaftliche Organisationen teilnahmen. Anfangs rief er zu Demonstrationen und zur Organisation von Cabildos auf und forderte einen Prozess zur Einrichtung einer Verfassunggebenden Versammlung, die in erster Linie als Grundlage für die Ausarbeitung eines Programms dienen sollte, das die Forderungen der einzelnen Protestorganisationen zusammenführt und so politische und gesellschaftliche Unterstützung für die Forderung nach einer neuen Verfassung erhält. Daraus artikulierte sich eine neue Organisationsform mit der Bezeichnung „Selbst einberufene Territorialversammlungen“ (Asambleas Territoriales Autoconvocadas), die die erste organisierte Instanz für die Ausübung der „direkten Demokratie“ und eines gemeinsamen Reflexionsprozesses darstellen, um die Verteidigung gegen die verschärfte Repression zu organisieren, insbesondere in der Zeit der Erklärung des Ausnahmezustands durch die Regierung. Bis zum heutigen Tag finden im ganzen Land weiterhin Territorialversammlungen statt.

Diese Versammlungen sind diejenigen, die die Cacerolazos, Straßenblockaden zur Verhinderung des Eindringens der Unterdrückungstruppen in die Wohnviertel sowie Märsche und Demonstrationen organisieren, in denen die Ablehnung der Streitkräfte unter einem scheinbar „demokratischen“ System zum Ausdruck kommt, die mit dem Argument der „Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung“ eingesetzt werden, „um die Ruhe in der Bevölkerung zu gewährleisten“. Diese Versammlungen haben angesichts des Bewegungs- und Versammlungsverbots an öffentlichen Orten Suppenküchen (Ollas Comunes) organisiert, die dazu dienen, die durch die Schließung des Handels verursachte Unterversorgung zu lindern. Vor allem aber haben diese Suppenküchen auch das Ziel, die Bevölkerung zu einem gemeinsamen Treffpunkt einzuladen, der der Planung und Organisation künftiger Aktionen dient. Ungeachtet der Heterogenität der Bewegung ist es ihnen gelungen, Arbeitskommissionen zu schaffen, wie zum Beispiel für Kommunikation, Selbsthilfe, Volksbildung und die Koordinierung der verschiedenen Initiativen in Aktionsprogrammen. Diese Kommissionen kümmern sich um die Instanzen der Kommunikation, um die Gegeninformation durch soziale Netzwerke, sie organisieren Territorialmärsche, Selbstinformationstage, Diskussionen, kulturelle Aktivitäten und Gesundheitsbrigaden. All dies ermöglicht die Wiedervereinigung von Nachbar*innen und Bewohner*innen, was zu einer Reaktivierung der politischen Aktivitäten und damit zum Wiederaufbau des sozialen Netzes geführt hat, das durch die Diktatur unterbrochen und durch die Angst vor Repression, durch Individualismus und das durch das Herrschaftsmodell auferlegte Misstrauen aufrechterhalten wurde.

Diese Versammlungen sind in einem Gremium namens Coordinadora de Asambleas Territoriales CAT organisiert, das für die Koordinierung der verschiedenen Aktionen auf nationaler Ebene zuständig ist. Dieses Koordinierungsgremium zeichnet sich durch seinen popularen Charakter aus, es ist selbstorganisiert, autonom, horizontal, feministisch, plurinational und demokratisch. Ziel der CAT ist es, zur Stärkung der Entwicklung und Autonomie der lokalen Versammlungen beizutragen, Mobilisierungen zu koordinieren, die verschiedenen lokalen Forderungen in einem nationalen Programm zu vereinen und damit auf dem Weg zu einer Verfassunggebenden Volksversammlung voranzuschreiten. Diese Form der Organisierung hat dazu gedient, die institutionelle Krise, die sich durch die Pandemie im Wesentlichen im Gesundheits- und Versorgungssystem zeigt, anzugehen und verschiedene Schutz- und Hilfsinitiativen unter dem Motto „Das Volk schützt das Volk“ zu entwickeln.

Für das Piñera-Regime (und auch einige andere) ist die Corona-Pandemie ein Geschenk. Nach fünf Monaten von Massenmobilisierungen sind nun die Plätze leer und das Militär auf der Straße. Hast du eine Einschätzung, wie das weitergehen wird?

Ein großer Teil der Antwort auf diese Frage kommt meiner Meinung nach auf die eine oder andere Weise im gesamten Text zum Ausdruck. Der große Fehler der Regierung und der staatlichen Verwaltung angesichts der Krise, die im Oktober letzten Jahres begann und die durch die Pandemie immer noch andauert und sich verschlimmert, bestand darin, nicht versucht zu haben, einen Dialog mit den Organisationen und gesellschaftlichen Akteuren einzuleiten, die einen hohen Grad an Repräsentation und Anerkennung haben. Im Gegenteil, er hat sich mit den politischen Akteuren der parlamentarischen Opposition, die ebenso wie die Regierung genauso oder sogar stärker diskreditiert sind als der Präsident selbst, geeinigt und mit ihnen das „Abkommen für den sozialen Frieden und eine neue Verfassung“ erreicht, und so wie er Ende Oktober, als er der gesamten sozialen Bewegung den Krieg erklärte, sofort den Ausnahmezustand ausrief und das Militär auf die Straße brachte, hat er es jetzt mit dem scheinheiligen Argument, die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen, wieder getan. Diese von der Regierung angesichts der durch die Pandemie verursachten Krise ergriffenen Maßnahmen haben den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konflikt, der im Oktober letzten Jahres begann, nur noch verschärft. Die Widersprüche innerhalb des herrschenden Blocks haben sich vertieft, und die parlamentarische Opposition ist gezwungen, die von der Regierung erlassenen Maßnahmen zu unterstützen. Parallel dazu organisiert und hält die Bevölkerung, obwohl die Diskussion über eine neue Verfassung verschoben wurde, weiterhin Mobilisierungen und Proteste aufrecht, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Dies hat jedoch dazu gedient, alternative Programme zur Reaktion auf die Krise zu entwickeln und die Unterstützung der Gewerkschaften und Verbände von Arbeiter*innen zu erreichen, die bei den bis Anfang März durchgeführten Mobilisierungen noch abseits standen.

Das von der Regierung vorgeschlagene Programm zur Reaktivierung des Wirtschaftslebens, wie z.B. die Wiedereröffnung von Bildungseinrichtungen, wurde von den Gewerkschaftsorganisationen der Lehrer*innen mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht bereit seien, Unterricht zu geben oder ihre Arbeitsplätze aufzusuchen so lange der Staat die Sicherheit und Gesundheit von Schüler*innen und Lehrer*innen nicht garantiere. Die Forderung, die öffentliche Verwaltung solle Anfang Mai wieder an die Arbeit gehen, wurde von der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ANEF abgelehnt. Auf der Verwaltungsebene handeln die Bürgermeister der wichtigsten Gemeinden unabhängig und entwickeln ihre eigenen Programme zur Eindämmung der durch COVID-19 verursachten Infektionen, da die Regierung ihre Vorschläge zur Ausrufung einer nationalen Quarantäne abgelehnt hat. Auch die dem Dachverband CUT (Central Unica de Trabajadores) angehörenden Gewerkschaften sind nicht bereit, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, solange der Staat keinen angemessenen Schutz vor einer möglichen Ansteckung an ihren Arbeitsplätzen gewährleistet. Am 26. und 27. April haben gesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Verbände zu einem Generalstreik aufgerufen.

Zusammenfassend zeigt das Konzept des „Subsidiären Staates“ in diesen Krisenzeiten, dass er nicht in der Lage ist, das Überleben und die Unversehrtheit seiner Bevölkerung zu gewährleisten. Die Verschärfung der Konflikte wird sicherlich dazu führen, dass die Menschen nach der Überwindung der Pandemie wieder auf die Straße gehen werden, diesmal mit einer besseren Organisation und einem politischen Programm, das über die Forderungen, die dazu geführt haben, hinausgeht: „Wir werden wieder auf die Straße gehen, und wir werden Millionen sein“.

Iván Ballesteros kam 1974 als politischer Flüchtling in die BRD. In Chile war er in der Studentenorganisation des MIR, Movimiento de Izquierda Revolucionaria. Mit einem Stipendium der Stiftung Mitbestimmung konnte er studieren. Er hat als Ingenieur für eine deutsche Firma in Lateinamerika gearbeitet und lebt heute in Hannover.

Das Interview wurde im April 2020 per E-Mail geführt. Eine zusammengefasste Version erschien in der ila 435 mit dem Schwerpunkt Chile.